L 8 R 165/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 46 R 16/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 165/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.10.2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Der im Februar 1965 geborene Kläger hat in den Jahren 1982 bis 1985 eine Lehre zum Tischler durchlaufen und nach seinen Angaben in der Folge verschiedene Tätigkeiten u. a. als Dachdeckerhelfer, zuletzt als Werkstatthelfer - unterbrochen durch lange Zeiten der Arbeitslosigkeit - ausgeübt. Seit 1999 ist er arbeitslos. Seit dem 1.1.2005 bezieht er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von derzeit 670,00 Euro pro Monat.

Am 14.8.2006 stellte der Kläger ohne weitere Begründung einen Rentenantrag. Im Verwaltungsverfahren zog die Beklagte zunächst ein Gutachten des Sozialmediziners Dr. E bei, das dieser für die Agentur für Arbeit I unter dem 2.12.2005 erstellt hatte. Der Sozialmediziner diagnostizierte eine Nervenstörung mit plötzlicher Bewusstlosigkeit, hielt den Kläger jedoch noch für in der Lage, vollschichtig leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei gewissen weiteren qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Die Beklagte ließ den Kläger sodann durch den Neurologen und Psychiater S begutachten, der in seinem Gutachten vom 14.6.2007 eine Narkolepsie und einen Alkoholmissbrauch diagnostizierte. Es bestehe gleichwohl ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei gewissen weiteren Einschränkungen.

Insbesondere gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 19.6.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2007 ab, wogegen der Kläger am 14.1.2008 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben hat. Zur Begründung hat der Kläger allgemein zum Krankheitsbild der Narkolepsie ausgeführt und ergänzend weiter auf den bestehenden Alkoholmissbrauch verwiesen. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen sei er nicht in der Lage, regelmäßig eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19.6.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweise Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid verwiesen.

Das SG hat Befundberichte des praktischen Arztes Dr. H vom 26.6.2008 und des Neurologen und Psychiaters T gleichen Datums eingeholt und sodann Beweis erhoben durch Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters S1 vom 23.12.2008 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 20.11.2008 und 20.7.2009. Wegen der Einzelheiten wird auf die Befundberichte und das schriftliche Gutachten Bezug genommen.

Sodann hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.10.2009). Maßgeblich gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen S1 hat es ausgeführt, der Kläger könne noch ohne Gefährdung seiner Gesundheit regelmäßig und vollschichtig körperlich tätig werden und gelegentlich schwere Arbeiten in jeder Körperhaltung verrichten. Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht könne er nicht mehr ausüben. Arbeiten mit geringen Anforderungen an die Fähigkeiten der Konzentration, Reaktion und Übersicht könnten verrichtet werden. Allerdings solle der Kläger völlig monotone Situationen ohne jeden Aufforderungscharakter vermeiden. Er sei daher nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger unter Intensivierung sein erstinstanzliches Vorbringens weiter. Er meint, der Gutachter S1 habe die bestehenden Beeinträchtigungen nicht ausreichend gewürdigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.10.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2007 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und den Nachweis einer rentenrechtlich relevanten Leistungsminderung für nicht erbracht.

Von einer weiteren Beweiserhebung hat der Senat abgesehen, nachdem der Kläger mitgeteilt hat, dass er sich seit Längerem und auch aktuell nicht ärztlicher Behandlung befindet. Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Es besteht schließlich auch kein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

1. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) und in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) sowie vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Die Voraussetzungen der teilweisen Erwerbsminderung sind bei dem Kläger nicht erfüllt.

Der Senat geht davon aus, dass der Kläger unter einem Narkolepsie-Kataplexie-Syndrom mit Einschlafattacken über Tag und gestörtem Nachtschlaf sowie mit plötzlichem Spannungsverlust der gesamten Körpermuskulatur und dadurch möglichem Hinstürzen bei stärkeren Gefühlsregungen leidet. Diese Diagnose ergibt sich insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen S1 vom 23.12.2008 und aus dem Gutachten des Neurologen und Psychiaters S vom 4.6.2007. Die Gutachten sind in sich schlüssig und stimmen in diesem Punkt mit den vom SG eingeholten Befundberichten der ehemals behandelnden Ärzte überein. Zudem besteht eine Alkoholabhängigkeit, die nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen S1 aber nicht zu einer Leistungsminderung führt.

Allerdings übersieht der Senat bei der Diagnose des Narkolepsie- und Kataplexiesyndroms nicht, dass sie von den gutachterlich gehörten Ärzten, aber gerade auch von den behandelnden Ärzten immer nur anamnestisch gestellt worden ist. Keiner der Genannten konnte die behaupteten 2- bis 3mal im Jahr auftretenden Kataplexie-Anfälle oder die Auswirkungen der vom Kläger jeweils angegebenen Narkolepsie (z.B. Tagesschläfrigkeit) beobachten und entsprechend anschließend beschreiben. Die gehörten Ärzte haben sich vielmehr bei der Diagnostik jeweils allein auf die entsprechenden Schilderungen des Klägers verlassen müssen. Insofern verbleiben Restzweifel an der Richtigkeit der Diagnosen nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass der Kläger zurückliegend als Dachdeckerhelfer und damit unter erheblicher Absturzgefahr gearbeitet hat, obwohl die Problematik angeblich bereits seit der Ableistung seines Wehrdienstes aufgetreten sein soll.

Ungeachtet dessen ist der Kläger, auch wenn man von der Diagnose eines Narkolepsie- und Kataplexiesyndroms ausgeht, entsprechend der eingehenden Würdigung des Sachverständigen S1 noch in der Lage, durchgehend körperlich mittelschwere, gelegentlich sogar schwere Tätigkeiten zu verrichten. Der Kläger kann in jeder Körperhaltung arbeiten. Ein Wechsel der Körperhaltung ist nicht erforderlich. Auch Zwangshaltungen können eingenommen werden. Ausgeschlossen sind lediglich Arbeiten in Absturzgefahr, in Wechsel- und Nachtschicht wie unter besonderem zeitlichem Druck. An die Konzentrationsfähigkeit des Klägers dürfen nur geringe Anforderungen gestellt werden, allerdings sollte der Kläger andererseits auch völlig monotone Situation ohne jeden Aufforderungscharakter vermeiden. Das geschilderte Leistungsvermögen besteht für zumindest 6 Stunden täglich. Es bestehen keine körperlichen Erkrankungen, die eine vorzeitige körperliche Erschöpfung mit sich bringen würden. Betriebsunübliche Pausen sind nicht notwendig.

Aufgrund des so beschriebenen Leistungsbildes ist der Kläger in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten, ohne dass es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedürfte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, ist eine solche Verweisungstätigkeit nicht schon dann zu benennen, wenn der Versicherte körperlich leichte Tätigkeiten vollschichtig nur mit weiteren Einschränkungen verrichten kann. Die Benennung ist vielmehr nur dann erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG Großer Senat, Beschluss v. 19.12.1996, GS 2/95, SozR3-2600 § 44 Nr. 8, BSG, Urteil v. 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R). Es bestehen aber hier keine Anhaltspunkte dafür, dass die Fähigkeit, typische ungelernte Tätigkeiten zu verrichten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anfallen (z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen) bei dem Kläger in nennenswerter Weise beeinträchtigt wären. Insbesondere liegt keine Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit der Hände vor. Auch andere Gründe, die zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für den Kläger führen, sind nicht ersichtlich. Soweit die Kataplexieanfälle zu vorübergehenden Arbeitsunfähigkeiten führen, summieren diese sich bei lediglich 2 bis 3 zu erwartenden Anfällen im Jahr nicht zu nennenswerten Gesamtzeiten. Eine ablehnende Haltung von Arbeitgebern gegenüber der Einstellung von Personen, die an Narkolepsie bzw. Kataplexie leiden, wäre gegebenenfalls rentenrechtlich nicht zu berücksichtigen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil v. 8.11.1998, 13/4 RA 93/94, juris) kann nicht jedweder Vorbehalt einzelner Arbeitgeber oder Belegschaften gegen Anfallsleidende - unabhängig davon, worauf er beruht - zu einem Rentenanspruch führen. Ebenso wie bei der Bedeutsamkeit häufiger Krankheitszeichen ist auch hier auf die Beurteilung "vernünftig und billig denkender Arbeitgeber" abzustellen (vgl. dazu BSGE 9, 192, 194 f.; BSG, Urteil v. 21.7.1992, 4 RA 13/91). Nach Überzeugung des Senates gibt es für einen vernünftig und billig denkenden Arbeitgeber keinen Anlass für eine ablehnende Haltung gegenüber Personen, die - wie möglicherweise der Kläger - lediglich 2- bis 3mal im Jahr von einem Kataplexie-Anfall betroffen sind bzw. bei denen es krankheitsbedingt nicht steuerbar zu einem plötzlichen Einschlafen für einige Sekunden oder wenige Minuten während einer Arbeitsschicht kommen kann. Das gilt jedenfalls dann, wenn es um einen Arbeitsplatz geht, bei dem eine Eigen- und Fremdgefährdung entsprechend den oben beschriebenen qualitativen Einschränkungen des Klägers ausgeschlossen ist. Bei dem anamnestisch diagnostizierten Narkolepsie-Kataplexie-Syndrom handelt es sich auch nicht um eine ansteckende oder ekelerregende Krankheit im Sinne der diesbezüglichen ständigen Rechtsprechung des BSG, so dass nicht davon auszugehen ist, dass dies den betroffenen Versicherten den Zugang zum Arbeitsmarkt deshalb verschlossen oder besonders stark erschwert wäre (vgl. z. B. BSGE 31, 233, 234 = SozR Nr. 86 zu § 1246 RVO).

2. Da schon der Versicherungsfall der teilweisen Erwerbsminderung nicht nachgewiesen ist, liegt erst recht der Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung nicht vor, da dieser einen auf unter 3 Stunden gesunkenes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voraussetzt (§ 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 i. V. m. S. 2 SGB VI).

3. Ein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet bereits deswegen aus, da der Kläger nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren wurde (§ 240 S. 1 Nr. 1 SGB VI).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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