L 14 KG 7/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KG 64/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KG 7/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bezieht ein mit seinen Kindern in Belgien wohnender Bezieher einer allein auf deutschen Versicherungszeiten beruhenden Rente belgische Familienleistungen für Arbeitnehmer und Selbständige, die als erwerbstätig gelten, ruht sein Anspruch auf sozialrechtliches Kindergeld gemäß Art. 79 Abs. 3 VO (EWG) 1408/71 in Höhe der in Belgien gezahlten Leistungen.
2. Bezieht der Berechtigte auf seinen Antrag hin rückwirkend höhere als die bislang auf seinen Anspruch auf sozialrechtliches Kindergeld angerechneten ausländischen Familienleistungen, liegt für die Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X in der Regel kein atypischer Fall vor.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. Juli 2009 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 26. Mai 2008 in der Fassung des Bescheides vom 14. Oktober 2008, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 und in der Fassung des Bescheides vom 14. April 2009 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:

Streitig ist die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Kindergeld für die Zeit von April 2004 bis Mai 2006 und Rückforderung des für diesen Zeitraum gezahlten Differenz-Kindergeldes.

Der 1959 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, seit 1987 verheiratet und Vater der ehelichen Kinder K. (geb. 1988) und N. (geb. 1990). Er bezieht seit 1. November 1998 aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, deren Voraussetzungen allein mit deutschen rentenrechtlichen Zeiten erfüllt sind. Seit Februar 2004 bezieht der Kläger in Belgien eine Integrationsbeihilfe für Behinderte.

Im September 2002 zog die Familie aus dem Bundesgebiet nach Belgien. Bis zum Dezember 2003 bezog die Ehefrau des Klägers aufgrund einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet für beide Kinder deutsches Kindergeld. Ab 1. Januar 2004 war sie in Belgien arbeitslos gemeldet und bezog - anfangs neben Leistungen der dortigen Arbeitslosenversicherung - für beide Kinder belgisches Kindergeld.

Mit Schreiben vom 19. November 2004 beantragte der Bezirksverband der Christlichen Gewerkschaft V. als Bevollmächtigter des Klägers für diesen Kindergeldausgleich (Kindergeld in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem belgischen Kindergeld und dem gegebenenfalls höheren deutschen Kindergeld - im folgenden Differenz-Kindergeld) für K. und N ... Der für Familienleistungen zuständige belgische Träger (ONAFTS) bestätigte der Beklagten, dass die Ehefrau des Klägers seit 1. Januar 2004 in Belgien Kindergeld für K. (99,79 EUR bis 30. September 2004,101,78 EUR ab 1. Oktober 2004) und N. (176,34 EUR bis 30. September 2004,179,88 EUR ab 1. Oktober 2004) erhalten hat (Mitteilung vom 31. Januar 2005).

Die Beklagte bewilligte dem Kläger für K. für das Jahr 2004 Differenz-Kindergeld in Höhe von 54 EUR (bis September) beziehungsweise 52 EUR (von Oktober bis Dezember). Für N. bestehe kein Anspruch, weil die belgische Leistung nicht niedriger sei als das deutsche Kindergeld. Für die Feststellung des Anspruchs ab Januar 2005 würden gemäß Ziffer 5 des Beschlusses Nr. 150 der Verwaltungskommission vom 26. Juni 1992 die erforderlichen Unterlagen nach Ablauf des Monats Januar 2006 zugesandt (Bescheid vom 10. März 2005).

Zum Folgeantrag vom 2. Juni 2006 teilte das ONAFTS mit, die Ehefrau des Klägers habe im Jahr 2005 für K. siebenmal 101,78 EUR und fünfmal 103,82 EUR sowie für N. siebenmal 179,88 EUR und fünfmal 183,48 EUR erhalten (E 411 BFLN vom 6. Februar 2006). Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin für das Jahr 2005 Differenz-Kindergeld für K. in Höhe von 52 EUR (bis Juli) beziehungsweise 50 EUR (bis Dezember) und lehnte einen Anspruch für N. wegen des höheren belgischen Kindergeldes weiterhin ab (Bescheid vom 24. April 2006). Mit weiterem Bescheid vom selben Tage bewilligte die Beklagte dem Kläger für K. ab Januar 2006 vorläufig Kindergeld in Höhe von 50 EUR monatlich mit der Maßgabe, dass die endgültige Entscheidung erfolgen werde, wenn eine Bescheinigung über die Höhe der in Belgien zustehenden Familienleistungen vorliege. Nachdem der Kläger eine im Oktober 2006 angeforderte Bescheinigung über das ab Januar 2006 gezahlte belgische Kindergeld nicht vorgelegt hatte, bewilligte die Beklagte ihm endgültig für die Zeit von Januar bis Mai 2006 für K. Differenz-Kindergeld in Höhe von 50 EUR unter Zugrundelegung des in Belgien zu zahlenden Kindergeldes (Bescheid vom 11. Mai 2007).

Am 18. Juni 2007 (Eingang bei der Beklagten) teilte der ONAFTS der Beklagten mit, die Zahlung des belgischen Kindergeldes für K. habe sich geändert. Der Zahlbetrag habe seit 1. April 2004 mehr als 154 EUR monatlich (Höchstbetrag des deutschen Kindergeldes) betragen. Von April bis September 2004 seien 194,49 EUR, von Oktober 2004 bis Juli 2005 198,38 EUR, von August 2005 bis Mai 2006 202,35 EUR, von Juni bis September 2006 213,46 EUR und von Oktober 2006 bis Mai 2007 217,72 EUR monatlich gezahlt worden. Auf Nachfrage erläuterte das ONAFTS der Beklagten die Zusammensetzung der belgischen Leistung (Zahlungen nach Art. 40 Rang 1 = monatlicher Grundbetrag für das erste Kind; Zuschlag 50 Rang 1 = Zuschlag für anerkannte arbeitsunfähige Arbeitnehmer für das erste Kind; Alterszuschlag für Kinder von 12-18 Jahren bei Beziehern von Sozialzulage) und teilte ihr mit, der Kläger habe gemäß Art. 56 der koordinierten Gesetze zum Kindergeld für Arbeitnehmer Anspruch auf einen Zuschlag 50b.

Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin unter Bezugnahme auf §§ 45 Abs. 2 Nr. 2 und 3, 50 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit, sie beabsichtige, die Bewilligung des Kindergeldes für K. für die Zeit von Januar 2004 bis Mai 2006 in Höhe von insgesamt 1506 EUR aufzuheben, da die von ihm in Belgien zeitgleich bezogenen Familienleistungen den Betrag des deutschen Kindergeldes (maximal 154 EUR monatlich) überstiegen hätten (Anhörungsschreiben vom 11. Dezember 2007).

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers wandten dagegen ein, das deutsche Kindergeld sei zu Recht gezahlt worden. Die Ansprüche auf Kindergeld seien ordnungsgemäß unter Beteiligung des ONAFTS bearbeitet worden. Die Beklagte habe zu dieser Behörde in ständigem Kontakt gestanden. Auch habe der Kläger erst Anfang 2007 in Belgien Antrag auf höhere Leistungen gestellt, die dann im Nachhinein bewilligt und im April und Juni 2007 nachgezahlt worden seien. Der Kläger selbst habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt und auch nicht erkennen können, dass ihm das Differenz-Kindergeld nicht zugestanden habe.

Die Beklagte hob die Bewilligung des Differenz-Kindergeldes für K. für die Zeit vom Januar 2004 bis Mai 2006 in voller Höhe auf, stellte eine Überzahlung in Höhe von 1506 EUR fest und forderte den Kläger auf, diesen Betrag zu erstatten. Ihm sei bei Erhalt der Nachzahlung des belgischen Kindergeldes bekannt gewesen, dass diese Leistung auf das deutsche Kindergeld anzurechnen sei. Seiner Verpflichtung, die Beklagte unverzüglich über diese Nachzahlung zu unterrichten, sei er jedoch nicht nachgekommen. Daher sei die Bewilligung nach § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben und der Überzahlungsbetrag gemäß § 50 Abs. 1 SGB X vom Kläger zu erstatten (Bescheid vom 26. Mai 2008).

Dagegen erhoben die Prozessbevollmächtigten des Klägers Widerspruch unter Bezugnahme auf den bisherigen Schriftwechsel.

Das ONAFTS teilte der Beklagten aufgrund einer Anfrage vom 3. März 2008 am 6. Juni 2008 (Eingang bei der Beklagten) mit, der Ehefrau des Klägers sei auch für die Monate Januar bis März 2004 belgisches Kindergeld bewilligt worden. Die rückwirkende Bewilligung zu Gunsten des Klägers, der seit Februar 2004 in Belgien die zu höherem Kindergeld führende Integrationsbeihilfe beziehe, sei erst zum 1. April 2004 erfolgt, da der Wechsel des Beziehers erst zum Beginn des Folgequartals wirksam werde.

Daraufhin änderte die Beklagte den Bescheid vom 26. Mai 2008 insoweit ab, als sie die Kindergeldbewilligung erst ab 1. April 2004 aufhob und den Erstattungsbetrag auf 1344 EUR herabsetzte (Bescheid vom 14. Oktober 2008). Im Übrigen wies sie den Widerspruch unter Bezugnahme auf § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X zurück (Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2008, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 5. November 2008).

Dagegen haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Dezember 2008 (Eingang bei Gericht) beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben und zur Begründung insbesondere vorgetragen, der Kläger habe sich sowohl mit der deutschen Familienkasse als auch mit der für das belgische Kindergeld zuständigen Behörde ordnungsgemäß in Verbindung gesetzt und beide Behörden stets ordnungsgemäß unterrichtet. Am 23. Januar 2007 habe er rückwirkend zum 1. Januar 2007 beantragt (richtig: 2006), anstelle seiner Ehefrau belgisches Kindergeld zu beziehen, da er als Schwerbehinderter einen höheren Anspruch habe. Seine Ehefrau habe der Übertragung ab 1. Januar 2006 zugestimmt. Der belgische Träger habe dann darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits ab 1. April 2004 Anspruch auf höheres belgisches Kindergeld habe und ab diesem Zeitpunkt rückwirkend höhere Leistungen erbracht. Der Kläger habe davon ausgehen können, dass sich beide Träger (auch hierzu) miteinander in Verbindung setzen. Beigefügt waren eine Kopie des Antrags vom 23. Januar 2007 und einer Erklärung der Eheleute zur Übertragung des Rechts auf die belgischen Familienleistungen ab 1. Januar 2006.

Die Beklagte teilte hierzu mit, sie ändere den Bescheid vom 26. Mai 2008 und 14. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 insoweit ab, als die Bewilligung des Kindergeldes gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X aufgehoben werde (Bescheid vom 14. April 2009).

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers machten hiergegen geltend, auch im Falle einer rückwirkend höheren Leistungsbewilligung in Belgien sei das Vertrauen des Klägers auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligung deutschen Kingergeldes schützenswert.

Das SG hat der Klage stattgegeben und den Bescheid vom 26. Mai 2008 in der Gestalt (Fassung) des Teilabhilfebescheides vom 14. Oktober 2008 und (in der Gestalt) des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 (sowie laut Urteilsbegründung in der Fassung des Bescheides vom 14. April 2009) aufgehoben (Urteil vom 20. Juli 2009, der Beklagten zugestellt am 13. August 2009). Der Kläger selbst habe auf der Grundlage des Art. 77 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EGVO 1408/71) einen vorrangigen Anspruch auf deutsche Familienbeihilfen in Form des Kindergeldes nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG), weil er als Rentner nach den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates (Deutschland) Rente beziehe und daher Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern nach den Rechtsvorschriften des für die Rente zuständigen Staates (Deutschland) erhalte. Allerdings sei gemäß Beschluss Nr. 119 der Verwaltungskommission vom 24. Februar 1983 (ABl. EG Nr. C 295) zur Auslegung des Art. 79 Abs. 3 EGVO 1408/71 der Anspruch des Klägers auf deutsche Leistungen über Art. 79 Abs. 3 S. 1 EGVO 1408/71 teilweise ausgesetzt gewesen, weil für die Kinder des Klägers ein Anspruch der Ehefrau auf Leistungen oder Familienbeihilfen nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates (Belgien) wegen Ausübung einer Erwerbstätigkeit beziehungsweise wegen Arbeitslosigkeit bestanden habe. Die Aussetzung erfolge jedoch nur insoweit, als die als erwerbstätig geltende Ehefrau derartige Leistungen in Anspruch nehme oder in Anspruch nehmen könne. Sie habe Anspruch auf den monatlichen Leistungsbetrag und die einfache kinderbezogene Zulage, wie sie der Bewilligung des Differenz-Kindergeldes zu Grunde gelegt worden sei. Die höhere belgische Leistung an den Kläger beruhe darauf, dass er erhöhte kindbezogene Zulagen und eine Zulage für Rentner erhalte. Diese seien keine gegenüber dem deutschen Kindergeld vorrangigen Leistungen, die das Differenz-Kindergeld im streitigen Zeitraum mindern könnten. Fragen des Vertrauensschutzes und der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X müssten damit im Ergebnis nicht mehr beantwortet werden.

Gegen das am 10. August 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. August 2009 (Eingang bei Gericht) Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, das an den Kläger gezahlte belgische Kindergeld sei in voller Höhe auf das deutsche Kindergeld anzurechnen. Die Konkurrenz zwischen Kindergeldansprüchen verschiedener Mitgliedstaaten werde durch Art. 76 bis 79 EGVO 1408/71 und Art. 10 der hierzu erlassenen Durchführungsverordnung Nr. 574/72 (DVO 574/72) aufgelöst. Der Zweck dieser Vorschriften bestehe darin, funktionsidentische Doppelleistungen in verschiedenen Staaten zu vermeiden. Vorrangig sei der Anspruch im Wohnland des Kindes, wenn dort von einer anspruchsberechtigten Person eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde, nachrangig in dem Staat, in dem eine anspruchsberechtigte Person eine Erwerbstätigkeit ausübe. An dritter Stelle stünden die Ansprüche von Rentnern und Waisen, an vierter Stelle sonstige Ansprüche. Im vorliegenden Fall sei vorrangig Belgien für die Gewährung von Familienleistungen zuständig, da die Kinder in Belgien lebten und der Kläger dort aufgrund des Bezugs einer Integrationsbeihilfe für Körperbehinderte Anspruch auf Familienleistungen inklusive einer Zulage für anerkannte Erwerbsunfähige erhalte. Deutsches Kindergeld sei in Höhe des ausländischen Anspruchs auszusetzen. Da die in Belgien gewährten Familienleistungen höher seien als das deutsche Kindergeld, errechne sich kein positiver Differenzbetrag (mehr). Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die dem Kläger in Belgien gewährten kindbezogenen Zulagen nicht als Familienleistungen angerechnet werden könnten. Die Zulagen für Rentenempfänger und Arbeitsunfähige seien im System zur gegenseitigen Information über den Schutz (MISSOC) für das Land Belgien als Familienleistungen ausgewiesen worden. Im Übrigen stelle die EGVO 1408/71 nicht darauf ab, dass der andere Elternteil im anderen Mitgliedstaat Anspruch auf Familienleistungen habe, sondern allein darauf, ob und in welcher Höhe im anderen Mitgliedstaat für die betreffenden Kinder Familienleistungen zustünden.

Der Senat hat die Beteiligten schriftlich insbesondere darauf hingewiesen, dass die EGVO 1408/71 die Kumulierung von Familienleistungen aus zwei Mitgliedstaaten für dasselbe Kind unabhängig davon verhindern will, welchem Elternteil der jeweilige nationale Anspruch zusteht, der Kläger das belgische Kindergeld einschließlich einer Sozialzulage für anerkannte arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht in seiner Eigenschaft als Rentenbezieher erhält, Belgien diese Familienleistungen ohne Einschränkung in den Anwendungsbereich des Art. 4 EGVO 1408/71 einbezogen hat und bei Berücksichtigung (auch) der Sozialzulage als belgische Familienleistung die Aufhebung der Kindergeldbewilligung auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X nicht zu beanstanden wäre, da in diesem Fall keine Vertrauensschutzprüfung zu erfolgen hätte und ein atypischer Fall, der eine Ermessensausübung seitens der Beklagten erfordern würde, nicht vorliegt.

Die Beklagte hat sich im Wesentlichen der Ansicht des Senats angeschlossen und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. Juli 2009 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 26. Mai 2008 in der Fassung des Bescheides vom 14. Oktober 2008, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 und in der Fassung des Bescheides vom 14. April 2009 abzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie haben ohne nähere Begründung erklärt, der Hinweis des Senats sei mit der EGVO 1408/71 nicht vereinbar, und die Ansicht vertreten, auch bei Anwendung des § 48 SGB X sei ein schützenswertes Vertrauen des Klägers zu berücksichtigen. Das gezahlte Kindergeld sei verbraucht und eine Rückzahlung nicht möglich, weil der laufende Etat des Klägers so knapp bemessen sei, dass er bereits unterhalb der Pfändungsfreigrenze liege.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und begründet.

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26. Mai 2008 in der Fassung des Bescheides vom 14. Oktober 2008 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 sowie in der Fassung des Bescheides vom 14. April 2009, mit dem die Beklagte die Bescheide vom 10. März 2005, 24. April 2006 und 11. Mai 2007 über die Bewilligung von Differenz-Kindergeld für die Zeit von April 2004 bis Mai 2006 rückwirkend aufgehoben, einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1344 EUR festgesetzt und den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrages aufgefordert hat. Das SG hat der dagegen erhobenen Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Zahlung von Differenz-Kindergeld, weil der Anspruch aufgrund des ihm rückwirkend bewilligten und ausgezahlten höheren belgischen Kindergeldes in voller Höhe geruht hat. Die Beklagte war berechtigt, die Bewilligung für den streitigen Zeitraum gemäß Art auf 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben und das überzahlte Kindergeld für diesen Zeitraum gemäß § 50 Abs. 1 SGB X vom Kläger zurückzufordern.

Nach § 48 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3). Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile des SGB anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums (Abs. 1 S. 3). Die Rücknahme muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme rechtfertigen (Abs. 4 S. 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger hat im Jahr 2007 rückwirkend (u.a.) für den streitigen Zeitraum Leistungen in Form belgischen Kindergelds erhalten, die zum vollständigen Ruhen des Anspruchs auf deutsches Kindergeld geführt hätten.

Dass der Kläger im streitigen Zeitraum dem Grunde nach die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nach § 1 Abs. 1 BKGG i.V.m. Art. 77 Abs. 2 EGVO 1408/71 erfüllt hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Danach erhält der Empfänger einer (u.a,) Alters- oder Invalidenrente, der seine Rente nach den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates bezieht, ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat der Rentner oder die Kinder wohnen, Familienbeihilfen nach den Rechtsvorschriften des für die Rente zuständigen Staates (Art. 77 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe a) EGVO 1408/71). Da der Kläger ausschließlich eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, hat er ungeachtet des Wohnsitzes der Familie in Belgien Anspruch auf deutsche Familienbeihilfe in Form des Kindergeldes nach dem BKGG.

Gemäß Art. 79 Abs. 3 EGVO 1408/71 ruht der Anspruch auf Leistungen nach Art. 77 EGVO 1408/71 jedoch, wenn für die Kinder Anspruch auf Leistungen oder Familienbeihilfen nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates wegen Ausübung einer Erwerbstätigkeit besteht. In diesem Fall gelten sie als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbstständigen. Ist der Betrag der vom Wohnsitzstaat (hier: Belgien) geschuldeten Leistung niedriger als die Leistung des für die Rente zuständigen Staates (hier: Deutschland), verbleibt dem Rentner ein Anspruch gegen den für die Rente zuständigen Staat in Höhe des Differenzbetrages (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 11. Juni 1991, Rs. C-251/89).

Die Bewilligung des Kindergeld-Differenzbetrages für die Zeit von Januar 2004 bis Mai 2006 erfolgte in Anwendung des Art. 79 Abs. 3 EGVO 1408/71 zunächst zutreffend unter Berücksichtigung des zum damaligen Zeitpunkt der Ehefrau des Klägers gewährten belgischen Kindergeldes. Dass es sich bei dieser Leistung, die die Ehefrau des Klägers als arbeitslose Arbeitnehmerin bezogen hat, um eine zum Ruhen des Anspruchs auf deutsches Kindergeld führende Leistung im Sinne des Art. 79 Abs. 3 EGVO 1408/71 gehandelt hat, ist zwischen den Beteiligten ebenfalls nicht streitig. Dieser Anspruch der Ehefrau wurde vom belgischen Leistungsträger 2007 jedoch rückwirkend für die Zeit ab April 2004 durch einen (höheren) Anspruch des Klägers selbst ersetzt. Auch diese dem Kläger selbst gewährte Familienleistung führt grundsätzlich zum Ruhen des Anspruchs auf Familienbeihilfe nach Art. 79 Abs. 3 EGVO 1408/71

Die Art. 77, 79 EGVO 1408/71, 10 DVO 574/72 in der Auslegung, die diese Vorschriften durch die Beschlüsse der Verwaltungskommission (Beschluss 1993/825 der Verwaltungskommission EWG - Beschluss Nr. 150 vom 26. Juni 1992, Amtsblatt C 229) und die Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. Urteil vom 7. Juni 2005, Rs. C-543/03 Rn. 58f.) erfahren haben, sollen die Kumulierung von Familienleistungen aus zwei Mitgliedstaaten für dasselbe Kind unabhängig davon verhindern, welchem Elternteil der jeweilige nationale Anspruch zusteht. Eine Einschränkung des Kumulierungsverbots auf Fälle, in denen die Ansprüche nicht einem, sondern unterschiedlichen Elternteilen zustehen, ist weder den o.g. Vorschriften noch den hierzu gefassten Beschlüssen der Verwaltungskommission oder der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen.

Nach dem Wortlaut des Art. 79 Abs. 3 EGVO 1408/71 ruht der Anspruch nach Art. 77 EGVO 1408/71, "wenn für die Kinder Anspruch auf Leistungen oder Familienbeihilfen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wegen Ausübung einer Erwerbstätigkeit besteht". Die Vorschrift stellt nicht darauf ab, ob der Anspruch dem nach Art. 77 EGVO 1408/71 Leistungsberechtigten oder seinem Ehegatten zusteht. Auch der Beschluss Nr. 150 der Verwaltungskommission enthält diesbezüglich keine Einschränkungen.

Fraglich kann danach allenfalls sein, ob die dem Kläger bewilligte belgische Familienleistung bei der Berechnung des Kindergeld-Differenzbetrages - wovon das SG ausgegangen ist - nur in Höhe des Leistungsbetrages und der einfachen altersabhängigen Zulage oder - wovon der Senat überzeugt ist - in voller Höhe zu berücksichtigen ist.

Nach Angaben des belgischen Leistungsträgers beruhte der Anspruch des Klägers auf belgische Familienleistungen nicht auf seiner Eigenschaft als Rentenbezieher (als solcher konnte der Kläger nach Art. 77 Abs. 2 Buchst. a EGVO 1408/71 in Belgien keine Familienbeihilfen beanspruchen), sondern auf der Bewilligung einer belgischen Integrationsbeihilfe. Dementsprechend erhielt der Kläger nach Angaben des zuständigen belgischen Trägers im streitigen Zeitraum (in Klammern beispielhaft die bis September 2004 geltenden Zahlbeträge, die in der Folgezeit wiederholt angehoben wurden) neben dem Leistungsbetrag (74,06 EUR) und einer (infolge des Bezugs weiterer Zulagen erhöhten) vom Kindesalter abhängigen Zulage (39,31 EUR) eine (weitere) Sozialzulage für anerkannte arbeitsunfähige Arbeitnehmer (81,12 EUR). Die Zusammensetzung der Leistung (Leistungsbetrag, erhöhte altersabhängige Zulage, Sozialzulage) blieb bis zum Mai 2006 unverändert. Ob die Bewilligung und Zahlung dieser Familienleistung nach Maßgabe der belgischen Rechtsvorschriften nach Grund und Höhe zu Recht erfolgte - woran der Senat keine Zweifel hat - ist für die Anwendung des Art. 79 Abs. 3 S. 1 EGVO 1408/71 unerheblich (vgl. zur entsprechenden Regelung des Art. 10 DVO 574/72 BSG SozR 5870 § 8 Nr. 14, in juris Rn. 14; EuGH Urteil vom 3. Februar 1983, Rs. 149/82). Die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung durch den ausländischen Träger ist - anders als die Frage der Anwendung zwischenstaatlichen Rechts (vgl. Bundesfinanzhof, BFHE 200, 204 Rn 14) - weder von der Beklagten noch von den Sozialgerichten zu prüfen.

Nachdem der belgische Träger der Beklagten gemäß Nr. 6 des Beschlusses Nr. 150 die gesamte Leistung an den Kläger uneingeschränkt als eine auf den Betrag des deutschen Kindergeldes anrechenbare Familienleistung gemeldet und die Richtigkeit dieser Meldung unter Angabe aller Bestandteile der Leistung für den gesamten streitigen Zeitraum bestätigt hat, liegt es nahe, dass neben dem Leistungsbetrag und der altersabhängigen Zulage auch die dem Kläger bewilligte Sozialzulage und der hierauf beruhende Erhöhungsbetrag der altersabhängigen Zulage als Leistung wegen Ausübung einer Erwerbstätigkeit/Berufstätigkeit im Sinne des Art. 79 Abs. 3 S. 1 EGVO 1408/71 zu qualifizieren ist, zumal Belgien diese als Familienleistungen in seiner Erklärung nach Art. 5 EGVO 1408/71 ohne Einschränkung in den Anwendungsbereich des Art. 4 EGVO 1408/71 einbezogen hat.

Für die Auslegung des Begriffs Erwerbstätigkeit/Berufstätigkeit ist dabei nicht auf den deutschen Sprachgebrauch abzustellen, denn eine Erwerbs- oder Berufstätigkeit liegt nach dem Beschluss der Verwaltungskommission 1983/1102 EWG (Beschluss Nr. 119 vom 24. Februar 1983, der insoweit inhaltsgleiche Beschluss Nr. 207 vom 7. April 2006 ist erst am 1. Juni 2006 in Kraft getreten und daher für den streitigen Bezugszeitraums nicht anwendbar) auch dann vor, wenn die berufliche Tätigkeit wegen Krankheit, Berufskrankheit u.ä. unterbrochen wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die dem Kläger bewilligten Familienleistungen nach belgischem Recht als pauschale Leistungen einer beitragsfinanzierten obligatorischen Sozialversicherung an Arbeitnehmer und Selbständige ausgestaltet sind, die als erwerbstätig gelten. Da für den dem Kläger gewährten Sozialzuschlag keine Sonderregelungen bestehen, wird auch dieser Sozialzuschlag nicht wegen eines endgültigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, sondern wegen Arbeitsunfähigkeit als eine Leistung an (fingiert) Erwerbstätige gewährt. Der Sozialzuschlag und die mit ihm verbundene Erhöhung der altersabhängigen Zulage sind danach Familienleistungen, die dem Kläger aufgrund einer (fingierten) Erwerbstätigkeit erbracht wurden.

In den belgischen Regelungen wird nur an einer Stelle unter "Sonderfälle" der Rentenempfänger genannt mit der Maßgabe, dass Rentner, deren Rente das Haupteinkommen des Haushalts darstellt, zu den Familienleistungen die gleichen Zulagen erhalten wie Arbeitslose. Unabhängig davon, ob damit nur Rentenbezieher gemeint sein können, die nicht endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, da die Regelungen über das belgische Kindergeld ausdrücklich nur Leistungen für als erwerbstätig geltende Personen vorsehen, hat der Kläger entgegen der Ansicht des SG keine für Rentenbezieher vorgesehene Zulage wie ein Arbeitsloser (37,70 EUR), sondern eine Sozialzulage für (u.a.) arbeitsunfähige Arbeitnehmer (81,12 EUR) erhalten, wie sich bereits aus dem von der ONAFTS angegebenen Zahlbetrag ergibt.

Dass die Beklagte aufgrund der rückwirkend ab 1. April 2004 erfolgten Bewilligung höheren belgischen Kindergeldes die Bewilligung des Differenz-Kindergeldes rückwirkend ab 1. April 2004 aufgehoben hat, ist nicht zu beanstanden. Die rückwirkende Zuerkennung belgischer Familienleistungen an den Kläger stellt einen Einkommenserwerb dar, der zum vollständigen Ruhen des Anspruchs auf Kindergeld nach dem BKGG führt (zur entsprechenden Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X in Fällen des Ruhens vergleiche von Wulffen, SGB X, 6. Auflage, § 48 Rn. 25 m.w.N.). Der für K. im streitigen Zeitraum geleistete Zahlbetrag des belgischen Kindergeldes lag nach den vom Kläger auch unbestrittenen Angaben des zuständigen belgischen Trägers im gesamten Leistungszeitraum von April 2004 bis Mai 2006 mit Zahlbeträgen zwischen 194,49 EUR und 202,35 EUR monatlich über dem Höchstbetrag des deutschen Kindergeldes (154 EUR). Die Bewilligung des Kindergeld-Differenzbetrages war daher ab 1. April 2004 (Beginn des Bezugszeitraums der belgischen Familienleistung an den Kläger) nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, S. 3 SGB X aufzuheben.

Anders als bei der Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X sieht § 48 SGB X für die Aufhebung eines rechtswidrig gewordenen Verwaltungsaktes keine Vertrauensschutzprüfung vor. § 48 Abs. 4 SGB X verweist lediglich auf die in § 45 Abs. 3 S. 3-5 und Abs. 4 S. 2 SGB X geregelten Rücknahmefristen, wobei § 45 Abs. 3 SGB X gemäß § 11 Abs. 3 BKGG hier keine Anwendung findet. Dass der Kläger auf die - bei ihrem Erlass gegebene - Rechtmäßigkeit der Bewilligungsbescheide vertraut und das gezahlte Differenz-Kindergeld zwischenzeitlich verbraucht hat, schließt eine Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X daher nicht aus.

Eine Befugnis (und Pflicht) der Beklagten zur Ermessensausübung bestand nicht, da vorliegend kein so genannter atypischer Fall gegeben ist. Der nachträgliche Erwerb von anrechenbarem Einkommen durch eine rückwirkende Leistungsbewilligung ist ein Regelfall des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Auf ein Verschulden des Klägers kommt es dabei - anders als bei § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 4 - nicht an. Da der Kläger die zur Aufhebung der Bewilligung deutschen Kindergeldes führende Bewilligung belgischer Leistungen an sich selbst erst im Januar 2007 und somit nach Ende des Leistungsbezugs aus Deutschland beantragt hat, kann die bis zum Mai 2006 eingetretene Überzahlung auch nicht auf einem mitwirkenden Fehlverhalten der Beklagten beruhen. Dass die Familie des Klägers durch das Entfallen der Leistung im streitigen Bezugszeitraum (vermehrt) sozialhilfebedürftig wäre (vgl. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 42 R. 25), ist ausgeschlossen, da der Kläger für diesen Zeitraum eine den Betrag des streitigen Differenz-Kindergeldes übersteigende entsprechende belgische Familienleistung erhalten hat.

Soweit der Kläger geltend macht, das Differenz-Kindergeld sei (ursprünglich) zu Recht bewilligt und bereits verbraucht worden und er sei aufgrund seiner derzeitigen Einkommenssituation nicht in der Lage, den Überzahlungsbetrag zu erstatten, führt auch dies im vorliegenden Fall nicht zur Annahme eines atypischen Falles. Zwar kann der Umstand, dass der Berechtigte eine zu Unrecht gezahlte Leistung und das zugeflossene anrechenbare Einkommen in der gerechtfertigten Annahme verbraucht hat, einer Erstattungsforderung nicht ausgesetzt zu sein, eine Rückerstattung der Leistung ausnahmsweise unbillig erscheinen lassen. Allerdings hat das BSG selbst in Fällen, in denen der Kindergeldanspruch durch eine nicht der Gestaltungsmacht des Kindergeldberechtigten unterliegende Erhöhung des Kindeseinkommens ganz oder teilweise entfiel, einen atypischen Fall verneint, wenn dem Kindergeldempfänger die Erhöhung bekannt war oder bekannt sein konnte, weil er dann mit der Rückforderung des überzahlten Kindergeldes rechnen musste (vgl. BSG Urteil vom 28. Februar 1990, Az.: 10 RKG 22/89 Rn. 19 m.w.N.). Im vorliegenden Fall beruht das Ruhen des Anspruchs auf Differenz-Kindergeld gerade darauf, dass der Kläger selbst wegen des für ihn im Vergleich zum Anspruch seiner Ehefrau höheren belgischen Leistungsanspruchs rückwirkend ab Januar 2006 eine höhere als die bisher angerechnete gleichgerichtete belgische Leistung beantragt und schließlich für den gesamten streitigen Leistungszeitraum erhalten hat, wobei dem Kläger aus dem vorangegangenen Bezug des Differenz-Kindergeldes bekannt war oder zumindest bekannt sein musste, dass diese höhere belgische Familienleistung zu einem vollständigen Ruhen des Anspruchs auf Differenz-Kindergeld führen würde. Die Beklagte hatte das Differenz-Kindergeld stets unter vollständiger Anrechnung des für K. in Belgien geleisteten Kindergeldes errechnet und dem Kläger diese einfachen und auch für einen Laien ohne weiteres verständlichen Berechnungen (bestehend aus den Angaben: Name des Kindes; Zeitraum von bis ; Kindergeld 154 EUR minus anzurechnende ausländische Familienleistung in Euro = Unterschiedsbetrag in Euro; gerundeter Betrag in Euro x Monate) bei der wiederholten Bewilligung des Differenz-Kindergeldes als Anlage zum Bewilligungsbescheid übermittelt. Da die Differenz zwischen dem an die Ehefrau des Klägers geleisteten monatlichen belgischen Kindergeld und dem vom Kläger beanspruchten monatlichen belgischen Kindergeld im streitigen Zeitraum mit 94,70 EUR (bis September 2004), 96,60 EUR (bis Juli 2009) und 98,53 EUR (bis Mai 2006) den monatlichen Zahlbetrag des Differenz-Kindergeldes in Höhe von 54 EUR ,52 EUR und zuletzt 50 EUR deutlich überschritten hat, musste der Kläger unabhängig davon, ob er seinen Antrag gegenüber der ONAFTS nach Beratung selbst auf die Jahre 2004 und 2005 erweitert hat oder ihm die höhere Leistung für diese beiden Jahre, wie von ihm vorgetragen, "aufgedrängt" worden ist, damit rechnen, dass unter Anrechnung dieses höheren belgischen Zahlbetrags kein Anspruch auf deutsches Differenz-Kindergeld mehr bestehen würde. Er hätte daher für den Fall einer solchen weitergehenden Anrechnung des belgischen Kindergeldes und Rückforderung des gezahlten Differenz-Kindergeldes aus der ihm vom belgischen Träger gewährten Nachzahlung eine entsprechende Rückstellung bilden müssen (vgl. BSG a.a.O. Rn. 19). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger davon ausgehen durfte, die nachträgliche Bewilligung höherer belgischer Familienleistungen werde keinen Einfluss auf den Anspruch auf Differenz-Kindergeld haben, sind dagegen nicht ersichtlich. Soweit er vorträgt, es habe ein ständiger Informationsaustausch zwischen der Beklagten und dem belgischen Träger stattgefunden, was nach Aktenlage nicht der Fall war und auch abkommensrechtlich nicht vorgesehen ist (der belgische Träger war gemäß Ziff. 6 des Beschlusses Nr. 150 lediglich verpflichtet, erfolgte Zahlungen zu melden), wäre ein solcher Informationsaustausch schon deshalb nicht geeignet gewesen, die eingetretene Überzahlung zu verhindern, weil der Kläger selbst den Leistungsantrag erst nach Ende des Bezugs von Differenz-Kindergeld rückwirkend gestellt hat. Da ihm aus dem vorangegangenen Leistungsbezug bekannt war, dass die belgische Familienleistung ihrer Höhe nach nicht von der Leistung deutschen Kindergeldes abhängig war, konnte er auch nicht davon ausgehen, dass der frühere Bezug des Differenz-Kindergeldes in irgendeiner Weise bei der Höhe des ihm nachträglich gewährten belgischen Kindergeldes berücksichtigt und der Zahlbetrag möglicherweise bereits um das geleistete Differenz-Kindergeld gemindert worden war. Weitere Gesichtspunkte, die die Annahme eines atypischen Falles rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist gewahrt. Der Beklagten ist erst durch die Mitteilung des belgischen Trägers vom 6. Juni 2007 bekannt geworden, dass dem Kläger rückwirkend eigene belgische Familienleistungen in einer zum vollständigen Ruhen des Anspruchs auf deutsches Kindergeld führenden Höhe bewilligt wurden. Ob der Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt alle für die Rücknahme erforderlichen Tatsachen bekannt waren (nach Aktenlage hatte die Beklagte Zweifel an der Richtigkeit der vom belgischen Leistungsträger übermittelten Auskunft) und damit die Jahresfrist bereits am 7. Juni 2007 begann, kann hier dahinstehen, da mit der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vom 26. Mai 2008 am 30. Mai 2008 auch in diesem Fall die Jahresfrist gewahrt wäre. Dass die Beklagte die Aufhebung der Bewilligung im Verwaltungsverfahren rechtsirrtümlich auf § 45 SGB X gestützt hat, obwohl die ursprüngliche Bewilligung rechtmäßig erfolgt war und der Anspruch auf Differenz-Kindergeld erst durch die rückwirkende Bewilligung höherer belgischer Leistungen entfallen ist, stellt lediglich einen - durch den Bescheid vom 14. April 2009 bereits im Klageverfahrens behobenen (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X) - Begründungsmangel dar, der gemäß § 42 Abs. 1 SGB X allein nicht zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes führen würde.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Klagebegehren im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved