L 16 R 655/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 29 R 1311/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 655/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2010 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1952 geborene Kläger ist Diplom-Kaufmann und war nach einer zwölfjährigen Verpflichtung bei der Bundeswehr u.a. als Geschäftsführer, Gebietsverkaufsleiter, stellvertretender Gebietsdirektor und zuletzt von Januar 1998 bis Juli 1999 als Verkaufsdirektor bei einer Brauerei versicherungspflichtig beschäftigt. Nach eigenen Angaben war er seit 1. August 1999 als selbständiger Berater für den Bereich Gastronomie tätig. Er entrichtete freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung für die Zeit von Dezember 1999 bis Dezember 2000. Von Januar 2001 bis März 2001 sind Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung für ihn entrichtet worden, des weiteren Pflichtbeiträge aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld (Alg) II vom 13. November 2006 bis 31. Dezember 2007 (Versicherungsverlauf vom 6. Juli 2010).

Der Kläger hatte in der Vergangenheit mehrfach im Ergebnis erfolglose Anträge auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gestellt. Zuletzt lehnte die Beklagte auch einen Rentenantrag des Klägers vom März 2009 ab, und zwar – wie zuvor - mit der Begründung, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ausgehend vom Eintritt voller Erwerbsminderung (EM) auf Dauer am 18. April 2005 (Eingang des Formulars zum dritten Rentenantrag) nicht erfüllt seien (Bescheid vom 15. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2010). Das Sozialgericht (SG) Berlin wies die bereits nach Erteilung des Ablehnungsbescheides am 25. Januar 2010 eingereichte, auf EM-Rente gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2010 ab (- S 21 R 402/10 -). Die Berufung hiergegen blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 2010 - L 16 R 439/10 -). Eine Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) ist insoweit bei dem Bundessozialgericht anhängig (- B 13 R 240/10 R -).

Die vorliegende, ebenfalls auf Gewährung von EM-Rente gerichtete Klage hat der Kläger am 8. März 2010 bei dem SG eingereicht. Auf den Hinweis des SG auf die doppelte Anhängigkeit der Sache und die sich hieraus ergebende Unzulässigkeit des hiesigen Verfahrens hat der Kläger mit Schreiben vom 6. Mai 2010 mitgeteilt, dass das Verfahren – S 21 R 402/10 – weiter verfolgt werde und die "bisherige Klage" zurückgenommen werde. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2010 wegen anderweitiger Anhängigkeit (§ 202 Sozialgerichtsgesetz – SGG – iVm § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG -) als unzulässig abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf seine im Berufungsverfahren eingereichten Schreiben wird Bezug genommen.

Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich der Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2010 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akte des SG Berlin S 17 R 1400/10, die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten (5 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides begründet; im Übrigen, dh soweit der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von EM-Rente begehrt, ist die Berufung nicht begründet und war zurückzuweisen.

Die angefochtene Entscheidung des SG war aufzuheben, weil der Gerichtsbescheid nach Rücknahme der Klage ergangen und damit nichtig ist. Da ein nichtiger Gerichtsbescheid formeller Rechtskraft fähig ist, war das Rechtsmittel der Berufung zulässig (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 125 Rz. 5b, 5c). Das SG hat bei seiner Entscheidung nicht beachtet, dass der Kläger die hiesige Klage nach dem Hinweis des SG auf die doppelte Anhängigkeit des geltend gemachten Klageanspruchs mit Schreiben vom 6. Mai 2010 zurückgenommen hat. Er hat in diesem Schreiben unmissverständlich erklärt, das – früher anhängig gewordene - Verfahren – S 21 R 402/10 – weiter verfolgen zu wollen und die "bisherige Klage" zurückzunehmen. Damit hat er durch eine entsprechende Prozesserklärung klar zum Ausdruck gebracht, das vorliegende Verfahren nicht weiter betreiben zu wollen. Eine gegenteilige Äußerung des Klägers ist danach bis zur Entscheidung des SG auch nicht erfolgt. Eine instanzbeendende Entscheidung des SG hätte nach dieser Klagerücknahme, die den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (vgl. § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG), nicht mehr ergehen dürfen. Der dennoch verlautbarte Gerichtsbescheid ist nichtig und war daher aufzuheben, da er ansonsten formeller Rechtskraft fähig wäre.

Soweit der Kläger im Übrigen bei verständiger Würdigung seine erhobenen Ansprüche auf EM-Rente mit der Berufung weiter verfolgt, ist die Klage bereits unzulässig. Denn zum einen hat der Kläger – wie dargelegt – die hiesige Klage zurückgenommen. Eine neue Klage ist – jedenfalls wie hier nach Fristablauf - nicht möglich (vgl. BSG SozR Nr 9 und Nr 10 zu § 102 SGG). Soweit der Hinweis des Klägers in den im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätzen, die Klage bleibe "bestehen", als Widerruf oder Anfechtung der Klagerücknahme anzusehen ist, gilt, dass ein Widerruf oder eine Anfechtung dieser Prozesserklärung nicht möglich ist (vgl BSGE 14, 138, 141). Selbst wenn der Kläger die Rücknahme seiner kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nicht wirksam erklärt haben sollte, darf, worauf das SG bereits hingewiesen hat, während der Rechtshängigkeit die Sache nicht anderweitig anhängig gemacht werden (vgl. § 202 SGG iVm § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG), so dass die Klage unter diesem Gesichtspunkt unzulässig wäre. Denn das Verfahren – S 21 R 402/10 -L 16 R 439/10 – ist noch rechtshängig, weil das dortige SG-Urteil wegen der anhängigen NZB (- B 13 R 240/10 R -) noch nicht rechtskräftig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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