L 15 B 389/08 AL KO

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 AL 375/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 B 389/08 AL KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
I. Wenn verschiedene Streitgegenstände in verschiedenen sozialgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden, handelt es sich um gesonderte Angelegenheiten im Sinn von § 15 RVG. II. Die Verbindung mehrer vormals selbstständiger gerichtlicher Verfahren zu einem einzigen wirkt sich entsprechend reduzierend auf die Zahl der Angelegenheiten im Sinn von § 15 RVG aus. III. Eine Verbindung im Sinn von § 113 SGG kann nicht durch konkludenten Beschluss vorgenommen werden, weil mit dem Erlass eines solchen Beschlusses zwingend formalisierte Bekanntgabemodi (Zustellung, Verkündung) verknüpft sind
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 20. Februar 2008 aufgehoben und unter Abänderung der entsprechenden Kostenfestsetzungen der Kostenbeamtin vom 23. Mai 2007 für die Verfahren S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04 - unter Zuerkennung einer Terminsgebühr von jeweils 110,00 EUR - der zu erstattende Betrag nach Abzug des Vorschusses auf jeweils 351,30 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) ist niedergelassener Rechtsanwalt gewesen. Er hat S. T. (im Folgenden: T) in drei Klageverfahren, die das Arbeitsförderungsrecht betroffen haben, vor dem Sozialgericht Regensburg vertreten (S 12 AL 374/04, S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04). Dazu war es gekommen, weil die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Gesamtzeitraum vom 01.10.2002 bis 23.04.2004 Leistungsbewilligungen teilweise zurückgenommen und die Erstattung der danach überzahlten Leistungen (Arbeitslosengeld bzw. Unterhaltsgeld) angeordnet hatte. In diesem Zusammenhang hatte die BA drei Bescheide und drei Widerspruchsbescheide erlassen. Die Überzahlungen waren entstanden, weil die BA übersehen hatte, die Berechnungsgrundlagen für die jeweiligen Leistungen auf Euro umzustellen. Mündliche Verhandlungen in allen drei Verfahren fanden am 07.12.2006 und am 14.02.2007 statt. Es ergingen jeweils gesonderte Ladungen; die Verfahren wurden jeweils parallel zur gleichen Uhrzeit verhandelt. Für sämtliche Verfahren war T Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und ihr der Bf. gemäß § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG iVm § 121 ZPO beigeordnet worden. Erledigt wurden die Streitsachen durch Prozessvergleich in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2007.

In den Anträgen auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütungen nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG hat der Bf. für jedes Verfahren eine Terminsgebühr von 200 EUR geltend gemacht. In den Festsetzungen der Kostenbeamtin vom 23.05.2007 hat diese aber nur im Verfahren S 12 AL 374/04 Berücksichtigung gefunden. In den beiden anderen Verfahren hat die Kostenbeamtin den Ansatz einer Terminsgebühr jeweils mit der Begründung abgelehnt, es hätten nur zwei Termine stattgefunden, in deren Rahmen jeweils alle drei Verfahren verhandelt worden seien. Die dagegen am 06.06.2007 eingelegte, ausschließlich gegen den unterbliebenen Ansatz einer Terminsgebühr in den Verfahren S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04 gerichtete Erinnerung hat die für Kostensachen zuständige Kammer beim Sozialgericht mit Beschluss vom 20.02.2008 als unbegründet zurückgewiesen; dieser ist dem Bf. am 04.03.2008 zugestellt worden. Der Beschluss ist damit begründet worden, am 14.02.2007 habe tatsächlich eine gemeinsame Verhandlung stattgefunden. Eine ausdrückliche Verbindung sei zwar nicht erfolgt, jedoch könne dies wie hier auch konkludent geschehen.

Am 11.03.2008 hat der Bf. gegen den Beschluss vom 20.02.2008 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es sei gerade keine Verbindung erfolgt, so dass auch in den Verfahren S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04 eine Terminsgebühr entstanden sei. In den drei Verfahren sei zwar am gleichen Sitzungstag und zum gleichen Termin, jedoch gesondert verhandelt worden. Zwar sei am 14.02.2007 für alle drei Verfahren nur eine Sitzungsniederschrift erstellt worden, jedoch könne daraus keine stillschweigende Verbindung abgeleitet werden.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Mit Beschluss vom 23.08.2010 hat der Berichterstatter das Verfahren auf den Senat als Gesamtspruchkörper ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Sozialgerichts (Sach- und Prozesskostenhilfeakten in den Sachen S 12 AL 374/04, S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04) sowie des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Senat entscheidet gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG durch den Senat als Gesamtspruchkörper; die Angelegenheit ist auf diesen durch Beschluss vom 23.08.2010 übertragen worden. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG). Die Beschwerde ist nach § 56 Abs. 2 iVm § 33 Abs. 3 RVG zulässig; der Beschwerdewert liegt über 200,00 EUR. Das Rechtsmittel ist fristgerecht eingelegt worden.

Die Beschwerde hat Erfolg. Auch in den Verfahren S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04 hat der Bf. jeweils eine Terminsgebühr verdient. Diese setzt der Senat mit diesem Beschluss fest. Trotz der vergleichsweise geringen Höhe der beiden Terminsgebühren besteht kein Anlass, die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen. Denn das Beschwerdebegehren ist auf eine Festsetzung zweier weiterer Terminsgebühren nur dem Grunde nach gerichtet; die Höhe hat der Bf. nicht beziffert.

Der Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren beschränkt sich auf den Ansatz jeweils einer Terminsgebühr sowie die Umsatzsteuer auf die Vergütung für die Verfahren S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04. Andere Vergütungspositionen sind der Prüfung durch den Senat entzogen. Soweit aber der Streitgegenstand reicht, prüft der Senat in voller Tiefe. Das führt im vorliegenden Fall dazu, dass auch über die Höhe der beiden begehrten Terminsgebühren entschieden werden muss.

Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG wird die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf Antrag des Rechtsanwalts von dem Urkundsbeamten des Gerichts des ersten Rechtszugs festgesetzt. Der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt erhält, sofern keine Sonderregelungen greifen, für Klageverfahren vor den Sozialgerichten die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse (vgl. § 45 Abs. 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Auch in den Verfahren S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04 hat der Bf. eine Terminsgebühr (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG) verdient. Auch insoweit haben Termine im Sinn des Rechtsanwaltsvergütungsrechts unter Mitwirkung des Bf. stattgefunden. Dadurch ist gegen die Staatskasse in jedem der drei Verfahren eine Terminsgebühr entstanden. Denn zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 14.02.2007 haben noch immer drei Angelegenheiten im Sinn von § 15 RVG vorgelegen. Somit kann offen bleiben, ob bereits mit der mündlichen Verhandlung am 07.12.2006 drei Terminsgebühren zu Lasten der Staatskasse entstanden waren.

Gemäß § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren grundsätzlich die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung einer Angelegenheit. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG bestimmt, dass der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Das Gesetz enthält keine abstrakte Definition, was als "Angelegenheit" zu verstehen ist; Anhaltspunkte zur Abgrenzung liefern §§ 16 ff. RVG, auch wenn diese konkrete Fälle regeln. Jedenfalls dann, wenn wie hier verschiedene Streitgegenstände in verschiedenen sozialgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden und zudem keine künstliche Aufspaltung von Zusammengehörendem durch den Bf. vorliegt, handelt es sich um gesonderte Angelegenheiten im Sinn des Rechtsanwaltsvergütungsrechts. Daran ändert nichts, wenn zwischen den einzelnen Verfahren rechtliche oder tatsächliche Interdependenzen oder gar Überschneidungen bestehen.

Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Verbindung mehrerer vormals selbstständiger gerichtlicher Verfahren zu einem einzigen Verfahren sich entsprechend reduzierend auf die Zahl der "Angelegenheiten" im Sinn von § 15 RVG auswirkt (vgl. dazu im Einzelnen Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Auflage 2008, VV 3100 Rn. 81 ff.). Gemäß § 113 Abs. 1 SGG kann das Gericht durch Beschluss mehrere bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten derselben Beteiligten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden, sofern ein im Gesetz näher bezeichneter Konnex zwischen diesen vorliegt. Die gesetzlich vorgesehene Verbindung führt in der Praxis dazu, dass die miteinander verbundenen Verfahren nur unter einem Aktenzeichen, nämlich unter demjenigen des so genannten führenden Verfahrens, weiterbetrieben werden. Während die bis zur Verbindung in den Einzelverfahren entstandenen Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts bestehen bleiben, fallen solche nach der Verbindung nur noch im führenden Verfahren an.

Ein entsprechender Tatbestand, der aus den ursprünglich drei Angelegenheiten eine einzige gemacht hätte, liegt hier nicht vor. Zwar werden neben der gesetzlich vorgesehenen Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung überwiegend auch Verbindungen zur bloßen gemeinsamen Verhandlung oder zur gemeinsamen Entscheidung zugelassen (vgl. dazu im Einzelnen Keller in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 113 Rn. 2c). Dahin stehen kann, ob durch solche "reduzierten" Verbindungen die betroffenen Verfahren ihre zunächst gegebene Selbstständigkeit auch formal durch einen den Verfahrensstatus gestaltenden Akt verlieren, oder ob sich diese im Prozessbetrieb nur faktisch auswirken (bei formalem Fortbestehen der Einzelverfahren). Jedenfalls kann eine Verbindung im ersteren Sinn nicht festgestellt werden. Auch das Sozialgericht räumt ein, dass ein entsprechender expliziter Verbindungsbeschluss fehlt. Anders als dieses vertritt der Senat die Auffassung, dass eine solche Verbindung nicht konkludent vorgenommen werden kann, weil sie stets einen Gerichtsbeschluss voraussetzt. Das aber wiederum erfordert entweder eine spezifische Bekanntgabe durch Zustellung (außerhalb der mündlichen Verhandlung, vgl. § 133 Satz 2 SGG) oder die Verkündung in einer mündlichen Verhandlung (vgl. § 142 Abs. 1 iVm § 132 SGG). Diese zwingenden formalisierten Bekanntgabemodi lassen eine konkludente Beschlussfassung von vornherein nicht zu (ähnlich Knittel in: Hennig, SGG, § 113 Rn. 9 (Stand: April 1996)).

Dass das Sozialgericht jedenfalls keine Verbindung vorgenommen hat, die eine formale Einbeziehung der Verfahren S 12 AL 375/04 und S 12 AL 376/04 in das Verfahren S 12 AL 374/04 bewirkt hat, ergibt sich unabhängig davon nicht zuletzt daraus, dass die am 14.02.2007 angefertigte Sitzungsniederschrift alle drei Aktenzeichen ausweist und danach für jedes der drei Verfahren eine eigene Abschlussverfügung erstellt worden ist.

Folglich kann eine "Verbindung" nur dergestalt stattgefunden haben, dass ohne Verbindungsbeschluss im eigentlichen Sinn sowohl am 07.12.2006 als auch am 14.02.2007 alle drei Fälle in einem Termin abgewickelt worden sind. Solche faktischen Verfahrensvereinfachungen sind jedoch nicht geeignet, die verschiedenen Einzelverfahren zu einem einzigen zu vereinigen. Sie bleiben vielmehr verschiedene Angelegenheiten im Sinn von § 15 RVG (vgl. dazu ausführlich Müller-Rabe, a.a.O., VV 3100 Rn. 93).

Bezüglich der Höhe der Terminsgebühren hält der Senat jeweils 110,00 EUR für angemessen. Aus § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG ergibt sich, dass es für die Festsetzung der Terminsgebühr der Höhe nach auf alle relevanten Umstände des Einzelfalls ankommt, vor allem auf Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, auf die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse und auf das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts. Der einschlägige Betragsrahmen gemäß Nr. 3106 VV RVG beläuft sich auf 20,00 bis 380,00 EUR. Die so genannte Mittelgebühr, die einen an den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG gemessen durchschnittlichen Fall abbildet, beträgt 200,00 EUR. Zweifellos ist davon ein erheblicher Abschlag zu machen, weil die Fälle in Bezug auf das einschlägige Arbeitsförderungsrecht in etwa gleich gelagert gewesen sind; dass es im Verfahren S 12 AL 375/04 um die Rückforderung von Unterhaltsgeld - in den übrigen Verfahren dagegen von Arbeitslosengeld - gegangen ist, wirkt sich nur geringfügig aus. Auch verwaltungsverfahrensrechtlich sind identische Rechtsnormen anzuwenden gewesen, wobei aber die Prüfung des Vertrauensschutzes individuelle Erwägungen notwendig gemacht hat. Zwar ist die wirtschaftliche Bedeutung der Sache S 12 AL 376/04 (Erstattungsforderung 1.669,02 EUR) und insbesondere der Sache S 12 AL 375/04 (Erstattungsforderung 3.374,34 EUR) weitaus höher gewesen als die der Sache S 12 AL 374/04 (Erstattungsforderung 218,27 EUR). Gleichwohl kommt der Senat zum Ergebnis, dass bei einer Gesamtbetrachtung die Mittelgebühr deutlich unterschritten werden muss, zumal das Sozialgericht bei seiner Festsetzung im Rahmen des Verfahrens S 12 AL 374/04 von der Summe der Erstattungsforderungen ausgegangen ist.

In die Gesamtberechnung des zu erstattenden Betrages geht in beiden Verfahren neben einer Terminsgebühr von 110,00 EUR ein Umsatzsteuer-Mehrbetrag (Nr. 7008 VV RVG) von 20,90 EUR ein. Die insgesamt zu erstattenden Kosten belaufen sich sowohl im Verfahren S 12 AL 375/04 als auch im Verfahren S 12 AL 376/04 auf jeweils 571,70 EUR. Nach Abzug des jeweils gezahlten Kostenvorschusses in Höhe von 220,40 EUR verbleiben in jedem der beiden Verfahren 351,30 EUR zur Zahlung.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved