L 10 U 6157/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 3429/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 6157/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.11.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 22.07.2008 um einen Arbeitsunfall handelt.

Der am 1982 geborene Kläger verspürte am 22.07.2008 während seiner Beschäftigung als Lagerarbeiter bei der Firma E. & G. GmbH, G. , Verspannungen an der Wirbelsäule. Deswegen stellte er sich mit seinem Arbeitskollegen, M. , Rücken an Rücken, um durch gegenseitiges Anheben die Wirbelsäule zu entlasten. Hierbei verloren der Kläger und sein Arbeitskollege das Gleichgewicht und fielen zu Boden. Der Kläger erlitt dabei eine offene Schädelbasisfraktur rechts (Durchgangsarztbericht des PD Dr. Pr. ).

Mit Bescheid vom 07.08.2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab und führte zur Begründung aus, der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt einer rein privaten (eigenwirtschaftlichen) Tätigkeit nachgegangen, für die Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch, den der Kläger nicht begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27.11.2008 Klage zum Sozialgericht Konstanz erhoben und geltend gemacht, er habe die Verspannungen im Rücken im Zusammenhang mit seiner Arbeitstätigkeit erlitten und zur Vermeidung einer längeren Arbeitsunterbrechung durch Aufsuchen eines Arztes durch Inanspruchnahme seines Arbeitskollegen zur Rückendehnung versucht, diese kurzfristig zu beheben, um seiner Arbeit weiter nachgehen zu können. Dadurch sei weder eine wesentliche Unterbrechung der versicherten Verrichtung eingetreten, noch stünden derartige "therapeutische Maßnahmen" von vornherein außerhalb jeden Zusammenhangs mit der beruflichen Tätigkeit. Die "Therapie" sei letztendlich betriebsdienlich gewesen. Zur Stützung seines Begehrens hat sich der Kläger außerdem auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.10.2004, B 2 U 24/03, 05.09.2006, B 2 U 24/05 R und 18.03.2008, B 2 U 12/07 R bezogen. Die Beklagte hat geltend gemacht, Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit wie Untersuchungen, Impfungen oder das Besorgen von Medikamenten, gehörten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich zum unversicherten persönlichen Lebensbereich. Bei dem Anheben durch den Arbeitskollegen habe es sich um eine Spielerei am Arbeitsplatz gehandelt, die als rein eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz stehe. Das Sozialgericht hat den Arbeitskollegen des Klägers, M. als Zeugen vernommen, der die Angaben des Klägers, das gegenseitige Anheben sei zur Linderung der Wirbelsäulenbeschwerden erfolgt, bestätigt hat.

Mit Urteil vom 18.11.2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und unter Darlegung der maßgeblichen rechtlichen Grundlagen (§ 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -) ausgeführt, ein Arbeitsunfall liege nicht vor, da das zum Unfall führende Handeln keinen Bezug zu einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit gehabt habe. Die Angaben des Klägers und des Zeugen M. zum Unfallhergang zu Grunde gelegt, habe es sich um eine laienhafte Gesundheitsmaßnahme gehandelt. Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit seien jedoch in erster Linie unversicherte, persönliche Angelegenheiten. Dies gelte selbst dann, wenn dabei betriebliche Sozialeinrichtungen in Anspruch genommen würden. Die vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidungen des BSG seien für das Verfahren nicht einschlägig. Im Verfahren B 2 U 24/05 sei die Problematik von Alkohol am Arbeitsplatz betroffen und daher mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Auch die Entscheidung im Verfahren B 2 U 24/03 sei nicht vergleichbar, denn im darin zu entscheidenden Fall sei der Unfallablauf unklar geblieben, während vorliegend das Unfallgeschehen bekannt sei. Im Verfahren B 2 U 12/07 sei es um die Abgrenzung der Zuständigkeit der Nothilfehandlung von der beschäftigten Versicherung gegangen.

Gegen das am 02.12.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.12.2009 Berufung eingelegt. Unter Wiederholung seines Vortrags im erstinstanzlichen Verfahren macht er geltend, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts handele es sich bei dem streitgegenständlichen Ereignis um einen Arbeitsunfall. Unerheblich sei insoweit, dass die laienhafte "therapeutische" Maßnahme nicht durch einen Arzt oder Physiotherapeuten durchgeführt worden sei. Vielmehr liege eine derartige, allgemein übliche, laienhafte Maßnahme im wohlverstandenen betrieblichen Interesse, da ohne längere Unterbrechung der Arbeitstätigkeit die volle Arbeitskraft in aller Regel sofort wiederhergestellt werde.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.11.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2008 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 22.07.2008 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Bei dem Ereignis vom 22.07.2008 handelte es sich nicht um einen Arbeitsunfall.

Der Kläger erstrebt bei sachdienlicher Auslegung seines prozessualen Begehrens (§ 123 SGG) im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Aufhebung der die die Anerkennung eines Arbeitsunfalles und die Gewährung von Leistungen pauschal ablehnenden Verwaltungsentscheidungen - weil diese andernfalls bei zu treffender Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsunfalles einer künftigen Leistungsgewährung entgegenstünden - sowie - weil die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ablehnt - die gerichtliche Feststellung eines Arbeitsunfalles (vgl. zu der gleichgelagerten Konstellation der Verneinung eines Arbeitsunfalles wegen fehlenden Versicherungsschutzes BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2). Dem auf Verurteilung der Beklagten zur behördlichen Anerkennung des Arbeitsunfalls gerichteten Teil des gestellten Antrages kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 30/07 R).

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt) ist erforderlich (hierzu und zum Nachfolgenden BSG Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 5/04 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 4 m.w.N.), dass das Verhalten des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine bestimmte Handlung in einem solchen rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Kernbereich der versicherten Tätigkeit steht, ist die Gesamtheit aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund. Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versi-cherten.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Dies gilt auch für den inneren Zusammenhang und damit die Handlungstendenz (BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 24/84 in SozR 2200 § 548 Nr. 70). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Nach diesen Grundsätzen war der Kläger bei dem Ereignis vom 22.07.2008 nicht gesetzlich unfallversichert. Wie das Sozialgericht und die Beklagte kommt auch der Senat zu dem Ergebnis, dass die von dem Kläger und dem Zeugen M. durchgeführte "therapeutische" Behandlung dem unversicherten, eigenwirtschaftlichen Bereich des Klägers zuzurechnen ist. Insbesondere lag kein besonderes Interesse des Arbeitgebers an dieser Behandlung vor, das einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit begründen könnte.

Ungeachtet der Frage, ob eine "therapeutische Maßnahme" durch einen - wie vorliegend - auf medizinischem Fachgebiet nicht ausgebildeten oder geschulten Arbeitskollegen überhaupt als Maßnahme zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit anzusehen ist und/oder dem betrieblichen Interesse dient - was nach Überzeugung des Senats auf Grund der nicht überschaubaren Folgen derartiger Maßnahmen zu verneinen ist -, ließe sich ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der "Behandlungsmaßnahme" durch den Zeugen M. und der versicherten Tätigkeit auch dann nicht begründen, wenn es sich hierbei um eine qualifizierte Behandlungsmaßnahme gehandelt hätte.

Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind und nicht schon deshalb bei ihrer Durchführung Versicherungsschutz anzuerkennen ist, weil sie zugleich der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit auch den Interessen des Unternehmens dienen (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 27.10.1965, 2 RU 108/63 in SozR Nr. 1 zu § 548 RVO; Urteil vom 28.10.1966, 2 RU 2/62 in SozR Nr. 75 zu § 542 a.F. RVO; Urteil vom 31.01.1974, 2 RU 277/73 in SozR 2200 § 548 Nr. 2; Urteil vom 26.05.1977, 2 RU 97/76 in SozR 2200 § 548 Nr. 31 und - soweit ersichtlich zuletzt - Urteil vom 26.06.2001, B 2 U 30/00 R in SozR 3-2200 § 548 Nr. 43). Dies gilt selbst dann, wenn dabei betriebliche Sozialeinrichtungen in Anspruch genommen werden (BSG, Urteil vom 28.10.1966, a.a.O., vom 31.01.1974, a.a.O. und Urteil vom 26.05.1977, a.a.O.). Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen therapeutischen Maßnahmen, beispielsweise in Form der Einnahme eines Medikaments und der versicherten Tätigkeit lässt sich auch nicht dadurch begründen, dass die Bekämpfung einer die Arbeitskraft bedrohenden Erkrankung nebenher auch im Interesse des Unternehmens liegt (BSG, Urteil vom 28.10.1966, 2 RU 2/62 in SozR Nr. 75 zu § 242 a.F. RVO).

Zwar hat das BSG Ausnahmen angenommen, wenn ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der Arbeitszeit eine andere Beurteilung erfordert (BSG, Urteil vom 26.05.1977, 2 RU 97/76 in SozR 2200 § 548 Nr. 31 m.w.N.). Einen derartigen Ausnahmefall hat das BSG allerdings lediglich für das Zurücklegen von Wegen nach und von einem außerhalb des Betriebes aufgesuchten Arzt bzw. auf dem Weg zur Werksambulanz angenommen, nicht hingegen für die ärztliche Behandlung bzw. die Behandlung in der Werksambulanz (BSG, Urteil vom 26.05.1977, a.a.O.). Ein derartiger Fall ist vorliegend aber nicht gegeben, denn das streitgegenständliche Ereignis fand nicht auf dem Weg von und zu einer ärztlichen bzw. therapeutischen Behandlung statt, sondern während der laienhaften "therapeutischen Maßnahme" durch den Arbeitskollegen des Klägers.

Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen der von dem Kläger und seinem Kollegen durchgeführten Maßnahme lässt sich auch nicht dadurch begründen, dass diese auf Veranlassung des Arbeitgebers geschehen wäre, denn hierfür ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte und dies hat auch der Kläger selbst nicht behauptet.

Letztlich hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil auch zutreffend dargelegt, dass die von dem Kläger in Bezug genommenen Entscheidungen des BSG vom 26.10.2004, B 2 U 24/03, 05.09.2006, B 2 U 24/05 R und vom 18.03.2008, B 2 U 12/07 R, für den streitgegenständlichen Sachverhalt nicht einschlägig sind. Hierauf nimmt der Senat Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Soweit der Kläger im Berufungsverfahren auf eine "brandneue Entscheidung des BSG vom Juni/Juli 2010, nach der auch sog. Erste-Hilfe-Maßnahmen unter BG-Schutz fallen", verwiesen hat, ergibt sich nichts Anderes. Denn die von dem Kläger in Bezug genommene Entscheidung des BSG vom 15.06.2010 (B 2 U 12/09 R) betrifft nicht die hier streitige Frage des Versicherungsschutzes eines Arbeitnehmers bei Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit, sondern den in § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB VII gesetzlich ausdrücklich geregelten Versicherungsschutz von Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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