L 6 AS 777/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AS 1131/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 777/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 09.04.2010 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des zweiten Rechtszuges.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Bescheid der Antragsgegnerin (Ag.) vom 14.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.03.2010, mit dem sie die Antragstellerin (Ast.) nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Zweites Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Auskunftserteilung über ihr Einkommen und Vermögen herangezogen hat. Die Ag. beabsichtigte, die damit angeforderten Erklärungen auszuwerten für die Entscheidung über einen möglichen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II des unter selber Anschrift wohnhaften Herrn G-K L. Zugleich hat die Ag. im Bescheid vom 14.01.2010 die sofortige Vollziehung bei Androhung von Zwangsgeld iHv 1.500 EUR angeordnet. Zur Begründung hat sie ausgeführt: "Das öffentliche Interesse besteht in einem verantwortungsvollen Umgang mit Steuermitteln. Es ist derzeit davon auszugehen, dass der Auskunftsanspruch ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung erst in ca. 2 Jahren erfolgen kann, wenn Widerspruch und Klage erhoben werden sollten, da bereits allein ein durchschnittliches Klageverfahren derzeit ca. 1 1/2 Jahre dauert. Für diesen Zeitraum müssten (unter Umständen zu Unrecht) SGB II-Leistungen gewährt werden, welche anschließend gegebenenfalls zurückgefordert werden müssten. Ob diese Steuermittel überhaupt wieder vereinnahmt werden können, wäre zudem ungewiss. Daher ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung geboten."

Dagegen hat die Ast. am 16.03.2010 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben (Az. S 14 AS 1080/10) und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzuordnen. Das SG hat dem Antrag mit Beschluss vom 09.04.2010 entsprochen und ausgeführt, die aufschiebende Wirkung entfalle nicht wegen § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG, weil die Ag. die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht tragfähig begründet habe. Die gegebene Begründung betreffe u.a. Rückforderungsaussichten bezüglich Leistungen, über die die Ag. noch gar nicht entschieden habe. Die Dauer sozialgerichtlicher Verfahren begründe keine Abweichung von der gesetzgeberischen Entscheidung, nach der der Widerspruch aufschiebende Wirkung entfalten solle. Die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe führe immer dann, wenn die Auskunftsadressaten ihre Rechte wahrnähmen, auch zu langwierigen sozialgerichtlichen Verfahren. Im Einzelfall anerkennungsfähige fiskalische Interessen seien hier im Übrigen nicht ansatzweise erkennbar dargetan.

Gegen diesen ihr am 14.04.2010 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Ag. vom 05.05.2010: Sie habe die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen an Herrn L zu klären. Die dafür benötigten Angaben etc. müsse die Ast machen. Das erfordere auch die Anordnung sofortiger Vollziehung, die sie hinreichend begründet habe.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte verwiesen.

II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung der dort anhängigen Klage S 14 AS 1080/10 angeordnet. Zutreffend ist es im Rahmen der nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gebotenen Interessenabwägung davon ausgegangen, dass die streitige Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 SGG durch die Ag. nicht ausreichend begründet worden ist. Es fehlt insgesamt an der Darlegung des besonderen, die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 14.01.2010 rechtfertigenden öffentlichen Interesses. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung, denen sich der Senat anschließt, wird in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend und zum Beschwerdevorbringen gilt Folgendes:

Generell erfordert die schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung eine Darstellung, aus der hervorgeht, warum in diesem besonderen Einzelfall ausnahmsweise von der grundsätzlichen Wertentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen - als Regelfall - gegen den betreffenden Bescheid abgewichen wird (vgl. Landessozialgericht - LSG - NRW, Beschluss vom 20.12.2007, L 9 B 189/07 AS ER, juris, mwN; Hessisches LSG, Beschluss v. 12.02.2004, L 10 AL 1212/03 ER, Breith 2005, 704 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 30.09.2002, L 4 KR 122/02 ER, juris). Bei der Prüfung nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG wird die Begründung der Vollziehbarkeitsanordnung darauf hin untersucht, ob sie eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darstellung des besonderen öffentlichen Interesses bzw Drittinteresses an der sofortigen Vollziehung beinhaltet und Gründe nennt, die in der Sache geeignet sind, die Anordnung zu tragen. Dies ist vorliegend nicht feststellbar. Wenn es aber bereits an einer ausreichenden Begründung der Vollzugsanordnung fehlt, bedarf es keiner (summarischen) Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides mehr (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.01.2008, L 10 B 2195/07 AS ER, juris).

Im Übrigen dürfte es nach der Leistungsablehnung gegenüber Herrn L (bestätigt durch Beschluss des SG vom 06.08.2010 S 14 AS 2866/10 ER) auch an einem dringenden Vollzugsinteresse der Ag. fehlen, zumal das SG offensichtlich ohne weitere Ermittlungen die ablehnende Entscheidung der Ag. hat bestätigen können (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.03.2010, L 5 AS 487/09 B ER Rn. 33, 34, juris)

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 197a SGG.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren erfolgt gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Gerichtskostengesetz (GKG). Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 52 Abs. 1 GKG erscheint dem Senat vor dem Hintergrund des Leistungsanspruchs des Herrn L die Festsetzung des einfachen Werts als angemessen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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