L 5 AS 48/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 32 AS 155/08
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AS 48/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Löschung – hilfsweise Berichtigung – von Daten, die von einem Maßnahmeträger an die Beklagte übermittelt wurden.

Der Kläger bezieht seit dem 1. Januar 2005 – unterbrochen durch eine dreimonatige befristete Tätigkeit – Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Ab dem 1. November 2006 nahm der Kläger eine Arbeitsgelegenheit als "Web-Designer" bei der C. GmbH auf. Diese Maßnahme endete für den Kläger zum 30. Juli 2007 mit einer fristlosen Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens durch die C. GmbH.

Am 30. August 2007 sprach der Kläger bei der Beklagten vor, um gegen die Beurteilung durch die C. GmbH – welche der Beklagten zu diesem Zeitpunkt nicht vorlag – Widerspruch einzulegen. Er wurde dahingehend unterrichtet, dass er eine Sanktion nicht zu befürchten habe, da bei der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung vorgelegen habe. Aus Sicht der Arbeitsvermittlung sei eine Weiterbeschäftigung des Klägers in der Computerschule jedoch nicht sinnvoll.

Am 4. September 2007 wendete sich die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und beantragte die Löschung der anlässlich der Kündigung seitens der C. GmbH gefertigten Beurteilung der Person des Klägers in dem entsprechenden Abschlussbericht.

Am 10. September 2007 wurde diesbezüglich ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Hamburg gestellt. Mit Beschluss vom 14. September 2007 (Az.: S 32 AS 1978/07 ER) lehnte das Sozialgericht den Antrag ab. Die Datenübermittlung sei nach § 61 SGB II geboten und gerechtfertigt. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht sei insoweit zur Vermeidung ungerechtfertigter Leistungen aus Steuermitteln eingeschränkt. Ein Berichtigungsbegehren sei an den Maßnahmeträger zu richten; gegenüber der Beklagten könne der Kläger seine Einwände im Rahmen eines Sanktionsverfahrens geltend machen.

Der Antrag auf Löschung bzw. Berichtigung der Daten wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 12. November 2007 abgelehnt unter Hinweis darauf, dass eine Auseinandersetzung über die Beurteilung mit dem Maßnahmeträger geführt werden müsse und zudem die Möglichkeit einer Gegendarstellung bestehe. Der Widerspruch vom 12. Dezember 2007 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2007 zurückgewiesen.

Mit seiner am 21. Januar 2008 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Die Daten seien nach § 84 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu löschen. Die Datenübermittlung könne insbesondere nicht auf die Vorschrift des § 61 SGB II gestützt werden, weil diese zu weitgehend sei und daher gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoße. Die Vorschrift werde in Nordrhein-Westfalen aus diesem Grund auch nicht angewendet.

Mit Gerichtsbescheid vom 24. März 2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung wurde auf den zwischen den Beteiligten im Eilverfahren ergangenen Beschluss des Sozialgerichts vom 14. September 2007 (S 32 AS 1978/07 ER) Bezug genommen. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass sich die von dem Kläger eingeführten Ausführungen des Datenschutzbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen zu § 61 SGB II auf dessen Anwendbarkeit auf Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB II a.F. bezögen. Auch die Ausführungen des Klägers bezögen sich zu einem großen Teil hierauf. An einer solchen Maßnahme habe der Kläger indes nicht teilgenommen. Es handele sich hier vielmehr um eine Maßnahme nach § 16 Abs. 3 SGB II a.F. Für diese Maßnahmen sei § 61 SGB II aber unzweifelhaft anwendbar. Ob die Art der Datenübermittlung wegen der zu befürchtenden weiteren Übermittlung an Dritte rechtmäßig ist, sei nicht Gegenstand des Verfahrens, denn die Übermittlung erfolge nicht durch die Beklagte, sondern durch die C. GmbH, die im Übrigen auch für ein Berichtigungsbegehren zuständig sei.

