L 18 AS 1326/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 93 AS 20357/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1326/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
L 18 AS 1334/10 B PKH
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Gründe:

Wegen der Dringlichkeit der Sache war in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Vorsitzenden zu entscheiden.

Die Beschwerde der Antragsteller, mit der diese ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgen, den Antragsgegner im Wege einer gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu verpflichten, ihnen eine Zusicherung zu den Aufwendungen der Wohnung Wstraße, B, zu erteilen, und mit der sie sich zudem gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren wenden, ist nicht begründet. Es fehlt bereits an einem entsprechenden Anordnungsanspruch.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf die begehrte Zusicherung des Antragsgegners. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) sollen erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Ob der Umzug – wie das Sozialgericht (SG) meint – nicht erforderlich ist, kann dahinstehen. Die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (KdU) der in Rede stehenden Wohnung kann schon deshalb nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung zugesichert werden, weil die Aufwendungen für diese neue Unterkunft nicht angemessen iSv § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II sind.

Die KdU für die neue Unterkunft iHv monatlich 443,14 EUR sind nach der insoweit allein maßgeblichen "Produkttheorie" (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7 B AS 18/06 R - juris) nicht angemessen iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Zwar dürfte die Wohnungsgröße (ca. 58,11 qm) den abstrakten Angemessenheitskriterien entsprechen. Das Bundessozialgericht (BSG; vgl. Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R – juris), dessen Rechtsprechung das erkennende Gericht seiner Entscheidung zugrunde legt, sieht die Wohnraumgröße als maßgeblich an, die sich aus § 10 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) iVm den Richtlinien der einzelnen Bundesländer ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R - juris). Es ist jedoch zu beachten, dass in Berlin entsprechende Richtlinien nicht ergangen sind. Bei summarischer Prüfung ist daher weiterhin auf die im Land Berlin (ehemals) geltenden Richtlinien für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau zurückzugreifen (vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Oktober 2009 - L 28 AS 847/08 - juris). Danach dürfte für den Zweipersonenhaushalt der Antragsteller eine Wohnungsgröße von 60 qm abstrakt angemessen sein (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. März 2009 - L 29 AS 1164/08 - juris). Allerdings ist für das Gericht bislang nicht ersichtlich, dass die von dem Antragsgegner seiner Entscheidung zugrunde gelegten verwaltungsinternen und damit die Gerichte nicht bindenden Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) vom 10. Februar 2009 (ABl Berlin S 502) ein "schlüssiges Konzept" (dazu BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R -) darstellen, auf dessen Grundlage die regionale Angemessenheit der Unterkunft überprüfbar vom Antragsgegner bestimmt worden ist. Das Gericht hält es vielmehr für sachgerecht, bis zum Vorliegen eines "schlüssigen Konzepts" zur Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenze für Nettokaltmieten in Berlin auf den qualifizierten Berliner Mietspiegel des Landes Berlin vom 3. Juni 2009 zurückzugreifen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Oktober 2009 - L 28 AS 847/08 -). Denn der qualifizierte Mietspiegel ist ein Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist (§ 558d Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Hinsichtlich der Bestimmung der kalten Betriebskosten ist zur Berücksichtigung der regionalen Verhältnisse auf die im Mietspiegel enthaltene Betriebskostenübersicht zurückzugreifen (vgl. nur LSG Berlin-Brandenburg aaO). Die Angemessenheit der Heizkosten dürfte nach dem bundesdeutschen Heizkostenspiegel zu bestimmen sein (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R - juris). In Anwendung dieser Grundsätze (Betriebskosten nach dem Mietspiegel) ergibt sich eine abstrakt angemessene Bruttowarmmiete von höchstens 397,03 EUR monatlich, die deutlich unter den KdU für die in Aussicht genommene Wohnung von mindestens 443,15 EUR monatlich liegt. Für eine Wohnfläche von 60 qm ergibt sich eine Nettokaltmiete nach dem Mietspiegel 2009 von gerundet 4,64 EUR/qm (3,29 EUR/qm + 4,60 EUR/qm + 3,17 EUR/qm + 4,95 EUR/qm + 4,55 EUR/qm + 4,18 EUR/qm + 4,10 EUR/qm + 5,38 EUR/qm + 6,37 EUR/qm + 4,36 EUR/qm + 6,13 EUR/qm = insgesamt 51,08 EUR/qm./. 11 = durchschnittlich gerundet 4,64 EUR/qm); die monatliche angemessene Nettokaltmiete beläuft sich somit auf 278,40 EUR. Die Nettokaltmiete der von den Antragstellern ins Auge gefassten Wohnung beläuft sich aber bereits auf – höhere – 284,15 EUR monatlich. Hinzu kommen "kalte" Betriebskosten nach dem Berliner Mietspiegel 2009 (unterer Spannenwert) iHv 1,03 EUR/qm, mithin 61,80 EUR monatlich. Die Heizkosten nach dem Heizkostenspiegel 2009 betragen 56,83 EUR monatlich (Durchschnittsmittelwerte bei Gebäudefläche 100 bis 250 qm). Es ergibt sich eine abstrakt angemessene Bruttowarmmiete von höchstens 397,03 EUR (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Februar 2010 – L 19 AS 129/10 B ER -, wonach die abstrakt angemessene Gesamtmiete für eine 60 qm-Wohnung in Berlin nach den auch hier angewandten Berechnungsgrundsätzen monatlich 410,20 EUR beträgt – und damit ebenfalls deutlich weniger als die KdU der vorliegend in Aussicht genommenen Wohnung -; vgl. zur Angemessenheitsgrenze für einen Zweipersonenhaushalt in Berlin auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. März 2009 – L 29 AS 1164/08 -, wonach sich die abstrakt angemessene Gesamtmiete – bei allerdings anderen Berechnungsgrundsätzen – auf 429,- EUR monatlich belaufe). Die KdU für die neue Unterkunft sind daher jedenfalls nicht angemessen, zumal erfahrungsgemäß nach der Entwicklung des Wohnungsmarktes mit weiteren Steigerungen der Betriebskosten zu rechnen ist. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht hat das SG die Gewährung von PKH für das erstinstanzliche Verfahren im Ergebnis zu Recht abgelehnt (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung – ZPO -). Gleiches gilt für die beantragte Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Im PKH-Beschwerdeverfahren sind Kosten kraft Gesetzes nicht zu erstatten (vgl. § 127 Abs. 4 ZPO). Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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