L 5 AS 457/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 40 AS 98/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 457/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei einer unklaren und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klärenden Sachlage ist es regelmäßig angemessen und ausreichend, bei einer einstweiligen Anordnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach einer Folgenabwägung nur 80 v. H. der Regelleistung zu berücksichtigen.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Januar 2010 geändert und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 11. bis zum 31. Januar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 200,- EUR sowie für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 30. Juni 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 286,- EUR monatlich als Darlehen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu vier Fünfteln. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwältin P beigeordnet.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und innerhalb der Frist des § 173 SGG eingelegt. Sie hat jedoch nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das Sozialgericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung nach einer Folgenabwägung den Antragsgegner dem Grunde nach zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Berücksichtigung von Herrn B als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu gewähren. Ist einem Gericht die vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, juris). Das Sozialgericht hat ausführlich dargetan, dass die Antragstellerin und Herr B zwar seit 1983 - mithin seit weit über einem Jahr - in einer Wohnung mit der gemeinsamen Tochter Y leben. Gleichwohl spreche aufgrund der Verhältnisse im Einzelfall jedoch einiges dafür, dass entgegen der Vermutung von § 7 Abs. 3 a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Antragstellerin und Herrn B keine Bedarfsgemeinschaft bilden. So habe die Antragstellerin etwa seit der behaupteten Trennung im Jahr 1998/1999 ihre Lebensversicherung auf ihre Tochter Y umgeschrieben. Auch hätten sowohl Herr B wie auch die Antragstellerin die Verhältnisse übereinstimmend geschildert. Zwar seien die Umstände im vorliegenden Fall möglicherweise ungewöhnlich. Indes lässt der Umstand, dass Herr B regelmäßig für längere Zeiträume auswärtig auf Montage arbeite und die Wohnung mit Ausnahme der Nebenkosten keine Miete koste, es gut möglich erscheinen, dass die Antragstellerin und Herr B keine eheähnliche Gemeinschaft bilden und gleichwohl gemeinsam in dieser Wohnung leben. Hiervon ging ersichtlich auch die Antragsgegnerin aus, da sie über zwei Jahre lang der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn B erbrachte. Ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage änderte die Antragsgegnerin ihre Auffassung im August 2009, stellte zuvor keine neuen Ermittlungen an und bewilligte nur noch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn B und unter Anrechnung des von ihm erzielten Arbeitslosengeld I. Das Sozialgericht hat angesichts dieser Sachlage zutreffend festgestellt, dass eine vollständige Aufklärung des Sachverhaltes im Hinblick auf das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.

Gleichwohl erscheint es bei einer solchermaßen unklaren Sachlage angemessen und auch ausreichend, dass die Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nur unter Berücksichtigung von 80 v. H. der Regelleistung nach § 20 SGB II als Darlehen gewährt. Die besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen es nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (BVerfG, a. a. O.). Dementsprechend war der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus abzuändern. Die Antragsgegnerin war lediglich zu verpflichten, neben den bereits bewilligten Leistungen der Unterkunft und Heizung in Höhe von 27,65 EUR monatlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 286,- EUR monatlich, entsprechend 80 v. H. der Regelleistung in Höhe von 357,- EUR zu zahlen. Im Januar ist der Anspruch entsprechend geringer (21/30 x 286,- EUR). Der Abschlag von 20 v. H. der Regelleistung entspricht etwa der Höhe des in der Regelleistung enthaltenen Ansparbetrages für einmalige Bedarfe (vgl. die ausführliche Darstellung der Gesetzesentstehung bei Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, juris, Rn. 53 ff.). Dementsprechend genügen 80 v. H. der Regelleistung, um den gegenwärtigen Bedarf zu befriedigen und eine Notlage abzuwenden (für einen Abschlag von bis zu sogar 30 v. H.: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Februar 2006 – L 14 B 1157/05 AS ER; für einen Abschlag von 20 v. H.: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B, juris). Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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