L 5 AS 200/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 399/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 200/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die den Antragstellern entstandenen notwendigen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich in ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Sie ist verpflichtet worden, an die Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 8. Februar bis 30. Juni 2010 350,00 EUR/Monat zusätzliche Leistungen zu gewähren. Die Antragsteller stehen im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die Antragstellerin zu 2. betreibt seit 2004 ein Nagelstudio in ihrer Mietwohnung. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2007 erzielte sie daraus einen durchschnittlichen monatlichen zu versteuernden Gewinn von 1.008,43 EUR. Nach einer Unterbrechung des Gewerbebetriebes vom August 2007 bis einschließlich Januar 2009 wegen der Geburt ihres dritten Kindes hatte sie nach eigenen Angaben folgende betriebliche Einnahmen und Ausgaben in den Monaten Februar bis November 2009: Einnahmen Wareneinkauf sonstige Ausgaben Saldo Februar 69,00 EUR 297,61 EUR 83,43 EUR - 312,04 EUR März 207,00 EUR 131,08 EUR 125,53 EUR - 49,61 EUR April 309,50 EUR 531,86 EUR 75,00 EUR - 297,36 EUR Mai 389,50 EUR 283,64 EUR 75,00 EUR + 30,86 EUR Juni 212,00 EUR 78,23 EUR 75,00 EUR + 58,77 EUR Juli 236,50 EUR 72,84 EUR 75,00 EUR + 88,66 EUR August 276,50 EUR 203,32 EUR 75,00 EUR - 1,82 EUR September 193,50 EUR - 75,00 EUR + 118,50 EUR Oktober 227,50 EUR 91,87 EUR 75,00 EUR + 60,63 EUR November 265,00 EUR 135,29 EUR 75,00 EUR + 54,71 EUR Die Antragstellerin zu 2. setzte monatliche 75,00 EUR als Fixkosten an. Im Juni 2009 teilte sie der Antragsgegnerin mit, sie werde von Juli 2009 bis Januar 2010 voraussichtlich durchschnittliche Betriebseinnahmen von etwa 350,00 EUR haben. Hinzu komme eine monatliche Privateinlage von 100,00 EUR. Dem stünden monatliche Ausgaben für Raumkosten i.H.v. 65,00 EUR, Wareneinkäufe i.H.v. 200,00 EUR sowie sonstige Kosten (Kfz-Kosten, Telefon, Werbung und Büromaterial) i.H.v. etwa 50,00 EUR entgegen.

Die Antragsgegnerin bewilligte den Antragstellern mit Bescheid vom 1. Juli 2009 für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2009 vorläufig Leistungen unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens der Antragstellerin zu 2. i.H.v. 350,00 EUR. Sie rechnete mithin unter Berücksichtigung der Freibeträge des SGB II ein Einkommen i.H.v. 200,00 EUR monatlich an. Die Ausgaben reduzierte die Antragsgegnerin auf insgesamt 100,00 EUR monatlich. Bei dem von der Antragstellerin zu 2. angegebenen Wareneinsatz müssten die Einnahmen wesentlich höher sein. Aus einem am 30. Juni 2009 gefertigten Vermerk geht hervor, dass die Antragsgegnerin davon ausging, die Antragstellerin zu 2. habe bereits in den Monaten Februar bis Mai 2009 die Waren zur Ausstattung ihres Gewerbes vollständig erworben. Im Rahmen eines Antrages auf Weiterbewilligung von SGB II-Leistungen gab die Antragstellerin zu 2. im Dezember 2009 an, sie werde prognostisch 2010 im Januar 70,00 EUR, im Februar 100,00 EUR, im März 100,00 EUR, im April 150,00 EUR, im Mai 200,00 EUR, im Juni 200,00 EUR sowie im Juli 100,00 EUR Betriebseinnahmen haben. Die voraussichtlichen Ausgaben bezifferte sie hinsichtlich der Wareneinkäufe im Januar auf 50,00 EUR, im Februar und März auf je 100,00 EUR, im April auf 150,00 EUR, im Mai auf 100,00 EUR, im Juni auf 150,00 EUR sowie im Juli auf 100,00 EUR. Sie benannte weiterhin als Raumkosten (incl. Strom, Wasser und Gas) Ausgaben i.H.v. 75,00 EUR/Monat sowie sonstige Kosten i.H.v. etwa 45,00 EUR/Monat.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2009 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2010 wiederum vorläufige Leistungen, wobei sie das Einkommen aus dem Gewerbebetrieb in gleicher Höhe wie im vorherigen Bewilligungsabschnitt auf den Bedarf der Antragsteller anrechnete. Gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2009 haben die Antragsteller unter dem 13. Januar 2010 Widerspruch eingelegt. Das angerechnete Einkommen der Antragstellerin zu 2. sei zu hoch. Der Antragsgegnerin lägen bereits entsprechende Abrechnungen aus den vergangenen Monaten vor.

