S 14 KA 60/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 60/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass die Aufnahme des Arzneimittels Actonel® 30 in der Liste patentgeschützter Analogpräparate durch die Beklagte im Zusammenhang mit ihrer Arzneimittelvereinbarung 2006, in der sogenannten Me-too-Liste für 2006, rechtswidrig war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt von den Kosten des Verfahrens 5/6, die Beklagte 1/6.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Führung des von ihr vertriebenen Fertigarzneimittels Actonel® 5/35 in der von der Beklagten veröffentlichten sog. "Me-too-Liste. Ferner begehrt sie die Feststellung, dass die Aufnahme des Arzneimittels Actonel® 30 in die Me-too-Liste für das Jahr 2006 rechtswidrig war.

Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen und vertreibt u.a. die Präparate Actonel® einmal wöchentlich 35 mg Filmtabletten (Actonel® 5/35) und Actonel® 30 mit dem Hauptwirkstoff Risedronsäure. Anwendungsgebiete für Actonel® 5/35 sind die Behandlung der postmenopausalen Osteoporose, zur Verringerung des Risikos für Wirbelkörperfrakturen und die Behandlung der manifesten postmenopausalen Osteoporose, zur Verringerung des Risikos für Hüftfrakturen. Das Arzneimittel Actonel® 30 ist hingegen allein für die Behandlung des Morbus Paget (Ostitis deformans) zugelassen. Der Wirkstoff Risedronsäure gehört zu der Arzneimittelgruppe der Bisphosphonate.

In der am 21.11.2005 von der Beklagten und den Krankenkassen geschlossenen "Vereinbarung über das Arznei- und Verbandmittelausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2006" (Rhein. Ärzteblatt 1/2006, 82ff) waren erstmals u.a. konkrete Zielvereinbarungen geregelt worden, welche sich auf den Brutto-Generikaumsatz am generikafähigen Markt sowie den von dem jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteil der Me-too-Präparate ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren Kosten, am Gesamtmarkt bezogen. Für die einzelnen Arztgruppen sind unterschiedliche Zielwerte bestimmt worden. Für den Fall der Überschreitung des festgelegten Ausgabevolumens sowie der Überschreitung der individuellen Richtgröße und Nichterreichens einer der für die Generika- oder Me-too-Quote genannten Zielwerte sah § 7 Abs. 2 der Vereinbarung vor, dass die nordrheinischen Krankenkassen/-verbände gegenüber den einzelnen Vertragsärzten jeweils einen Zielerreichungsbetrag in Höhe von vier Prozent des für das Kalenderjahr 2006 für den jeweiligen Vertragsarzt anerkannten GKV-Gesamthonorars erhalten. Für die Folgejahre seit 2006 sind entsprechende Vereinbarungen geschlossen worden (Vereinbarungen vom 06.11.2006 – Rhein. Ärzteblatt 1/2007, S. 73ff – (2007), vom 29.10.2007 – Rhein. Ärzteblatt 12/2007, S. 89ff – (2008), vom 01.10.2008 – Rhein. Ärzteblatt 1/2009, S. 80ff – (2009) und vom 23.10.2009 – Rhein. Ärzteblatt 1/2010, S. 58ff – (2010)). Im Unterschied zur Vorjahresregelung enthielt die Vereinbarung für das Jahr 2007 eine Bonusregelung für den Fall der Unterschreitung des festgelegten Arzneiausgabenvolumens. Ferner entstand der Anspruch auf den Zielerreichungsbeitrag – unter Beachtung der sonstigen Voraussetzungen – unabhängig davon, ob das Ausgabenvolumen überschritten worden ist. Die Vereinbarungen seit dem Jahre 2008 sehen eine individuelle Verantwortlichkeit des Vertragsarztes vor, wenn er das jeweilige Richtgrößenvolumen überschritten und den nach § 4 vereinbarten Zielwert für Me-too-Präparate nicht erreicht hat.

