L 9 KR 272/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 3161/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 272/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren
nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die Beigeladene zu 4) im Zeitraum 1. März 2003 bis 31. Dezember 2006.

Der 1967 geborene Kläger war seit Juli 1997 bei der A-Gruppe beschäftigt; seit Juni 2002 war er alleinvertretungsberechtigter und vom Verbot der Selbstkontrahierung befreiter Geschäftsführer der Beigeladenen zu 4), die vor dem 21. März 2003 als A M B GmbH firmierte und im fraglichen Zeitraum etwa 130 bis 150 Mitarbeiter hatte. Geschäftsanteile an der Beigeladenen zu 4) oder sonst einem Unternehmen der A-Gruppe hielt der Kläger nicht. Alleingesellschafterin der Beigeladenen zu 4) war vielmehr die A AG. Zu den Gesellschaftern der A AG, den Brüdern Sch, hatte der Kläger keine familiäre Verbindung. Zum 31. Dezember 2006 gab der Kläger infolge eines Auflösungsvertrages seine Geschäftsführerposition auf. Inzwischen hat er sich vollständig von der A-Gruppe gelöst und ist anderweitig tätig.

Ein Geschäftsführervertrag 28. Februar 2003 sah im Wesentlichen vor:

- Befristung auf drei Jahre,
- ggf. unbefristete Verlängerung,
- Kündigungsrecht beider Seiten,
- jährliches Grundgehalt 102.000 Euro,
- zusätzlich variable Zielprämie i.H.v. maximal jährlich 45.000 Euro,
- Entgeltfortzahlung bei Erkrankung für sechs Monate
- Zuschuss zur Krankenversicherung,
- Anspruch auf Dienstwagen,
- Bezahlter Urlaub 30 Tage.

Eine zum Vertrag gehörende "Geschäftsordnung" sah eine Berichtspflicht gegenüber den Gesellschaftern vor sowie die Erstellung eines Geschäftsverteilungsplanes und eine regelmäßige Vorlage der Unternehmensplanung zur Genehmigung bei den Ge-sellschaftern.

Eine Ergänzungsvereinbarung mit Wirkung vom 1. Januar 2004 erhöhte das Grundgehalt auf 120.000 Euro brutto, die Zielprämie auf 75.000 Euro jährlich.

Ein neuer Geschäftsführervertrag wurde sodann mit Wirkung vom 1. Januar 2006 abgeschlossen. Er enthielt im Wesentlichen folgende Regelungen:

- Erlaubnis der Nebentätigkeit ohne vorherige Genehmigung,
- Keine Befristung,
- erstmaliges Kündigungsrecht zum 31. Dez. 2010,
- Bruttogehalt jährlich 150.000 Euro,
- Bruttotantieme 2,5 % des Jahresergebnisses vor Steuern, gegebenenfalls weitere 20.000 Euro,
- Vermögenswirksame Leistungen in Höhe von monatlich 20 Euro,
- Zuschuss zur Krankenversicherung als Arbeitgeberanteil,
- Entgeltfortzahlung bei Erkrankung 6 Monate.

Seit Juli 1997 und bis 31. Dezember 2006 wurde der Kläger fortlaufend durch verschiedene Firmen der A-Gruppe als versicherungspflichtig in der Renten- und der Ar-beitslosenversicherung bei der Beklagten als Einzugsstelle gemeldet.

Am 27. Dezember 2004 stellte der Kläger einen "Antrag auf sozialversicherungsrechtliche Beurteilung" mit dem Ziel, als versicherungsfrei behandelt zu werden. In einem "Feststellungsbogen" vom 22. Dezember 2004, der auch auf Arbeitgeberseite nur vom Kläger unterschrieben war, gab er u.a. an, keinem Direktionsrecht zu unterliegen und frei zu sein bezüglich der Zeit, der Art und des Ortes seiner Beschäftigung. Später brachte er noch vor, der Wortlaut seines Geschäftsführervertrages sowie die fehlende Kapitalbeteiligung seien angesichts seiner tatsächlichen Machtstellung im Unternehmen unerheblich. Wesentliche unternehmerische Entscheidungen treffe er sogar ohne Beschluss der Gesellschafterversammlung.

Mit Bescheiden vom 17. November 2005 und 2. Mai 2006 und 10. Juli 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seit dem 1. März 2003 in seiner Tätigkeit als Fremdgeschäftsführer bei der Beigeladenen zu 4) der Sozialversicherungspflicht zu unterliegen. Vertraglich sei seine Handlungskompetenz genau vorgegeben.

Mit seinen hiergegen erhobenen Widersprüchen machte der Kläger im Wesentlichen geltend, die schriftlichen Geschäftsführerverträge seien ohne Bedeutung. So nehme er etwa Unternehmens- und Grundstückverkäufe ohne vorherigen Beschluss der Gesellschafter vor. Er genieße uneingeschränkte unternehmerische Gestaltungsfreiheit und sei nicht weisungsgebunden.

Mit einem Schreiben vom 18. August 2006 wandte der Gesellschafter der A AG, E Sch, sich an den Vorstand der Beklagten und betonte die "herausragende Stellung" des Klägers im Unternehmen; er agiere "frei jeglicher Kontrolle der Gesellschafter" und handele wie ein geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter. Weiter hieß es: "Spätestens mit der Anpassung des Geschäftsführervertrages vom 29. Dezember 2005 wird die tägliche Praxis auch in dieser Deutlichkeit durch die Vertragsdokumente abgebildet."

Mit Bescheid vom 24. Oktober 2006 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Die Unternehmenspolitik der Beigeladenen zu 4) werde durch die Muttergesellschaft bestimmt, weshalb der Kläger nicht als weisungsfrei gelten könne.

Mit seiner hiergegen am 6. November 2006 erhobenen Klage hat der Kläger auf seine Widerspruchsbegründung Bezug genommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 25. Juli 2009, dem Kläger zugestellt am 3. August 2009, hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Zwar genieße der Kläger weitestgehende Handlungsfreiheiten. Er besitze aber keine Geschäftsanteile, zudem gebe es keine familiäre Verflechtung mit den Gesellschaftern der A AG. Wagniskapital habe er nicht eingesetzt. Er habe Anspruch auf festes Gehalt, vermögenswirksame Leistun-gen, Zuschuss zur Krankenversicherung, Entgeltfortzahlung sowie bezahlten Erho-lungsurlaub. Er unterliege einer Rechenschaftspflicht und der Gefahr der Kündigung. Damit überwögen die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung.

Seine am 3. September 2009 hiergegen erhobene Berufung hat der Kläger nicht weiter begründet.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juli 2009 sowie die Bescheide der Beklagten vom 17. November 2005, 2. Mai 2006 und 10. Juli 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2006 aufzuheben sowie festzustellen, dass die von ihm bei der A M B GmbH bzw. bei der A M GmbH vom 1. März 2003 bis 31. Dezember 2006 ausgeübte Tätigkeit als Geschäftsführer nicht versicherungspflichtig war,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungs-findung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 21. Juli 2010 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen hat.

Der Senat durfte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beigeladenen verhandeln und entscheiden, weil diese mit ordnungsgemäßen Ladungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§§ 153 Abs. 1, 126 SGG).

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger unterlag in seiner Tätigkeit als Fremdgeschäftsführer für die Beigeladene zu 4) im Zeitraum 1. März 2003 bis 31. Dezember 2006 der Sozialversicherungspflicht. Die angefochtenen Bescheide sind recht-lich nicht zu beanstanden. Der Gerichtsbescheid vom 25. Juli 2009 stellt die rechtlichen Zusammenhänge und Maßstäbe zutreffend dar und würdigt den Sachverhalt überzeugend. Deshalb, angesichts einer fehlenden Berufungsbegründung und zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe, § 153 Abs. 2 SGG.

Hinzuzufügen bleibt: Selbst wenn der Kläger als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 4) im fraglichen Zeitraum über eine erhebliche Machstellung verfügt haben mag und auch wichtige unternehmerische Entscheidung eigenständig treffen durfte, ändert dies nichts an der Einstufung dieser "höheren" Tätigkeit als versicherungspflichtig. Es bleibt dabei, dass bei Fremdgeschäftsführern in der Regel eine abhängige Beschäftigung angenommen werden muss (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Dezember 2001, B 12 KR 10/01 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14). Besondere Umstände, die eine an-dere Sichtweise gebieten könnten, dominieren im Falle des Klägers nicht; das hält der Senat für eindeutig. So ist er insbesondere den Gesellschaftern der A AG, die Wert legen auf familiäre Exklusivität unter den Gesellschaftern, nicht verwandtschaftlich verbunden. Es kann auch nicht davon die Rede sein, dass er die Beigeladene zu 4) "faktisch wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken" führte; er konnte nicht "schalten und walten", wie er wollte, weil er etwa die Gesellschafter persönlich dominierte und diese wirtschaftlich von ihm anhängig waren (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O.); das Gegenteil ist der Fall. Allein faktische wirtschaftliche Macht und privilegierte Vertragsbedingungen ändern noch nichts an der abhängigen Stellung des Klägers als Fremdgeschäftsführer. Dass sich seine tatsächliche Stellung gerade in den Vertragsbedingungen ab dem 1. Januar 2006 spiegelte und der Vertrag damit keineswegs – wie behauptet – obsolet war, zeigt sich in der Wortwahl des Gesellschafters der A AG, E Sch, in dessen Schreiben an den Vorstand der Beklagten vom 18. August 2006, wo betont wurde, dass "die tägliche Praxis auch in dieser Deutlichkeit durch die Vertragsdokumente abgebildet" werde. Schließlich hat auch das Ausscheiden des Klägers aus den Diensten der Beigeladenen zu 4) gezeigt, dass nicht etwa er die Gesellschafter dominierte, sondern dass es sich umgekehrt verhielt. Aufgrund von Mei-nungsverschiedenheiten in der Unternehmenspolitik – so das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – war sein Verweilen in der Geschäftsführerposition nicht länger möglich. Weil er sich letztlich mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen konnte, wertet der Senat sein Ausscheiden eher als einen Ausdruck der tatsächlichen Macht der Gesellschafter, die die Beigeladene zu 4) eben nicht gleich-sam bedingungslos in die Hände des Klägers legen wollten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG vorlag. Insbesondere ist grundsätzliche Bedeutung nicht gegeben. Eine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nimmt der Senat nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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