L 6 SB 343/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 2572/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 343/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.12.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die im Jahre 1947 geborene Klägerin erstrebt die behördliche Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Am 12.01.2007 ging beim Landratsamt S. der vom Bürgermeisteramt der Gemeinde S. unter dem 09.01.2007 übersandte erstmalige Feststellungsantrag der Klägerin nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ein. Im Antragsformular gab sie zur Begründung ihres Begehrens Gesundheitsstörungen und Schmerzen im rechten Knie- und Hüftgelenk, im rechten Fuß sowie im Rücken und physische und psychische Überlastungssymptome bei ihrer Tätigkeit als Grund- und Hauptschullehrerin an.

Nach versorgungsärztlicher Auswertung der von der Klägerin übersandten Arztunterlagen durch Obermedizinalrätin Dr. Sch. stellte das Landratsamt mit Bescheid vom 22.03.2007 bei der Klägerin wegen der Funktionsbeeinträchtigungen Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, chronisches Schmerzsyndrom und Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks einen GdB von 20 seit dem 12.01.2007 fest.

Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch holte das Landratsamt den Befundbericht des Orthopäden Dr. M. vom 15.05.2007 (Coxarthrose beidseits sowie aktivierte Varusgonarthrose rechts) sowie die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Z. vom 05.07.2007 (Bestätigung der bisherigen Einschätzung) ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2007 wies das Regierungspräsidium St. den Widerspruch zurück.

Am 17.09.2007 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Konstanz Klage, mit der sie die Feststellung eines GdB von 50 seit dem 12.01.2007 begehrte. Zur Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, ihre Behinderungen seien nicht vollständig erfasst und nicht angemessen bewertet.

Das Sozialgericht holte schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der Allgemeinmedizinerin Dr. B.-Sch. vom 15.11.2007 (schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Kniegelenks und schwerer psychischer Erschöpfungszustand mit Einschränkung der Gehfähigkeit und der physisch-psychischen Belastbarkeit; GdB 70) sowie des Chefarztes der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Kreiskrankenhauses S., PD Dr. C., vom 13.12.2007 (leichte Konzentrationsstörungen, deutlich niedergedrückte Stimmung, deutliche Anhedonie, ausgeprägtes Belastungserleben, Gefühl der Überforderung und gleichzeitig der zu geringen körperlichen Auslastung mit dadurch hervorgerufener innerer Anspannung und Nervositätserleben, schmerzlich empfundene Einschränkung des hohen Engagements in allen Lebensbereichen; GdB vorsichtig geschätzt 10) ein.

Nachdem der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 09.04.2008 (insgesamt keine Abweichung von der bisherigen Beurteilung) vorgelegt hatte, erteilte das Sozialgericht dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. K. von Amts wegen den Auftrag zur Erstattung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Darauf wurde am 03.06.2008 eine Untersuchung und Befragung der Klägerin durchgeführt. Anschließend trug die Klägerin gegenüber dem Sozialgericht vor, sie sei nur von 10:30 Uhr bis 11:30 Uhr untersucht worden. Mit an den Sachverständigen gerichtetem Schreiben vom 04.06.2008 machte sie geltend, sie habe bei der Befragung nicht über die Art ihrer Schmerzen sowie die Zusammenhänge des Auftretens derselben berichten dürfen und mache sich Gedanken, ob eine Videoaufzeichnung ihrer Operation vom 01.04.2004 nicht Aufschlüsse über den Schaden am Knie geben könne; wahrscheinlich durch das Gehen auf den Zehenspitzen und der Ferse sei eine starke Schwellung im Knie mit dem üblichen Brennen aufgetreten. Im fachorthopädischen Gutachten von Dr. K. vom 09.06.2008 heißt es, bei der Klägerin liege ein chronisch rezidivierendes Thoracolumbalsyndrom bei Osteochondrose und Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie Wirbelsäulenfehlstatik, eine Coxarthrose Kellgren II beidseits, eine aktivierte Gonarthrose I nach Jäger und Wirth sowie ein Teilverlust des Innenmeniskus rechts und eine Senkspreizfußbildung, eine Mittelfußarthrose sowie ein Hallux valgus beidseits vor; den GdB für den Knorpelschaden sowie die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, das chronische Schmerzsyndrom und die Arthrosis deformans beider Hüftgelenke schätze er auf 20, ein GdB messbaren Grades für die Wirbelsäule sei nicht feststellbar. Mit Schreiben vom 12.06.2008 bot der Sachverständige der Klägerin die Berücksichtigung weiterer Angaben und die gutachterliche Beurteilung der Videodokumentation an.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht das Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin Dr. Z. vom 13.11.2008 ein. Darin ist ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Anpassungsstörung mit mittelschwerer depressiver Reaktion bei chronifiziertem Schmerzsyndrom und einem Teil-GdB von 30 vor; in der Gesamtschau gehe er von einem Gesamt-GdB von 50 aus. Im darüber hinaus auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. B. vom 10.05.2009 sind ein beginnendes Carpaltunnelsyndrom beidseits, eine Periarthrosis humeroscapularis beidseits, eine AC-Gelenksarthtrose beidseits, ein Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur beidseits, ein Impingementsyndrom an beiden Schultern (Teil-GdB 20), ein chronisches Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom, eine Osteochondrose und Spondylarthrose an der HWS, eine Bewegungseinschränkung der HWS, ein fixierter Rundrücken, ein chronisches LWS-Syndrom, eine Osteochondrose und Spondylarthrose an der LWS, ein lumbaler Wurzelreiz beidseits (Teil-GdB 20), eine Coxitis rechts, eine mäßige Coxarthrose rechts, eine leichte Coxarthrose links, eine Bursitis trochanterica rechts (Teil-GdB 20), ein chronisches Schmerzsyndrom rechtes Kniegelenk, ein Zustand nach subtotaler Innenmeniskusentfernung rechts, eine Chondromalazie des rechten Kniegelenks medial sowie eine minimale Retropatellararthrose rechts (Teil-GdB 20) vor. Unter Berücksichtigung eines Teil-GdB von 30 für die Depression betrage der Gesamt-GdB 60.

Das vom Beklagten unter Vorlage der versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. vom 25.08.2009 (Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, chronisches Schmerzsyndrom, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke [Teil-GdB 20], seelische Störung [Teil-GdB 20], Funktionsbehinderung der Schultergelenke beidseits, Mittelnervendruckschädigung beidseits - Carpaltunnelsyndrom - [Teil-GdB 10], Funktionsbehinderung der Wirbelsäule [Teil-GdB 10]; Gesamt-GdB 30 ab 12.01.2007) mit Schreiben vom 01.09.2009 unterbreitete Vergleichsangebot (GdB 30 ab 12.01.2007) lehnte der Kläger ab. In der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2009 erkannte der Beklagte einen bei der Klägerin seit Antragstellung vorliegenden GdB von 40 an und legte dem einen Teil-GdB von 30 für die seelische Beeinträchtigung, von 20 für die unteren Extremitäten, von 10 für die Schulter und ebenfalls von 10 für die Wirbelsäule zu Grunde. Dieses Teilanerkenntnis nahm die Klägerin an.

Die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage wies das Sozialgericht mit Urteil vom 18.12.2009 ab. Zur Begründung ist unter Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen und Maßstäbe für die Feststellung des GdB ausgeführt, bei der Klägerin liege kein höherer GdB als 40 vor. Auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehe kein Anhaltspunkt für einen GdB von mehr als 30; dies entspreche dem Gutachten von Dr. Z ... Orthopädischerseits liege ein Teil-GdB von 20 vor. Die Klägerin leide an einer aktivierten Gonarthrose I nach Jäger und Wirth sowie einem Teilverlust des Innenmeniskus rechts. Das Gericht schließe sich den überzeugenden Ausführungen von Dr. K. an, der den Teil-GdB für die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, das chronische Schmerzsyndrom und die Arthrosis deformans beider Hüftgelenke auf 20 schätze. Funktionseinschränkungen nach der Neutral-0-Methode habe Dr. K. nicht feststellen können. In die Bemessung des Teil-GdB gingen die Reizerscheinungen des Kniegelenks mit ein, auch sei die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke mit berücksichtigt. Im Bereich der Hüftgelenke habe Dr. K. keinen Funktionsverlust festgestellt. Die Wirbelsäulenschäden seien allenfalls mit einem den Gesamt-GdB nicht erhöhenden Teil-GdB von 10 in die Bewertung einzustellen, da nicht mindestens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vorlägen. Für die Funktionsbehinderung der Schultergelenk sowie für das beginnende Karpaltunnelsyndrom könne zusammenfassend noch ein die Höhe des Gesamt-GdB nicht beeinflussender Teil-GdB von 10 vergeben werden. Der von Dr. Z. und Dr. B. vorgenommenen Einschätzung des Gesamt-GdB schließe sich das Gericht nicht an. Welche orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen mit welchem Teil-GdB er bei seiner Bewertung des Gesamt-GdB mit 50 berücksichtige, gebe Dr. Z. nicht an. Die Einschätzung von Dr. B., für die Schulterbeschwerden, die Wirbelsäule und die Hüftbeschwerden sei jeweils ein Teil-GdB von 20 anzusetzen, sei nicht begründet. Diese Entscheidung wurde der Klägerin am 12.01.2010 zugestellt.

Am 21.01.2010 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, bei ihr lägen wenigstens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem bzw. zwei Wirbelsäulenabschnitten vor. Dies ergebe sich aus den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B ... Dieser habe sie im Vergleich zu Dr. K. weitaus sorgfältiger untersucht, wobei angesichts des Zeitablaufs zwischen den Untersuchungen auch eine Verschlechterung des Wirbelsäulensyndroms in Betracht zu ziehen sei. Unter Zugrundelegung der von Dr. B. vorgenommenen Einschätzung der Teil-GdB auf orthopädischen Fachgebiet und des zutreffend mit 30 bewertet werden Teil-GdB für die Depression ergebe sich ohne weiteres ein Gesamt-GdB von 50.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.12.2009 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 22.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2007 und des Teilanerkenntnisses vom 18.12.2009 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr ab 12.1.2007 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Konstanz sowie die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 22.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2007 und des Teilanerkenntnisses vom 18.12.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Denn sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 40. Dies hat das Sozialgericht im angegriffenen Urteil unter Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen und Maßstäbe für die Feststellung des GdB zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist insbesondere mit Blick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren Folgendes auszuführen: Die Funktionsbeeinträchtigung des Funktionssystems Arme (Funktionsbeeinträchtigung der Schultergelenke und beginnendes Carpaltunnelsyndrom) ist mit einem Teil-GdB von allenfalls 10 zu bewerten. Denn die insoweit maßgeblich in den Blick zu nehmende Schulterproblematik bedingt angesichts der von Dr. B. im Wesentlichen dokumentierten Normalbefunde mit leichter bis mäßiger Einschränkung lediglich der Rotation vor allem wegen der Belastbarkeitsminderung einen messbaren GdB (vgl. hierzu die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. vom 25.08.2009).

Die von Dr. B. mitgeteilte Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke betrifft allein die Rotation und ist als allenfalls geringgradige Funktionsbeeinträchtigung (vgl. Teil B Nr. 18.14 der VG) nicht geeignet, den für die Kniegelenksbeschwerden in Ansatz gebrachten Teil-GdB von 20 für das Funktionssystem Beine zu erhöhen. Die weitergehenden Beschwerden sind bereits im Rahmen des Teil-GdB von 30 für die seelische Beeinträchtigung (Anpassungsstörung mit mittelschwerer depressiver Reaktion bei chronifiziertem Schmerzsyndrom; vgl. hierzu das nach § 109 SGG erstattete Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin Dr. Z. vom 13.11.2008) berücksichtigt.

Die damit vorliegende seelische Beeinträchtigung mit einem Teil-GdB von 30 sowie die Funktionsbeeinträchtigung des Funktionssystems Beine mit einem Teil-GdB von 20 und des Funktionssystems Arme mit einem Teil-GdB von 10 ergibt bei einer Gesamtbetrachtung selbst unter Zugrundelegung der Einschätzung von Dr. B., die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin seien mit einem Teil-GdB 20 in die Bewertung einzustellen, keinen Gesamt-GdB als 50. Denn die leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 erhöhen den der Gesamtbeurteilung zu Grunde zu legenden Teil-GdB von 30 für die seelische Beeinträchtigung auch gemeinsam nur auf 40. Auf eine weitere wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen ist mit Blick auf die genannten leichten Funktionsbeeinträchtigungen sowie die Funktionsbeeinträchtigung der Schultergelenke nicht gerechtfertigt (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. d ee der VG). Dabei ist schließlich zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin bei der Gesamtwürdigung nicht - wie aber erforderlich (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. b der VG) - mit Gesundheitsschäden vergleichbar sind, für die in der Tabelle ein fester GdB-Wert von 50 angegeben und bei deren Vorliegen damit die Schwerbehinderung anzuerkennen ist. Denn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen ist nicht so erheblich ist wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung (vgl. zu diesen Beispielsfällen noch Nr. 19 Abs. 2 der AHP 2008).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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