L 5 AS 797/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AS 206/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 797/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei Leistungsklagen ist § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in der Fassung des Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetzes vom 14. April 2010 auch auf Zeiträume vor In-Kraft-Treten des Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetzes anzuwenden.
2. Werden im Wege der einstweiligen Anordnung zusätzliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 14 v. H. der Regelleistung geltend gemacht, so liegt regelmäßig kein Anordnungsgrund vor.
Die Beschwerde des Antragsgegners und die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 1. April 2010 wer-den zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die im Beschwerdeverfahren entstandenen außer-gerichtlichen Kosten des Antragstellers zu sechs Zehnteln. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ohne Anordnung von Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin S R bei-geordnet.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners und Beschwerdeführers zu 1. ist zwar nach § 172 Sozial-gerichtsgesetz (SGG) zulässig, sie ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrags-gegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu Recht verpflichtet, dem Antragsteller Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erbringen. Es wird zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochte-nen Beschluss nach § 142 Abs. 2 S. 3 SGG verwiesen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass entgegen den Vermutungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 25. März 2010 nun-mehr das Gesetz zur Stabilisierung der Finanzlage der Sozialversicherungssysteme und zur Einführung eines Sonderprogramms mit Maßnahmen für Milchviehhalter sowie zur Änderung anderer Gesetze (Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz — SozVersStabG) vom 14. April 2010 (BGBl. I, 410 ff.) verabschiedet, ausgefertigt und am 17. April 2010 in Kraft getreten ist. Nach der neuen Fassung von § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II ist der Versicherungsvertrag des An-tragstellers nicht als Vermögen zu berücksichtigen, dies hat auch der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung eingeräumt. Das Begehren des Antragstellers wird im Hauptsachever-fahren mit einer Leistungsklage in der Hauptsache zu verfolgen sein. Bei dieser ist grundsätz-lich die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. Kel-ler in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 54 Rn. 34). Da das Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz keine Übergangsvorschriften vorsieht, wird das Gericht die geänderten höheren Freibeträge auch für den Zeitraum vor dem In-Kraft-Treten zu berücksichtigen haben. Im Übrigen stellte die Verwertung der Rentenversicherung so erst recht eine besondere Härte im Sinne von § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II für den Antragsteller dar. Denn der Antragsteller wäre anderenfalls genötigt, einen erheblichen Verlust bei der Verwertung seiner Rentenversicherung in Kauf zu nehmen, um seinen ungedeckten Bedarf für zwei Monate in Höhe von etwa 1.100,- EUR abzusichern. Ob die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers zu 2. zulässig ist, erscheint be-reits zweifelhaft. Denn der Antragsteller hatte beim Sozialgericht beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm "Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch ab 12.02.2010 zu gewähren". Beziffert hat er seinen Antrag nicht. Durch den angefochtenen Be-schluss des Sozialgerichts vom 1. April 2010 ist der Antragsgegner verpflichtet worden, an den Antragsteller Leistungen zu erbringen. Eine Beschwer des Antragstellers durch diesen Be-schluss ist so nicht ohne weiteres zu erkennen. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass bereits das Sozialgericht über die vom Antragsteller erstmals ausdrücklich mit seiner Be-schwerde geltend gemachten weiteren Leistungen der Unterkunft und Heizung und dem Zu-schlag nach § 24 Abs. 1 SGB II entschieden hat, hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg. Es liegt nämlich insoweit kein Anordnungsgrund vor. Hinsichtlich des Zuschlags nach § 24 Abs. 1 SGB II ergibt sich dies bereits daraus, dass der Bedarf des An-tragstellers durch die Regelleistung und Leistungen der Unterkunft und Heizung gedeckt wird und so keine wesentliche Nachteile im Sinne von § 86 b Abs. 2 S. 2 SGB II drohen. Aber auch hinsichtlich der geltend gemachten höheren Leistungen der Unterkunft und Heizung in Höhe von 510,- EUR abzüglich Warmwasserpauschale besteht kein Anordnungsgrund. Das Sozial-gericht hat in dem Beschluss auf die Bedarfsberechnung in dem Bescheid vom 9. Dezember 2009 verwiesen; dort wurden eine Grundmiete von 367,- EUR, Nebenkosten in Höhe von 51,50 EUR und Heizkosten in Höhe von 44,71 EUR, mithin insgesamt 463,21 EUR, abzüglich einer Warmwasserpauschale von 6,79 EUR berücksichtigt. Dies ergibt eine Differenz von etwa 46,- EUR. Bei einem solchen Betrag, welcher knapp 13 v. H. der Regelleistung darstellt, ist (noch) kein besonderes Eilbedürfnis anzunehmen. Dieser Betrag liegt noch unterhalb der Höhe des in der Regelleistung enthaltenen Ansparbetrages für einmalige Bedarfe in Höhe von etwa 20 v. H. (vgl. die ausführliche Darstellung der Gesetzesentstehung bei Bundesverfassungsge-richt, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, juris, Rn. 53 ff.). Dementsprechend genügen grundsätzlich 80 v. H. der Regelleistung, um den gegenwärtigen Bedarf zu befriedigen und eine Notlage abzuwenden (für einen Abschlag von bis zu sogar 30 v. H.: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Februar 2006 – L 14 B 1157/05 AS ER; für einen Abschlag von 20 v. H.: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B, juris). Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 73 a SGG i. V. m. § 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO). Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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