L 12 AS 5883/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 6261/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5883/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III steht der Rücknahme einer rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Kürzung der Regelleistung wegen stationärem Krankenhausaufenthalt im Zugunstenverfahren entgegen. Zwar hat das BSG zur Anrechnung von Krankenhausverpflegung auf die Regelleistung für die Zeit bis 31.12.2007 entschieden, dass es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt (Urteil vom 18.06.2008 - BSGE 101, 70 = sozR 4-4200 § 11 Nr. 11). Auch insoweit handelt es sich jedoch um die Frage der Auslegung einer Norm i.S.v. § 330 Abs. 1 SGB III, denn auch wenn die Gesamtheit der als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Normen vom BSG anders ausgelegt wird als in einheitlicher Praxis von den Grundsicherungsträgern, ist dies ein Anwendungsfall des § 330 Abs. 1 SGB III.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. September 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im Wege des Zugunstenverfahrens höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 6. März bis 8. Juni 2006.

Die 1977 geborene Klägerin bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Vom 20. Februar bis 19. Mai 2006 befand sie sich in vollstationärer, anschließend bis zum 9. Juni 2006 in tagesklinischer Behandlung. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 18. Mai 2006 für die Zeit vom 6. März bis 30. September 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und kürzte für diesen Zeitraum die Leistung wegen der häuslichen Verpflegungsersparnis um 120,75 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 27. Juni 2006 korrigierte sie den Einbehalt für die Zeit vom 20. Mai bis 8. Juni 2006 auf 73,58 EUR monatlich wegen der teilstationären Behandlung, ab 9. Juni 2006 wurde wieder die volle Regelleistung bewilligt. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 5. November 2008 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 18. Mai 2006 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und nahm zur Begründung auf ein zwischenzeitlich ergangenes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug, wonach die Kürzung des Regelsatzes wegen Krankenhausaufenthalts zumindest nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage rechtswidrig war. Mit Bescheid vom 5. November 2008 lehnte die Beklagte dies mit der Begründung ab, dass bei der damaligen Entscheidung weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2008 zurück und führte hierzu aus, selbst wenn die in § 44 Abs. 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines bindenden, rechtswidrigen Verwaltungsakts vorlägen, könne dieser nur mit Wirkung für die Zeit ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückgenommen werden. Dies ergebe sich aus § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Hinsichtlich der Anrechnung von Krankenhausverpflegung auf die Regelleistung habe erst das Urteil des BSG vom 18. Juni 2008 (- B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 11) zu einer ständigen Rechtsprechung geführt, zuvor sei die Rechtsprechung der Landessozialgerichte uneinheitlich gewesen.

Mit ihrer am 11. Dezember 2008 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie ist der Auffassung, das Urteil vom 18. Juni 2008 sei sinnlos, wenn nicht auf seiner Grundlage rechtswidrige Bescheide aus dem Zeitraum, auf die es sich beziehe, rückgängig gemacht werden könnten.

Mit Urteil vom 25. September 2009 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 5. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 18. Mai 2006 zurückzunehmen und der Klägerin für die Zeit vom 20. Februar 2006 bis 19. Mai 2006 die volle Regelleistung nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X seien hinsichtlich des Bescheids vom 18. Mai 2006 unstreitig und offensichtlich erfüllt. Bei der verfügten Kürzung der Regelleistung für die Dauer des stationären Aufenthalts sei das Recht unrichtig angewandt worden, wie sich aus den Gründen des BSG-Urteils vom 18. Juni 2008 ergebe. In Folge dessen seien Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden, nämlich die Kürzungsanteile der der Klägerin zustehenden Regelleistung. Die Rücknahme des Bescheids vom 18. Mai 2006 sei nicht gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III ausgeschlossen. Dies wäre lediglich dann der Fall, wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vom 18. Mai 2006 daher rührte, dass er auf einer Rechtsnorm beruhte, die nach Erlass des Verwaltungsakts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden wäre (was hier ersichtlich nicht der Fall sei) oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden sei. Es müsse also festgestellt werden können, dass der Bescheid, dessen Rücknahme im Streit stehe, mit einer Rechtsnorm begründet werde, die später in ständiger Rechtsprechung anders ausgelegt werde. Eine solche Rechtsnorm vermöge das Gericht nicht zu erkennen. Grundlage des Bescheids vom 18. Mai 2006 seien die seinerzeitigen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 9 SGB II, Stand 10. Januar 2006, Ziff. 9.14 gewesen. Danach sei ohne Bezugnahme auf eine rechtliche Grundlage angeordnet worden, bereitgestellte Verpflegung mit einem Wert von 35 v.H. der Regelleistung zu berücksichtigen. Dies sei damit begründet worden, dass der Bedarf des Hilfebedürftigen insoweit als gedeckt anzusehen sei (sogenanntes Bedarfsdeckungsargument). Das BSG, das gerade über eine auf diesen Hinweisen beruhende Verwaltungsentscheidung entschieden habe, habe hierzu befunden, dass es für die Regelleistungskürzungen zumindest in den Jahren 2006 und 2007 an einer legitimierenden Rechtsnorm gefehlt habe. Selbst in den Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit werde eine derartige Rechtsnorm nicht benannt. Dann könne aber auch keine Rede davon sein, dass derartige Verwaltungsakte auf einer Rechtsnorm beruht hätten, die später in ständiger Rechtsprechung anders ausgelegt worden sei, wie dies von § 330 Abs. 1 SGB III vorausgesetzt werde. Als derartige Rechtsnorm könne insbesondere auch nicht § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II angesehen werden. Zwar hätten sich einige SGB II-Leistungsträger in sozialgerichtlichen Verfahren auf diese Rechtsnorm berufen, nachdem einzelne Sozialgerichte das Bedarfsdeckungsargument verworfen hätten und argumentiert, die bereitgestellte Verpflegung während stationärer Aufenthalte stelle zu berücksichtigendes Einkommen dar. Der hier zu beurteilende Bescheid sei aber gerade nicht auf diese Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II gestützt. Er "beruhe" somit nicht im Sinne von § 330 Abs. 1 SGB III auf dieser Rechtsnorm. Auch habe das BSG in seiner Entscheidung vom 18. Juni 2008 die Frage, ob es sich bei bereitgestellter Verpflegung um Einkommen handele, ausdrücklich offen gelassen. Eine ständige Rechtsprechung im Sinne des § 330 Abs. 1 SGB III, durch die § 11 SGB II anders ausgelegt worden wäre als zuvor durch die Bundeagentur für Arbeit, sei durch dieses Urteil des BSG somit gerade nicht begründet worden.

Gegen das ihr am 19. November 2009 zugestellte Urteil richtet sich die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten vom 15. Dezember 2009. Die Rücknahme des Bescheids vom 18. Mai 2006 sei nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III ausgeschlossen. Die Vorschrift sei dahin auszulegen, dass die Voraussetzungen erfüllt seien, wenn der zuständige Leistungsträger die bei Erlass des Verwaltungsaktes anzuwendenden Rechtsnormen anders als die spätere ständige Rechtsprechung ausgelegt habe. Grundlage für die Berücksichtigung von Einkünften in Form von Verpflegung seien §§ 9 Abs. 1 und 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Da die Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung außer der Berechnung des Einkommens nur regeln dürfe, welche Einnahmen nicht als Einkommen zählten, habe keine Regelung erwartet werden können, welche nicht konkret genannten Positionen ebenso Einkommensqualität hätten. Der Leistungsträger habe folglich selbst die Zuordnung von nicht definierten Einkünften vorgenommen. Daran könne nichts ändern, dass nicht einheitlich die Berücksichtigung als Einkommen erfolgt sei, denn auch die Weisung der Bundesagentur für Arbeit sei dem Grundgedanken der §§ 9 Abs. 1 und 11 Abs. 1 SGB II entsprungen. Der Abzug der Versicherungspauschale habe sich zudem nicht aufgedrängt, da bis zur Entscheidung des BSG vom 18. Juni 2008 - B 14 AS 55/07 R - nicht geklärt gewesen sei, ob diese ohne Nachweis konkreten Aufwands für alle, auch nicht direkt in Geldwert zur Verfügung stehende Einkunftsarten in Betracht komme. Die Beklagte hat weiter auf die Ausführungen in der Bundestagsdrucksache 16/10714 vom 28. Oktober 2008 hingewiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. September 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Rechtsauffassung der Beklagten treffe nicht zu. Sie habe die Krankenhausverpflegung im streitgegenständlichen Zeitraum gerade nicht als Einkommen anspruchsmindernd berücksichtigt, was sich unmittelbar aus dem zugrunde liegenden Bescheid ergebe, denn ansonsten hätte sie den pauschalen Freibetrag von 30,- EUR für Versicherungen vom Einkommen in Abzug bringen müssen. Dies habe sie nicht getan. Aus ihrer damaligen Rechtsauffassung sei dies auch konsequent, denn sie habe zum damaligen Zeitpunkt die Auffassung vertreten, dass im Falle eines Krankenhausaufenthalts der Bedarf abweichend festzusetzen sei. Eine Rechtsgrundlage für diese Auffassung finde sich jedoch im SGB II nicht. Die Berufungsklägerin könne sich damit nicht erfolgreich auf § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III berufen. Aus diesen Gründen treffe auch die Rechtsauffassung der Bundesregierung, die sich aus der Bundestagsdrucksache 16/10714 ergebe, jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zu. Möglicherweise sei der Bundesregierung nicht bekannt gewesen, dass die Bundesagentur für Arbeit Krankenhausverpflegung lange Zeit gar nicht als zu berücksichtigendes Einkommen, sondern als abweichenden Bedarf anspruchsmindernd berücksichtigt habe. Auch die erst zum 1. August 2006 eingefügte Ergänzung des § 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II bestätige im Übrigen, dass auch die Bundesregierung niemals der Auffassung gewesen sei, dass die abweichende Festlegung von Bedarfen zulässig sein könnte.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG), weil das SG die Berufung zugelassen hat (§ 144 Abs. 3 SGG). Die Berufung ist auch begründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abänderung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 6. März (erst ab diesem Zeitpunkt wurden der Klägerin gemäß ihrem Antrag vom 6. März Leistungen bewilligt, nicht - wie vom SG angenommen - ab 20. Februar) bis 8. Juni 2006 im Rahmen des Zugunstenverfahrens.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 5. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2008, mit dem die Beklagte abgelehnt hat, den bestandskräftigen Bescheid vom 18. Mai 2006 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 27. Juni 2006 zugunsten der Klägerin zu ändern. Hiergegen wehrt sich die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- Verpflichtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG).

Nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hinsichtlich des Bescheids vom 18. Mai 2006 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 27. Juni 2006 hier erfüllt, denn die Beklagte hat die Regelleistung für den Leistungszeitraum 6. März bis 8. Juni 2006 wegen des stationären Aufenthalts der Klägerin gekürzt und insoweit das Recht unrichtig angewandt. Nach der Rechtsprechung des BSG gibt es für den hier streitigen Zeitraum im Jahr 2006 weder für die Berücksichtigung der im Krankenhaus gewährten Vollverpflegung als Einkommen im Allgemeinen noch für die Bewertung der Vollverpflegung mit 35 v.H. der Regelleistung im Besonderen eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage (BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 11).

Allerdings ordnet § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II die entsprechende Anwendung des § 330 Abs. 1 SGB III an, wodurch die Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB X modifiziert wird. § 330 Abs. 1 SGB III bestimmt folgendes: Liegen die in § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist, so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen.

Die Vorschrift des § 330 SGB III dient ausschließlich den Interessen der Beklagten. Nach der Begründung zur Vorgängerregelung des § 152 Arbeitsförderungsgesetz (vgl. BT-Drucks. 12/5502, S. 37 zu Nr. 43; siehe auch BT-Drucks. 8/2034, S. 37) soll sie dem Umstand Rechnung tragen, dass die Arbeitsämter - anders als die meisten Sozialversicherungsträger - die Leistungen überwiegend kurzfristig zu erbringen haben, so dass Überzahlungen praktisch nicht zu vermeiden sind. Diese Argumentation trifft auch auf die Leistungsträger im Bereich des SGB II zu. Die Behörde soll damit von einer massenhaft rückwirkenden Korrektur von Verwaltungsakten entlastet werden. Die Zielsetzung der Norm wird zwar teilweise für sozialpolitisch zweifelhaft gehalten (vgl. hierzu Pilz in Gagel, SGB III, § 330 Rdnr. 20), verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 330 Abs. 1 SGB III bestehen indes nicht (vgl. BSG SozR 3-4100 § 152 Nr. 10). § 330 Abs. 1 2. Alternative SGB III soll verhindern, dass sogenannte "Trittbrettfahrer" von den Entscheidungen des BSG profitieren. Genau diese Konstellation liegt hier jedoch vor.

Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden zweiten Alternative der Vorschrift (andere Auslegung einer Norm in ständiger Rechtsprechung als durch die Grundsicherungsträger; vgl. hierzu Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 40 Rdnr. 57) liegen vor. Eine anfängliche Unrichtigkeit der Rechtsanwendung aufgrund entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt vor, wenn sich - wie hier - die höchstrichterliche Rechtsprechung erst nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes gebildet hat. Entgegenstehende Auslegungen wirken zurück und führen zur anfänglichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Sie konkretisieren das seinerzeit maßgebliche Recht, das aufgrund der Norm bereits in der Vergangenheit gegolten hat, aber nicht beachtet worden ist. In qualitativer Hinsicht ist für die Annahme einer ständigen Rechtsprechung im Sinne des § 330 Abs. 1 SGB III eine Entscheidung des zuständigen obersten Gerichtshof des Bundes (Revisionsgericht) erforderlich. Dies kann ein Senat des BSG sein (vgl. BSG SozR 3-4100 § 152 Nrn. 5 u. 10), aber auch jedes andere für eine Entscheidung in einer erheblichen Vorfrage zuständige oberste Bundesgericht (BSG SozR 4-4300 § 330 Nr. 1). Nicht erforderlich ist, dass alle mit einem Fachgebiet befassten Senate bereits Gelegenheit zur Entscheidung hatten (vgl. Pilz in Gagel, a.a.O., § 330 Rdnr. 18). In quantitativer Hinsicht liegt eine ständige Rechtsprechung in der Regel vor, wenn mehrere inhaltlich gleich lautende Entscheidungen ergangen sind (vgl. BSG SozR 3-4100 § 152 Nr. 5), es kann aber auch eine einzige Entscheidung genügen, wenn eine zweifelsfrei abschließende Klärung der Rechtsfrage vorliegt (vgl. BSG SozR 4-4300 § 71 Nr. 2). Dies ist bei der Entscheidung des BSG vom 18. Juni 2008 der Fall, denn die Rechtslage hinsichtlich der Anrechnung von Verpflegung bei stationärer Unterbringung auf die Regelleistung im SGB II nach der bis 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage war nach dieser Entscheidung nicht mehr umstritten.

Die von der Klägerin monierte Bewilligungsentscheidung beruht auch auf einer von der ständigen Rechtsprechung später anders ausgelegten Rechtsnorm im Sinne des § 330 Abs. 1 SGB III. Zwar haben die Grundsicherungsträger - wie auch hier die Beklagte - in ständiger und einheitlicher Praxis entsprechend den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit mit dem Bedarfsdeckungsargument die Regelleistung gekürzt. Es ist jedoch nicht entscheidend, dass sich die Leistungsträger nicht explizit auf § 11 SGB II gestützt haben, sondern die Anrechnung über den Bedarfsdeckungsgrundsatz und somit unter Gesamtschau der anwendbaren Normen (§§ 9, 11, 20 SGB II) vorgenommen haben. Auch wenn die Gesamtheit der als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Normen von der Rechtsprechung anders ausgelegt wird als in einheitlicher Praxis von den Grundsicherungsträgern, handelt es sich um die Frage der Auslegung einer Norm i.S.v. § 330 Abs. 1 SGB III (vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 40 Rdnr. 57a). Insoweit steht der Anwendung dieser Vorschrift hier gerade nicht entgegen, dass das BSG entschieden hat, dass es im Ergebnis überhaupt keine gesetzliche Grundlage für die Verfahrensweise der Leistungsträger gibt, denn auch insoweit hat es der einheitlichen Auslegung der Vorschriften des SGB II durch die Leistungsträger eine Grenze aufgezeigt. Damit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung klargestellt, dass die Auslegung sämtlicher in Betracht kommender Vorschriften des SGB II keine Rechtsgrundlage für die von den Grundsicherungsträgern vorgenommene Handhabung ergibt und somit eine von den Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit abweichende Auslegung vorgenommen.

Eine zeitliche Einschränkung der rückwirkenden Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes findet allerdings dann nicht statt, wenn entweder das Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X schon vor dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung in Gang gesetzt worden ist (BSG SozR 4-4300 § 71 Nr. 2) oder der Betroffene selbst die ständige Rechtsprechung herbei geführt hat. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall, denn die Klägerin hat erst am 5. November 2008 und damit nach Entstehen der ständigen Rechtsprechung des BSG den Überprüfungsantrag gestellt. Über §§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 1 SGB III ist daher vorliegend die rückwirkende Korrektur des Bescheids vom 18. Mai 2006 in der Gestalt des Bescheids vom 27. Juni 2008 nach § 44 Abs. 1 SGB X ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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