L 11 R 1873/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1752/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1873/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 18. März 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die am 3. Juli 1950 in Serbien geborene Klägerin siedelte im Januar 1988 in die Bundesrepublik Deutschland über. Sie erlernte nach ihren eigenen Angaben keinen Beruf und arbeitete von März 1991 bis Juli 1999 drei Mal in der Woche als Arbeiterin in einer Designfirma (Herstellung von Gardinen für Lamellen) und von August 1999 bis Juni 2007 als Arbeiterin in einem Markt der Firma E., wobei sie Waren einräumen und Preise auszeichnen musste. Seit Juli 2007 ist sie arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsverhältnis besteht nach ihren eigenen Angaben noch.

Am 3. Mai 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide seit Februar 2003 an Rücken- und Beinschmerzen sowie an Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule. Sie sei zur Zeit jedoch nicht arbeitsunfähig krank. Nach Beiziehung medizinischer Befundunterlagen (ua Arztbrief des Anästhesisten Dr. K. - O. Klinik - vom 18. April 2005, der über eine Vorstellung in der Schmerzambulanz im April 2005 berichtete), ließ die Beklagte die Klägerin fachärztlich begutachten. Facharzt für Orthopädie Dr. J. gelangte in seinem Gutachten vom 16. Juli 2007 für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: chronisches Schmerzsyndrom, rezidivierende Zervicobrachialgien, Hohlkreuz mit Sacrum arkuatum und rezidivierende Lumbalgien. Bei der Untersuchung habe sich eine altersentsprechend bewegliche Wirbelsäule gezeigt. Der neurologische Befund sei unauffällig gewesen. Die Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat seien nicht so ausgeprägt, dass die Klägerin keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen könne. Sie sei vielmehr in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Zu vermeiden seien Schichtarbeiten, Fließbandarbeiten und Arbeiten im Akkord. Das regelmäßige Heben und Tragen von Lasten von mehr als 8 bis 10 kg müsse vermieden werden. Tätigkeiten in gleichförmiger Arbeitshaltung, in Zwangshaltung oder in gebückter Körperhaltung sollten ebenso wie häufige Überkopfarbeiten vermieden werden. Allerdings müsse noch eine psychosomatische Begutachtung erfolgen. Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des Nervenarztes Dr. H. vom 2. August 2007 ein. Dieser gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Migräne, Zervicocephalgien und chronische Lumboischialgie mit nicht auszuschließendem interkurrierenden Wurzelreizsyndrom L5 rechts. Bei der Begutachtung seien Divergenzen im Hinblick auf die vorgebrachten Beschwerden und die ansonsten unauffällige Spontanbeweglichkeit hervorgetreten. Die Klägerin könne ihre Tätigkeit in einem E.-Warenmarkt und andere leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Notwendigkeit langdauernder Zwangshaltung, ohne Notwendigkeit von Tragen und Heben von Lasten mit mehr als 8 bis 10 kg und ohne zusätzliche Gefährdungs- bzw Belastungsfaktoren vollschichtig verrichten. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. September 2007 ab, da die Klägerin mit dem vorhandenen Leistungsvermögen noch in der Lage sei, Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, da sie noch in der Lage sei, ihren bisherigen Beruf als Warenpackerin mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Mit ihrem dagegen am 21. September 2007 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr sei es aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht möglich, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Zur weiteren Begründung legte sie mehrere ärztliche Arztbriefe vor, ua den Arztbrief der Stationsärztin A. vom 19. September 2007, wonach die Klägerin vom 16. bis 20. September 2007 wegen eines Mischkopfschmerzes in der O. Klinik stationär behandelt worden sei. Die Beklagte holte daraufhin den Befundbericht des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 22. Februar 2008 ein, wonach die Klägerin an einem Mischkopfschmerz leide. Während des Widerspruchsverfahrens nahm die Klägerin vom 23. Oktober bis 13. November 2007 an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in Bad S. teil. Facharzt für Orthopädie Dr. W. gab im Entlassungsbericht vom 13. November 2007 an, die Klägerin leide an einem chronischen Schmerzsyndrom, an chronisch rezidivierenden Lumboischialgien rechts bei Bandscheibenvorfall L5/S1, an Migräne, an einem Zervicobrachialsyndrom rechts bei Myogelosen und an einem Senk-/Spreizfuß beidseits. Als Aushilfsarbeiterin könne sie nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten. Leichte Tätigkeiten könne sie jedoch unter Vermeidung von häufigem Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, Heben und Tragen und Bewegen von Lasten, Zwangshaltungen, Nässe und Zugluft sechs Stunden und mehr verrichten. Nach Stellungnahme des beratenden Arztes Dr. H. wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2008). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nicht. Unter Berücksichtigung des Befundberichtes von Dr. S. sei davon auszugehen, dass die Klägerin weder erwerbsgemindert noch berufsunfähig sei, da sich keine weiteren Einschränkungen des festgestellten Leistungsvermögens ergeben hätten.

Hiergegen hat die Klägerin am 16. Juni 2008 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und vorgetragen, sie sei auf nicht absehbare Zeit außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich aus dem ärztlichen Bericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. d. B., die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sie lediglich zweieinhalb Stunden Ware auslegen und auszeichnen könne. Die Klägerin hat diesbezüglich die Auskunft der Dr. d. B. vom 25. Februar 2008 an die H.-M. Versicherungs-AG sowie den Arztbrief des Neurochirurgen Dr. S. (O. Klinik) vom 16. April 2008 über eine stationäre Behandlung vom 10. bis 16. April 2008 vorgelegt.

Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen.

Orthopäde Dr. S. hat mitgeteilt (Auskunft vom 24. September 2008), er schließe sich den Befunden und der Leistungseinschätzung des Dr. J. an. Dr. d. B. hat angegeben (Auskunft vom 25. September 2008), die Leistungsfähigkeit der Klägerin könne nicht allein mit den körperlichen Befunden beurteilt werden. Im Vordergrund stehe ein erheblicher psychosomatischer Anteil, eine Schmerzerkrankung mit Depression und damit einhergehend eine leichte Erschöpfbarkeit und verminderte Konzentrationsfähigkeit. Die Klägerin könne allenfalls leichte Tätigkeiten unter drei Stunden verrichten. Sie hat ihrer Auskunft zahlreiche Arztbriefe beigefügt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 16. November 2008 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, die Klägerin habe während der Untersuchung über Schmerzen geklagt, die sich organisch nicht hinreichend erklären ließen. Der Anästhesist Dr. K. gehe von einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung aus. Diese Diagnose könne aber definitionsgemäß nur gestellt werden, wenn emotionale Konflikte oder psychosoziale Probleme vorlägen, die schwer genug seien, um als entscheidende ursächliche Faktoren zu gelten. Dies lasse sich hier in keiner Weise eruieren. Die Klägerin habe jegliche vorausgehende Belastungen oder psychosoziale Probleme verneint. In diesem Fall könne nur die Diagnose einer undifferenzierten Somatisierungsstörung gestellt werden. Darüber hinaus leide sie an einem chronischen Zervical- und Lumbalsyndrom ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Symptomatik sowie an einer Neigung zu Spannungskopfschmerzen bzw Migräne ohne Aura. Sozialmedizinisch lasse sich eine zeitliche Leistungsminderung weder durch den körperlichen Befund noch durch eine seelische Störung begründen. Der undifferenzierten Somatisierungsstörung komme keinerlei leistungsmindernde Bedeutung zu. Dementsprechend erfolge auch keine nervenärztliche Behandlung. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule entsprächen dem Lebensalter und bedingten funktionelle Leistungseinschränkungen, jedoch keine zeitliche Leistungsminderung. Die Klägerin müsse körperliche Schwerarbeiten vermeiden. Gleiches gelte für Tätigkeiten überwiegend in Zwangshaltung, verbunden mit häufigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, ständiges Bücken, Treppen- und Leiternsteigen, Tätigkeiten überwiegend im Freien und unter Einwirkung von Kälte, Zugluft und Nässe. Arbeiten mit besonderer Anforderung an die psychische Belastbarkeit seien ihr ebenfalls nicht mehr zuzumuten. Unter Beachtung dieser Leistungseinschränkungen sei sie noch in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. März 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert. Sie könne noch Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig verrichten. Es liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. H ... Das Gutachten stehe überdies im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Verwaltungsgutachten von Dr. J. und Dr. H ... Auch der behandelnde Orthopäde Dr. S. sehe - ebenso wie die Rehaklinik in Bad S. - keine zeitliche Leistungsminderung bei der Klägerin. Die negative Leistungseinschätzung der Hausärztin Dr. d. B. sei aufgrund des eingeholten Fachgutachtens widerlegt. Auch sei die Klägerin nicht berufsunfähig, da sie zuletzt als Hilfsarbeiterin gearbeitet habe.

Hiergegen richtet sich die am 14. April 2009 beim SG eingelegte Berufung zum Landessozialgericht (LSG), mit der die Klägerin geltend macht, das Gutachten des Dr. H. überzeuge nicht. Insbesondere ginge seine Auffassung ins Leere, wonach sie nicht an einer somatoformen Schmerzstörung leide. Sie sei im Juli 2009 erneut in der O. Klinik von Dr. K. behandelt worden. Eine stationäre Aufnahme erfolge nur dann, wenn tatsächlich eine entsprechend schwere Schmerzsymptomatik vorliege. Zudem leide sie an einer Entzündung im rechten Knie und an heftigen Migräneanfällen. Als Regalauffüllerin könne sie keinesfalls mehr vollschichtig arbeiten. Zuletzt sei es mehrfach zu Arbeitsunfähigkeitszeiten und zu Krankengeldbezug gekommen. Schließlich leide sie bereits seit Jahren an einer Bandscheibenproblematik und sei deshalb auch aus dem Erwerbsleben herausgerissen worden. Bereits nach wenigen Stunden, spätestens nach wenigen Tagen, würde sie bei einer Arbeit erkranken, da die Schmerzen unerträglich seien. Sie sei auch nicht mehr in der Lage, ihren Haushalt zu verrichten. Zur weiteren Begründung hat sie den Arztbrief des Anästhesisten Dr. R. (O. Klinik) vom 7. Juli 2009 vorgelegt, wonach die Klägerin vom 7. bis 24. Juli 2009 stationär (wegen eines chronischen Schmerzsyndroms Stadium III nach Gerbershagen, Rückenschmerzen Lumbalbereich, diskreter sensibler Radikulopathie S1 rechts, lumbaler Spinalkanalstenose, Ischialgie, somatoformer Schmerzstörung, chronischem Spannungskopfschmerz und mittelgradiger depressiver Episode) behandelt worden sei. Die multimodale Schmerztherapie mit einer erneuten Caudalanästhesie habe nur wenig Wirkung auf die Rückenschmerzen gezeigt. Es handle sich zu großen Teilen um eine somatoforme Schmerzstörung, weshalb eine psychosomatische Reha beantragt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 18. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Mai 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass der Klägerin ab dem 1. August 2010 eine Altersrente für Frauen mit einem Abschlag von 18 % gewährt werden könne. Die Beklagte hat diesbezüglich die Probeberechnung vom 9. März 2010 vorgelegt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat den Entlassungsbericht des Dr. K. vom 20. August 2009 beigezogen und das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 23. Dezember 2009 eingeholt.

Dr. K. hat in dem Entlassungsbericht vom 20. August 2009 angegeben, man habe bei der Klägerin nach Ausschöpfung der ambulanten Möglichkeiten eine multimodale Schmerztherapie durchgeführt. Trotz einer erneuten Caudalanästhesie sei es nur zu einer unzufriedenden Schmerzreduktion gekommen. Nach Gabe von Valoron N sei etwas Besserung eingetreten. Es handle sich zu großen Teilen um eine somatoforme Schmerzstörung.

Dr. R. hat in ihrem Gutachten im Hinblick auf den von der Klägerin angegebenen Tagesablauf festgehalten, dass sie täglich Besuch von Freunden bekomme und auch ihre Schwester und ihre Familie oft treffe. An Wochenenden würden sie gemeinsam kochen. Sie beschäftige sich auch mit den Enkelkindern und übe als Hobby noch Handarbeiten aus. Sie gehe gerne mit den Kindern und mit ihrem Ehemann spazieren und lese Zeitschriften. Manchmal besuche sie auch das Schwimmbad. An Weihnachten würden alle Kinder und Enkel zu ihr kommen und sie würde dann mit der Unterstützung ihrer Töchter und ihres Mannes für die ca 17 Personen kochen. Sie erledige zusammen mit ihrem Ehemann den Haushalt und gehe auch zusammen mit ihm einkaufen. Aufgrund ihrer Schmerzen putze sie aber nicht. Während der Befunderhebung sei im Hinblick auf die Schmerzen eine deutliche Aggravation festzustellen gewesen. Bei ihrer Lebensführung habe die Klägerin lediglich Einschränkungen bei körperlich schweren Tätigkeiten mit häufigem Bücken, wie zB dem Putzen geschildert. Ansonsten bestünden im sozialen Leben keinerlei Einschränkungen. Auf nervenärztlichem Fachgebiet lägen eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, eine Migräne und Spannungskopfschmerzen vor. Die Erkrankungen schränkten ihre Funktionsfähigkeit nicht in dem von ihr angegebenen Ausmaß ein. Bei aller zumutbaren Willensanspannung und unter ärztlicher Mithilfe könnten die Schmerzen innerhalb eines halben Jahres deutlich gebessert werden. Die Klägerin habe sich lediglich von ihr unangenehmen Tätigkeiten, wie zB schwere Haushaltsarbeiten und ihrer beruflichen Tätigkeit zurückgezogen, nicht jedoch von den angenehmen Dingen des Lebens, wie zB ihren Hobbys und den Besuchen der Freundinnen. Sie sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten ohne unmittelbare Gefährdung ihrer Gesundheit auszuüben. Einschränkungen bestünden im Hinblick auf Zwangshaltungen, körperliche Schwerstarbeit, Tätigkeiten mit häufigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, häufiges Treppen- und Leitersteigen, häufiges Bücken sowie im Hinblick auf Tätigkeiten in Zugluft und Nässe. Außerdem sollten Tätigkeiten unter besonderer psychischer Anspannung vermieden werden. Unter Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen sei die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich auszuüben.

Die Klägerin hat hierzu mitgeteilt, sie sei nicht mehr in der Lage, den Haushalt alleine zu verrichten. Sie sei auf Hilfe angewiesen. Auch könne sie weder Fenster putzen noch Staubsaugen. Zudem sei sie nicht mehr in der Lage, die von der Gutachterin verlangte zumutbare Willensanspannung zu erbringen. Des Weiteren sei sie am 9. Juni 2010 im Krankenhaus T. am rechten Knie operiert worden. Am 1. Juni 2010 werde sie wieder stationär im Krankenhaus W. (O. Klinik) behandelt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgereicht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid vom 7. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2008 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat weder ab dem 1. Mai 2007 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302b Abs 1 SGB VI).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin, wie das SG zutreffend entschieden hat, auch im Hinblick auf die Amtsermittlungen im Berufungsverfahren weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf den sie verweisbar ist, unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Bei der Klägerin liegen orthopädische und neurologisch/psychiatrische Erkrankungen vor. Die Klägerin leidet an einer undifferenzierten Somatisierungsstörung, an einer Migräne und an Spannungskopfschmerzen. Dies entnimmt der Senat den Gutachten der Dr. R. und des Dr. H ... Auch Dr. H. hat in seinem Gutachten, welches im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Soweit Dr. K. in seinem Entlassungsbericht vom 20. August 2009 davon ausgeht, dass die Klägerin an einem chronischen Schmerzsyndrom Stadium III nach Gerbershagen leidet, weist der Senat darauf hin, dass es im Hinblick auf die Frage der Leistungsfähigkeit nicht auf die Diagnosestellung, sondern vielmehr auf die Befunde und die sich daraus ergebenden funktionalen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ankommt.

Darüber hinaus leidet die Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet an rezidivierenden Zervicobrachialgien, an einem Hohlkreuz mit Sacrum arcuatum sowie an rezidivierenden Lumbalgien. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. J., das ebenfalls im Wegen des Urkundenbeweises verwertet werden konnte. Auch Dr. H. hat in diesem Zusammenhang ein chronisches Zervical- und Lumbalsyndrom, jedoch ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Symptomatik, diagnostiziert. Aus dem Entlassungsbericht des Dr. W. folgt zudem, dass bei der Klägerin ein Bandscheibenvorfall in der Region L5/S1 vorliegt.

Aufgrund der genannten Gesundheitsstörungen ist die Klägerin nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Zu vermeiden sind Tätigkeiten in Zwangshaltungen, Tätigkeiten mit körperlicher Schwerstarbeit, mit häufigem Bücken und Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, häufiges Treppen- und Leitersteigen, häufiges Bücken, Tätigkeiten in Zugluft und Nässe und Tätigkeiten mit besonderer psychischer Anspannung. Diese qualitativen Leistungseinschränkungen entnimmt der Senat dem Gutachten der Dr. R., die aufgrund der geschilderten Gesundheitsstörungen auch nachvollziehbar und schlüssig sind. Die genannten Leistungseinschränkungen hat im Übrigen auch Dr. J. angenommen, der zusätzlich darauf hingewiesen hat, dass auch Schichtarbeiten, Fließbandarbeiten, Arbeiten mit Akkord und häufige Überkopfarbeiten nicht mehr leidensgerecht sind. Aus dem Gutachten des Dr. H. folgt zudem, dass auch Tätigkeiten überwiegend im Freien, unter Einwirkung von Kälte, Zugluft und Nässe zu vermeiden sind.

