L 19 AS 1626/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AS 254/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1626/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 08.09.2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Seit 2005 bezieht der am 00.00.1966 geborene Antragsteller von der Antragsgegnerin durchgehend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Zum 15.02.2010 meldete der Antragsteller ein Gewerbe als Gebäudeenergieberater an. Die L-Bank lehnte im Jahr 2009 die Gewährung eines öffentlichen Förderdarlehens, des so genannten Startgeldes für Existenzgründer, an den Antragsteller ab.

Am 01.10.2009 beantragte der Antragsteller die Gewährung von Einstiegsgeld und eines Gründungszuschusses in Höhe von 5.000,00 EUR zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als unabhängiger Gebäudeenergieberater. Den Anträgen war ein Geschäftsplan vom 23.09.2009 beigefügt, wonach für die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ein Kapitalbedarf von insgesamt 6.000,00 EUR für die Anschaffung eines Endoskops, eines Messkoffers, von Software sowie für Maßnahmen der Werbung bzw. des Marketings, für Wareneinkauf und Beratungskosten bestehe. Der Antragsteller legte dar, dass er einen Umsatz im Jahr 2009, beginnend ab dem 01.08.2009, in Höhe von 4.284,00 EUR, im Jahr 2010 von 33.108,00 EUR und im Jahr 2011 von 41.792,00 EUR erwarte. Er rechne mit monatlichen Privatentnahmen in Höhe von 900,00 EUR. Er werde eine Gebäudeenergie-Beratung, die Ausstellung eines Gebäudeenergie-Ausweises, die Fertigung von Wärmebildaufnahmen und eine Baubegleitung anbieten. Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme der Wirtschaftförderungsgesellschaft für den Kreis Borken mbH zur Erfolgsaussicht der Existenzgründung des Antragstellers ein. Diese gelangte zum Ergebnis, dass die Existenzgründung sehr risikobehaftet sei und ein nebenberuflicher Start in jedem Fall anzuraten sei. Durch Bescheid vom 01.12.2009 lehnte die Antragsgegnerin die Anträge ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Kreis Borken durch Widerspruchsbescheid vom 12.03.2010 als unzulässig zurück. Der Antragsteller erhob Klage. Durch Widerspruchsbescheid vom 29.03.2010 hob der Kreis Borken den Widerspruchsbescheid vom 12.03.2010 auf und wies den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 22.03.2010 hat der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm Einstiegsgeld und einen Gründungszuschuss zu gewähren. Er hat vorgetragen, dass es sich bei der Wirtschaftförderungsgesellschaft für den Kreis Borken mbH um keine fachkundige Stelle handele und somit die Ablehnung seiner Anträge auf unzutreffenden Prognosen der Antragsgegnerin beruhten. Aus seinem vorlegten Geschäftsplan ergebe sich die wirtschaftliche Tragfähigkeit der von ihm geplanten und nunmehr aufgenommenen selbständigen Tätigkeit sowie die Erfolgsaussicht, dass die Einnahmen aus dieser Tätigkeit zur Verringerung seines Hilfebedarfs führten. Die notwendigen Betriebsausgaben, die für die Durchführung von Werbe- und Marketingmaßnahmen bzw für eine angemessene Präsentation seines Unternehmens erforderlich seien, überstiegen seine finanziellen Möglichkeiten. Aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades seines Gewerbes erziele er zur Zeit nur geringe Umsätze, die seine Betriebsausgaben nicht deckten. Er müsse die von der Antragsgegnerin gewährten Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts zur Deckung der Betriebsausgaben verwenden. Er schätze seine Betriebseinnahmen für die Zeit vom 01.03. bis 31.08.2010 auf insgesamt 2.630,00 EUR und seine voraussichtlichen Betriebsausgaben auf 3.518,00 EUR.

Durch Beschluss vom 08.09.2010 hat das Sozialgericht Münster den Antrag abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den am 14.09.2010 zu gestellten Beschluss hat der Antragsteller am 22.09.2010 Beschwerde eingelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsanspruch auf die Bewilligung eines Einstiegsgelds nach § 16b Abs. 1 Satz 1, 16c Abs. 1 SGB II für seine aufgenommene selbständige Tätigkeit noch auf die Gewährung eines Zuschusses nach § 16c Abs. 2 SGB II in Höhe von 5.000,00 EUR glaubhaft gemacht.

Zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit kann gemäß § 16b Abs. 1 Satz 1, 16c Abs. 1 SGB II erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, bei Aufnahme oder Ausübung einer hauptberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Nach § 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird. Zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit soll die Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangen (vgl. § 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II). Bei der Gewährung von Einstiegsgeld für die Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit handelt es demnach um eine Ermessensentscheidung (vgl. hierzu Hannes in Gagel, SGB II, § 16b Rn 67; Winkler in Gagel, SGB II, § 16c).

Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Antragstellers sind auch zur Überzeugung des Senats nach Aktenlage nicht erkennbar und ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag des Antragstellers.

Es bedarf im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keiner abschließenden Entscheidung, ob die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 16b Abs. 1 Satz 1, 16c SGB II, insbesondere die in § 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II geforderte positive Erfolgsprognose (vgl. hierzu LSG Sachsen Beschluss vom 13.09.2009 - L 3 AS 318/09 B ER -; Winkler, a.a.O., § 16c Rn 7 f., Hannes, a.a.O. § 16b Rn 53 f.; siehe auch zum inhaltsgleichen § 29 SGB II LSG NRW Urteil vom 08.02.2007 - L 9 AS 26/06) vorliegt. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte hat die Antragsgegnerin zu Recht die für die erforderlich Ermessensentscheidung notwendige Erfolgsprognose verneint. Die von der Antragsgegnerin getroffene Prognose, dass die vom Antragsteller geplante hauptberufliche selbständige Tätigkeit als Gebäudeenergieberater wirtschaftlich nicht tragfähig und nicht geeignet sei, die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers in absehbarer Zeit zu überwinden bzw. zu verringern, ist nach Aktenlage nicht zu beanstanden. Die in den Akten befindlichen Stellungnahmen der Banken sowie der Wirtschaftförderungsgesellschaft für den Kreis Borken mbH zu den vom Antragsteller vorgelegten Geschäftsplänen hinsichtlich seiner geplanten hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit sind bislang negativ. Der Antragsteller beanstandet zwar, dass die Wirtschaftförderungsgesellschaft für den Kreis Borken mbH nicht über die erforderliche Fachkunde zur Beurteilung der Erfolgsaussicht seiner selbständigen Tätigkeit verfüge bzw. sich die Stellungnahmen der Banken nicht mit seinem revidierten Geschäftsplan vom 23.09.2009 befassten. Er hat aber bislang der Antragsgegnerin keine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle entsprechend nach § 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgelegt, die seine Einschätzung hinsichtlich der Erfolgsaussicht seiner geplanten bzw. aufgenommenen hauptberuflichen Tätigkeit als Gebäudeenergieberater bestätigt.

Gegenüber der Antragsgegnerin besteht jedenfalls nur ein Anspruch auf Bescheidung des Antrags auf Gewährung eines Einstiegsgelds unter Ausübung fehlerfreien Ermessens. Dahinstehen kann, ob die Antragsgegnerin ihr Ermessen in dem angefochtenen Ablehnungsbescheid vom 01.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2010 fehlerfrei ausgeübt hat. Selbst wenn die Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung nachzuholen hätte, in der auch die Grundsätze des § 14 SGB II, insbesondere die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten sind, sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die nachzuholende Ermessensentscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Antragstellers ausgehen wird.

Deshalb kann auch dahinstehen, inwieweit bei einer vom Gesetz angeordneten Ermessensentscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen überhaupt zuerkannt werden können, sofern eine Ermessensreduzierung auf Null nicht eingetreten ist. Voraussetzung für eine solche Verpflichtung ist zumindest, dass bei der nachzuholenden Ermessensentscheidung diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Antragstellers ausgeht oder ohne die begehrte Regelungsanordnung Rechtschutz nicht mehr erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 28.05.2010 - L 19 AS 651/10 B ER - mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Anhaltspunkte für eine solche Sachlage sind jedoch nicht erkennbar.

Ebenfalls ist ein Anordnungsanspruch auf Gewährung eines Zuschusses von 5.000,00 EUR für die Anschaffung von Sachmittel zur Betriebsausübung nicht glaubhaft gemacht. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, können Darlehen und Zuschüsse für die Beschaffung von Sachgütern nach § 16c Abs. 2 Satz 1 SGB II erhalten, die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit notwendig und angemessen sind. Dabei sollen im Regelfall Darlehen gewährt werden, sofern dies nicht mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden ist oder im Einzelfall die Gewährung eines Zuschusses zielführender ist (BT-Drs. 16/10810 S. 47). Zuschüsse dürfen einen Betrag von 5.000 EUR nicht übersteigen (vgl. § 16c Abs. 2 Satz 2 SGB II). Bei diesem Anspruch handelt es sich ebenfalls um eine Ermessensleistung. Weder nach Aktenlage noch aus dem Vortrag des Antragstellers ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass ein Ausnahmefall vorliegt, der die Gewährung eines Zuschusses anstelle eines Darlehens für die Anschaffung von Sachgütern, die für die Ausübung der (geplanten) selbständigen Tätigkeit erforderlich sind, rechtfertigt. Der Gewährung eines Darlehens steht nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte auch die bislang negative Erfolgsprognose i.S.v. § 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved