L 12 AL 1725/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AL 61/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1725/10
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 2.4.2009 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Die 1969 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie bezog bis 1994 Arbeitslosengeld und im Anschluss daran Arbeitslosenhilfe, zeitweise unter Berücksichtigung von Nebeneinkommen und zum Teil unterbrochen durch Zwischenbeschäftigungen. Die Verwaltungsakte der Klägerin ist hinsichtlich der Zeit vor dem 1.3.1998 nicht mehr vorhanden.

In Fortzahlungsantrag vom 7.3.1998 gab die Kl. an, kein Vermögen zu besitzen. Im Fortzahlungsantrag vom 7.4.1999 machte sie zum Vermögen Angaben zu einer Kapitallebensversicherung in Fortzahlungsantrag vom zweier 20.3.2000 gab sie an, kein Vermögen zu haben. Entsprechendes gilt für Fortzahlungsantrag in den Jahren 2000 bis 2003.

Im Mai 2005 erfuhr die Beklagte, dass die Kl. und ihr Ehemann am 21.4.1994 32.900 DM und am 31.5.1995 40.000 DM bei der türkischen Nationalbank eingezahlt hatten. 1996 erfolgte eine Einzahlung von 56.519 199 von 30.000 DM. 1999 wurden 73.094,05 DM abgehoben und sofort wieder eingezahlt. Neben weiteren Ein- und Auszahlungen erfolgte im Jahr 2000 eine Abhebung von 30.000 DM und eine Einzahlung von 27.000 DM, ferner eine Abhebung von 7000 DM. Weitere größere Abhebungen erfolgten am 28.4.2001 (21.190,14 DM) und am 18.9.2001 (18.965,89 DM).

Nach vorheriger Anhörung ob die Beklagte mit Bescheid vom führt 10.9.2005 die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom erstem dritten 1998 bis 26.2.2000 auf, da bei einem am 1.3.1998 vorhandenen einzusetzenden Vermögen von 40.500 DM und am 24.7.1999 von 16.594,05 DM keine Bedürftigkeit vorgelegen habe. Insgesamt forderte sie die Erstattung der in dem genannten Zeitraum gewährten Arbeitslosenhilfe in Höhe von 6933,33 EUR sowie von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 3225 EUR.

Der Widerspruch der Klägerin mit dem Vortrag, die Kapitalanlage in der Türkei sei ihr allein über Kredite finanziert gewesen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7.12.2005 mit der Begründung zurückgewiesen, das berücksichtigte Vermögen sei als Kapitalanlage am 25.6.1996 eingelegt worden, der Darlehensvertrag sei erst acht Monate später geschlossen worden.

Dagegen hat die Klägerin am 9.1.2006 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Während des Klageverfahrens ist die Klägerin mit Urteil des Amtsgerichts Balingen vom 10.6.2006 wegen des unrechtmäßigen Bezugs von Arbeitslosenhilfe vom 21.7.2000 bis 4.3.2002 aufgrund einer verschwiegenen Geldanlage in Höhe von 18.965,89 EUR wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden. Die Bekl. hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, die frühere, hier streitgegenständliche Zeit sei im Strafverfahren nicht relevant gewesen, da insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten sei.

Das SG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2.4.2009 durch Urteil vom selben Tag den Bescheid der Beklagten vom 14.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2005 hinsichtlich der Erstattung von Beiträgen in Höhe von 3225 EUR aufgehoben und im übrigen die Klage abgewiesen. Die Kl. habe in der Zeit ab dem 1.3.1998 bis 26.2.2000 zu Unrecht Arbeitslosenhilfe bezogen, weil sie wegen verschwiegenem und verfügbarem Vermögen nicht bedürftig gewesen sei.

Für eine Erstattung der geltend gemachten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gebe es allerdings keine Rechtsgrundlage mehr. Durch das Hartz-IV-Gesetz vom 24. 12. 2003 sei in der vormals maßgeblichen Rechtsgrundlage § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 mit Wirkung vom 1.1.2005 das Wort "Arbeitslosenhilfe" gestrichen worden. Deswegen bestehe ab dem 1.1.2005 keine Rechtsgrundlage mehr für die Rückforderung von Beiträgen bei aufgehobener Arbeitslosenhilfebewilligung, auch wenn sich die Aufhebung auf Zeiträume vor dem 31.12.2004 beziehe. Dieses vom Gesetzgeber wohl kaum beabsichtigte Ergebnis, das bei der Aufhebung der Unterhaltsgeldbestimmungen zum 1.1.2004 vermieden worden sei, indem § 335 SGB III nicht geändert worden sei, sei vom Wortlaut des Gesetzes her nicht zu vermeiden. Der Klage sei mithin in diesem Umfang stattzugeben, im übrigen sei sie abzuweisen.

Gegen dieses am 7.5.2009 zugestellte Urteil hat (nur) die Beklagte am 18.5.2009 Berufung (L 12 AL 2272/09) eingelegt. Sie hat darauf hingewiesen, dass zur Streitfrage, ob infolge der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" in § 335 SGB III ab dem 1.1.2005 keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Kranken-und Pflegeversicherungsbeiträge bei rückwirkender Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung mehr bestehe, zwei Revisionen bei BSG anhängig seien. Auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten ist durch Beschluss vom 2.6.2009 das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BSG angeordnet worden.

Am 15.4.2010 hat die Beklagte das Verfahren wieder angerufen. Das BSG habe inzwischen mit Urteil vom 7.10.2009 - B 11 AL 31/08 R - entschieden, dass die durch die versehentliche Streichung entstandene planwidrige Gesetzeslücke im Rahmen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung dadurch zu schließen sei, dass die Bezieher von Alhi den sonstigen Leistungsbeziehern i.S.d. § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III gleichzustellen seien.

Die Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 2.4.2009 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat Erfolg.

Gegenstand der Überprüfung ist, nachdem lediglich die Beklagte Berufung gegen das Urteil eingelegt hat, allein die Rückforderung der Beiträge zur Kranken-und Pflegeversicherung in Höhe von 3225 EUR.

Rechtsgrundlage für die Rückforderung der in der Zeit vom 1.3.1998 bis 26.2.2000 von der Beklagten geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ist § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Diese Vorschrift lautet in der hier maßgeblichen, ab 1.1.2005 geltenden Fassung (Gesetz vom 24.12.2003 - BGBl. I S. 2954): "Wurden von einem Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt, so hat der Bezieher dieser Leistungen der Bundesagentur die Beiträge zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist." § 335 Abs. 1 SGB III gilt gemäß Abs. 5 für die Pflegeversicherungsbeiträge entsprechend. In der bis 31.12.2004 geltenden Fassung des § 335 Abs. 1 SGB III war neben Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld auch noch Alhi genannt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die durch die versehentliche Streichung des Gesetzgebers entstandene planwidrige Gesetzeslücke im Rahmen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die Bezieher von Alhi den sonstigen Leistungsbeziehern im Sinne des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III gleichzustellen sind (vgl. BSG, Urteile vom 7.10.2009 - B 11 AL 31/08 R und 32/08 R -). Der Senat hält insoweit an seiner früheren Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil vom 12.9.2008 - L 12 AL 1665/08 - (juris)) nicht mehr fest. Die Klägerin ist daher auch zur Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 3225 EUR verpflichtet, wobei Fehler in der Berechnung der Höhe des Erstattungsbetrages weder vorgetragen noch ersichtlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved