Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 156/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 177/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Voraussetzungen für die Gewährung höherer Verletztenrente. Bildung der Gesamt-MdE
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. März 2007 sowie des Bescheides vom 17. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2005 verurteilt, dem Kläger ab 1. Juni 2005 Rente nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger 1/4 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Verletztenrente.
Der 1957 geborene Kläger stürzte am 23. August 2000 von einem Dach und zog sich eine Beckenluxationsfraktur mit Symphysensprengung, eine Sacrumfraktur links sowie eine Acetabulumfraktur links zu. Nach Rehabilitationsbehandlung vom 24. Oktober bis 20. November 2000 stellten die behandelnden Ärzte eine deutliche Besserung des Befundes bei zum Teil noch stark wechselnden Beschwerden, von deutlichem Hinken bis zum völlig freien Gang, fest. Nach medizinisch-beruflicher Rehabilitation bis 15. Dezember 2000 erschien der Kläger mit zwei Gehstützen zur Abschlussuntersuchung; der behandelnde Arzt berichtete, es sei immer wieder beobachtet worden, dass der Kläger ohne Gehstützen problemlos gehen könne.
Im Bericht vom 21. Juni 2001 wies der Chirurg Prof. Dr. N. auf die vom Kläger angegebenen Probleme mit imperativem Harndrang und erektiler Dysfunktion hin. Die klinische Untersuchung vom 19. Juli 2001 durch den Chirurgen Prof. Dr. B. zeigte die linke Beckenhälfte um ca. 1,5 cm höher stehend. Wegen der Beinlängendifferenz sei die dauerhafte Versorgung mit einem Schuhhöhenausgleich zu empfehlen. Am 3. Dezember 2001 nahm Prof. Dr. N. die Implantatentfernung vor. Danach klagte der Kläger am 18. Januar 2002 gegenüber dem Chirurgen Dr. E. über vermehrte Schmerzen im Beckenbereich sowie in der linken Hüfte. Dr. E. konnte eine Beinlängedifferenz nicht feststellen.
Im Gutachten vom 6. April 2002 führte der Urologe Dr. N. aus, zwar seien die Angaben des Klägers schwerlich objektiv überprüfbar, aber im Hinblick auf das massive Multitrauma des Beckens als zutreffend anzusehen. Verletzungsfolgen seien also eine erektile Dysfunktion und eine chronische Prostatitis als Folge der unfallbedingten Katheterbehandlung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf urologischem Gebiet sei mit 20 v.H. anzusetzen.
Der Chirurg Dr. S. erklärte im Gutachten vom 16. März 2002 und der ergänzenden Stellungnahme vom 11. April 2002, als Folge des Unfalls seien ein in Fehlstellung verheilter Beckenringbruch mit Fehlstellung der Schambeinfuge, ein verheilter Kreuzbeinbruch, eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenks, Muskelminderung des linken Beines, Narbenbildung im Beckenbereich festzustellen. Die MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet sei mit 20 v.H. zu bewerten, die Gesamt-MdE unter Berücksichtigung der Unfallfolgen auf urologischem Fachgebiet mit 35 v.H ...
Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 5. Juni 2002 ab 21. Januar 2002 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 35 v.H ...
Der Orthopäde Dr. H. führte im Gutachten vom 18. September 2002 aus, es bestünden noch unfallbedingte Funktionseinbußen im Beckenbereich und den unteren Extremitäten; am linken Hüftgelenk sei die Beugung eingeschränkt. Inzwischen sei ein Endzustand der Unfallfolgen erreicht.
Im Gutachten vom 12. Mai 2003 erklärte der Urologe Dr. N., die Beschwerden mit Harndrang seien trotz des Rückgangs der Entzündungserscheinungen nicht besser geworden, sondern hätten eher zugenommen. Eine leichte neurogene Blasenschädigung sei Unfallfolge. Die MdE sei unverändert mit 20 v.H. zu bewerten.
Der Chirurg Dr. E. führte im Gutachten vom 22. April 2003 aus, die Belastungs- und Bewegungsstörung des linken Hüftgelenks und der linken Beckenseite sei glaubhaft. Außerdem bestehe eine objektivierbare endgradige Bewegungsstörung des linken Hüftgelenks. Die Gesamt-MdE sei mit 30 v.H. zu bewerten.
Nach Anhörung des Klägers gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juli 2003 ab
1. August 2003 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H ...
Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2003 zurück.
Am 11. Juni 2004 beantragte der Kläger die Anerkennung der Verschlimmerung der Unfallfolgen und Gewährung einer höheren Rente. Er übersandte einen Bericht über ein Computertomogramm (CT) vom 1. Mai 2004: festzustellen sei ein Zustand nach alter knöchern überbrückter Beckenfraktur ohne Hinweis auf lokale Instabilität/Pseudarthrose. Nach narbiger Ausheilung liege eine erhebliche Verformung des linken vorderen Beckenringes vor.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. erklärte im Gutachten vom 29. September 2004, es bestehe eine diskrete ASR-Abschwächung sowie eine geringgradige Fußheberschwäche links, die mit einer geringgradigen Läsion des Nervus Ischiadicus im Rahmen des Traumas durchaus vereinbar seien. Die unfallbedingte MdE betrage 10 v.H ...
Die Chirurgen Dr. R. und E. führten im Gutachten vom 3. September 2004 aus, der Kläger gebe an, die urologische Situation sei unverändert. Die MdE auf chirurgischem Fachgebiet sei mit 30 v.H. zu bewerten. Die Beschwerdezunahme in Form von glaubhaften Schmerzen bedinge keine wesentliche Verschlechterung. Die Gesamt-MdE sei mit
35 v.H. einzuschätzen.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2005 lehnte die Beklagte eine Erhöhung der Rente ab. Nach den Feststellungen der ärztlichen Gutachter betrage die MdE 35 v.H.; eine wesentliche Verschlimmerung sei daher nicht eingetreten.
Zur Begründung seines Widerspruchs übersandte der Kläger einen Arztbrief der Schmerzambulanz des Krankenhauses Barmherzige Brüder, R., vom 17. Mai 2005 mit den Diagnosen: Hochchronifizierte Schmerzerkrankung in fortgeschrittenem Stadium III mit Persönlichkeitsveränderung.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2005 zurück.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren begehrte der Kläger Rente nach einer höheren MdE als 30 v.H ...
Das Sozialgericht zog Berichte der behandelnden Ärzte bei und ernannte den Orthopäden Privatdozent Dr. K. zum ärztlichen Sachverständigen.
Im Gutachten vom 7. März 2006 führte der Orthopäde Dr. K. aus, im Bescheid vom 2. Juli 2003 fehlten die Unfallfolgen: deutliche Atrophie der Ober- und Unterschenkelmuskulatur mit Einschränkung der Fußheber- und Senkerkraft, Gefühlsempfindungsstörung an Wade und linkem Fuß mit Abschwächung des Achillessehnenreflexes und Narbenbildung am Unterbauch bzw. im LWS-Bereich mit geringer LWS-Verbiegung. Es liege keine Verschlimmerung vor, sondern eine unvollständige Auflistung der Unfallfolgen. Die MdE sei unverändert mit 35 v.H. zu bewerten.
Der zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. erklärte im Gutachten vom 28. November 2006, auf neurologisch-psychatrischem Fachgebiet ergäben sich keine wesentlichen Unfallfolgen. Peripher-neurogene oder radikuläre Schädigungen könnten nicht verifiziert werden. Die Benutzung der Gehstützen erfolge im Rahmen von Verdeutlichungstendenzen und der bewusstseinsnah erlebten Krankenrolle.
Das Sozialgericht Regensburg wies die Klage mit Urteil vom 14. März 2007 ab und stützte sich dabei auf die Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen. Was die urologischen Unfallfolgen betreffe, so habe bereits Dr. N. darauf hingewiesen, dass eine Änderung nicht zu erwarten sei.
Mit der Berufung vom 10. Mai 2007 begehrt der Kläger die Gewährung einer Rente nach einer MdE um mindestens 40 v.H ... Er übersandte ein Attest des Urologen B. vom 4. Juli 2007: Im Verlauf des letzten Jahres sei eine deutliche Verschlechterung mit Inkontinenz eingetreten. Der Neurologe Dr. G. berichtete am 6. Februar 2007, durch das Gehen mit Unterarmgehstützen sei ein Carpaltunnelsyndrom ausgelöst bzw. verschlechtert. Der Dr. von attestierte am 30. August 2007 ein chronisches Schmerzsyndrom mit Persönlichkeitsveränderungen, schmerzassoziierte Depression und Carpaltunnelsyndrom. Der Diplom-Psychologe Z. erklärte in der Stellungnahme vom 15. September 2007, der Kläger könne nicht darlegen, was er von einer psychotherapeutischen Behandlung erwarte. Daher habe er keine Behandlung durchgeführt.
Der Orthopäde und Chirurg Dr. L. erklärte im Gutachten vom 10. März 2008, erstellt für das Sozialgericht München im Knappschaftsrentenrechtsstreit des Klägers, die Bewegungsfähigkeit des linken Hüftgelenks sei in etwa gleich geblieben, aber die Umfangsmaße im Bereich der unteren Extremitäten hätten sich dramatisch verändert, was für die Einseitigkeit der Belastung spreche.
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. führte im Gutachten vom 31. Juli 2008 aus, nicht berücksichtigt worden seien bisher die chronifizierte Schmerzerkrankung und die psychische Fehlentwicklung des Klägers. Schon frühzeitig ließen sich Hinweise auf eine Krankheitsfehlverarbeitung nachweisen. Rechtlich allein wesentliche Ursache für die psychischen Auffälligkeiten seien aus der Psyche des Klägers wirkende Kräfte. Dagegen sei die chronische Schmerzerkrankung nicht mehr ausreichend willentlich steuerbar und deshalb als mittelbare Unfallfolge zu berücksichtigen. Das leichte Carpaltunnelsyndrom sei ebenfalls mittelbare Unfallfolge, da der Kläger die Krücken nicht nur aus Verdeutlichungstendenz benutze. Die MdE wegen der Unfallfolgen auf chirurgisch/orthopädischem und urologischem Fachgebiet betrage jeweils 20 v.H ... Die MdE durch die chronische Schmerzerkrankung werde mit 10 v.H. eingeschätzt, durch das leichte Carpaltunnelsyndrom mit unter 10 v.H ... Die Gesamt-MdE sei bis Mai 2005 mit 35 v.H., danach mit 40 v.H. zu bewerten.
Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vom 04.09.2008: Als zusätzliche Unfallfolgen seien anhaltende und ausgeprägte Schmerzen mit entsprechenden seelischen Begleiterscheinungen sowie ein leichtes Carpaltunnelsyndrom zu berücksichtigen. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 19. September 2008 bereit, diese zusätzlichen Folgen des Unfalles anzuerkennen und wegen wesentlicher Verschlimmerung der Unfallfolgen ab 17. Mai 2005 Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2008 teilte der Kläger mit, er nehme das Vergleichsangebot nicht an. Es seien erhebliche Verschlimmerungen im orthopädischen und urologischen Bereich zu berücksichtigen.
Prof. Dr. G. erklärte in der Stellungnahme vom 22. Dezember 2008, das Gesamtausmaß der psychischen Störungen sei nicht allein dem Unfall und seinen körperlichen Verletzungsfolgen zuzurechnen.
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Urologe Prof. Dr. I. führte im Gutachten vom 18. März 2009 aus, ein imperativer Harndrang sei vorstellbar und nachvollziehbar. Eine Verifizierung der Störung habe aber nicht stattgefunden. Untersuchungen, die eine neurogene Blasenschädigung bestätigten, lägen nicht vor. Insgesamt sei eine Verschlechterung der Gesundheitsstörungen auf urologischem Gebiet nicht eindeutig nachzuweisen. Die MdE sei mit 20 v.H. einzuschätzen, und zwar wegen der erektilen Dysfunktion, deren Verschlechterung nicht zu erwarten sei, 10 v.H., wegen der Blasenentleerungsstörung gleichfalls 10 v.H ... Der Urologe B. habe am 4. Juli 2007 angegeben, dass noch gelegentlich ausreichende Erektionen bestünden.
Der gleichfalls zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. H. erklärte im Gutachten vom 9. September 2009, inzwischen sei die Schambeinfuge vollständig verknöchert. Die Weichteilverkalkungen hätten sich verstärkt. Eine Beinverkürzung liege nicht vor. Von einer entscheidenden Befundänderung könne nicht ausgegangen werden. Eine wesentliche objektivierbare Verschlimmerung liege auf orthopädischem Gebiet nicht vor. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen am linken Arm und an der Wirbelsäule seien durch die Unfallfolgen weder hervorgerufen noch verschlimmert. Es bestehe zwar eine Beckenasymmetrie, jedoch kein Schiefstand der Beckenkämme und damit keine statische seitliche Verbiegung der Lendenwirbelsäule. Die MdE auf orthopädischem Fachgebiet sei mit 20 v.H. eher hoch bewertet, da die Beckenringfraktur absolut stabil ausgeheilt sei.
Die Beklagte wiederholte mit Schreiben vom 1. Oktober 2009 das Vergleichsangebot: Rentengewährung nach einer MdE um 40 v.H. ab 1. Juni 2005.
Der Kläger wandte mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 ein, er brauche weiterhin zwei Unterarmgehstützen. Es bestünden ein Beckenschiefstand und eine Beinverkürzung, außerdem Schäden am Sprunggelenk und an der Schulter. Zu berücksichtigen sei auch, dass Prof. Dr. I. sich auf Ausführungen des Urologen B. vom 4. Juli 2007 beziehe, die nicht zutreffend seien. Der Kläger übersandte ein Attest des Urologen B. vom 26. Oktober 2009: die erektile Dysfunktion sei schon 2006 absolut gewesen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 17. November 2009 führte Dr. H. aus, die Benutzung zweier Krücken sei erforderlich, wenn verletzungsbedingt ausgeprägte degenerativen Veränderungen an einem der Beingelenke festzustellen seien, was aber nicht der Fall sei. Eine wesentliche Beteiligung der Hüftgelenke an den Beckenfrakturen bestehe nicht mehr. Die ehemalige Fraktur des linken Acetabulums sei knöchern verheilt und bewirke allenfalls initiale verformende Veränderungen der linken Hüfte, die die Krückenbenutzung fraglos nicht begründen könnten. Die Beckenfraktur sei stabil ausgeheilt. Zwar bestehe eine Asymmetrie des Beckens, jedoch kein Beckenschiefstand. Eine Beinverkürzung sei nicht gegeben. Eine sekundäre Entwicklung degenerativer Veränderungen scheide aus, da keine posttraumatische Beinachsendeformität zu verzeichnen sei, die zu einer fehlstatischen Belastung hätte führen können. Die Benutzung der Krücken sei nur kurzfristig erforderlich gewesen, so dass auch hier keine Fehl- oder Überbelastung habe entstehen können. Weder an der Schulter noch am Sprunggelenk seien unmittelbare oder mittelbare Unfallfolgen festzustellen.
Der Kläger wandte ein, Dr. L. habe die Gesundheitsstörungen korrekt festgestellt: Das Becken habe sich weiter verschoben und die Beeinträchtigungen an der linken Schulter hätten sich verschlimmert. Tatsächlich sei eine Beinlängendifferenz von 1,5 cm gegeben und eine ausgeprägte Fehlstatik mit der Folge eines Schmerzsyndroms. Er sei seit 2001 auf Unterarmgehstützen angewiesen.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. März 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen Rente nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren,
hilfsweise beantragt er, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen durch einen Orthopäden, der noch nicht in das Verfahren involviert war und ein weiteres Gutachten zur Beurteilung der Gesamt-MdE.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, soweit die Anträge über das Vergleichsangebot vom 1. Oktober 2009 hinausgehen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nur teilweise begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. März 2007 ist insoweit aufzuheben, als die Ermittlungen im Berufungsverfahren ergeben haben, dass ab 1. Juni 2005 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. gegeben sind. Nach den überzeugenden Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr. S., Prof. Dr. I. und Dr. H. ist ab diesem Zeitpunkt eine wesentliche Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalles vom 23. August 2000 gegeben. Die Beklagte hat diesem Beweisergebnis Rechnung getragen und im Vergleichsangebot vom 1. Oktober 2009 eine entsprechende Rentengewährung angeboten.
Eine darüber hinausgehende Rentengewährung nach einer höheren MdE als 40 v.H. ist dagegen nicht zu begründen. Dr. S. hat im Gutachten vom 31. Juli 2008 überzeugend dargelegt, dass zwar außergewöhnliche Schmerzen und/oder seelische Begleiterscheinungen zu einer höheren MdE-Bewertung führen können. Allein die Tatsache lange andauernder Beschwerden schließt eine bewusstseinsnahe Steuerbarkeit jedoch nicht aus. Beim Kläger ließen sich, so Dr. S., frühzeitig Hinweise auf eine Krankheitsfehlverarbeitung nachweisen. Offensichtlich bestand zunächst eine Verleugnung der Schwere der Unfallfolgen, so dass der Kläger davon ausging, völlig gesund zu werden. Andererseits wollte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag stellen, obwohl die behandelnden Ärzte die MdE für unverändert hielten, da Durchblutung, Motorik und Sensibilität beider Beine regelrecht war. Der Ein-Bein-Stand war links und rechts gut möglich und die Hüftgelenke beweglich. Gründe, die in den besonderen Umständen des Unfalls liegen würden, sind nicht nachzuweisen, so dass die psychischen Auffälligkeiten nicht auf den Unfall und seine Folgen, sondern auf sonstige aus der Psyche des Klägers wirkende Kräfte rechtlich wesentlich zurückzuführen sind.
Dagegen ist die chronische Schmerzerkrankung nicht mehr ausreichend willentlich vom Kläger steuerbar und daher als mittelbare Unfallfolge zu berücksichtigen. Unfallfolge ist auch, wie Dr. S. erläutert, das leichte Carpaltunnelsyndrom rechts als Folge der Krückenbenutzung.
Damit ergibt sich ab Mai 2005 eine MdE um 10 v.H. und unter 10 v.H. auf psychiatrischem Gebiet.
Gesundheitsstörungen auf urologischem und orthopädischem Gebiet, die zu einer höheren Gesamt-MdE als 40 v.H. führen könnten, sind dagegen nicht gegeben. Prof. Dr. I. hat im Gutachten vom 18. März 2009, wie schon Dr. N. in den Gutachten vom 6. April 2002 und 12. Mai 2003, überzeugend dargelegt, dass eine höhere Einzel-MdE für die Unfallfolgen auf urologischem Gebiet als 20 v.H. nicht gegeben ist. Schon 2003 hat Dr. N. darauf hingewiesen, dass von einem Dauerzustand auszugehen sei. Dies hat sich durch die Untersuchung des Prof. Dr. I. vom 18. März 2009 bestätigt. Seine Bedenken hinsichtlich der Andauer der erektilen Dysfunktion haben zu keiner anderen Beurteilung der MdE auf urologischem Gebiet geführt; eine Verschlechterung der Folgen des Unfalls ist auf diesem Gebiet nicht eingetreten.
Wie Dr. H. im Gutachten vom 9. September 2009 sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 17. November 2009 erläutert hat, sind Verletzungen an der linken Schulter und der linken Hand bei dem Unfall vom 23. August 2000 nicht eingetreten. Bei der radiologischen Untersuchung zeigte sich, dass durch die Brettchenunterlage links von 1,5 cm die linke Beckenseite um 1,5 cm deutlich zu hoch stand. Es besteht also eine Beckenasymmetrie, dagegen aber kein Beckenschiefstand. Zu einer einseitigen Beinverkürzung durch den Unfall ist es nicht gekommen. Die gegenüber Dr. H. demonstrierte erhebliche Gangstörung ist organpathologisch nicht zu erklären, ebenso nicht die Bewegungseinschränkungen der rechten Hüfte, da die rechte Beckenseite von der Verletzung nicht betroffen war. Die Schambeimfuge ist vollständig verknöchert, die Weichteilverkalkungen unterhalb des linken Schambeinastes haben sich verstärkt. Dies bedeutet jedoch keine entscheidende Befundänderung, denn eine stärkere Funktionseinschränkung ist hierdurch nicht gegeben. Im Hinblick auf die stabile Ausheilung der Beckenringfraktur ist eine höhere MdE auf orthopädischem Fachgebiet als 20 v.H. nicht zu begründen.
Zu einer anderen Beurteilung der Sachlage kann auch das Gutachten des Dr. L. vom 10. März 2008 nicht führen. Dr. L. hat eine fest verheilte Beckenfraktur mit Belastungs- und Bewegungsstörung des linken Hüftgelenks einschließlich Beinverkürzung festgestellt. Dabei hat er auf Aggravationstendenzen hingewiesen. Auch Dr. H. hat die schonungsbedingte Abmagerung des linken Beines bestätigt. Andererseits hat Dr. H. überzeugend erläutert, dass statische Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Wirbelsäule nicht gegeben sind, da zwar eine Beckenasymmetrie, jedoch kein Schiefstand der Beckenkämme und damit keine statische seitliche Verbiegung der Lendenwirbelsäule besteht.
Im Hinblick auf die umfangreichen ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen in den Akten, insbesondere die Gutachten der Orthopäden Dr.K. vom 7. März 2006 und Dr. H. vom 9. September 2009 war die Einholung eines weiteren Gutachtens auf orthopädischem Fachgebiet nicht veranlasst. Die streitigen Fragen bezüglich der Beurteilung der Verschlimmerung der Unfallfolgen sind bereits von Dr. H. eingehend und überzeugend beurteilt worden.
Bezüglich der Bildung der Gesamt- MdE ist die Einholung eines weiteren ärztlichen Gutachtens ebenfalls nicht erforderlich. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt zwar in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Die streitige Bildung der Gesamt-MdE ist grundsätzlich so vorzunehmen, dass sie in der Regel niedriger ausfällt, als die Summe der Einzelschädigungen. Eine bloße Addition der Einzel-MdE-Sätze ist danach grundsätzlich nicht statthaft. Die Bildung der Gesamt-MdE ist in diesen Fällen vielmehr so vorzunehmen, dass die höchste Einzel-MdE gegebenenfalls unter Berücksichtigung weiterer Einzel-MdE-Sätze zu erhöhen ist. Eine solche Erhöhung kommt jedoch grundsätzlich erst beim Vorliegen einer weiteren Einzel-MdE um 20 v.H. in Betracht (vgl. Kasseler Kommentar, § 56 Siebtes Sozialgesetzbuch, Rdnr. 23; Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 103 ff. m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die von der Beklagten im Vergleichsangebot bereits vorgenommene Einschätzung der Gesamt-MdE auf 40 v.H. nicht zu Ungunsten des Klägers unrichtig. Bei Einzel-MdE-Sätzen auf neurologischem Gebiet von 10 und unter 10 v.H., auf urologischem Gebiet um 20 v.H. und auf orthopädischem Gebiet gleichfalls um 20 v.H. sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, die ein Abweichen von diesen Regeln rechtfertigen könnten.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger 1/4 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Verletztenrente.
Der 1957 geborene Kläger stürzte am 23. August 2000 von einem Dach und zog sich eine Beckenluxationsfraktur mit Symphysensprengung, eine Sacrumfraktur links sowie eine Acetabulumfraktur links zu. Nach Rehabilitationsbehandlung vom 24. Oktober bis 20. November 2000 stellten die behandelnden Ärzte eine deutliche Besserung des Befundes bei zum Teil noch stark wechselnden Beschwerden, von deutlichem Hinken bis zum völlig freien Gang, fest. Nach medizinisch-beruflicher Rehabilitation bis 15. Dezember 2000 erschien der Kläger mit zwei Gehstützen zur Abschlussuntersuchung; der behandelnde Arzt berichtete, es sei immer wieder beobachtet worden, dass der Kläger ohne Gehstützen problemlos gehen könne.
Im Bericht vom 21. Juni 2001 wies der Chirurg Prof. Dr. N. auf die vom Kläger angegebenen Probleme mit imperativem Harndrang und erektiler Dysfunktion hin. Die klinische Untersuchung vom 19. Juli 2001 durch den Chirurgen Prof. Dr. B. zeigte die linke Beckenhälfte um ca. 1,5 cm höher stehend. Wegen der Beinlängendifferenz sei die dauerhafte Versorgung mit einem Schuhhöhenausgleich zu empfehlen. Am 3. Dezember 2001 nahm Prof. Dr. N. die Implantatentfernung vor. Danach klagte der Kläger am 18. Januar 2002 gegenüber dem Chirurgen Dr. E. über vermehrte Schmerzen im Beckenbereich sowie in der linken Hüfte. Dr. E. konnte eine Beinlängedifferenz nicht feststellen.
Im Gutachten vom 6. April 2002 führte der Urologe Dr. N. aus, zwar seien die Angaben des Klägers schwerlich objektiv überprüfbar, aber im Hinblick auf das massive Multitrauma des Beckens als zutreffend anzusehen. Verletzungsfolgen seien also eine erektile Dysfunktion und eine chronische Prostatitis als Folge der unfallbedingten Katheterbehandlung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf urologischem Gebiet sei mit 20 v.H. anzusetzen.
Der Chirurg Dr. S. erklärte im Gutachten vom 16. März 2002 und der ergänzenden Stellungnahme vom 11. April 2002, als Folge des Unfalls seien ein in Fehlstellung verheilter Beckenringbruch mit Fehlstellung der Schambeinfuge, ein verheilter Kreuzbeinbruch, eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenks, Muskelminderung des linken Beines, Narbenbildung im Beckenbereich festzustellen. Die MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet sei mit 20 v.H. zu bewerten, die Gesamt-MdE unter Berücksichtigung der Unfallfolgen auf urologischem Fachgebiet mit 35 v.H ...
Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 5. Juni 2002 ab 21. Januar 2002 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 35 v.H ...
Der Orthopäde Dr. H. führte im Gutachten vom 18. September 2002 aus, es bestünden noch unfallbedingte Funktionseinbußen im Beckenbereich und den unteren Extremitäten; am linken Hüftgelenk sei die Beugung eingeschränkt. Inzwischen sei ein Endzustand der Unfallfolgen erreicht.
Im Gutachten vom 12. Mai 2003 erklärte der Urologe Dr. N., die Beschwerden mit Harndrang seien trotz des Rückgangs der Entzündungserscheinungen nicht besser geworden, sondern hätten eher zugenommen. Eine leichte neurogene Blasenschädigung sei Unfallfolge. Die MdE sei unverändert mit 20 v.H. zu bewerten.
Der Chirurg Dr. E. führte im Gutachten vom 22. April 2003 aus, die Belastungs- und Bewegungsstörung des linken Hüftgelenks und der linken Beckenseite sei glaubhaft. Außerdem bestehe eine objektivierbare endgradige Bewegungsstörung des linken Hüftgelenks. Die Gesamt-MdE sei mit 30 v.H. zu bewerten.
Nach Anhörung des Klägers gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juli 2003 ab
1. August 2003 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H ...
Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2003 zurück.
Am 11. Juni 2004 beantragte der Kläger die Anerkennung der Verschlimmerung der Unfallfolgen und Gewährung einer höheren Rente. Er übersandte einen Bericht über ein Computertomogramm (CT) vom 1. Mai 2004: festzustellen sei ein Zustand nach alter knöchern überbrückter Beckenfraktur ohne Hinweis auf lokale Instabilität/Pseudarthrose. Nach narbiger Ausheilung liege eine erhebliche Verformung des linken vorderen Beckenringes vor.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. erklärte im Gutachten vom 29. September 2004, es bestehe eine diskrete ASR-Abschwächung sowie eine geringgradige Fußheberschwäche links, die mit einer geringgradigen Läsion des Nervus Ischiadicus im Rahmen des Traumas durchaus vereinbar seien. Die unfallbedingte MdE betrage 10 v.H ...
Die Chirurgen Dr. R. und E. führten im Gutachten vom 3. September 2004 aus, der Kläger gebe an, die urologische Situation sei unverändert. Die MdE auf chirurgischem Fachgebiet sei mit 30 v.H. zu bewerten. Die Beschwerdezunahme in Form von glaubhaften Schmerzen bedinge keine wesentliche Verschlechterung. Die Gesamt-MdE sei mit
35 v.H. einzuschätzen.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2005 lehnte die Beklagte eine Erhöhung der Rente ab. Nach den Feststellungen der ärztlichen Gutachter betrage die MdE 35 v.H.; eine wesentliche Verschlimmerung sei daher nicht eingetreten.
Zur Begründung seines Widerspruchs übersandte der Kläger einen Arztbrief der Schmerzambulanz des Krankenhauses Barmherzige Brüder, R., vom 17. Mai 2005 mit den Diagnosen: Hochchronifizierte Schmerzerkrankung in fortgeschrittenem Stadium III mit Persönlichkeitsveränderung.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2005 zurück.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren begehrte der Kläger Rente nach einer höheren MdE als 30 v.H ...
Das Sozialgericht zog Berichte der behandelnden Ärzte bei und ernannte den Orthopäden Privatdozent Dr. K. zum ärztlichen Sachverständigen.
Im Gutachten vom 7. März 2006 führte der Orthopäde Dr. K. aus, im Bescheid vom 2. Juli 2003 fehlten die Unfallfolgen: deutliche Atrophie der Ober- und Unterschenkelmuskulatur mit Einschränkung der Fußheber- und Senkerkraft, Gefühlsempfindungsstörung an Wade und linkem Fuß mit Abschwächung des Achillessehnenreflexes und Narbenbildung am Unterbauch bzw. im LWS-Bereich mit geringer LWS-Verbiegung. Es liege keine Verschlimmerung vor, sondern eine unvollständige Auflistung der Unfallfolgen. Die MdE sei unverändert mit 35 v.H. zu bewerten.
Der zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. erklärte im Gutachten vom 28. November 2006, auf neurologisch-psychatrischem Fachgebiet ergäben sich keine wesentlichen Unfallfolgen. Peripher-neurogene oder radikuläre Schädigungen könnten nicht verifiziert werden. Die Benutzung der Gehstützen erfolge im Rahmen von Verdeutlichungstendenzen und der bewusstseinsnah erlebten Krankenrolle.
Das Sozialgericht Regensburg wies die Klage mit Urteil vom 14. März 2007 ab und stützte sich dabei auf die Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen. Was die urologischen Unfallfolgen betreffe, so habe bereits Dr. N. darauf hingewiesen, dass eine Änderung nicht zu erwarten sei.
Mit der Berufung vom 10. Mai 2007 begehrt der Kläger die Gewährung einer Rente nach einer MdE um mindestens 40 v.H ... Er übersandte ein Attest des Urologen B. vom 4. Juli 2007: Im Verlauf des letzten Jahres sei eine deutliche Verschlechterung mit Inkontinenz eingetreten. Der Neurologe Dr. G. berichtete am 6. Februar 2007, durch das Gehen mit Unterarmgehstützen sei ein Carpaltunnelsyndrom ausgelöst bzw. verschlechtert. Der Dr. von attestierte am 30. August 2007 ein chronisches Schmerzsyndrom mit Persönlichkeitsveränderungen, schmerzassoziierte Depression und Carpaltunnelsyndrom. Der Diplom-Psychologe Z. erklärte in der Stellungnahme vom 15. September 2007, der Kläger könne nicht darlegen, was er von einer psychotherapeutischen Behandlung erwarte. Daher habe er keine Behandlung durchgeführt.
Der Orthopäde und Chirurg Dr. L. erklärte im Gutachten vom 10. März 2008, erstellt für das Sozialgericht München im Knappschaftsrentenrechtsstreit des Klägers, die Bewegungsfähigkeit des linken Hüftgelenks sei in etwa gleich geblieben, aber die Umfangsmaße im Bereich der unteren Extremitäten hätten sich dramatisch verändert, was für die Einseitigkeit der Belastung spreche.
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. führte im Gutachten vom 31. Juli 2008 aus, nicht berücksichtigt worden seien bisher die chronifizierte Schmerzerkrankung und die psychische Fehlentwicklung des Klägers. Schon frühzeitig ließen sich Hinweise auf eine Krankheitsfehlverarbeitung nachweisen. Rechtlich allein wesentliche Ursache für die psychischen Auffälligkeiten seien aus der Psyche des Klägers wirkende Kräfte. Dagegen sei die chronische Schmerzerkrankung nicht mehr ausreichend willentlich steuerbar und deshalb als mittelbare Unfallfolge zu berücksichtigen. Das leichte Carpaltunnelsyndrom sei ebenfalls mittelbare Unfallfolge, da der Kläger die Krücken nicht nur aus Verdeutlichungstendenz benutze. Die MdE wegen der Unfallfolgen auf chirurgisch/orthopädischem und urologischem Fachgebiet betrage jeweils 20 v.H ... Die MdE durch die chronische Schmerzerkrankung werde mit 10 v.H. eingeschätzt, durch das leichte Carpaltunnelsyndrom mit unter 10 v.H ... Die Gesamt-MdE sei bis Mai 2005 mit 35 v.H., danach mit 40 v.H. zu bewerten.
Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vom 04.09.2008: Als zusätzliche Unfallfolgen seien anhaltende und ausgeprägte Schmerzen mit entsprechenden seelischen Begleiterscheinungen sowie ein leichtes Carpaltunnelsyndrom zu berücksichtigen. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 19. September 2008 bereit, diese zusätzlichen Folgen des Unfalles anzuerkennen und wegen wesentlicher Verschlimmerung der Unfallfolgen ab 17. Mai 2005 Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2008 teilte der Kläger mit, er nehme das Vergleichsangebot nicht an. Es seien erhebliche Verschlimmerungen im orthopädischen und urologischen Bereich zu berücksichtigen.
Prof. Dr. G. erklärte in der Stellungnahme vom 22. Dezember 2008, das Gesamtausmaß der psychischen Störungen sei nicht allein dem Unfall und seinen körperlichen Verletzungsfolgen zuzurechnen.
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Urologe Prof. Dr. I. führte im Gutachten vom 18. März 2009 aus, ein imperativer Harndrang sei vorstellbar und nachvollziehbar. Eine Verifizierung der Störung habe aber nicht stattgefunden. Untersuchungen, die eine neurogene Blasenschädigung bestätigten, lägen nicht vor. Insgesamt sei eine Verschlechterung der Gesundheitsstörungen auf urologischem Gebiet nicht eindeutig nachzuweisen. Die MdE sei mit 20 v.H. einzuschätzen, und zwar wegen der erektilen Dysfunktion, deren Verschlechterung nicht zu erwarten sei, 10 v.H., wegen der Blasenentleerungsstörung gleichfalls 10 v.H ... Der Urologe B. habe am 4. Juli 2007 angegeben, dass noch gelegentlich ausreichende Erektionen bestünden.
Der gleichfalls zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. H. erklärte im Gutachten vom 9. September 2009, inzwischen sei die Schambeinfuge vollständig verknöchert. Die Weichteilverkalkungen hätten sich verstärkt. Eine Beinverkürzung liege nicht vor. Von einer entscheidenden Befundänderung könne nicht ausgegangen werden. Eine wesentliche objektivierbare Verschlimmerung liege auf orthopädischem Gebiet nicht vor. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen am linken Arm und an der Wirbelsäule seien durch die Unfallfolgen weder hervorgerufen noch verschlimmert. Es bestehe zwar eine Beckenasymmetrie, jedoch kein Schiefstand der Beckenkämme und damit keine statische seitliche Verbiegung der Lendenwirbelsäule. Die MdE auf orthopädischem Fachgebiet sei mit 20 v.H. eher hoch bewertet, da die Beckenringfraktur absolut stabil ausgeheilt sei.
Die Beklagte wiederholte mit Schreiben vom 1. Oktober 2009 das Vergleichsangebot: Rentengewährung nach einer MdE um 40 v.H. ab 1. Juni 2005.
Der Kläger wandte mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 ein, er brauche weiterhin zwei Unterarmgehstützen. Es bestünden ein Beckenschiefstand und eine Beinverkürzung, außerdem Schäden am Sprunggelenk und an der Schulter. Zu berücksichtigen sei auch, dass Prof. Dr. I. sich auf Ausführungen des Urologen B. vom 4. Juli 2007 beziehe, die nicht zutreffend seien. Der Kläger übersandte ein Attest des Urologen B. vom 26. Oktober 2009: die erektile Dysfunktion sei schon 2006 absolut gewesen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 17. November 2009 führte Dr. H. aus, die Benutzung zweier Krücken sei erforderlich, wenn verletzungsbedingt ausgeprägte degenerativen Veränderungen an einem der Beingelenke festzustellen seien, was aber nicht der Fall sei. Eine wesentliche Beteiligung der Hüftgelenke an den Beckenfrakturen bestehe nicht mehr. Die ehemalige Fraktur des linken Acetabulums sei knöchern verheilt und bewirke allenfalls initiale verformende Veränderungen der linken Hüfte, die die Krückenbenutzung fraglos nicht begründen könnten. Die Beckenfraktur sei stabil ausgeheilt. Zwar bestehe eine Asymmetrie des Beckens, jedoch kein Beckenschiefstand. Eine Beinverkürzung sei nicht gegeben. Eine sekundäre Entwicklung degenerativer Veränderungen scheide aus, da keine posttraumatische Beinachsendeformität zu verzeichnen sei, die zu einer fehlstatischen Belastung hätte führen können. Die Benutzung der Krücken sei nur kurzfristig erforderlich gewesen, so dass auch hier keine Fehl- oder Überbelastung habe entstehen können. Weder an der Schulter noch am Sprunggelenk seien unmittelbare oder mittelbare Unfallfolgen festzustellen.
Der Kläger wandte ein, Dr. L. habe die Gesundheitsstörungen korrekt festgestellt: Das Becken habe sich weiter verschoben und die Beeinträchtigungen an der linken Schulter hätten sich verschlimmert. Tatsächlich sei eine Beinlängendifferenz von 1,5 cm gegeben und eine ausgeprägte Fehlstatik mit der Folge eines Schmerzsyndroms. Er sei seit 2001 auf Unterarmgehstützen angewiesen.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. März 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen Rente nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren,
hilfsweise beantragt er, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen durch einen Orthopäden, der noch nicht in das Verfahren involviert war und ein weiteres Gutachten zur Beurteilung der Gesamt-MdE.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, soweit die Anträge über das Vergleichsangebot vom 1. Oktober 2009 hinausgehen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nur teilweise begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. März 2007 ist insoweit aufzuheben, als die Ermittlungen im Berufungsverfahren ergeben haben, dass ab 1. Juni 2005 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. gegeben sind. Nach den überzeugenden Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr. S., Prof. Dr. I. und Dr. H. ist ab diesem Zeitpunkt eine wesentliche Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalles vom 23. August 2000 gegeben. Die Beklagte hat diesem Beweisergebnis Rechnung getragen und im Vergleichsangebot vom 1. Oktober 2009 eine entsprechende Rentengewährung angeboten.
Eine darüber hinausgehende Rentengewährung nach einer höheren MdE als 40 v.H. ist dagegen nicht zu begründen. Dr. S. hat im Gutachten vom 31. Juli 2008 überzeugend dargelegt, dass zwar außergewöhnliche Schmerzen und/oder seelische Begleiterscheinungen zu einer höheren MdE-Bewertung führen können. Allein die Tatsache lange andauernder Beschwerden schließt eine bewusstseinsnahe Steuerbarkeit jedoch nicht aus. Beim Kläger ließen sich, so Dr. S., frühzeitig Hinweise auf eine Krankheitsfehlverarbeitung nachweisen. Offensichtlich bestand zunächst eine Verleugnung der Schwere der Unfallfolgen, so dass der Kläger davon ausging, völlig gesund zu werden. Andererseits wollte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag stellen, obwohl die behandelnden Ärzte die MdE für unverändert hielten, da Durchblutung, Motorik und Sensibilität beider Beine regelrecht war. Der Ein-Bein-Stand war links und rechts gut möglich und die Hüftgelenke beweglich. Gründe, die in den besonderen Umständen des Unfalls liegen würden, sind nicht nachzuweisen, so dass die psychischen Auffälligkeiten nicht auf den Unfall und seine Folgen, sondern auf sonstige aus der Psyche des Klägers wirkende Kräfte rechtlich wesentlich zurückzuführen sind.
Dagegen ist die chronische Schmerzerkrankung nicht mehr ausreichend willentlich vom Kläger steuerbar und daher als mittelbare Unfallfolge zu berücksichtigen. Unfallfolge ist auch, wie Dr. S. erläutert, das leichte Carpaltunnelsyndrom rechts als Folge der Krückenbenutzung.
Damit ergibt sich ab Mai 2005 eine MdE um 10 v.H. und unter 10 v.H. auf psychiatrischem Gebiet.
Gesundheitsstörungen auf urologischem und orthopädischem Gebiet, die zu einer höheren Gesamt-MdE als 40 v.H. führen könnten, sind dagegen nicht gegeben. Prof. Dr. I. hat im Gutachten vom 18. März 2009, wie schon Dr. N. in den Gutachten vom 6. April 2002 und 12. Mai 2003, überzeugend dargelegt, dass eine höhere Einzel-MdE für die Unfallfolgen auf urologischem Gebiet als 20 v.H. nicht gegeben ist. Schon 2003 hat Dr. N. darauf hingewiesen, dass von einem Dauerzustand auszugehen sei. Dies hat sich durch die Untersuchung des Prof. Dr. I. vom 18. März 2009 bestätigt. Seine Bedenken hinsichtlich der Andauer der erektilen Dysfunktion haben zu keiner anderen Beurteilung der MdE auf urologischem Gebiet geführt; eine Verschlechterung der Folgen des Unfalls ist auf diesem Gebiet nicht eingetreten.
Wie Dr. H. im Gutachten vom 9. September 2009 sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 17. November 2009 erläutert hat, sind Verletzungen an der linken Schulter und der linken Hand bei dem Unfall vom 23. August 2000 nicht eingetreten. Bei der radiologischen Untersuchung zeigte sich, dass durch die Brettchenunterlage links von 1,5 cm die linke Beckenseite um 1,5 cm deutlich zu hoch stand. Es besteht also eine Beckenasymmetrie, dagegen aber kein Beckenschiefstand. Zu einer einseitigen Beinverkürzung durch den Unfall ist es nicht gekommen. Die gegenüber Dr. H. demonstrierte erhebliche Gangstörung ist organpathologisch nicht zu erklären, ebenso nicht die Bewegungseinschränkungen der rechten Hüfte, da die rechte Beckenseite von der Verletzung nicht betroffen war. Die Schambeimfuge ist vollständig verknöchert, die Weichteilverkalkungen unterhalb des linken Schambeinastes haben sich verstärkt. Dies bedeutet jedoch keine entscheidende Befundänderung, denn eine stärkere Funktionseinschränkung ist hierdurch nicht gegeben. Im Hinblick auf die stabile Ausheilung der Beckenringfraktur ist eine höhere MdE auf orthopädischem Fachgebiet als 20 v.H. nicht zu begründen.
Zu einer anderen Beurteilung der Sachlage kann auch das Gutachten des Dr. L. vom 10. März 2008 nicht führen. Dr. L. hat eine fest verheilte Beckenfraktur mit Belastungs- und Bewegungsstörung des linken Hüftgelenks einschließlich Beinverkürzung festgestellt. Dabei hat er auf Aggravationstendenzen hingewiesen. Auch Dr. H. hat die schonungsbedingte Abmagerung des linken Beines bestätigt. Andererseits hat Dr. H. überzeugend erläutert, dass statische Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Wirbelsäule nicht gegeben sind, da zwar eine Beckenasymmetrie, jedoch kein Schiefstand der Beckenkämme und damit keine statische seitliche Verbiegung der Lendenwirbelsäule besteht.
Im Hinblick auf die umfangreichen ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen in den Akten, insbesondere die Gutachten der Orthopäden Dr.K. vom 7. März 2006 und Dr. H. vom 9. September 2009 war die Einholung eines weiteren Gutachtens auf orthopädischem Fachgebiet nicht veranlasst. Die streitigen Fragen bezüglich der Beurteilung der Verschlimmerung der Unfallfolgen sind bereits von Dr. H. eingehend und überzeugend beurteilt worden.
Bezüglich der Bildung der Gesamt- MdE ist die Einholung eines weiteren ärztlichen Gutachtens ebenfalls nicht erforderlich. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt zwar in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Die streitige Bildung der Gesamt-MdE ist grundsätzlich so vorzunehmen, dass sie in der Regel niedriger ausfällt, als die Summe der Einzelschädigungen. Eine bloße Addition der Einzel-MdE-Sätze ist danach grundsätzlich nicht statthaft. Die Bildung der Gesamt-MdE ist in diesen Fällen vielmehr so vorzunehmen, dass die höchste Einzel-MdE gegebenenfalls unter Berücksichtigung weiterer Einzel-MdE-Sätze zu erhöhen ist. Eine solche Erhöhung kommt jedoch grundsätzlich erst beim Vorliegen einer weiteren Einzel-MdE um 20 v.H. in Betracht (vgl. Kasseler Kommentar, § 56 Siebtes Sozialgesetzbuch, Rdnr. 23; Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 103 ff. m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die von der Beklagten im Vergleichsangebot bereits vorgenommene Einschätzung der Gesamt-MdE auf 40 v.H. nicht zu Ungunsten des Klägers unrichtig. Bei Einzel-MdE-Sätzen auf neurologischem Gebiet von 10 und unter 10 v.H., auf urologischem Gebiet um 20 v.H. und auf orthopädischem Gebiet gleichfalls um 20 v.H. sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, die ein Abweichen von diesen Regeln rechtfertigen könnten.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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