S 128 AS 36212/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
128
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 128 AS 36212/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 19. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 in der Fassung des Bescheides vom 12. März 2010 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 10. Juli bis zum 31. Oktober 2008 Leistungen in Höhe von monatlich 658,- EUR zu bewilligen und zu gewähren, soweit nicht Leistungen bereits bewilligt und ausgezahlt worden sind (Juli 2008 je anteilig). 2. Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten. 3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1973 geborene Klägerin und der 1976 geborene C L (L.) bewohnten seit dem 1. Dezember 2006 bis ca. Ende 2009 eine rund 77 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche, Bad und Flur zu einer monatlichen Warmmiete von 614,25 EUR (Kaltmiete 489,25 EUR; Nebenkosten 82,- EUR, Heizkosten 43,- EUR). Sie haben beide am 16. Oktober 2006 unter der Berufsbezeichnung "Studentin" und "Student" den Mietvertrag unterschrieben. L. und die Klägerin wohnten zuvor in jeweils verschiedenen Wohnungen. Die Klägerin und L. haben jeweils ein eigenes und ein gemeinsames Konto bei der Deutschen Bank (Gemeinschaftskonto: ...; Bankleitzahl.; Konto des L ...; Bankleitzahl ...; Konto der Klägerin: ...; Bankleitzahl: ). Sie überwiesen die monatliche Miete je zur Hälfte auf das Konto des Vermieters.

Im April 2008 beantragte L. nach Beendigung seines Studiums erstmals Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. In einem Fragebogen zur Prüfung des Bestehens einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft erklärte L., jeder besitze in der Wohnung ein eigenes Zimmer, lediglich Küche und Bad würden gemeinschaftlich genutzt. Man wirtschafte unabhängig und getrennt voneinander. Anschaffungen von Lebensmitteln würden aufgeteilt in private und gemeinschaftlich genutzte Grundnahrungsmittel. Zum Monatsende erfolge eine Abrechnung. Man sei zwar befreundet, ein wechselseitiger Wille, insbesondere finanziell Verantwortung füreinander zu übernehmen, bestünde aber nicht. Der Beklagte forderte von L. Unterlagen, insbesondere auch Erklärungen der Klägerin, an. Diese erklärte mit Schreiben vom 28. April 2008, sie sei prinzipiell nicht bereit, Angaben zu ihren persönlichen Einnahme- und Vermögensverhältnissen zu machen.

Auf Anfrage des Beklagten erklärte L., er und die Klägerin führten ein gemeinsames Konto, das anlässlich eines studentischen Filmprojekts eingerichtet worden sei, an dem er als Kameramann und die Klägerin als Regisseurin beteiligt gewesen seien. Im letzten Jahr habe man beschlossen, das Konto zweckzuentfremden und "aus praktischen Gründen der Neutralität" die Stromkosten von diesem Konto abbuchen zu lassen, wobei die jeweiligen Teilbeträge unabhängig voneinander von ihm und der Klägerin eingezahlt würden.

Mit Bescheid vom 4. Juni 2008 versagte der Beklagte L. Leistungen. L. legte hiergegen Widerspruch ein und beantragte beim Sozialgericht Berlin (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das SG verpflichtete den Beklagten mit Beschluss vom 25. Juli 2008, Leistungen an L. ab dem 10. Juli 2008 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Juni 2008, längstens aber bis zum 31. Oktober 2008 in Höhe von 480,07 EUR monatlich zu gewähren (S 77 AS./08 ER). Den Beschluss des SG setzte der Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 8. August 2008 um.

Am 20. Juni 2008 beantragte auch die Klägerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Auch sie bestritt, dass sie und L. füreinander einstehen würden.

Mit an L. gerichtetem Änderungsbescheid vom 19. September 2008 bewilligte der Beklagte L. und der Klägerin für den Zeitraum vom 10. Juli 2008 bis zum 31. Oktober 2008 Leistungen nach dem SGB II. Der Klägerin bewilligte der Beklagte für Juli 2008 anteilig Regelleistungen in Höhe von 166,44 EUR und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 225,23 EUR sowie für die Monate August bis Oktober 2008 monatlich Regelleistungen in Höhe von 226,97 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 307,13 EUR. Der Beklagte berücksichtigte dabei Einkommen des L. aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 130,57 EUR (Juli) und monatlich 178,05 EUR (ab August) und rechnete dieses auf den Bedarf der Klägerin hälftig an. Die Klägerin und L. legten jeweils Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. September 2008 ein. Den Widerspruch des L. wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24. November 2008 (W./08) zurück. Hiergegen erhob L. Klage beim SG (L 121 AS .../08).

Die Klägerin beantragte beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Beklagten (S 91 AS./08 ER). Der Antrag blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 11. November 2008). Auch die gegen den Beschluss des SG gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg (Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. April 2009 – L 20 B .../08 AS ER; L 20 B./08 AS PKH).

Den Widerspruch der Klägerin gegen den Änderungsbescheid vom 19. September 2008 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2008 zurück (W /08). Der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, werde nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 und 4 SGB II vermutet, weil die Klägerin und L. länger als ein Jahr zusammen lebten und ein gemeinsames Konto hätten, so dass sie befugt seien, über das Vermögen des anderen zu verfügen. Der Klägerin sei es nicht gelungen, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. November 2008 Klage erhoben.

Unter dem 12. März 2010 hat der Beklagte der Klägerin Leistungen bereits ab dem 19. Juni 2008 bewilligt und sich mit Schriftsatz vom 15. März 2010 zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten verpflichtet.

In der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010 hat die Klägerin im Wesentlichen Folgendes erklärt:

Sie kenne L. sei etwa seit sechs bis sieben Jahren. Sie seien ein Paar gewesen und vor rund sechs Jahren zusammen gekommen. Das sei im letzten Jahr auseinander gegangen. Sie habe sich und L. nicht als Paar im klassischen Sinne gesehen. Dazu gehörten ein gemeinsames Wohn- und Schlafzimmer sowie gemeinsame Zukunftsträume, gegebenenfalls auch der Wunsch zu heiraten und Kinder zu bekommen. Diese gemeinsamen Vorstellungen hätten sie in der ganzen Zeit nicht gehabt. Sie habe sich und L. eher als ein Arbeitspaar angesehen. Es mag sein, dass sie und L. auf andere wie ein "komisches" Paar gewirkt hätten. Sie hätten allerdings durchaus selten Schlafgelegenheiten miteinander geteilt. Ihr sei es immer wichtig gewesen, unabhängig zu sein. Dass sie und L. kein Paar in dem von ihr beschriebenen Sinne gewesen seien, habe sie schon sehr schnell bemerkt, namentlich dann, wenn es ums Finanzielle ging. In einer finanziellen Notsituation, in der L. genügend Einkommen gehabt, sie aber nicht einmal Leistungen nach dem SGB II erhalten habe, habe sie L. gar nicht erst gefragt, ob er ihr finanziell unter die Arme greife, sondern ihren Dispositionskredit ausgeschöpft. Sie selbst wäre für L. nicht finanziell eingestanden.

Sie und L. seien zusammen gezogen, weil ihr die alte Wohnung zu teuer geworden sei. Sie habe schon mal in einer Wohngemeinschaft gewohnt, so dass sie sich überlegt habe, wieder in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Sie habe dafür aber niemanden gefunden, ehe L. erklärt habe, dass sie in eine Wohnung ziehen könnten. Sie und L. hätten sich über Freunde kennen gelernt. Sie habe ihren Magister in Kulturwissenschaften gemacht habe. Sie habe L. damals erzählt, dass sie ihren Abschluss als Film machen könnte. Er habe dann gesagt, dass sie den Film zusammen machen könnten, wozu es später auch gekommen sei. Sie hätten getrennte Konten gehabt. Das gemeinsame Konto sei ein Filmkonto gewesen, auf das eine Filmförderung gezahlt worden sei. Das gemeinsame Konto sei auf beider Namen gelaufen, weil die Dreharbeiten in Panama stattgefunden hätten und es wichtig für sie und L. gewesen sei, dass dann, falls irgendeinem was passiert, der andere Zugriff auf das Geld hätte. Nur die Stromkosten habe man nicht richtig trennen können. Daher hätten sie sich dazu entschlossen, jeweils die Hälfte des Stromabschlags auf das gemeinsame, eigentlich als Filmkonto fungierende Konto zu zahlen, von dem dann die Stromkosten aus abgebucht worden seien. Sie und L. hätten je ein eigenes Zimmer gehabt. Gemeinsam habe man Küche und Bad genutzt. Sie habe aber auch mal bei L. gesessen und L. sich auf ihrem Balkon aufgehalten. Einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer habe sie nicht gehabt. Einen solchen habe auf seinem Zimmer L. gehabt. Sie habe da auch mal Fernsehen geguckt, allerdings sehr selten. Sie hätten den Femseher eher genutzt, um zusammen den eigenen Film anzusehen. Sie hätten zwei Gegenstände gemeinschaftlich angeschafft, nämlich die Waschmaschine und die Spülmaschine, dies jeweils gebraucht. Die Kosten hierfür hätten sie sich geteilt. Als sie ausgezogen sei, habe sie die Waschmaschine mitgenommen. Sie habe viel für sich gekocht, da sie bestimmte Ernährungsgewohnheiten habe. Sie und L. hätten gelegentlich auch gemeinschaftlich gekocht, dies aber seltener. Gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten hätten sie und L. außer dem Schneiden von Filmen kaum gehabt. Lebensmitteln habe sie weitgehend für sich selber eingekauft und von ihrem Geld auch gezahlt. Es sei durchaus vorgekommen, dass sie nach Absprache auch Lebensmittel eingekauft habe, die sie gemeinschaftlich genutzt hätten. Diese Beträge hätten sie und L. dann über den Kassenbeleg gemeinsam abgerechnet. L. sei entsprechend verfahren.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 19. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 in der Fassung des Bescheides vom 12. März 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 10. Juli bis zum 31. Oktober 2008 monatlich Leistungen in Höhe von 658,- EUR zu bewilligen und zu gewähren, soweit Leistungen nicht bereits bewilligt und gewährt worden sind (Juli 2008 je anteilig).

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf die Ausführungen in seinem Widerspruchsbescheid.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des L. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 15. Juli 2010.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte, der Prozessakten S 16 AS /09 und S 91 AS /08 ER sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Verfahrens ist nach § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zwar auch der Bescheid vom 12. März 2010, dies aber nur, soweit er – wie der ursprünglich angefochtene Bescheid vom 19. September 2008 - den Zeitraum ab dem 10. Juli 2008 (wiederholend) regelt. Gegen den Leistungsbeginn hatte sich die Klägerin nicht gewendet und im Übrigen werden Bewilligungsbescheide, die einen Folgezeitraum oder – wie hier – einen vorangegangenen Zeitraum regeln, nicht Verfahrensgegenstand nach § 96 Abs. 1 SGG (vgl. nur Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 1).

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Bescheid vom 19. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 in der Fassung des Bescheides vom 12. März 2010 ist bezogen auf den hier streitigen Zeitraum vom 10. Juli 2008 bis zum 31. Oktober 2008 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht hat der Beklagte angenommen, die Klägerin und L. lebten in einer Bedarfsgemeinschaft und auf dieser Grundlage nur eine Regelleistung von 316,- EUR statt 351,- EUR bewilligt und im Bescheid Einkommen des L. auf den Bedarf der Klägerin angerechnet, wenn auch tatsächlich Leistungen ohne Einkommensanrechnung ausgezahlt wurden.

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes erhalten nach § 7 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Abs. 1 Satz 1) sowie die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen (Abs. 2).

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln und Kräften, vor allem durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1).

Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten nach § 19 Satz 1 SGB II als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die monatliche Regelleistung beträgt nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, 345,- EUR, nach der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Juli 2008 351,- EUR. Haben zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, beträgt die Regelleistung nach § 20 Abs. 3 SGB II jeweils 90 vom Hundert der Regelleistung nach Absatz 2.

Nach Maßgabe dieser rechtlichen Grundlagen war die Klägerin leistungsberechtigt nach dem SGB II. Ihr steht aber auch der Regelsatz nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II - hier in Höhe von monatlich 351,- EUR - zu und zwar ohne Anrechnung von Einkommen des L. Denn die Klägerin und L. bildeten keine Bedarfsgemeinschaft.

Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB II (in der ab dem 1. August 2006 geltenden Fassung) gehört als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Person zur Bedarfsgemeinschaft, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Dieser Wille wird nach § 7 Abs. 3a SGB II vermutet, wenn Partner 1. länger als ein Jahr zusammenleben, 2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, 3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

Die Änderungen des § 7 Abs. 3 SGB II durch Artikel 1 Nr. 7a des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706) knüpfen an die Beschreibung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft an (vgl. Gesetzentwurf vom 9. Mai 2006, BT-Drucks. 16/410, S. 19). Nach allgemeiner Auffassung ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG unter einer eheähnlichen Beziehung eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl. zum Beispiel Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 - SozR 3-4100 § 137 Nr. 3 - sowie Beschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04 - NVwZ 2005, 1178).

