L 6 VG 4983/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 VG 434/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 4983/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen von der Klägerin angegebenen multiplen sexuellen Missbrauchs und von ihr gleichfalls berichteten körperlichen Misshandlungen in ihrer Kindheit und Jugend.

Die im Jahre 1956 geborene Klägerin beantragte am 26.08.2004 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14.06.2006 und der Klägerin am 09.01.2007 zugegangenem Widerspruchsbescheid vom 27.12.2006 ab. Am 02.02.2007 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim Klage. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren sowie der vom Beklagten und vom Sozialgericht durchgeführten Ermittlungen wird auf das erstinstanzliche Urteil vom 31.07.2009 verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Mit dieser Entscheidung wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung ist ausgeführt, schon ein rechtswidriger tätlicher Angriff i. S. des § 1 Abs. 1 OEG sei nicht nachgewiesen. Die umfangreichen Ermittlungen des Beklagten und des Gerichts hätten den Vortrag der Klägerin, sie sei zwischen ihrem 7. und 18. Lebensjahr mehrmals und über einen längeren Zeitraum hinweg von verschiedenen Männern sexuell missbraucht worden, nicht mit Gewissheit bestätigen können. Die verfahrensrechtliche Beweiserleichterung des § 6 Abs. 3 OEG i. V. mit § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) führe nicht zu einem anderen Ergebnis, da die Schilderung des Missbrauchs durch die Klägerin nicht glaubhaft sei. Darauf, ob die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Opferentschädigung auch für vor Inkrafttreten des OEG begangene Taten vorlägen, komme es daher nicht an. Diese Entscheidung wurde der Klägerin am 30.09.2009 zugestellt.

Am 28.10.2009 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, ihre durch die ärztlichen Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung untermauerten Angaben zu den schädigenden Ereignissen seien der Entscheidung als glaubhaft zu Grunde zu legen. Dabei sei zu beachten, dass lediglich der Nachweis erbracht werden müsse, Opfer einer Tat i. S. des § 1 OEG geworden zu sein. Soweit ihre Schwester tätliche Angriffe nicht bestätigt habe, sei darauf hinzuweisen, dass diese ebenfalls Opfer geworden sei; in solchen Fällen sei eine psychische Verdrängung der Geschehnisse ein bekanntes Schutzverhalten. Auch sei von dem ihrerseits benannten Täter keine bestätigende Angabe zu erwarten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2009 sowie den Bescheid vom 14.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2006 aufzuheben und festzustellen, dass ihre psychischen Erkrankungen Folgen vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriffe i. S. des § 1 Abs. 1 OEG sind.

Der Beklagte beantragt unter Hinweis auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Mannheim sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, Schwerbehindertenakten des Landratsamts R. und Krankenakten des St. A.-Krankenhauses W. sowie des Niedersächsischen L. G. verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Klägerin erstrebt im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß den §§ 54 Abs. 1 und 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie des Bescheides vom 14.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2006 die Feststellung, dass ihre psychischen Erkrankungen Folgen vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriffe i. S. des § 1 Abs. 1 OEG sind. Eine Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen begehrt sie bei sachdienlicher Auslegung ihres Klage- und Berufungsbegehrens (§ 123 SGG) daneben nicht. Weder hat sie nämlich selbst konkrete Entschädigungsleistungen geltend gemacht noch hat der Beklagte über solche konkreten Leistungen entschieden, so dass eine Leistungsklage nicht statthaft wäre (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R, Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, Seite 162-165).

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Insbesondere lässt sich nämlich schon ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG nicht feststellen. Dies hat das Sozialgericht im Urteil vom 31.07.2009 in Bezug auf die von der Klägerin angegebenen sexuellen Missbrauchshandlungen bis zum Jahre 1974 ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Die Angaben der Klägerin zum sexuellem Missbrauch in ihrer Kindheit und Jugend sind nicht i. S. des § 6 Abs. 3 OEG i. V. mit § 15 Satz 1 KOV-VfG glaubhaft. Denn nach ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren will sie spätestens ab dem Alter von 7 und bis zum Alter von 20 Jahren bei unterschiedlichen Gelegenheiten z. T. über Zeiträume von mehreren Jahren hinweg von mindestens 8 verschiedenen Männern - beginnend mit dem Nachbarn T. (ab dem Alter 5, 6 oder 7 und bis zum Alter von 11 Jahren zweimal in der Woche [vgl. die Anlage zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung sowie die Anlage zum Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.02.2010 an den beschließenden Senat]) über den Schrebergartenbesitzer R. sowie weitere von ihrer Schwester und ihr besuchte Männer, darunter wohl ein Herr J., (ab dem Alter von 9 und bis zum Alter von 14 Jahren [vgl. die Anlage zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung, den Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.03.2005 an das Amt für soziale Angelegenheiten T. sowie die Anlage zum Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.02.2010 an den beschließenden Senat]), die Söhne der Nachbarfamilie J., D. und E., (ab dem Alter von ca. 11 Jahren ungefähr 2 Jahre lang [vgl. den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 23.03.2005 an das Amt für soziale Angelegenheiten T. sowie die Anlage zum Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.02.2010 an den beschließenden Senat]), den Bruder ihres Vaters, Ch. B., (nach dem 14. Lebensjahr zweimal [vgl. die Anlage zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung sowie das Schreiben der Klägerin vom 17.10.2004 und den Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.03.2005 jeweils an das Amt für soziale Angelegenheiten T.]), den Hausmeister der Sportschule (mit ca. 18 Jahren [vgl. die Anlage zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung sowie den Bericht der behandelnden Diplom-Psychologin B. vom 04.01.2007]) und schließlich von einem Fremden (im Alter von 20 Jahren [vgl. die Anlage zum Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.02.2010 an den beschließenden Senat]) - sowie darüber hinaus auch von ihrer Schwester (vgl. die Anlage zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung) wiederholt sexuell missbraucht worden sein.

Eine solche Massierung von sexuellen Übergriffen durch verschiedene Täter, in unterschiedlichen Situationen und über einen Zeitraum von rund 14 Jahren hinweg ist für sich allein schon ungewöhnlich. Darüber hinaus fällt - worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat - die Detailarmut der Angaben der Klägerin auf. Angesichts dessen spricht der Umstand, selbst die angeblich erlittenen Missbrauchshandlungen im Alter von ca. 18 und 20 Jahren von der Klägerin nicht polizeilich angezeigt wurden, gegen die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Hinzu kommt, dass beispielsweise ihre Angaben zu dem behaupteten sexuellen Missbrauch durch den Hausmeister der Sportschule in sich widersprüchlich sind. Zwar hat sie bereits im Rahmen ihrer vom 05.08. bis zum 04.12.1976 erfolgten stationären Behandlung im St. A.-Krankenhaus W. angegeben, der Hausmeister habe von ihr durch Drohungen sexuelle Gefälligkeiten erpresst (vgl. hierzu den Arztbrief von Dr. M. vom 27.12.1976 an den praktischen Arzt Dr. B.). Indes steht dies im Widerspruch zu ihrer Angabe im Rahmen der Behandlung durch die Diplom-Psychologin B., der Hausmeister habe sie mehrfach vergewaltigt (vgl. hierzu den bei den Krankenakten des St. A.-Krankenhauses W. befindlichen Bericht vom 04.01.2007). Darüber hinaus war im Rahmen der Antragstellung im vorliegenden Entschädigungsverfahren auch nicht von mehreren Taten des Hausmeisters die Rede. Vielmehr heißt es in der Anlage zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung sie sei wegen eines Defekts in der Küche zum Hausmeister geschickt worden, dessen Frau nicht zuhause gewesen sei und der sich an ihr vergangen habe; sie habe sich dann der Frau ihres Hausarztes anvertraut und auf deren Rat dem Hausmeister gesagt, dass sie ihn anzeige, wenn er dies noch einmal tue, worauf er sie in Ruhe gelassen habe. Hinzu kommt schließlich, dass in einem bei den Krankenakten des St. A.-Krankenhauses W. befindlichen, handschriftlich unter dem 03.10.1976 von der Klägerin verfassten Schreiben von einer durch den Hausmeister ihrer Arbeitsstelle "vor kurzem" begangenen Tat die Rede ist, obschon die Klägerin zu jener Zeit bereits 20 Jahre alt war und der angebliche sexuelle Missbrauch nach ihrem übrigen Vorbringen im Alter von 18 Jahren stattgefunden haben soll. In zentralen Punkten widersprüchlich sind auch die Berichte der Klägerin über Übergriffe von zwei Söhnen der Nachbarn, die sich einerseits in einem Zimmer in der Wohnung der Nachbarfamilie abgespielt haben sollen (vgl. die Anlage zum Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 03.02.2010 an den beschließenden Senat), während andererseits in dem von der Klägerin unter dem 13.01.2000 im Rahmen einer Behandlung im Psychiatrischen Zentrum N. handschriftlich verfassten Schreiben im Kontext sexueller Übergriffe davon die Rede ist, sie habe mit den Nachbarjungen immer ins Feld gehen müssen und sei andernfalls verprügelt worden.

Anhaltspunkte für von der Klägerin behauptete sonstige körperliche Übergriffe bzw. Misshandlungen liegen nicht vor.

Soweit die Klägerin die Glaubhaftigkeit von sexuelle bzw. körperliche Übergriffe verneinenden Angaben Dritter in Zweifel zu ziehen sucht, vermag dies ihr Vorbringen nicht glaubhaft zu machen. Denn entsprechende Zweifel schlössen allenfalls eine Überzeugung des Gerichts von der Unwahrheit der von ihr gemachten Angaben zu den entsprechenden Angriffen aus.

Auch die ärztliche Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung vermag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn diese Beurteilung beruht im Wesentlichen auf dem ärztlicherseits als wahr unterstellten (vgl. hierzu die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Entlassungsberichte der W.-Klinik, Bad W., und der Diplom-Psychologin B.), aber - wie ausgeführt - nicht glaubhaften Vorbringen der Klägerin, für das auch keine sonstigen objektiven Nachweise bestehen. Anlass für weitere Ermittlungen, insbesondere für eine von der Klägerin beantragte fachpsychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben besteht angesichts der angeführten, in ihrer Gesamtheit nicht auflösbaren Widersprüche der behaupteten sexuellen Übergriffe sowohl im Kindes- als auch im Jugendalter nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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