Gegen den ihm am 2. April 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. April 2009 Berufung eingelegt. Er macht über sein bisheriges Vorbringen hinaus im Wesentlichen geltend, die Datenerhebung sei als Vorratsdatenspeicherung unzulässig und führe zu einer umfassenden Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit des Betroffenen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 24. März 2009 und der Bescheide vom 12. November 2007 und 19. Dezember 2007 zu verpflichten,

1. die ihr von der "C. GmbH" übermittelten Daten zu löschen,

2. hilfsweise, die übermittelten Daten zu löschen, soweit diese nicht lediglich den Umstand der Teilnahme betreffen,

3. hilfsweise, die übermittelten Daten zu löschen, soweit diese nicht Auskunft über den Eingliederungserfolg geben und/ oder die Anwesenheits- und Abwesenheitszeiten betreffen,

4. hilfsweise, die erhobenen Daten zu berichtigen und zwar wie folgt: Grund für die vorzeitige Beendigung – keine Berufliche Kompetenz: Tischler, Kommunikationselektroniker Soziale Kompetenz: gut Belastbarkeit: eingeschränkt Flexibilität: Vollzeit, Entfernung Arbeitsweg: uneingeschränkt, Bereitschaft zum Wohnortwechsel: ja

5. hilfsweise in geeigneter Weise festzuhalten, dass die Sachlage in den zu 4. genannten Punkten ungeklärt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 6. Oktober 2009 hat das Gericht das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Das Gericht hat am 21. Mai 2010 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akte des Sozialgerichts S 32 AS 1978/07 ER sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hatte.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2007 ist rechtmäßig. Das hat das Sozialgericht in dem mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheid vom 24. März 2009 richtig entschieden und auch zutreffend begründet. Das erkennende Gericht sieht nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es auf die Begründung des Gerichtsbescheides Bezug nimmt. Das Berufungsvorbringen gibt zu folgenden Bemerkungen Anlass:

Wie bereits das Sozialgericht hat auch das erkennende Gericht keine durchgreifenden Bedenken an der Vorschrift des § 61 SGB II. Nach Abs. 1 der Vorschrift haben Träger, die eine Leistung zur Eingliederung in Arbeit erbracht haben oder erbringen, der Agentur für Arbeit unverzüglich Auskünfte über Tatsachen zu erteilen, die Aufschluss darüber geben, ob und inwieweit Leistungen zu Recht erbracht worden sind oder werden. Sie haben leistungserhebliche Änderungen unverzüglich mitzuteilen. Nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift sind Teilnehmer an Maßnahmen zur Eingliederung verpflichtet, eine Beurteilung ihrer Leistung und ihres Verhaltens zuzulassen; nach Abs. 2 Satz 2 sind die Maßnahmeträger verpflichtet, ihre Beurteilungen des Teilnehmers unverzüglich der Agentur für Arbeit zu übermitteln. Mit diesen Maßgaben berührt § 61 SGB II zwar unverkennbar das informationelle Selbstbestimmungsrecht, wie es aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) hergeleitet wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65 S. 1 ff.). Bei verfassungskonformer Auslegung ist das aber auch aus Sicht des Grundrechts hinzunehmen: Wird nämlich die Datenübermittlung auf die für die Leistungserbringung erheblichen Tatsachen beschränkt, geht es nicht allein um die Sicherung der Verwaltungspraktikabilität, sondern vielmehr um die Sicherung und Verbesserung der Vermittlungstätigkeit durch realistische Einschätzung der Leistungsfähigkeit, letztlich um die Vermeidung ungerechtfertigter Leistungen aus Steuermitteln (vgl. Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 61 Rn. 6, 15, Stand Okt. 2008; Sander, in: Hohm, SGB II, § 61 Rn. 4, 22, Stand Juni 2009; Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 61 Rn. 12; Schoch, in: LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 61 Rn. 18).

Ob das alles auch in Bezug auf Eingliederungsmaßnahmen nach § 16 Abs. 2 SGB II a. F. (vor den Änderungen durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008, BGBl I S. 2917) gilt, kann dahinstehen (kritisch etwa Meyerhoff, juris-PK SGB II, 2. Aufl. 2007, § 61 Rn. 17). Danach waren sog. weitere Leistungen vorgesehen, zu denen etwa die Schuldnerberatung, die psychosoziale Betreuung und die Suchtberatung gehörten. Es liegt auf der Hand, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht wegen der Sensibilität des jeweilig angesprochenen Lebensbereiches insoweit besonders intensiv berührt sein kann. Hier aber ging es nicht um solche Leistungen, sondern vielmehr um Leistungen nach § 16 Abs. 3 SGB II a.F.

Es kann auch nicht bei der Betrachtung des Einzelfalls festgestellt werden, dass die Beschränkung auf für die Leistungserbringung relevante Tatsachen überschritten wurde. Vielmehr ergibt die Durchsicht des Abschlussberichts vom 30. Juli 2007 keine Eintragungen, die diesen Rahmen durchbrechen würden. Selbst die Eintragung "stabil" im Feld "Persönliche Situation" hält nach Auffassung des erkennenden Gerichts den rechtlichen Maßgaben stand, da sie der Beklagten einen sachlichen Hinweis auf das Fehlen insoweit bedingter Leistungseinschränkungen bzw. auf fehlenden Unterstützungsbedarf geben kann. Ein Feld "Achtung" – das der Kläger für besonders kritisch hält – sieht der verwendete Vordruck nicht vor; unter "Bemerkungen" ist nichts eingetragen.

Soweit der Kläger geltend macht, er habe die Beurteilung nicht vor Absenden an die Beklagte zur Kenntnis nehmen können, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Zwar dürfte es grundsätzlich geboten sein, dem Teilnehmer einer Maßnahme die Beurteilung zu eröffnen, bevor sie weitergeleitet wird (so etwa Schoch, a.a.O., Rn. 19). Das war hier aber nach der von dem Kläger am 1. November 2006 unterzeichneten "Belehrung über Datenübermittlung" auch vorgesehen. Lediglich für den Fall, dass der Teilnehmer die Maßnahme vorzeitig abbrechen würde – was hier irrtümlich angenommen wurde – oder eine Kenntnisgabe aus sonstigen Gründen nicht möglich wäre, durfte eine Übermittlung der Beurteilung an den Arbeitsvermittler ohne vorherige Kenntnisnahme durch den Teilnehmer erfolgen. Das erscheint durchaus sachgerecht, da in solchen Fällen eine tatsächliche Kenntnisnahme durch den Teilnehmer in Zweifel steht und die Übermittlung der Beurteilung damit letztlich auf unbestimmte Zeit verschoben zu werden droht. Die Rechte des Teilnehmers werden dadurch hinreichend gewahrt, dass die genannte "Belehrung" ausdrücklich ein Einsichtsrechts des Teilnehmers in den Bewertungsbogen bei seinem Arbeitsvermittler einräumt.

Die von dem Kläger im Termin der mündlichen Verhandlung überreichte "Liste der datenschutzrechtlich riskanten Begrifflichkeiten" kann das Begehren des Klägers von vornherein nicht stützen; diese Liste dient gerade der Bereinigung von Datenbeständen und kommt seinem Anliegen daher ohnehin entgegen.

Abschließend ist der Kläger – wie bereits in der mündlichen Verhandlung – darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich unrichtiger Angaben ein Berichtigungsanspruch gegen den Maßnahmeträger bestehen kann, der auf dem Sozialrechtsweg zu verfolgen ist (vgl. Voelzke, a.a.O., Rn. 15). Es steht dem Betroffenen aber auch die Möglichkeit offen, durch eine Gegendarstellung seine Sicht der Dinge aktenkundig zu machen, so dass die Beklagte etwa bei Sanktionsentscheidungen den von dem Maßnahmeträger berichteten Sachverhalt nicht ohne weiteres zugrunde legen kann. Schließlich ist in Bezug auf den Kläger auch bereits geklärt, dass der Vorwurf unentschuldigten Fehlens, der zur Kündigung der Maßnahme durch den Träger führte, unberechtigt erhoben worden war.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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