In der Folge dieser Vereinbarungen veröffentlicht die Beklagte seit 2006 jährlich eine Liste patentgeschützter Analogpräparate (sog. Me-too-Liste) auf ihrer Internet-Website. In dieser ist seit 2006 auch das streitige Präparat der Klägerin Actonel® 5/35 geführt. Ferner war ausschließlich im Jahr 2006 auch das Präparat der Klägerin Actonel® 30 in der Liste aufgeführt.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 16.03.2007 erhobenen Klage. Sie trägt im Wesentlichen vor, dass die Beklagte mit dem Erlass der Me-too-Liste und ihren sonstigen Arzneimittelinformationen zu Actonel® in ihre durch Art. 12 GG geschützten Grundrechte eingreife. Der Grundrechtseingriff wäre bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn zwar die Informationstätigkeit als solche für zulässig erachtet würde, die Informationen jedoch inhaltlich falsch wären. Darüber hinaus fehle eine Ermächtigungsgrundlage, welche die Beklagte zu dem streitbefangenen Handeln berechtige. Diese ergebe sich insbesondere nicht aus den §§ 73 Abs. 8, 84 Abs. 1, 75 Abs. 1 und 12 SGB V. § 73 Abs. 8 SGB V könne bereits deshalb keine Ermächtigungsgrundlage sein, weil diese Vorschrift lediglich ein Informationsrecht zu "Indikationen und therapeutischen Nutzen" gewähre, diese Informationen durch die streitbefangene Me-too-Liste aber nicht vermittelt würden. § 84 Abs. 1 SGB V müsse im Kontext mit § 84 Abs. 7 Satz 1 SGB V gewürdigt werden, der auf § 73 Abs. 8 SGB V verweise. Der Gesetzgeber habe daher Informationsweg und –inhalt vorgegeben, weswegen es daneben kein Raum für ein aus § 84 Abs. 1 SGB V resultierendes eigenständiges Informationsrecht gebe. Gleiches gelte für den in den §§ 75 Abs. 1, 12 SGB V normierten Sicherstellungsauftrag. Auch hier gelte der Spezialitätsgrundsatz. Der Gesetzgeber habe die Informationstätigkeit der öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Bereich der GKV in den §§ 73 Abs. 8, 305 SGB V abschließend geregelt. Die von der Beklagten veröffentlichte Liste verstoße ferner gegen die Transparenzrichtlinie 89/105/EWG. Darüber hinaus sei die Einstufung von Actonel® als Me-too-Präparat fehlerhaft. Die Einstufung nach Fricke/Klaus berücksichtige lediglich den Innovationsgrad neuer Arzneimittel unter pharmakologisch-therapeutischen Gesichtspunkten, also nicht unter klinisch-medizinischen Gesichtspunkten. Zudem erfolge die Bewertung nur einmalig zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung und vor dem Hintergrund der dann vorherrschenden Marktsituation. Eine Aktualisierung finde nicht statt. Im Übrigen seien die Bewertungen nach Fricke/Klaus in der Fachwelt auch nicht unumstritten. Eine Austauschbarkeit zwischen Risedronsäure und Alendronsäure sei nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse gerade nicht möglich. Die Wirkstoffe besäßen vielmehr jeweils Eigenständigkeit. Hierzu nimmt sie insbesondere Bezug auf Ausführungen der Leitlinie zur Osteoporose des Dachverbands deutschsprachiger wissenschaftlicher Gesellschaften für Osteologie aus dem Jahre 2006 (DVO-Leitlinie), eine vergleichende Beurteilung zwischen Risedronsäure und Alendronsäure seitens des Dachverbandes (Q) sowie ein Kurzgutachten von T1-A. Risedronsäure sei kein Analogpräparat zu Alendronsäure, denn es weise sowohl chemische als auch pharmakologische Unterschiede auf, die zudem erhebliche therapeutische Relevanz hätten.

Die Klägerin beantragt,

1. der Beklagten zu untersagen, im Zusammenhang mit ihrer Arzneimittelvereinbarung 2010 in ihrer Liste patentgeschützter Analogpräparate das Arzneimittel Actonel® 5/35 mit dem Wirkstoff Risedronsäure aufzuführen und die Liste in dieser Form ihren Vertragsärzten in Schriftform oder auf ihrem Internet-Angebot zugänglich zu machen; 2. der Beklagten ferner zu untersagen, das Arzneimittel Actonel® 5/35 als Analogpräparat ohne relevanten therapeutischen Mehrnutzen, aber mit höheren Kosten zu bezeichnen; 3. die Beklagte zu verpflichten, alle ihre Vertragsärzte über die Herausnahme von Actonel® 5/35 aus der Liste zu unterrichten; 4. die Rechtswidrigkeit der Aufnahme der Arzneimittel Actonel® 5/35 und Actonel® 30 in der Liste patentgeschützter Analogpräparate durch die Beklagte im Zusammenhang mit ihren Arzneimittelvereinbarungen 2006 bis 2009 festzustellen, bezogen auf Actonel® 30 gilt dies nur für das Jahr 2006.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stützt sich im Wesentlichen auf den Beschluss des LSG NRW vom 14.12.2006 im Verfahren L 10 B 21/06 KA ER -. Danach stelle § 84 Abs. 1 SGB V eine Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Beklagten dar. Die von der Klägerin in Bezug genommene Transparenzrichtlinie 89/105/EWG habe vorliegend keine Relevanz, weil die in Rede stehende Me-too-Liste gerade keine Negativliste sei. Hinsichtlich der Einstufung von Actonel® als Me-too-Präparat verweist sie auf eine von ihr zu den Gerichtsakten gereichte Stellungnahme des T2, Leiter des Pharmakologischen Instituts der S-L-Universität I, vom 11.05.2007.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist hinsichtlich des Feststellungsbegehrens für das Präparat Actonel® 30 bezogen auf das Jahr 2006 begründet, im Übrigen (Actonel® 5/35) jedoch unbegründet.

Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Abwehranspruch ist § 1004 BGB analog in Verbindung mit Art. 12, 14 GG. § 1004 BGB schützt nach seinem Wortlaut zwar unmittelbar nur das Eigentum. Diese Vorschrift wird aber entsprechend auf die anderen absoluten Rechte, zu denen auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zählt, angewandt (Palandt, BGB, Kommentar 69. Auflage 2010, § 1004 Rz. 4). Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb umfasst alles was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Betriebes ausmacht, also Bestand, Erscheinungsform, Tätigkeitskreis, Kundenstamm (BGH, Der Betrieb, 71, S. 571ff). Nach der Rechtsprechung schützt es auch vor geschäftsschädigender Kritik, etwa durch vergleichenden Warentest oder Preisvergleich außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses, wenn die Art dieser Kritik zu missbilligen ist (BGHZ 45, S. 296ff). Art. 12 GG sichert Unternehmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen, er umfasst keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten. Art. 12 GG schützt die Marktteilnehmer nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt. Die inhaltliche Richtigkeit einer wettbewerbsrechtlichen Information ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert (BVerfG Beschluss vom 26.06.2002 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 BVerfGE 105, 252ff).

Die Klägerin könnte insoweit geltend machen, durch die angegriffenen Maßnahmen in ihren Chancen auf gleichberechtigten Zugang zum Markt der in der GKV eingesetzten Arzneimittel beeinträchtigt zu sein, sofern es für das Handeln der Beklagten keine Rechtsgrundlage gibt bzw. ihre Qualifizierung des Präparates Actonel® 5/35 als Me-too-Präparat im Sinne der Arzneimittelvereinbarung unzutreffend ist (vgl. LSG NRW Beschluss vom 27.06.2006 - L 11 B 31/06 KA ER -). Die Me-too-Liste stellt nicht lediglich eine reine markt-relevante Information für die Vertragsärzte bereit und darf nicht isoliert für sich allein gesehen werden. Sie ist in Verbindung mit den Arzneimittelvereinbarungen vielmehr ein Instrument gezielter staatlicher Verhaltenslenkung (vgl. HessLSG, Beschluss vom 20.10.2006 – L 4 KA 58/06 ER –). Die Arzneimittelvereinbarungen geben der Beklagten spezifische Informationspflichten gegenüber ihren Mitgliedern auf, nämlich deren Unterrichtung über den Abschluss und die Bedeutung dieser Vereinbarung sowie die Notwendigkeit der Veränderung des Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte in Nordrhein, weiterhin gezielte Informationen an Vertragsärzte über die therapeutische Bewertung einzelner Arzneimittel und zur Substitution bestimmter Arzneimittelgruppen durch andere Arzneimittel (§ 5 Abs. 2). Diese Informationspflichten dienen ebenso wie der Honorarabzug beim einzelnen Arzt bei Überschreitung seines Richtgrößenvolumens und Nichteinhalten der Zielwerte dazu, das Erreichen der vereinbarten Ziele sicherzustellen. Dass die Me-too-Liste auch tatsächlich steuernde Funktion entfaltet, zeigen die Abrechnungsergebnisse. So war der Umsatzanteil von Me-too-Präparaten in Nordrhein im Jahre 2006 gegenüber dem Vorjahr auf 13,5 Prozent gesunken, während er im Bundesdurchschnitt unverändert bei 15 Prozent lag (http://www.kvno.de/downloads/newsletter/ticker/ticker14 06.pdf).

Die Voraussetzungen für einen Abwehranspruch hinsichtlich des Präparats Actonel® 5/35 liegen nach Auffassung der Kammer indessen nicht vor.

Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung der Liste ist § 84 Abs. 1 SGB V. Die Kammer verweist insofern auf die Ausführungen des LSG NRW im Beschluss vom 14.12.2006 – L 10 B 21/06 KA ER –. Darin hat das LSG NRW wie folgt ausgeführt: "Rechtsgrundlage der Veröffentlichung der Liste ist § 84 Abs. 1 SGB V. Danach hat die Antragsgegnerin mit den Beigeladenen eine Arzneimittelvereinbarung zu treffen, die neben einem Ausgabenvolumen für Arzneimittel auch Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und konkrete, auf die Umsätze dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, insbesondere zur Information und Beratung enthalten soll. In Erfüllung dieses gesetzlichen Auftrags hat die Antragsgegnerin zum einen Wirtschaftlichkeits- und Versorgungsziele (§ 4 Abs. 2 der Vereinbarung) vereinbart und sich zum anderen in § 5 Abs. 2 sowohl zu einer allgemeinen Unterrichtung der Ärzte über die Vereinbarung und die Notwendigkeit einer Änderung des Verordnungsverhaltens als auch einer gezielten Information über die therapeutische Bewertung einzelner Arzneimittel verpflichtet. Dem dienen die angegriffenen Maßnahmen, insbesondere die Veröffentlichung der Me-too-Liste. Das BSG hat die Ermächtigung des Bundesausschusses zum Erlass von Richtlinien für eine wirtschaftliche Verordnung (§ 92 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 6 SGB V) für ausreichend gehalten, um zur Konkretisierung des den Vertragsarzt unmittelbar bindenden Wirtschaftlichkeitsgebotes Therapiehinweise zu erlassen (BSG vom 31.08.2006 - B 6 KA 13/05 R -). Auch die Vorgaben des § 84 Abs. 1 SGB V dienen der Einhaltung und Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots. Bei der Neufassung des § 84 Abs. 1 SGB V durch das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz (ABAG) hat der Gesetzgeber ausdrücklich gefordert, Wirtschaftlichkeitsziele hinsichtlich der bevorzugten Verordnung von Generika und Analogpräparaten zu vereinbaren (BT-Drucksache 14/6309, 7). Somit stellt § 84 Abs. 1 SGB V eine ausreichende Rechtsgrundlage für die zur Umsetzung der hier getroffenen Arzneimittelvereinbarung dienenden Maßnahmen der Antragsgegnerin dar (vgl. auch Beschluss des LSG NRW vom 27.06.2006 - L 11 B 31/06 KA ER - sowie Senatsbeschlüsse vom 09.08.2006 - L 10 B 6/06 KA ER - und 15.11.2006 - L 10 B 14/06 KA ER -). Der abweichenden Auffassung der Antragstellerin folgt der Senat nicht. Zutreffend ist zwar, dass die Veröffentlichung der Me-too-Liste nicht auf § 73 Abs. 8 SGB V gestützt werden kann, denn dessen Voraussetzungen sind ersichtlich nicht erfüllt. Indessen sieht der Senat in § 84 Abs. 1 SGB V eine eigenständige und von § 73 Abs. 8 SGB V zu trennende Ermächtigungsgrundlage. Aus der Gesetzesbegründung zu § 84 SGB V folgt, dass die auf Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele ausgerichteten Maßnahmen auch Informationen der Vertragsärzte umfassen (BT-Drs. 14/6309). Im Gesetzeswortlaut hat diese Vorstellung ihren Niederschlag gefunden. Darin wird den Vertragspartnern ausdrücklich vorgegeben, dass die Vereinbarung auch Maßnahmen zur Information enthalten muss. Hierbei handelt es sich um ein aliud zu den in § 73 Abs. 8 SGB V geregelten Informationsmechanismen, da § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V sonst schlicht überflüssig wäre. Das kann angesichts der Gesetzbegründung (vgl. oben) nicht angenommen werden. Im Übrigen ist § 73 Abs. 8 SGB V dem Ersten Titel des Zweiten Abschnitts des Vierten Kapitels des SGB V zugeordnet. Hierin finden sich die gesetzlichen Grundlagen für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung (§§ 72-76 a SGB V). Demgegenüber unterfällt § 84 SGB V dem Dritten Titel - Verträge auf Bundes- und Landesebene. Gesetzgebungstechnisch folgerichtig stellt deshalb § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V nicht nur eine Ermächtigungsgrundlage für arztbezogene Informationen dar. Der Gesetzgeber hat den Vertragsparteien vielmehr bindend den Vertragsinhalt vorgegeben, nämlich konkrete Maßnahmen zur Umsetzung von Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitszielen, insbesondere zwecks Information, zu vereinbaren. Damit steht § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V in einem ganz anderen Zusammenhang als die nicht abschließende Regelung des § 73 Abs. 8 SGB V und stellt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für § 4 (Zielvereinbarung) und § 5 (Maßnahmen zur Zielerreichung) der Arzneimittelvereinbarung dar. Dies wiederum bedeutet, dass die auf § 5 Abs. 2 dieses Vertragswerks beruhende Informationspflicht der Antragsgegnerin auf § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V als hinreichende Ermächtigungsgrundlage zurückzuführen ist." (Zitat Ende). Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer - auch in Anbetracht der Ausführungen der Klägerin im hiesigen Hauptsacheverfahren - nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollumfänglich an.

Der streitigen Me-Too-Liste stehen ferner weder § 35 b SGB V noch die EG-Richtlinie 89/105/EWG entgegen.

§ 35 b SGB V regelt Einzelheiten zu den Aufgaben des nach § 139 a Abs. 1 SGB V errichteten Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bezüglich der Bewertung des Nutzens oder des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von Arzneimitteln. Die Einführung eines Verfahrens mit transparenten Bewertungskriterien sowie Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten beruht darauf, dass die Empfehlungen des IQWiG die fachliche Grundlage für Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V bilden. Die vom G-BA in den Arzneimittel-Richtlinien vorgenommenen Bewertungen entfalten im Verhältnis zu Krankenkassen, Ärzten und Versicherten gleichermaßen rechtliche Wirkung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 9). Deswegen ist es konsequent, dass der Gesetzgeber eine besondere Regelung für das Verfahren in § 35 b SGB V getroffen hat. Dabei handelt es sich jedoch um gänzlich andere Regelungsbereiche als um den hier gegenständlichen gesetzlichen Auftrag aus § 84 Abs. 1 SGB V (vgl. im Einzelnen LSG NRW, Beschluss vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER - unter Hinweis auf BT-Drucksache 15/1525, S. 88). Zudem kommt in § 139 a Abs. 3 erster Halbsatz SGB V zum Ausdruck, dass das IQWiG zu "Fragen von grundsätzlicher Bedeutung" für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der GKV erbrachten Leistungen tätig wird. Aus der Verwendung des Begriffs "grundsätzliche Bedeutung" folgt aber zwanglos, dass es daneben auch andere Formen der Beantwortung von Fragen der Qualität und Wirtschaftlichkeit im Bereich der GKV geben muss. Aus der gesetzlichen Systematik muss daher jedenfalls hergeleitet werden, dass dem IQWiG von Gesetzes wegen eine Monopolstellung nicht zugedacht ist (vgl. im Einzelnen BayerLSG, Beschlüsse vom 28.02.2007 - L 12 B 450/06 KA ER - und vom 19.11.2007 - L 12 B 475/06 KA ER – sowie SG Düsseldorf Urteil vom 23.04.2008 – S 2 KA 76/07 – rechtskräftig).

Die von der Klägerin zitierte Transparenzrichtlinie 89/105/EWG steht der von der Beklagten veröffentlichten Me-too-Liste ebenfalls nicht entgegen. Als maßgebliche Regelung käme allein Art. 7 der Richtlinie in Betracht, welcher Vorgaben für den Erlass von Negativlisten enthält. Danach müssen die unter Ziffer 1 bis 4 bestimmten Vorgaben eingehalten werden, soweit die zuständigen Behörden eines Mitgliedsstaates ermächtigt sind, Entscheidungen zu treffen, durch die bestimmte Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien von ihrem staatlichen Krankenversicherungssystem ausgeschlossen werden (Negativlisten). Nach Ziffer 3 muss eine Entscheidung, ein einzelnes Arzneimittel von dem staatlichen Krankenversicherungssystem auszuschließen, eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten. Die EG-Richtlinie 89/105/EWG ist vorliegend jedoch bereits deshalb nicht tangiert, weil es sich bei der Me-too-Liste um keine Negativliste im vorgenannten Sinne handelt. In den Arzneimittelvereinbarungen sind für im Einzelnen benannte Arztgruppen Zielwerte sowohl für die Verordnung von Generika als auch von Me-too-Präparaten enthalten. Diese sind jeweils mit für die einzelnen Arztgruppen abweichenden Quoten belegt. Durch die vorgegebenen Quoten wird eine wirtschaftliche Steuerung des Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte bezweckt. Sie schließen hingegen gerade nicht aus, dass Arzneimittel, die als Me-too-Präparat gelten, zu Lasten der GKV verordnet werden können. Ein vollständiger Ausschluss aus der Leistungspflicht der GKV ist weder ausdrücklich geregelt noch offensichtlich beabsichtigt. Insofern unterscheidet sich der vorgenannte Sachverhalt von demjenigen, der dem Urteil des EuGH vom 26.10.2006 – C-317/05 - zugrunde lag. Darin waren die Richtlinien des G-BA nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V betroffen, mit welchen er festzulegen hat, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Streitgegenstand war mithin eine Positivliste für nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel, die ansonsten von der Leistungspflicht der GKV nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgeschlossen sind. Um eine solche – positive oder negativ – Liste handelt es sich bei der Me-too-Liste nicht.

Die Bewertung von Actonel® 5/35 als Me-too-Präparat im Sinne der Me-too-Liste ist auch zutreffend. Die Me-too-Liste 2010 (Stand 15.07.2010) ist mit folgender Vorbemerkung überschrieben: "Als patentgeschützte Analogpräparate (Me too Präparate) werden alle Arzneimittel bezeichnet, für die Patentschutz in irgendeiner Form (z.B. Wirkstoff-, Herstellungs-, Verwertungs-, Unterlagenschutz usw.) besteht und für die keine Generika mit gleichartigen Wirkstoffen verfügbar sind. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Arzneimittel nach den Kriterien von Fricke und Klaus als Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten klassifiziert wurden bzw. klassifizierbar sind, oder Analogpräparate ohne wesentlichen therapeutischen Zusatznutzen gegenüber bereits verfügbaren Arzneimitteln gleicher Indikation sind, wenn sie auf Grund der chemischen Struktur als neuartig oder als Veränderung bekannter Wirkprinzipien bezeichnet werden können. Darüber hinaus ist Voraussetzung für die Aufnahme in die vorliegende Aufstellung, dass der Patentschutz am 15. November 2009 noch nicht abgelaufen war, die Arzneimittel am 15. November 2009 im Handel waren und dass ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Arzneimittel für die Hauptindikation mit günstigeren Tagestherapiekosten für die verordnungshäufigste Packungsgröße als Substitution verfügbar war. Wenn keine Daten über die verordnungshäufigste Packung verfügbar waren, wurde ersatzweise die größte Normpackung in einer mittleren therapeutischen Wirkstärke zur Auswahl eines pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimittels für die Hauptindikation mit günstigeren Tagestherapiekosten zu Grunde gelegt." Damit gehen die Erläuterungen für die Me-too-Liste weiter als die in der Arzneimittelvereinbarung 2010 enthaltene Definition, die sich auf "Me-too-Präparate ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren Kosten" beschränkt. Das ist nach Auffassung der Kammer jedoch deshalb unbedenklich, weil die Vorbemerkung zur Me-too-Liste lediglich in Ergänzung zu der knapp gehaltenen Definition in der Arzneimitttelvereinbarung ergangen ist und damit für die erforderliche Transparenz hinsichtlich der Voraussetzungen sorgt, die dazu führen, dass ein Arzneimittel auf der Me-too-Liste geführt wird. Dabei gilt die Einordnung von Medikamenten als Me-too-Präparat als ausreichend bestimmt. Bei dem Begriff des Me-too-Präparates handelt es sich um einen seit Anfang der achtziger Jahre eingeführten Begriff, der nicht nur dem seit Jahren erscheinenden Arzneiverordnungsreport, sondern auch den nach § 84 Abs. 5 Satz 4 SGB V erstellten GAmSi zugrunde liegt. Für die interessierten Kreise ist die Einstufung ausreichend transparent (vgl. LSG NRW Beschluss vom 27.06.2006 – L 11 B 31/06 KA ER –; LSG NRW Beschluss vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER -). Darüber hinaus ist zu beachten, dass nicht allein die Einstufung als Me-too-Präparat zur Aufnahme des Arzneimittels in die Me-too-Liste führt. Der in der Arzneimittelvereinbarung verwendete Zusatz "aber mit höheren Kosten" stellt keinen notwendigen Bestandteil des Begriffs "Me-too" dar. Analogpräparate sind keineswegs immer teurer als bereits am Markt vorhandene Arzneimittel; sie können sogar dazu beitragen, Wirtschaftlichkeitsreserven bei den Arzneiausgaben zu mobilisieren (vgl. LSG NRW a.a.O.). Insofern wird auch in der Vorbemerkung zur Me-too-Liste nicht allein auf die Einstufung als patentgeschütztes Analogpräparat abgestellt, sondern vielmehr als weitere Voraussetzung verlangt, dass ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Arzneimittel für die Hauptindikation mit günstigeren Tagestherapiekosten für die verordnungshäufigste Packungsgröße als Substitution verfügbar war.

Der Vorbemerkung der Me-too-Liste entsprechend wird das Arzneimittel Actonel® 5/35 zu Recht auf der Me-too-Liste 2010 geführt. Nach den Ausführungen von T2 in seiner Stellungnahme vom 11.05.2007 wurde der Wirkstoff Risedronsäure nach der Markteinführung von Actonel® im Jahre 2000 als Analogpräparat mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Fertigarzneimitteln klassifiziert. Er verweist insoweit auf Fricke/Klaus, Neue Arzneimittel, Fakten und Bewertungen von 2000 bis 2003 zugelassenen Arzneimitteln. Band 15. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2006, Seit 560-575. Diese hatten im Jahre 1982 ein Klassifikationsschema zur Bewertung des Innovationsgrades von Arzneimitteln wie folgt entwickelt:

A. Neuartige Wirkstoffe oder neuartige Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz; B. Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien; C. Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten; D. eingeschränkter therapeutischer Wert bzw. nicht ausreichend gesicherte Therapieprinzipien.

Nach diesem Schema erfolgte eine Klassifikation von Actonel® in die Stufe C. Soweit die Klägerin einwendet, dass die Klassifikation allein auf Kenntnis der Datenlage bei Markteinführung basiert und fortlaufend nicht mehr aktualisiert wird, ist dies zwar zutreffend. Allerdings ergeben sich nach Auswertung der von der Klägerin überreichten Unterlagen und der Ausführungen des T2 keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Bewertung heute als überholt anzusehen wäre.

Risedronsäure gehört zur Arzneimittelgruppe der sog. Bisphosphonate. Bisphosphonate sind chemische Verbindungen, die über zwei Phosphonat-Gruppen verfügen. Sie gehören einer Medikamentengruppe an, die in den letzten 30 Jahren für diagnostische und therapeutische Zwecke bei Knochen- und Kaliumstoffwechselkrankheiten entwickelt wurde. In Deutschland sind derzeit folgende Bisphosphonate zugelassen: Alendronsäure, Clodronat, Etidronat, Pamidronat, Risedronat, Tiludronat und Zoledronat (entnommen: http://de.wikipedia.org/wiki/Bisphosphonate). Die erwünschte Wirkung der Bisphosphonate wird über eine Hemmung der Knochenresorption durch Osteoklasten erzielt. Die Medikamente binden an Knochenoberflächen, insbesondere in aktiven Umbauzonen. Resorbieren Osteoklasten den mit Bisphosphonat "imprägnierten" Knochen, beeinträchtigen die Medikamente ihre Fähigkeit, einen Bürstenstamm zur Adhäsion am Knochen auszubilden und Protonen für den eigentlichen Resorptionsvorgang zu produzieren. Abhängig von ihrer Molekülstruktur unterscheiden sich Bisphosphonate in ihrer Potenz. Alendronat, Ibandronat und Risedronat gehören zu den potenten Aminobisphosphonaten, Etidronat zu den weniger potenten einfachen Bisphosphonaten. Allen Bisphosponaten ist gemeinsam, dass sie nach oraler Gabe sehr schlecht resorbiert werden (ca. 5% der applizierten Dosis). Daher müssen die Medikamente unbedingt auf leerem Magen eingenommen werden, mit reichlich Wasser und mindestens 30 Minuten vor der ersten Mahlzeit (entnommen: http://www.iqwig.de/download/D07-01 Vorbericht Osteodensitometrie bei primaerer und sekundaerer Osteoporose.pdf; S. 10).

Nach den Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 7 SGB V - Arzneimittel - für das Jahr 2010, welche der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am 30.09.2009 für das Jahr 2010 vereinbart haben, stellt Alendronsäure die Leitsubstanz für die Arzneimittelgruppe der Bisphosphonate zur Behandlung der Osteoporose dar. Die Festlegung von Leitsubstanzen dient als Maßnahme zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven bei verordnungsstarken Anwendungsgebieten. Soweit eingewandt wird, dass Risedronsäure allein deshalb schon keine Leitsubstanz sein kann, weil der Patentschutz noch nicht abgelaufen ist und deshalb preisgünstigere Generika nicht zur Verfügung stehen, mag das zwar zutreffen. Es ändert aber nichts an dem Umstand, dass Alendronsäure in Bezug zu den anderen Bisphosphonaten, die nicht mehr sämtlich dem Patentschutz unterliegen, und auch in Bezug auf das betroffene Anwendungsgebiet als führend angesehen wird.

Aus der DVO-Leitlinie 2009 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Erwachsenen (siehe: http://www.dv-osteologie.org/uploads/leitlinien/DVO-Leitlinie%202009%20Langfassung Druck.pdf) lässt sich nach Auffassung der Kammer nicht entnehmen, dass Risedronsäure gegenüber Alendronsäure einen messbaren therapeutischen Mehrwert besitzt. Unter 10.4.1 der Leitlinie sind Präparate benannt, deren fraktursenkende Wirkung am besten belegt ist. Danach sind die in Bezug auf eine Fraktursenkung am besten belegten medikamentösen Therapieoptionen bei der postmenopausalen Frau B, Ibandronat, Östrogene, Teriparatid, Parathyroidhormon, Raloxifen, Risedronat, Strontiumranelat und Zoledronat. Für alle genannten Präparate ist eine Verminderung von Wirbelkörperfrakturen über 3 Jahre in ähnlichem Umfang nachgewiesen worden. Für einzelne Präparate gibt es Hinweise für eine fraktursenkende Wirkung auch über diesen Zeitraum hinaus, die Studienqualität erlaubt hier aber keine verlässlichen Aussagen zur Langzeiteffektivität der Fraktursenkung. Für Alendronat und u.a. auch Risedronat ist auch eine Verminderung peripherer Frakturen nachgewiesen. Hinsichtlich der Differenzialtherapie zu Punkt 10.4.3 wird in der Leitlinie zwar ausgeführt, dass die einzelnen Präparate Unterschiede bezüglich der Art der Wirkung und der Pharmakokinetik zeigen und auch unterschiedlich gut bezüglich der Wirkung auf verschiedene Frakturarten und der langfristigen Fraktursenkung bei kontinuierlicher oder diskontinuierlicher Einnahme belegt sind. Weitergehend wird aber festgestellt, dass eine generelle oder bei bestimmten Patientenuntergruppen vorhandene Überlegenheit eines bestimmten Medikaments in Hinblick auf eine Fraktursenkung nicht belegt sei, insbesondere deshalb, weil eine Vergleichbarkeit der Studienkollektive in Bezug auf die unterschiedlich gut belegten Studienendpunkte nicht gewährleistet sei und unmittelbare Vergleichsstudien auf Frakturbasis nicht vorlägen. Deshalb wird die Empfehlung ausgesprochen, dass für die individuelle Auswahl der Medikamente die möglichen Neben- und Zusatzwirkungen, die Kosten und die Einnahmemodalität in die Überlegungen einbezogen werden sollten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die vergleichende Studie "Bewertung des therapeutischen Nutzens von Risedronat im Rahmen der Behandlung der Osteoporose" von Q vom 12.05.2006, welche die Klägerin als Anlage 17 zu den Gerichtsakten gereicht hat. Danach sind zwar einige der Frakturdaten für die beiden Präparate (Risedronat und Alendronat) mit etwas unterschiedlich guter Evidenz belegt. Nur für Risedronat ist z.B. der Endpunkt Hüftfrakturen als primärer Endpunkt untersucht. Da aber keine Head-to-Head-Studien der beiden Präparate zu Frakturen vorliegen, Surrogatparameter wie Knochendichte und Knochenumbaumarker in den vorhandenen Studien über 3-5 Jahre keinen Rückschluss auf die Senkung der Frakturrate erlauben und es Unterschiede zwischen den Studienkollektiven gibt, die das absolute und relative Frakturrisiko beeinflussen können, kann nach den Feststellungen von Q derzeit keine Aussage getroffen werden, ob Risedronat und Alendronat in Bezug auf die fraktursenkende Wirkung insgesamt oder in Subgruppen von Patienten unterschiedlich effektiv sind. Hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils führt er aus, dass beide Präparate bei korrekter Einnahme generell als nebenwirkungsarm einzustufen sind. Unter Hinweis auf Bonnick et al., 2006 zeigt er auf, dass bezüglich des Nebenwirkungsmusters in vergleichenden RCTs zu 70 mg Alendronsäure wöchentlich und 35 mg Risedronsäure wöchentlich keine eindeutigen Unterschiede belegbar seien. Soweit bezüglich Subgruppen von Patienten mit gastrointestinalen Erkrankungen aufgeführt wird, dass laut der Fachinformation derzeit nur die Einname von Actonel® (unter besonderer Vorsicht) möglich sei, ändert dies nach Auffassung der Kammer nichts an dem Umstand, dass hinsichtlich des Anwendungsgebiets und der therapeutischen Wirksamkeit keine - zumindest derzeit keine nachweisbaren - Unterschiede zwischen Alendronat und Risedronat bestehen. Die Bewertung als Me-too-Präparat schließt zudem nicht aus, dass bei Patienten mit einem entsprechenden Risikoprofil Actonel® durch den Vertragsarzt verordnet werden kann. Die in der Arzneimittelvereinbarung festgelegten Zielwerte für Verordnungen von Me-too-Präparaten lassen diese therapeutische Notwendigkeit zu.

Soweit die Klägerin unter Verweis auf das Kurzgutachten von T1-A zum Thema "Determinanten von Struktur-Wirkungsbeziehungen" - zu dem weder ersichtlich ist, wann es erstellt worden ist, noch in welchem Zusammenhang - pharmakologische und chemische Unterschiede zwischen Alendronat und Risedronat geltend macht, steht das der Bewertung von Actonel® 5/35 als Me-too-Präparat im Sinne der Me-too-Liste letztlich nicht entgegen. Denn Ansatzpunkt für die Me-too-Liste ist der therapeutische Zusatznutzen und nicht die Neuartigkeit der chemischen Struktur. T1-A fordert in seinem Kurzgutachten sodann, dass jedes Bisphosphonat im Hinblick auf seinen klinischen Einsatz gesondert betrachtet werden müsse, d.h. Schnelligkeit der klinischen vertebralen und non-vertebralen Frakturrisikoreduktion, Hüftfrakturrisikoreduktion und Langzeit-Antifrakturwirksamkeit seien für sich zu betrachten und von Bedeutung. Dieser Ansatz steht einer vergleichenden Bewertung im therapeutischen Nutzen jedoch grundsätzlich nicht entgegen. Unter Hinweis auf die Ausführungen des T2 in seiner Stellungnahme vom 11.05.2007 zu Punkt 2.2 und auch unter Hinweis auf die oben dargestellten Inhalte der DVO-Leitlinie zeigt die aktuell bestehende Studienlage auf, dass der hier maßgebliche therapeutische Zusatznutzen gerade nicht belegbar ist.

Abschließend sei noch auf die tragenden Gründe des G-BA zur Festbetragsneugruppenbildung der Bisphosphonate und Kombinationen von Psphosphonaten mit Additiva vom 18.01.2007 nebst Änderung vom 15.05.2008 verwiesen (siehe: http://www.g-ba.de/downloads/40-268-280/2007-01-18-AMR2-Bisphosphonate TrG.pdf und http://www.g-ba.de/downloads/40-268-611/2008-05-15-AMR2-Bisphosphonate TrG.pdf). Zwar hat die Klägerin vorgetragen, dass gegen die Festbetragseinstufung bei dem Sozialgericht Berlin Klage eingereicht worden sei. Zugleich hat sie jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klage nach § 35 Abs. 7 Satz 2 SGB V keine aufschiebende Wirkung hat. Dessen ungeachtet ergeben sich aus den Eckpunkten der Entscheidung (Ziffer 2 der Tragenden Gründe vom 18.01.2007), dass der Unterausschuss "Arzneimittel" nach Auswertung sämtlicher Stellungnahmen die Wirkung der Wirkstoffe als therapeutisch vergleichbar ansieht. Für keine der in der Festbetragsgruppe eingeschlossenen Bisphosphonate und Kombinationen von Bisphosphonaten mit Additiva sei eine überlegene Wirksamkeit im Vergleich zu einem anderen Vertreter der Wirkstoffgruppe nachgewiesen. Die vergleichbare Wirkung beruhe auf einer Hemmung der Osteoklasten, woraus sich eine reduzierte Knochenresorption ergebe. Alle oralen Bisphosphonate dieser Festbetragsgruppe besäßen eine Zulassung zur Therapie der Osteoporose, dem gemeinsamen Anwendungsgebiet. Sie seien damit therapeutisch vergleichbar. Nach den Feststellungen des Unterausschusses "Arzneimittel" liegen keine hinreichenden Befunde in Bezug auf Pharmakodynamik, Pharmakokinetik und Nebenwirkungsspektrum vor, die eine Sonderstellung eines der Wirkstoffe begründen könnte. Ferner ist in den Tragenden Gründen vom 15.05.2008 zu Ziffer 4 - Würdigung der Stellungnahmen - Unterpunkt 4.2.1 - therapeutische Verbesserung - vermerkt, unter welchen Voraussetzungen eine therapeutische Verbesserung angenommen wird. Danach liegt eine therapeutische Verbesserung eines Arzneimittels mit patentgeschütztem Wirkstoff nach Abs. 1 Satz 3, zweiter Halbsatz und Absatz 1a Satz 2 SGB V vor, wenn das Arzneimittel einen therapierelevanten höheren Nutzen als andere Arzneimittel dieser Wirkstoffgruppe hat und deshalb als zweckmäßige Therapie regelmäßig oder auch für relevante Patientengruppen oder Indikationsbereiche den anderen Arzneimitteln dieser Gruppe vorzuziehen ist. Ein höherer Nutzen kann auch eine Verringerung der Häufigkeit oder des Schweregrades therapierelevanter Nebenwirkungen sein. Der Anspruch einer therapeutischen Verbesserung wurde jedoch für keinen Vertreter der Festbetragsgruppen - und damit auch nicht für Risedronat - formuliert.

Schließlich ist festzuhalten, dass Actonel® 5/35 im Vergleich zu ähnlichen Präparaten mit dem Wirkstoff Alendronsäure höhere Tagestherapiekosten verursacht. Unter Bezugnahme auf die Marktübersicht 2010 (abrufbar unter http://www.kvno.de/downloads/marktuebersicht 2010.pdf) ergeben sich für Actonel® 5/35 ausgehend von der Packungsgröße mit 12 Filmtabletten zu einem Gesamtpreis von 117,08 Euro Tagestherapiekosten von 1,39 Euro. Für Präparate mit Alendronsäure betragen die Tagestherapiekosten 0,69 Euro. Die von der Klägerin vorgelegte Studie zu einem gesundheitsökonomischen Vergleich (Brecht J.G. et al. 2004) ist in diesem Zusammenhang ohne Relevanz. Abgesehen davon, dass die Autoren die vorliegende Evaluation in Bezug auf den Vergleich von Alendronat und Risedronat als limitiert ansehen, weil keine randomisierte klinische Primärstudie zu diesem Vergleich vorliege, greift aber auch der gewählte Ansatz für den Vergleich der Kosten vorliegend nicht. Die Me-too-Liste beruht auf dem Ansatz, Wirtschaftlichkeitsreserven zu moblisieren, um die Kosten im Arzneimittelbereich zu reduzieren. Deshalb sind allein die Tagestherapiekosten relevant und demgemäß zu vergleichen. Auf die potentiell eingesparten Kosten für z.B. Hüftoperationen - deren Anzahl zudem mangels entsprechender Studien nicht valide ist - kommt es insoweit nicht an. Im Übrigen ist die Studie insofern als überholt anzusehen, als sie noch von höheren Tagestherapiekosten für Alendronat (1,82 Euro) gegenüber Risedronat (1,76 Euro) ausgeht. Traf das für das Jahr 2004 noch zu (siehe auch Rote Liste 2004: Actonel® 5/35 12 Filmtabletten 120,27 Euro; Fosamax® einmal wöchentlich 12 Filmtabletten 124,04 Euro), gilt dies bereits für das Jahr 2006 nicht mehr (siehe Rote Liste 2006: Actonel® 5/35 12 Filmtabletten 126,21 Euro; z.B. Alendronsäure AbZ 12 Filmtabletten 94,59 Euro).

Zusammenfassend ist daher nach Auffassung der Kammer die Einstufung des Präparates Actonel® als Me-too-Präparat im Sinne der Me-too-Liste 2010 der Beklagten nicht zu beanstanden. Diese Feststellung bezieht sich gleichermaßen auf die Vorjahre 2006 bis 2009. Demgemäß war die Klage hinsichtlich der Klageanträge zu 1. bis 4. bezogen auf das Präparat Actonel® 5/35 insgesamt abzuweisen.

Begründet ist die Klage hingegen hinsichtlich des Klageantrages zu 4 bezogen auf das Präparat Actonel® 30. Dieses befand sich auf der Me-too-Liste für das Jahr 2006. Weder für die Aufnahme des Präparates noch für dessen Entfernung von der Liste hat die Beklagte Gründe vorbringen können. Auch die Erörterungen im Termin vom 28.07.2010 mit T2 haben insoweit keine Aufklärung gebracht. Festzuhalten ist, dass Actonel® 30 allein für das Anwendungsgebiet des Morbus Paget zugelassen ist und sich Präparate mit Alendronsäure für dieses Anwendungsgebiet aus der Roten Liste 2006 nicht entnehmen lassen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, dass die Aufnahme dieses Präparates in die Me-too-Liste des Jahres 2006 unzutreffend war, denn die Verantwortung für die Richtigkeit der in der Me-too-Liste enthaltenen Informationen obliegt der Beklagten. Nachdem die Ermächtigungsgrundlage das Informationsrecht der Beklagte nur soweit trägt, als die Informationen inhaltlich richtig sind, ist festzustellen, dass das Führen des Arzneimittels Actonel® 30 auf der Me-too-Liste des Jahres 2006 rechtswidrig war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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