Trotz der genannten Gesundheitsstörungen ist die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Der Senat schließt sich den Leistungseinschätzungen der Dr. R. und des Dr. H. an, zumal auch Dr. J., Dr. H. und Dr. W. diese Leistungseinschätzung teilen. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens, wie etwa von Dr. d. B. in ihrer Auskunft vom 25. September 2008 angenommen, lässt sich insbesondere nicht mit dem Tagesablauf der Klägerin und ihren Alltagsaktivitäten in Einklang bringen. So hat die Klägerin gegenüber Dr. R. angegeben, dass sie täglich Besuch von Freunden bekomme und auch ihre Schwester und deren Familie oft treffe. Am Wochenende kochen sie gemeinsam und sie beschäftigt sich auch mit ihren Enkelkindern. Zu ihren Hobbys zählen weiterhin Handarbeiten, Spaziergänge und das Lesen von Zeitschriften. Manchmal besucht sie auch das Schwimmbad. Schließlich geht sie auch jeden Sonntag in die Kirche. Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der Auffassung der Dr. R., dass ein sozialer Rückzug nicht stattgefunden hat. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich nach seiner ständigen Rechtsprechung (vgl Urteil vom 20. Juli 2010 - L 11 R 5140/09; Urteil vom 24. September 2009 - L 11 R 742/09) der Schweregrad somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit ableitet. Unter Beachtung dieser Maßstäbe kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Klägerin bei der Schilderung ihres Tagesablaufs gegenüber Dr. R. lediglich Einschränkungen bei körperlich schweren Tätigkeiten mit häufigem Bücken, wie zB beim Putzen angegeben hat. Auch gegenüber dem Senat hat sie mitgeteilt, dass sie nicht mehr in der Lage ist, Fenster zu putzen oder Staub zu saugen. Hierbei handelt es sich jedoch um zumindest mittelschwere Tätigkeiten. Ansonsten teilt sie sich die Hausarbeit aber mit ihrem Ehemann. Eine wesentliche Einschränkung der täglichen Aktivitäten kann daher nicht festgestellt werden. Darüber hinaus war die Spontanmotorik der Klägerin anlässlich der Untersuchung durch Dr. R. lebhaft, sie saß während der Begutachtung still in ihrem Stuhl, erforderliche Entlastungsbewegungen bei Schmerzen fanden nicht statt, das Gangbild war vor, während und nach der Begutachtung unauffällig, das Bewegungsmuster beim An- und Auskleiden war ebenfalls unauffällig, gleiches gilt für die Ausprägung der Muskulatur. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten der Dr. R ... Vor diesem Hintergrund kann jedoch eine Minderung der zeitlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin, wie von Dr. d. B. angegeben, nicht nachvollzogen werden. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass auch Dr. W. und Dr. S. keine Minderung der zeitlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin angenommen haben.

Weitere Ermittlungen im Berufungsverfahren waren nicht erforderlich. Soweit die Klägerin im Juni 2010 am rechten Knie operiert wurde, ist nicht ersichtlich, dass ihre Leistungsfähigkeit hierdurch in zeitlicher Hinsicht dauerhaft beeinträchtigt ist. Entsprechendes hat die Klägerin auch nicht vorgetragen. Die schmerztherapeutische Behandlung im Juli 2010 in der O. Klinik führt ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergibt sich, dass die Klägerin zumindest seit 2005 nahezu einmal jährlich an einer schmerztherapeutischen Behandlung in der O. Klinik teilnimmt. Obwohl die Therapie im Juli 2009 nur wenig Wirkung gezeigt hat (vgl Entlassungsbericht des Dr. K. vom 20. August 2009), ist die Gutachterin Dr. R. zu der nachvollziehbaren und schlüssigen Leistungseinschätzung gelangt, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig zu verrichten. Wie bereits dargelegt, folgt der Senat dieser Einschätzung.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl I, 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist zwar vor dem 2. Januar 1961, nämlich am 3. Juli 1950 geboren. Sie hat jedoch keinen Beruf erlernt und war zuletzt versicherungspflichtig als Arbeiterin in einem E.-Markt beschäftigt. Die Klägerin ist damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist insofern nicht erforderlich.

Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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