L 7 AS 12/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 995/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 12/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 55/10 BH
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einkommensprognose bei selbständiger Erwerbstätigkeit
Die Gewährung von Arbeitslosengeld II für selbständig Erwerbstätige erfordert ab 01.01.2008 eine Einkommensprognose, die auf den laufenden Bewilligungszeitraum bezogen ist. Nur so lässt sich das voraussichtliche Einkommen (Überschuss der Betriebseinnahmen über die tatsächlichen notwendigen Ausgaben) bei der laufenden, regelmäßig vorläufigen, Bewilligung berücksichtigen. Die Prognose ist eine dem Hilfebedürftigen zumutbare Mitwirkungshandlung.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger im Rahmen eines Antrags auf Weitergewährung von Arbeitslosengeld II verpflichtet ist, eine Prognose für die erwarteten Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit abzugeben.

Der 1973 geborene Kläger bezieht seit Mitte 2006 von der Beklagten Arbeitslosengeld II. Er übte eine selbständige Tätigkeit als Vermittlungsagent aus. Mit der ersten Bewilligung wurde er aufgefordert, alle drei Monate eine Einnahme- und Überschussrechnung einzureichen. Dem kam der Kläger nach, i.d.R. nach Ablauf des jeweiligen Quartals. Die Einnahme- Überschussrechnung für das vierte Quartal 2007 legte er bereits am 09.10.2007 vor. Mit Bescheid vom 10.10.2007 wurden dem Kläger Leistungen bis 30.04.2008 vorläufig bewilligt.

Mit Schreiben vom 19.03.2008 wurde der Kläger aufgefordert, für die Weiterbewilligung ab Mai 2008 einen Fortzahlungsantrag zu stellen und Nachweise, insbesondere eine Prognose für Einkommen aus selbständiger Tätigkeit mittels der Anlage EKS vorzulegen. Auf die Mitwirkungspflicht wurde hingewiesen. Ein Hinweisblatt zur Einkommenserklärung für Selbständige (Zusatzblatt EKS) war dem Kläger zuvor übermittelt worden.

Mit Schreiben vom 28.03.2008 erhob der Kläger "Teilwiderspruch". Er widerspreche einer Pflicht zur Übermittlung von Angaben über zu erwartende Einnahmen und Ausgaben (Anlage EKS), er sei kein Hellseher.

Mit Bescheid vom 17.04.2008 wurden laufende Leistungen von Mai bis Oktober 2008 in Hinblick auf Einkommen aus selbständiger Tätigkeit vorläufig bewilligt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2009 wurde der Widerspruch als unzulässig verworfen. Das Schreiben vom 19.03.2008 sei kein Verwaltungsakt.

Die am 30.04.2009 erhobene Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterlagenanforderung wurde mit Gerichtsbescheid vom 29.12.2009 abgewiesen. Das Schreiben sei kein Verwaltungsakt. Die Feststellungsklage nach § 55 SGG sei zulässig, weil ein Feststellungsinteresse vorliege. Bei jedem Folgeantrag sei mit gleichartigen Anforderungen zu rechnen. Die Feststellungsklage sei aber unbegründet, weil die Unterlagen zur Überprüfung der Leistungsvoraussetzungen im Zuge der Amtsermittlungen angefordert werden durften. Dies betreffe auch die Prognose für das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit.

Der Kläger hat am 07.01.2010 Berufung gegen den Gerichtsbescheid erhoben. Die Anforderung einer Prognose verstoße gegen Art. 2 Grundgesetz. Die Anlage EKS sei verfassungswidrig. Nach einem Hinweis des Gerichts, dass sich verfassungsrechtliche Fragen nicht stellten, forderte er vom Gericht eine eidesstattliche Erklärung und Verpflichtungserklärungen in Hinblick auf Erforderlichkeit und Verfassungsmäßigkeit der Prognose und unbegrenzte Haftung für Schäden aus einer falschen Prognose nebst Versicherung hierfür ausreichender Barmittel. Das Grundgesetz sei eine Scheinverfassung, es gelte die Reichsverfassung von 1919.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.12.2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II nicht von einer Vorlage von Unterlagen mit objektiv gesehen unmöglichen Prognosen für Ein- und Ausgaben für den zukünftigen Bewilligungsabschnitt abhängig gemacht werden kann.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Akten der Beklagten und die Verfahrensakten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Berufungsgericht verweist gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz auf die zutreffenden Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung und weist die Berufung aus den dortigen Gründen zurück.

Ergänzend wird Folgendes angemerkt:

Bei der vom Kläger begehrten Leistung handelt es sich um eine steuerfinanzierte Fürsorgeleistung, deren Voraussetzung u. a. Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II ist. Einkommen ist nach § 11 SGB II anzurechnen. Das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit ist nach § 13 SGB II i.V.m. § 3 Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V) in der ab 01.01.2008 gültigen Fassung (BGBl I 2007, S. 2942) zu ermitteln. Nach § 3 Alg II-V sind für das Einkommen aus selbständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen im Bewilligungszeitraum die notwendigen Ausgaben im Bewilligungszeitraum ohne Rücksicht auf steuerliche Vorschriften abzusetzen. Dass die steuerlichen Vorschriften nicht maßgeblich sein können, ergibt sich aus § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II, der immer schon nur den Abzug der mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben gestattete. Im Einkommensteuerrecht genügt es dagegen regelmäßig, dass die Ausgaben betrieblich veranlasst sind. Da die existenzsichernden Leistungen nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II monatlich im Voraus erbracht werden sollen, ergibt sich die Notwendigkeit einer Einkommensprognose. Diese obliegt zunächst dem Hilfebedürftigen im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I. Eine Grenze nach § 65 SGB I ist hier nicht erkennbar, insbesondere ist die geforderte Prognose angemessen und zumutbar. Es werden keine hellseherischen Fähigkeiten verlangt. Es geht um ein erwartbares Maß an betrieblicher Planung. Bei der Anlage EKS handelt es sich um tabellarische Angaben zu geschätzten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach unterschiedlichen Kostenpositionen. Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der dieser Prognose zugrunde liegenden Normen sind nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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