Diesen Widerspruch hat die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen. Die Annahme der Richtigkeit der Angaben zu den voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben führten dazu, dass die Antragstellerin zu 2. kostenlos arbeite. Es seien vielmehr ihre Angaben aus dem Jahr 2006 zugrunde zu legen, wonach ein Wareneinsatz von 100,00 EUR zu Einnahmen von etwa 800,00 EUR bis 1.000,00 EUR führten. Im streitigen Bewilligungsabschnitt seien daher Betriebsausgaben von 100,00 EUR und monatliche Einnahmen i.H.v. 450,00 EUR zu prognostizieren. Gegen diesen Bescheid haben die Antragsteller Klage erhoben, die beim Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 18 AS 659/10 geführt wird.

Am 8. Februar 2010 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Magdeburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung eines Einkommens von 200,00 EUR/Monat von der Antragsgegnerin zu erhalten. Bereits am 21. Januar 2010 haben Mitarbeiter des Hauptzollamtes eine Betriebsprüfung im Betrieb der Antragstellerin zu 2. durchgeführt, bei der auch Mitarbeiter der Antragsgegnerin zugegen gewesen sind. Die Geschäftsunterlagen sind nach dem Bericht des Hauptzollamtes ohne Beanstandungen geblieben. Ausweislich eines Ermittlungsberichtes des Außendienstes der Antragsgegnerin vom gleichen Tag hat die Antragstellerin zu 2. anlässlich der Betriebsprüfung angegeben, seit der Neueröffnung des Geschäftes im Februar 2009 laufe es nur schleppend. Sie habe weder eine Preisliste noch führe sie ein Terminbuch. Sie überlege bereits, ob sie den Betrieb wieder aufgebe, da er sich nicht lohnen würde. Die Mitarbeiter der Antragsgegnerin und des Hauptzollamtes stimmten darüber überein, dass die Angaben der Antragstellerin zu 2. nicht glaubwürdig seien. Der Fall werde vom Hauptzollamt beobachtet. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berichte wird auf die Blätter 597 – 601 der Verwaltungsakte verwiesen. Die Antragstellerin zu 2. hat auf Anforderung des Sozialgerichtes eine Kopie ihres Terminbuches für die Monate Januar bis März 2010 zu den Akten gereicht. Die dort eingetragenen Termine stellen sich wie folgt dar: Januar 11. ein Termin ohne Einnahmeeintrag 13. ein Termin 18,50 EUR 19. ein Termin 21,50 EUR 21. ein Termin 22,50 EUR 22. wohl zwei Termine 21,50 EUR, einmal Reparatur 26. ein Termin ohne Einnahmeeintrag 29. ein Termin 25,50 EUR Februar 2. ein Termin 15,50 EUR 4. ein Termin 21,50 EUR 9. zwei Termine 40,00 EUR 12. ein Termin 18,50 EUR 15. ein Termin 21,50 EUR 19. ein Termin 21,50 EUR 26. ein Termin 21,50 EUR März 1. zwei Termine 40,00 EUR 5. ein Termin 21,50 EUR 10. ein Termin 22,50 EUR Die von ihr vorgelegten Kassenberichte weisen entsprechend folgende Einnahmen und Ausgaben aus: Einnahmen Ausgaben Fixkosten Saldo Januar 109,50 EUR 46,48 EUR 75,00 EUR - 11,98 EUR Februar 160,00 EUR - 75,00 EUR + 85,00 EUR März (bis 10.) 84,00 EUR 32,23 EUR 75,00 EUR - 23,23 EUR Abzüglich der monatlich anfallenden Fixkosten i.H.v. 75,00 EUR verbleibe mithin nur im Februar 2010 ein anrechenbares Einkommen i.H.v. 85,00 EUR.

Das Sozialgericht hat das Begehren der Antragsteller dahin ausgelegt, dass sie Leistungen nach dem SGB II ohne Einkommensanrechnung begehrten und mit Beschluss vom 22. April 2010 die Antragsgegnerin verpflichtet, an die Antragsteller vorläufig für den streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen ohne Berücksichtigung eines vorläufigen Einkommens der Antragstellerin zu 2. aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. monatlich 350,00 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Mitarbeiter des Hauptzollamtes seien zwar zu der Einschätzung gelangt, dass die Angaben der Antragstellerin zu 2. wenig glaubwürdig seien, da sie weder eine Preisliste noch Terminbücher habe vorweisen können. Das reiche allein jedoch nicht aus, um ohne weitere Anhaltspunkte von einem Einkommen oberhalb der Freibeträge ausgehen zu können. Weitere Ermittlungen müssten dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Mit Änderungsbescheid vom 21. Mai 2010 hat die Antragsgegnerin den Beschluss des Sozialgerichts ausgeführt und den Antragstellern vorläufig für den streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen ohne Einkommensanrechnung gewährt. Am 21. Mai 2010 hat die Antragsgegnerin Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Die Einkommensschätzung der Antragstellerin zu 2. für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2010 sei wenig glaubhaft. Allein die Ausgaben für die Beschaffung von Waren entsprächen fast der Höhe der gesamten Einnahmen. Sie würde mithin fast keinen Gewinn erzielen. Niemand arbeite jedoch auf Dauer ohne jegliches Entgelt. Zudem ergebe sich aus der Übersicht für das Jahr 2006, dass bei monatlichen Kosten von 160,00 EUR (Wareneinkauf einschließlich sonstiger Kosten) Einnahmen von fast 1.000,00 EUR erzielt werden könnten. Auch aktuell seien die Ausgaben ähnlich hoch. Es sei mithin davon auszugehen, dass auch die aktuellen Einnahmen höher seien als angegeben. Es sei zwar nachvollziehbar, dass die Antragstellerin zu 2. nach der Unterbrechung noch einen kleineren Kundenstamm habe, dann aber müssten sich auch die Ausgaben reduzieren. Die bestehenden Zweifel an der Höhe des angegebenen Einkommens könnten auch nicht durch die Vorlage der Kassenberichte ausgeräumt werden. Diese seien nur einzelne DIN A5 Blätter, auf denen die Einnahmen nicht fortlaufend nummeriert und mit dem Namen des Kunden versehen aufgeführt seien. Sie entsprächen nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Buchführung. Zudem verwundere die Vorlage eines Terminbuches. Anlässlich des Hausbesuches am 21. Januar 2010 habe die Antragstellerin zu 2. noch bestritten, ein solches zu besitzen. Im Übrigen seien darin auch nur der Name des Kunden und der Betrag kurz vermerkt.

Die Antragsgegnerin beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. April 2010 den Antrag der Antragsteller auf Erlass einer Regelungsanordnung zurückzuweisen.

Die Antragsteller haben keinen eigenen Sachantrag gestellt. Die Antragstellerin zu 2. hat vorgetragen, ein Terminbuch habe es schon immer gegeben. Dort würden der Name des Kunden und der am Ende der Behandlung gezahlte Betrag vermerkt, damit am Ende des Monats ein Kassenbericht erstellt werden könne. Lediglich eine Preisliste habe sie dem Hauptzollamt nicht vorlegen können. Dieser Mangel allerdings sei mittlerweile behoben. Nach dem Ruhen des Gewerbes für mehr als ein Jahr hätten alle verwendeten Materialien neu gekauft werden müssen, da sie geöffnet nur etwa sechs Monate lang verwendungsfähig blieben. Die Waren habe sie nur in Kleinstmengen monatlich erworben, um auf den Stand eines gut ausgestatteten Nagelstudios zu gelangen. Aktuell sei der Warenbestand größtenteils aufgestockt. Im Juli 2010 brauchten keine Bestellungen mehr aufgegeben werden, so dass davon auszugehen sei, dass sich nunmehr in den Folgemonaten die Einnahmen erhöhten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin (Bl. 392 bis 607) sowie auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG statthaft. Die vom Sozialgericht zu Lasten der Antragsgegnerin austenorierte vorläufige Leistungsverpflichtung übersteigt den Wert der Beschwer nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750,00 EUR. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht vorläufig zur Gewährung höherer Leistungen verpflichtet. Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden. Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet.

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Lei-therer, SGG, 9. Aufl. § 86b Rn. 16b). Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden. Die Antragsteller sind unstreitig hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Die Beteiligten streiten allein darüber, ob und in welcher Höhe Einkommen der Antragstellerin zu 2. auf den unstreitig bestehenden Bedarf der Antragsteller i.H.v. 1.981,20 EUR anzurechnen ist. Nach § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 3 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung (SGB III) kann der Leistungsträger über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entscheiden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruches eines Hilfebedürftigen auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Hilfebedürftige die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Die Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Höhe des Einkommens der Antragstellerin zu 2. stand zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung im Dezember 2009 für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht fest. Die Antragsgegnerin konnte und musste folglich das zu erwartende Einkommen schätzen. Sie ist jedoch zu Unrecht von einem prognostischen Einkommen i.H.v. 350,00 EUR/Monat ausgegangen. Eine hinreichende Grundlage für diese Annahme ergibt sich weder aus den Verwaltungsakten noch aus dem Vorbringen im Verfahren. Die Antragsgegnerin stützt ihre Einkommensschätzung im Wesentlichen auf die Einkommensverhältnisse in der Zeit vor August 2007. Zudem bezieht sich auf eine Übersicht aus dem Jahr 2006, wonach aus einem Wareneinsatz von 160,00 EUR monatliche Einnahmen von fast 1.000,00 EUR hätten erzielt werden können. Die Annahme, ein bestimmter Wareneinsatz führe zu bestimmten Einnahmen, kann hier jedoch nicht als Grundlage einer schlüssigen Schätzgrundlage dienen. Voraussetzung dafür ist, dass der Wareneinsatz genau bestimmt werden kann. Allein die Kenntnis vom Kauf beispielsweise von Lacken ermöglicht zwar die Einschätzung, für wie viele Nägel der Lack eingesetzt werden kann. Ohne den konkreten Stand des Verbrauches zu kennen, ist es jedoch nicht möglich, Rückschlüsse auf die Zahl behandelter Kunden zu ziehen.

Der Senat jedenfalls kann aus den vorgelegten Rechnungen nicht erkennen, ob es sich bei den Bestellungen um eine wegen Verbrauchs notwendige Ersatzbeschaffung oder um zusätzlich erworbene Waren handelt. Es lassen sich ohne weitere Ermittlungen aus der Art und Menge der Warenbestellungen keine Rückschlüsse auf deren Verbrauch und damit auf die Einnahmen ziehen. Die Antragstellerin zu 2. müsste zu jedem einzelnen Warenposten im Einzelnen darlegen, für wie viele Nägel sie durchschnittlich zu verwenden sind und wie viel bereits verbraucht worden ist. Auch an Hand der Grundmaterialien, wie z.B. Feilen, lässt sich nicht ohne Weiteres mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Angaben der Antragstellerin zu 2. zur Höhe ihres Einkommens falsch waren bzw. sind. Erst recht lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass sie monatlich ein oberhalb der Freibetragsgrenzen liegendes Einkommen erzielt. So hat die Antragstellerin zwar sowohl im März, April und Mai 2009 je 20 Feilen 100/100, im Juli 2009 30 Feilen 100/100, im August 50 Feilen 100/100 sowie im Oktober und November 2009 insgesamt 70 Feilen 100/180 erworben. Selbst daraus lassen sich aber keine hinreichend sicheren Rückschlüsse auf das Einkommen ziehen. Die in diesen Monaten erzielten Einnahmen lassen keine Proportionalitäten zu der Anzahl der Feilen erkennen. Der Antragsgegnerin ist zwar zuzugeben, dass die Angaben der Antragstellerin zu 2. hinsichtlich des Vorhandenseins eines Terminsbuches widersprüchlich sind. Anlässlich der Buchprüfung des Hauptzollamtes am 21. Januar 2010 hat sie angegeben, kein Terminbuch zu führen. Sie habe so wenig Kunden, dass sie sich die Termine merken könne. In der Beschwerdeinstanz dagegen hat sie vorgetragen, sie habe schon immer ein Terminbuch geführt. Dieses sei Grundlage der Kassenberichte. Aus diesem Widerspruch lässt sich jedoch entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht ohne Weiteres auf ein höheres als von der Antragstellerin zu 2. angegebenes bzw. prognostiziertes Einkommen schließen. Soweit die Antragsgegnerin die Angaben der Antragstellerin zu 2. auch bezweifelt, weil diese ihres Erachtens keine ordnungsgemäße Buchführung hat, gibt der Senat zu bedenken, dass die von dieser eingereichten Unterlagen durchaus eine Einnahme-/Ausgabenrechnung darstellen. Auch in Kassenbüchern können Eintragungen von vornherein ausgelassen werden. Solche Manipulationsmöglichkeiten sind nicht allein abhängig von der Form der Buchführung. Aus dem Unterschied der Einnahmen vor und nach der Geburt des dritten Kindes lässt sich auch nicht mit hinreichender Sicherheit schließen, dass die Antragstellerin zu 2. zu geringe Einnahmen angegeben hat. Durchschnittlich hatte sie im Jahr 2009 (von den vorliegenden Monaten Februar bis November 2009 ausgehend) Einnahmen i.H.v. 41,01 EUR/Monat. Diese Berechnung fußt auf den Angaben der Antragstellerin zu 2. und lässt die Monate, in denen Verluste erwirtschaftet wurden, außer Betracht. Das Gewerbe der Antragstellerin zu 2. lief bis November 2009 defizitär. So erwirtschaftete sie einen Verlust von 271,09 EUR. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie habe durch die Unterbrechung Kunden verloren. Zudem gebe es im Ort noch ein zweites Nagelstudio. Diese Erklärung erscheint nicht unglaubhaft. Selbst wenn diese Angaben angezweifelt würden, ergäbe sich daraus nicht ein anzurechnendes Einkommen von 350,00 EUR/Monat ergeben. Eine Rückrechnung vom Wareneinsatz zum Kundenstamm zu Einnahmen ist aufgrund der bereits oben genannten Gründe nicht möglich. Legt der Senat die für Januar bis Mitte März 2010 überreichten Kassenberichte zugrunde, errechnet sich daraus kein anzurechnendes Einkommen. Die Antragstellerin zu 2. hatte in den Monaten Januar bis März 2010 lediglich im Februar 2010 ein Einkommen i.H.v. 85,00 EUR erzielt. Selbst unter Abzug der Fixkosten i.H.v. 75,00 EUR (Raumkosten, die zum größten Teil durch die gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung seitens der Antragsgegnerin getragen werden), verbleibt im Monatsdurchschnitt kein anzurechnendes Einkommen.

Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. Es ist für die Antragsteller nicht zumutbar bis zur Klärung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse in einem Hauptsacheverfahren mit einer monatlichen Unterdeckung von 200,00 EUR auszukommen. Selbst unter Berücksichtigung eines – wenn auch geringen – Einkommens verbleibt eine Deckungslücke von mindestens 100,00 EUR.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin unterlag mithin der Zurückweisung.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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