Für die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB II müssen drei Voraussetzungen gegeben sein. Neben einer auf Dauer angelegten eheähnlichen oder nicht eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und dem wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, ist auch ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt im Sinne einer Wohn- und Wirtschaftgemeinschaft erforderlich (vgl. Hänlein in Gagel, SGB III, § 7 SGB II, Rn. 46 ff.; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7, Rn. 44 ff., Landessozialgericht (LSG) Sachsen, Beschluss vom 10. September 2009 - L 7 AS 414/09 B ER - juris). Für ein Zusammenleben ist ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen notwendig (vgl. BSG, Urteil vom 17. Oktober 2007 - B 11a/7a AL 52//06 R - SozR 4-4300 § 144 Nr. 16). Der Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft wird gegenüber der Wohngemeinschaft dadurch gekennzeichnet, dass ihre Mitglieder nicht nur vorübergehend in einer Wohnung leben, sondern einen gemeinsamen Haushalt in der Weise führen, dass sie aus einem "Topf" wirtschaften (vgl. zur Haushaltsgemeinschaft BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 68/07 R - BSGE 102, 258-263). Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen daher über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und gegebenenfalls Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitgliedern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. ebenfalls zur Haushaltsgemeinschaft BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 14 AS 6/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr. 6). Die letztgenannten Entscheidungen des BSG zur Haushaltsgemeinschaft gelten für die Bedarfsgemeinschaft erst Recht. Denn der Begriff der Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II ist nicht so weitgehend wie der einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die darüber hinaus eine enge Bindung der Partner in Form einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft voraussetzt (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 9, Rn. 52).

Unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 3a SGB II kann der oben genannte wechselseitige Wille vermutet werden, um den Leistungsträger von der Ausforschung im Bereich der privaten Lebenssphäre der Betroffenen zu entbinden, Eingriffe in deren Intimsphäre zu vermeiden und diese nicht zu nötigen, gegen ihren Willen auch allerpersönlichste, innerste Gedanken und Motive für das Zusammenleben mitzuteilen (vgl. BSG, Urteile vom 5. Mai 2009 - B 13 R 53/08 R - SozR 4-2600 § 46 Nr. 5 - und B 13 R 55/08 R - SozR 4-2600 § 46 Nr. 6 - zu § 46 Abs. 2a SGB des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch unter Hinweis auf § 7 Abs. 3a SGB II). Die Vermutung kann widerlegt werden (Beweis des Gegenteils, § 294 der Zivilprozessordnung) und wirkt sich nur auf die Darlegungslast des Leistung begehrenden Hilfebedürftigen aus, wobei an den Gegenbeweis keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind. Sie befreit weder den Leistungsträger noch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit von ihrer Amtsermittlungspflicht.

Bei der Auslegung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c und Abs. 3a SGB II sind schließlich auch die weiteren Ausführungen des BVerfG im bereits genannten Urteil vom 17. November 1992 (a. a. O.) zu beachten. Danach "war es von Verfassungs wegen nicht geboten, eine generelle Gleichstellung von eheähnlichen Gemeinschaften und Ehen ... vorzunehmen, um der ... festgestellten Benachteilung von Ehegatten gegenüber Partnern eheähnlicher Gemeinschaften abzuhelfen. Verfuhr der Gesetzgeber jedoch in dieser Weise, durfte er nur solche Gemeinschaften erfassen, in denen die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar." Des Weiteren könnte sich das Regelungskonzept des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II "tendenziell in Richtung Verfassungswidrigkeit verschieben, je weiter der Begriff der Bedarfsgemeinschaft gefasst und je unkritischer Personen zu Bedarfsgemeinschaften zwangsverklammert werden" (vgl. Spellbrink, NZS 2007, 121, 127).

Unter Würdigung dieser rechtlichen Kriterien sowie der vorgetragenen und nachgewiesenen Tatsachen hat die Auffassung des Beklagten, wonach zwischen der Klägerin und L. eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB II bestehe, keinen Bestand. Offen bleiben kann dabei, ob eine der Vermutungsregelungen des § 7 Abs. 3a SGB II hier vorliegt. Denn jedenfalls steht fest, dass eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen der Klägerin und L. nicht bestanden hat, so dass es der Klägerin jedenfalls gelungen wäre, die Vermutungsregelungen des § 7 Abs. 3a SGB II zu widerlegen.

Die Kammer verkennt allerdings nicht, dass die Klägerin und L. rund drei Jahre in einer Wohnung gelebt haben, dass beide jedenfalls während des Zusammenwohnens nach übereinstimmender Aussage ein "Paar" waren und dass L. von dem Bestehen einer Liebesbeziehung gesprochen hat. Auch ist anzunehmen, dass beide gemeinsame Freizeitaktivitäten ausgeübt haben, dies nach der insoweit glaubhaften Aussage des L. wohl auch in größerem Umfang als die Klägerin angegeben hat. Diese Erwägungen sind zwar Indizien für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft, reichen aber nicht aus. Es fehlt hier am Zusammenleben im Sinne auch einer Wirtschaftsgemeinschaft.

Wie dargelegt ist es notwendig, dass ein gemeinsamer Haushalt in der Weise geführt wird, dass sie aus einem "Topf" wirtschaften. Dies war hier aber nicht der Fall. Die Frage, wann das wie bei Ehepaaren übliche "Wirtschaften aus einem Topf", vorliegt, kann nicht generell und für alle Fälle abschließend beantwortet werden (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 24. März 1988 - 7 RAr 81/86 - BSGE 63, 120). Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalles an. Hierbei ist der Erkenntnis Rechnung zu tragen, dass in der eheähnlichen Gemeinschaft die gesamte Bandbreite von Gestaltungsformen möglich ist, wie sie auch bei zusammenlebenden Ehegatten vorkommen. Ebenso wie bei Ehen, in denen das Zusammenleben der Ehegatten weitgehend deren Disposition überlassen bleibt, sind auch bei eheähnlichen Gemeinschaften aufgrund ihrer von den Partnern bestimmten individuellen Ausgestaltung die vielfältigsten Erscheinungsformen denkbar. Diese Vielfalt hat zur Folge, dass im Einzelfall die besonderen Gestaltungen der gemeinsamen Lebensführung festzustellen sind, um daraus, gegebenenfalls indiziell, auf das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft schließen zu können. Notwendig ist dabei nicht, dass sämtliche in Betracht kommenden Merkmale oder Indizien in jedem Einzelfall vorliegen; ausreichend ist es, wenn im Einzelfall genügend Anhaltspunkte vorhanden und festgestellt sind, die trotz des Fehlens anderer Merkmale den Schluss auf das Bestehen einer ehetypischen gemeinsamen Haushalts- und Wirtschaftsführung rechtfertigen.

Die Motive der Partner für ihr Zusammenleben und die Art ihrer persönlichen Beziehungen haben in diesem Zusammenhang nur indizielle Bedeutung. In diesem Sinn zu verwerten sind etwa eigene Erklärungen der Beteiligten, zum Beispiel die Bezeichnung als Verlobte, als Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, ferner gemeinsame Kinder oder eine spätere Eheschließung. Eher gegen das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft müsste es hingegen sprechen, wenn für das Zusammenleben glaubhaft im Wesentlichen wirtschaftliche Erwägungen oder Kostengründe geltend gemacht werden. Auch die Frage der Dauer oder zeitlichen Begrenzung der Gemeinschaft kann eine Rolle spielen. So erscheint es zweifelhaft, eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft als eheähnlich anzunehmen, wenn diese von vornherein aus einleuchtenden sachlichen Gründen nur für eine begrenzte Zeit eingegangen wurde, wie zum Beispiel von Studenten während des Studiums aus Gründen der Kostenersparnis.

Die Klägerin und L., die jeweils ein eigenes Zimmer bewohnt und lediglich Bad und Küche gemeinsam genutzt haben, haben nicht aus einem Topf gewirtschaftet. Beide hatten eigene Konten. Gemeinsame Verträge, Versicherungen, diese gegebenenfalls zugunsten des jeweils anderen, konnten nicht festgestellt werden. Die Miete haben sie monatlich je zur Hälfte von ihrem jeweiligen Konto überwiesen. Sie konnten darlegen, dass das auf gemeinsamen Namen laufende Konto zur Einzahlung und Bewirtschaftung erhaltener Fördergelder genutzt wurde und notwendig war, damit jeder während der Auslandsdreharbeiten Zugriff auf die Mittel hatte. Dem entspricht es, dass sie dieses Konto nach Zweckerreichung zum Jahresende 2008 gekündigt haben. Die – etwas umständlich anmutende – Nutzung des Kontos zur Begleichung des Stromabschlags rechtfertigt nicht die Annahme eines gemeinschaftlichen Wirtschaftens, weil anhand der jeweiligen Aussagen und der diese bestätigenden Kontoauszüge ersichtlich ist, dass die Klägerin und L. jeweils ihren Anteil des fälligen Abschlags auf das Gemeinschaftskonto überwiesen haben, eine Trennung der wirtschaftlichen Verhältnisse also deutlich erkennbar war. Die vom Beklagten als problematisch empfundene Nutzung des Gemeinschaftskontos für eine Kreditkartenabrechnung konnte der Zeuge L. nachvollziehbar damit begründen, dass er das Konto habe nutzen müssen, um ein Online-Ticket über Kreditkarte zahlen zu können. Aus den Kontoauszügen geht auch hervor, dass L. den Fehlbetrag umgehend beglichen hat. Einkäufe wurden getrennt abgerechnet, namentlich wurde differenziert zwischen selbst und gemeinschaftlich genutzten Lebensmitteln und Gegenständen. Gemeinschaftliche Anschaffungen nennenswerten Ausmaßes sind nicht erkennbar. Lediglich eine Spülmaschine, wohl auch eine Waschmaschine, wurden gebraucht gemeinsam angeschafft. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass eine derartige auf Trennung bedachte Bewirtschaftungsform auch in einer Ehe vorkommen mag. Hier kommt aber noch hinzu, dass die Kammer nicht erkennen konnte, dass sich die Klägerin und L. so sehr füreinander verantwortlich fühlten, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellten, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwendeten. Aus den Aussagen der Klägerin und des L. ergibt sich vielmehr, dass beide die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ausschließlich für sich selbst verwendet haben. Auch in finanziellen Notlagen halfen beide einander nicht aus, vielmehr war etwa die Klägerin gehalten, ihren Dispositionskredit auszuschöpfen und wäre dementsprechend auch nicht bereit gewesen, L. ihrerseits auszuhelfen. Bei dieser Sachlage gab es letztlich keinen gemeinsamen Lebensunterhalt, den man hätte sicherstellen müssen, sondern nur zwei getrennt voneinander zu beurteilende Lebensunterhalte, den jeder für sich aus seinen Mitteln bestritt. Hierzu passt es auch, dass beide zu keinem Zeitpunkt gemeinsame Zukunftspläne entwickelt haben, die Klägerin sich beide dementsprechend als "Arbeitspaar" bezeichnet hat und sie relativ kurz nach Beendigung des gemeinsamen Filmprojekts aus der Wohnung ausgezogen ist. Ein gegenseitiges Verantwortungsgefühl konnte die Kammer weder bei der Klägerin noch bei L. feststellen.

Die Bewilligungshöhe ergibt sich aus dem Regelsatz (351,- EUR) sowie dem mit Bescheid vom 19. September 2008 bestandskräftig verfügten und daher rechtlich - etwa in Bezug auf einen Abzug für Warmwasserbereitung - nicht zu überprüfenden Betrag für Unterkunft und Heizung in Höhe von 307,13 EUR monatlich, dies begrenzt durch den Antrag (ne ultra petita), so dass die Anwendung des § 41 Abs. 2 SGB II hier offen bleiben kann.

Bei der Tenorierung war zu beachten, dass die Klägerin vom Beklagten höhere als die ihr bewilligten Leistungen ausgezahlt bekommen hat. Insbesondere hat der Beklagte zwar nur einen Regelsatz von 316,- EUR statt 351,- EUR ausgezahlt, dafür aber entgegen seinem Bescheid kein Einkommen des L. angerechnet (Zahlungen am 24. und 30. September 2008 beliefen sich auf insgesamt 2.326,35 EUR; dies entspricht exakt dem Betrag, der sich aus einem monatlichen Bewilligungsbetrag von 623,13 – Juli zu 22/30 - ergibt). Der Beklagte ist dementsprechend nur insoweit zur Zahlung verpflichtet, als er nicht schon Leistungen an die Klägerin ausgezahlt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Klägerin hat in vollem Umfang obsiegt. Offen bleiben kann, ob die hier tenorierte Kostenentscheidung unabhängig vom Ausgang des Verfahrens auch aus dem mit Schriftsatz vom 15. März 2010 erklärten Kostengrundanerkenntnis des Beklagten folgen würde.

Die Berufung, die wegen § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG der Zulassung bedarf, ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved