L 5 R 3321/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 3488/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3321/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26.03.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente im Streit.

Die am 19.7.1960 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war seit 1977 als Arbeiterin beschäftigt und verrichtete zuletzt vormittags eine Tätigkeit als Näherin. Nachmittags war sie im Versand eingesetzt.

Ab dem 23.11.2004 war die Klägerin aufgrund von Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt. Sie bezog zunächst Krankengeld und anschließend ein Jahr lang Arbeitslosengeld I.

In der Zeit vom 23.08.2005 bis zum 20.09.2005 erfolgte eine Rehabilitationsbehandlung in der M.-Klinik. Im Entlassbericht vom 20.09.2005 wurden folgende Diagnosen gestellt: 1. Wurzelreizsyndrom L5 links bei schweren degenerativen Veränderungen und Bandscheibenvorfall L4/5, 2. chronisches HWS-Syndrom mit Verspannungen der Nackenmuskulatur und Myogelosen im Musculus trapecius, 3. Epicondylopathia humeri radialis rechts, 4. chronisches Lymphödem linker Unterschenkel bei postthrombotischem Syndrom 5. Hallux valgus links. Die Klägerin wurde aufgrund der zunehmenden Epicondylopathie rechts und aufgrund ihrer psychischen Situation als arbeitsunfähig entlassen. Mittelfristig wurde ihre Leistungsfähigkeit jedoch dahingehend eingeschätzt, dass sie ihre letzte berufliche Tätigkeit sechs Stunden und mehr täglich ausüben könne. Sie könne leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen sowie überwiegend im Gehen und überwiegend im Stehen für sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten. Ausgeschlossen sei das Anheben und Tragen schwerer Lasten über 15 Kilogramm, Arbeiten in gebückter oder vornübergebeugter Haltung oder in Zwangshaltungen des Rumpfes, Gehstrecken über 1000 Meter am Stück, Dauerstehen über 30 Minuten am Stück und kräftiges Zupacken mit der rechten Hand.

In einem im Rehabilitations-Verfahren von Dr. D. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) am 29.09.2005 erstellten Gutachten wurden weitere Reha-Maßnahmen als nicht sinnvoll angesehen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit liege vor. Empfohlen wurde eine ambulante psychotherapeutische Behandlung, da bei der Klägerin Ängste bestünden, überhaupt einen Arbeitsplatz anzutreten.

Die Beklagte ließ die Klägerin durch Dr. Kl. vom Sozialmedizinischen Dienst erneut begutachten. In seinem Gutachten vom 29.11.2005 bestätigte dieser die im Reha-Entlassungsbericht vom 20.09.2005 gestellten Diagnosen. In orthopädischer Hinsicht diagnostizierte er zusätzlich eine Coxarthrose beidseits bei Dysplasie-Hüfte mit Schmerzen im linken Hüftgelenk sowie eine motorische Schwäche rechts von früher durchgemachtem Bandscheibenvorfall L5/S1. Er stellte ferner als sonstige Nebendiagnosen verschiedene Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet fest. Nach seiner Leistungseinschätzung sei der Klägerin die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit nur noch in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich zumutbar. Die bisher ausgeübte Tätigkeit als Näherin sei ihr wegen des Sitzens nicht zumutbar, hingegen aber die leichte Verpackungstätigkeit am Nachmittag. Der Gutachter beschrieb ein positives Leistungsbild für leichte körperliche Tätigkeiten im Umfang von sechs und mehr Stunden arbeitstäglich. Tätigkeiten mit langem Sitzen und langem Stehen seien wegen der Thrombose und der zu tragenden Kompressionsstrümpfe nicht geeignet, ebenso Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie schweres Heben und Tragen über 10 Kilogramm sowie Tätigkeiten in Hitze. Dr. Kl. schlug Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vor.

Am 31.01.2006 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Sie machte geltend, wegen einer am 21.01.2005 erlittenen Thrombose mit Lungenembolie nur noch leichte Tätigkeiten für zweieinhalb Stunden arbeitstäglich ausüben zu können. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. Kl. mit Bescheid vom 03.03.2006 ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 15.03.2006 Widerspruch ein, den sie damit begründete, sie leide aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden unter nahezu ständigen massiven Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen in Arme und Beine. Hinzu kämen die Schmerzen in den Beinen in Folge der Lymphproblematik, sowie Hüftgelenks- und Ellenbogengelenksschmerzen. Diese Schmerzproblematik sei im Rahmen der Begutachtung durch Dr. Kl. nicht ausreichend berücksichtigt worden. Hinzu komme eine seelische Minderbelastbarkeit. Sie leide unter erheblichen Depressionen, einhergehend mit Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung. Selbst alltägliche leichte häusliche Tätigkeiten müssten nach jeweils einer halben Stunde durch lange Ruhepausen unterbrochen werden. Ausdauer und Konzentration selbst für einfache tägliche sechsstündige Tätigkeiten seien nicht mehr vorhanden.

Die Beklagte legte die von der Klägerin ihrem Widerspruch beigefügten ärztlichen Befundberichte dem Gutachter Dr. Kl. vor. Dieser hielt in einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 03.05.2006 an seiner Leistungseinschätzung aus dem Gutachten vom 29.11.2005 fest. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2006 zurück.

Am 18.07.2006 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Freiburg. Zur Begründung wiederholte sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

Das Sozialgericht hörte zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen an.

Der Neurologe und Psychiater Dr. H. gab in seiner Stellungnahme vom 26.10.2006 als im Vordergrund stehende Erkrankung die Spinalkanalstenose L4/L5 mit Bandscheibenvorfall an, die er als schwergradig beschrieb und für die eine Operationsindikation aufgrund der motorischen Beeinträchtigungen und Schmerzen bestehe. Er bestätigte die weiteren orthopädischen Diagnosen aus dem Gutachten von Dr. Kl. und benannte ferner eine tiefe Venenthrombose mit postthrombotischem Syndrom sowie darüber hinaus ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom mit Somatisierungserscheinungen und depressiven Verstimmungen mit Antriebsminderung und Neigung zu Migränekopfschmerzen. Er hielt die Klägerin für nicht mehr in der Lage, auch leichte Arbeiten im Sitzen und Stehen länger als drei Stunden täglich auszuführen. Diese Beurteilung bestehe für eine Dauer von zwei Jahren und solle dann noch einmal endgültig überprüft werden.

Die behandelnden Allgemeinärzte Dres. De. und Schm. beschrieben in ihrer Stellungnahme vom 28.11.2006 die orthopädischen Beschwerden an der Wirbelsäule und im Bereich des linken Hüftgelenks. Ferner berichteten sie von einer Überweisung im Juli 2006 zur Neurologie und Handchirurgie wegen Schmerzen im Bereich beider Unterarme bei festgestelltem Karpaltunnelsyndrom beidseits. Ebenfalls im Juli 2006 sei eine Überweisung zum Psychiater wegen depressiver Symptomatik erfolgt. Aufgrund der durchgemachten tiefen Beinvenenthrombose mit konsekutiver Lungenembolie erfolge eine Markumartherapie. Sie hielten die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankungen nicht dazu in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für drei bis sechs Stunden auszuüben.

Die Ärztin für Psychiatrie S.-H. berichtete in ihrer Stellungnahme vom 7.12.2006, dass die Klägerin sich seit 2001 bei ihr in fachpsychiatrischer Behandlung befinde und im Juli 2006 nach längerer Pause wieder vorgestellt habe. Sie habe sehr starke Schmerzen im Rücken und in der Hüfte beklagt und einen depressiven Eindruck erweckt. Sie habe kaum schlafen können, sei ohne Antrieb gewesen und habe Grübelzwänge beklagt. Wie bereits im Jahr 2001 habe sie die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Episode gestellt, zur Zeit mittelschwer, sowie eines Schmerzsyndroms. Aufgrund der starken Schmerzen und der depressiven Verstimmungen halte sie die Leistungsfähigkeit der Klägerin für erheblich eingeschränkt.

Der Orthopäde Dr. V. berichtete in seiner Stellungnahme vom 14.03.2007, dass er die Klägerin in der Zeit vom 13.03.2006 bis zum 26.04.2006 behandelt habe. Er habe einen Bandscheibenvorfall L4/5 links bei Osteochondrose L4/5, Verdacht auf ISG-Syndrom links sowie eine Hüftdysplasie beidseits diagnostiziert. Er stimme voll und ganz mit der Leistungsbeurteilung in dem ihm vorgelegten Gutachten des Dr. Kl. überein.

Das Sozialgericht zog das im Schwerbehindertenverfahren zum Aktenzeichen S 1 SB 2369/06 eingeholte Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Kö. bei. Dieser hatte die Klägerin am 19.12.2006 untersucht und in seinem Gutachten vom 20.12.2006 die folgenden Diagnosen gestellt: 1. Lumbalkanalstenose mit Bandscheibenvorfall im Segment LW4/5, höhergradige Spinalkanalstenose in diesem Segment und Wurzelreizsyndrom L5 links sowie pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung in die Leiste, 2. rezidivierende leicht- bis mittelschwere depressive Störung und ängstlich-depressive Anpassungsstörung mit Schlafstörung, 3. imperativer Harndrang, 4. wiederkehrende sensible Reizung ohne Defizite des Nervus medianus rechtsbetont bei leichtgradigem Karpaltunnelsyndrom, 5. Migräne-Kopfschmerz, Häufigkeit ca. ein bis zweimal pro Monat, 6. rezidivierende Nackenschmerzen ohne Hinweis auf Reizung oder Schädigung der Nervenwurzeln. Diese Gesundheitsbeeinträchtigungen führten nach Einschätzung des Gutachters zu einem Gesamt-Grad der Behinderung von 50.

Das Sozialgericht holte sodann von Amts wegen ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. W. vom O. Klinik ein. Dieser erstellte am 15.08.2007 sein Gutachten aufgrund neurologischer, psychiatrischer, testpsychologischer, elektrophysiologischer und schlafmedizinischer Untersuchungen im Juli 2007. Er diagnostizierte bei der Klägerin 1. ein Upper Airway Resistance-Syndrom mit erhöhter Tagesmüdigkeit und periodischen Beinbewegungen im Schlaf durch respiratorische Weckreaktionen, 2. depressives Syndrom leichter Ausprägung, 3. chronisches Lymphödem linker Unterschenkel bei postthrombotischem Syndrom, markumarpflichtig, 4. chronisches Lumbago, 5. Iliosakralgelenkssyndrom links, 6. leichtes sensibles Residuum L5 und S1 links und S1 rechts bei Bandscheibenvorfall LWK 4/5 beidseits mit engem lumbalen Spinalkanal, 7. leichtes chronisches HWS-Syndrom bei asymptomatischem engen zervikalen Spinalkanal, 8. Epicondylopathia radialis beidseits, 9. Migräne, 10. leichte Karpaltunnelsyndrome beidseits, 11. kompensierte Hypertonie, 12. multiple Allergien, 13. Adipositas, 14. Reizblase. Aufgrund der festgestellten Erkrankungen, sei die Klägerin noch dazu in der Lage leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben. Solche Tätigkeiten seien im regelmäßigen Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten. Wegen des postthrombotischen Syndroms sei Sitzen länger als 30 Minuten ohne zwischenzeitliche Bewegung zu vermeiden. Ebenso sei langes Stehen zu vermeiden. Lasten könnten bis zu 10 Kilogramm getragen werden. Die Klägerin selbst halte sich dafür in der Lage, ihre früher durchgeführte nachmittagliche Tätigkeit als Verpackerin ohne schweres Tragen und Heben wieder aufzunehmen. Aufgrund der nachgewiesenen Konzentrationsminderung sei die Klägerin für Arbeiten an gefährdenden Maschinen und für Arbeiten auf Leitern und Gerüsten nicht geeignet. Ebenso kämen Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Arbeiten bei Hitze, Kälte, Zugluft und Nässe sowie in lauter Umgebung nicht in Betracht. Wechselschichttätigkeit erscheine auch bei depressivem Syndrom möglich, Nachtschichten sollten jedoch vermieden werden. Eine atemtherapeutische Behandlung der festgestellten nächtlichen Schlafstörung könne das depressive Bild und die Verarbeitung der Schmerzen nachhaltig bessern. Es werde aber nicht zu einer Aufhebung der angegebenen Einschränkungen kommen. Ungünstig beeinflusst werde das vielschichtige Krankheitsbild durch die mehrjährige Schonung mit fehlendem Kontakt zu den Anforderungen des Arbeitslebens und den Rückzug in eine Schonhaltung mit Übernahme schon leichter Aufgaben im Haushalt durch den Partner.

Auf Antrag der Klägerin holte das Sozialgericht nach § 109 SGG das psychiatrisch-psychosomatische Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Sch. ein, welches dieser aufgrund einer ärztlichen Untersuchung vom 28.04.2008 unter Mitwirkung des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. Fr. erstellt hatte. Das Gutachten ging am 19.11.2008 beim Sozialgericht ein. Prof. Dr. Sch. diagnostizierte als im Vordergrund stehende Gesundheitsstörungen eine Neurasthenie (ICD-10 F 48.0), eine sekundäre anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F 45.4) und eine Dysthymie (ICD-10 F 34.1). Die Leistungsfähigkeit der Klägerin werde weit überwiegend durch diese Störungen beeinflusst. Prof. Dr. Sch. berichtete ferner über eine depressive Persönlichkeitsstruktur, ein Reizdarmsyndrom und eine Reizblase sowie Verhaltensweisen bei andernorts klassifizierbaren Erkrankungen, welche eher den individuellen und biographischen Hintergrund bildeten, auf dem sich die anderen Störungen entwickelt hätten. Daneben bestehe eine Reihe von somatischen Erkrankungen, die die Leistungsfähigkeit zusätzlich verringerten. Die Neurasthenie bewirke eine allgemeine Minderung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Die Klägerin sei bei körperlicher oder geistiger Betätigung nach kurzer Zeit erschöpft und müsse selbst bei Aktivitäten des täglichen Lebens mehr Pausen einlegen und benötige im Vergleich zu früher längere Zeiten zur Regeneration. Die Leistungsfähigkeit werde durch die Schmerzen in der Hüfte beeinflusst, die Klägerin könne schmerzfrei etwa 10 Treppenstufen hinaufsteigen oder 500 Meter in der Ebene gehen. Die Dysthymie führe zu einer gedrückten Grundstimmung sowie zu Antriebshemmung und zu sozialem Rückzug. Die Klägerin habe große Schwierigkeiten, am Morgen aufzustehen und verlasse kaum noch das Haus. Selbst kleinste Schwierigkeiten erschienen ihr als unüberwindbare Hindernisse. Die Klägerin sei aufgrund dessen auch in einem Umfang von unter drei Stunden nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Eine Besserung des Gesundheitszustandes durch geeignete therapeutische Maßnahmen, wie etwa im Rahmen einer psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung angeboten, oder durch eine eng verzahnte, ambulante schmerztherapeutische, psychotherapeutische und physiotherapeutische Behandlung sei durchaus möglich. Die Klägerin sei nicht wegefähig. Die beschriebene Leistungseinschränkung bestehe seit Mitte November 2004. Die Leistungseinschränkungen der Klägerin seien nicht an einen spezifischen Arbeitsplatz gebunden sondern bestünden generell, so dass die Klägerin auch nicht dazu in der Lage sei, sich an einen neuen Arbeitsplatz zu gewöhnen oder anzupassen. Es seien keine besonderen Arbeitsbedingungen vorstellbar, unter denen die massiven Einschränkungen nicht zum Tragen kämen oder wesentlich abgemildert wären. Die Abweichung zu den Einschätzungen von Dr. Kl. und Dr. W. sei darin begründet, dass diese ihre Beurteilung überwiegend vor dem Hintergrund der diagnostizierten körperlichen Erkrankungen und der dadurch bedingten Funktionseinschränkungen vorgenommen hätten. Die Erschöpfung und ein Großteil der Schmerzen seien jedoch überwiegend psychisch bedingt. Eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund der körperlichen Befunde sei daher nicht ausreichend. Generell solle die Beurteilung der Leistungsfähigkeit unabhängig von den zugrunde liegenden diagnostischen Überlegungen erfolgen. Das Leistungsbild solle stattdessen beobachtungsnah beschrieben werden.

Dr. Schl. vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten nahm in einer Stellungnahme vom 16.02.2009 zum Gutachten Prof. Sch./Dr. Fr. dahingehend Stellung, dass die darin enthaltene Leistungseinschätzung nicht nachvollziehbar sei. Das Gutachten leide an einer einseitigen Gewichtung der anamnestischen und damit subjektiven Angaben der Versicherten ohne eine ausreichende Berücksichtigung der tatsächlichen Befunderhebung. Die sehr kurze Darstellung des psychopathologischen, des neurologischen und des körperlichen Befundes sei zudem komplett unauffällig. Die Schlussfolgerungen der Gutachter beruhten ausschließlich auf den Schilderungen der Klägerin, die ihren Tagesablauf in vielfacher Hinsicht eingeschränkt beschrieben habe. Es sei aber nicht nachvollziehbar, dass diese Einschränkungen krankheitsbedingt zwingend erforderlich seien. Der Vorgutachter Dr. W. habe bereits auf die Problematik hingewiesen, die dadurch bestehe, dass sich die Klägerin in ihrem häuslichen Umfeld eingerichtet habe. Selbst wenn ein Teil des Schmerzerlebens der Klägerin als somatoforme Schmerzstörung einzuschätzen sei, könne noch lange keine so schwerwiegende Störung angenommen werden, dass eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden vorliege, geschweige denn, dass diese Einschränkung auch noch viele Jahre zurück datiert werden müsse. Dem stünden insbesondere auch die Feststellungen in den Vorgutachten entgegen. Weder Dr. Kl. noch der Neurologe und Psychiater Dr. Kö. hätten in ihren Gutachten aus den Jahren 2005 und 2006 nennenswerte psychopathologische Befunde erhoben, obwohl die Klägerin dort sogar eine hochgradige Schmerzhaftigkeit ihrer aktuellen Beschwerden geschildert habe. Auch im Gutachten von Dr. W. vom Juli 2007 habe sich für die subjektiv geklagten Einschränkungen und die empfundene Erschöpfung kein objektivierbares Korrelat für eine irgendwie geartete Minderung des quantitativen Leistungsvermögens gefunden. Es bestehe vielmehr eine deutliche Diskrepanz zwischen der subjektiven Sichtweise und der Selbsteinschätzung der Klägerin einerseits und dem tatsächlichen Befund andererseits. Auch die Verneinung der Wegefähigkeit durch die Gutachter Prof. Sch./Dr. Fr. beruhe offenbar auf der subjektiven Angabe der Klägerin, sie sei noch nie in ihrem Leben Straßenbahn gefahren und vermeide dies, da sie befürchte, in der Bahn Angst zu bekommen. Eine Angsterkrankung sei aber zu keinem Zeitpunkt diagnostiziert worden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, eine krankheitsbedingte, nicht überwindbare Hemmung vor der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel anzunehmen und daraus auf eine nicht vorliegende Wegefähigkeit zu schließen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 26.03.2009 wies die Klägerin daraufhin, dass sie wegen der Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ein arbeitsgerichtliches Verfahren angestrengt habe. Im Rentenverfahren wolle sie hilfsweise auch eine teilweise Erwerbsminderung sowie eine Berufsunfähigkeit geltend machen. Insoweit dürfte zwar eine Verweisbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehen, der Arbeitsmarkt sei jedoch für sie verschlossen.

Mit Urteil vom 26.03.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Gestützt auf die Sachverständigengutachten von Dr. W. und Dr. Kl. sowie die Aussage des sachverständigen Zeugen Dr. V. und das im Schwerbehindertenverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. Kö. kam das Sozialgericht zu der Überzeugung, dass die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Das Leistungsvermögen der Klägerin sei nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen durch die bei ihr vorliegenden Erkrankungen eingeschränkt. Im Vordergrund stünden im Wesentlichen die schmerzverursachenden Erkrankungen der LWS und der HWS, während die Hüftgelenksdysplasie demgegenüber nachrangig sei. Ferner leide die Klägerin unter einer nächtlichen Atemstörung und Schlafstörungen. Diese führten nach der Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. W. zu einem Leistungsbild, nach dem der Klägerin leichte körperliche Arbeit mindestens sechs Stunden täglich möglich sei. Die Leistungsbeurteilung durch Dr. W. stimme im Wesentlichen mit derjenigen des Dr. Kl. überein und werde auch durch den behandelnden Orthopäden der Klägerin Dr. V. bestätigt. Dass die Einschätzung durch Dr. W. realistisch sei, zeige auch die im Gutachten wiedergegebene Einschätzung der Klägerin, die sich selbst dafür in der Lage halte, die früher nachmittags durchgeführte Verpackungstätigkeit wieder aufzunehmen. Dies erscheine auch insoweit plausibel, als mit der nachmittaglichen Tätigkeit im Versand im Gegensatz zu der Tätigkeit als Näherin die Möglichkeit eines Wechselns von Gehen, Stehen und Sitzen verbunden sei und die auftretenden Hebebelastungen bis 10 kg das von Dr. W. beschriebene Restleistungsvermögen der Klägerin nicht überstiegen. Dem gegenüber habe sich die Kammer nicht dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. und der darin enthaltenen Leistungseinschätzung anschließen können. Die Einschätzung, die Klägerin sei nicht dazu in der Lage auch in einem Umfang von unter drei Stunden täglich einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen, lasse sich aus dem Gutachten nicht nachvollziehbar ableiten. Das Sozialgericht schloss sich insoweit den Bedenken des Dr. Schl. vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten in dessen ausführlicher Stellungnahme vom 16.02.2009 an. Im Gutachten von Prof. Dr. Sch. würden keine ausgeprägten psychopathologischen Befunde geschildert. Es habe keine Hinweise auf grobe anamnestische Defizite gegeben, die konzentrative Belastbarkeit und Aufmerksamkeitsspanne sei nicht beeinträchtigt gewesen, ebenso wenig die Psychomotorik. Lediglich die affektive Modulationsfähigkeit habe leicht reduziert gewirkt. Es seien ferner eine leichte Stimmungslabilität und ein etwas bedrückt angespannter Eindruck geschildert worden. Aus diesen Befunden könne die angenommene Minderung des quantitativen Leistungsvermögens auf unter drei Stunden täglich nicht nachvollzogen werden. Auch die Begründung der Abweichung zu den Vorgutachten, es seien zusätzliche Befunde erhoben worden, vermöge nicht zu überzeugen. Das Sozialgericht gelangte insbesondere auch unter Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Kö., der die Auswirkungen der leicht bis mittelschweren depressiven Störung, der ängstlich-depressiven Anpassungsstörung mit Schlafstörung auf die berufliche Leistungsfähigkeit im Einzelnen dargestellt habe, zu dem Schluss, dass die von der Klägerin vorgetragenen Beeinträchtigungen des Durchhaltevermögens zwar durchaus objektivierbar seien, letztlich aber überwiegend eine leichtgradige Leistungsminderung zur Folge hätten. Soweit die sachverständigen Zeugen Dr. De. und Dr. H. von einem in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Restleistungsvermögen der Klägerin ausgegangen seien, sei deren Einschätzung durch das eingeholte fachärztliche Gutachten von Dr. W. sowie das Gutachten von Dr. Kl. widerlegt. Eine besondere Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besonders schwere spezifische Leistungsbehinderung sei nicht erkennbar, sodass die Benennung einer Verweisungstätigkeit auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes erforderlich sei. Der Arbeitsmarkt sei für die Klägerin auch nicht aus Gründen fehlender Wegefähigkeit als verschlossen anzusehen. Die Gutachter Dr. W. und Dr. Kö. hielten die Klägerin für wegefähig für eine Strecke von 500 Metern. Die entgegenstehende Einschätzung des Prof. Dr. Sch. könne demgegenüber nicht überzeugen. Sofern sie auf der Angabe der Klägerin beruhe, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu vermeiden, weil sie befürchte dort Angst zu bekommen, sei dies schon deshalb nicht überzeugend, weil eine Angststörung bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen worden sei. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, da die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung als Arbeitnehmerin auf sämtliche ungelernte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 25.06.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.07.2009 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausführen lassen, sie sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts erwerbsgemindert gemäß § 43 SGB VI. Dies ergebe sich aus der Einschätzung des sachverständigen Zeugen Dr. De., der ein Restleistungsvermögen von unter sechs Stunden angegeben habe. Bestätigt werde diese Einschätzung durch das Gutachten von Prof. Dr. Sch ... Dieser habe die psychosomatische Seite der Erkrankung der Klägerin nur dadurch komplett darlegen können, in dem er auf den Lebenssachverhalt entscheidend Bezug genommen habe. Das Gutachten sei daher keineswegs zu vernachlässigen und auch nicht in sich widersprüchlich. Der Rückgriff auf Gutachten, die teilweise vier Jahre alt seien, spiegele hingegen den Gesundheitszustand der Klägerin nicht korrekt wieder. Entscheidend sei der gegenwärtige Gesundheitszustand der Klägerin. Sie leide an einer akuten Erkrankung und sei nicht arbeitsfähig. Zudem habe sich ihr Gesundheitszustand erneut verschlechtert. Sie leide an einer Hüftdysplasie.

Die Klägerin hat schriftlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Freiburg vom 26.03.2009 und des Bescheides vom 03.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2006 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf ihren Antrag vom 31.01.2006 hin zu gewähren.

Die Beklagte hat schriftlich beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Freiburg.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte der Klägerin Dr. H. und Dr. R. vom L.-Krankenhaus Freiburg als sachverständige Zeugen befragt. Der Neurologe und Psychiater Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 21.04.2010 berichtet, die Klägerin seit April 2006 in viertel- bis halbjährlichen Abständen bis zuletzt am 08.02.2010 behandelt zu haben. Als Diagnosen hat Dr. H. eine Spinalkanalstenose L4/L5 mit Bandscheibenvorfall, eine tiefe Venenthrombose mit postthrombotischem Syndrom und anhaltender Indikation zu Markumarisierung, eine Restless legs Syndrom, ein Upper Airway Resistance Syndrom mit massiv verstärkter Tagesmüdigkeit, ein rezidivierendes Wurzelreizsyndrom C6 und C7 links bei Spinalkanalstenose HWK5/6 linksbetont mit Einengung des Rückenmarks und ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom mit Somatisierungserscheinungen und depressiven Verstimmungen mit Antriebsminderung und Neigung zu Migränekopfschmerzen benannt. Die Behandlung habe sich auf eine medikamentöse Dauerbehandlung und Physiotherapie, daneben psychiatrische und psychotherapeutische Maßnahmen beschränkt. Diese seien in Grenzen hilfreich gewesen. Die empfohlene operative Behandlung sowohl im lumbalen als auch cervicalen Bereich habe die Klägerin aufgrund großer Ängste und Vorbehalte gegen invasive Behandlungen nicht durchführen lassen. Dies sei zwar unbedingt zu respektieren, der Gesamterfolg der Behandlung sei aber leider bescheiden geblieben.

Dr. R. vom L.-Krankenhaus Freiburg hat am 27.04.2010 mitgeteilt, die Klägerin habe sich einmalig am 02.06.2008 in der orthopädischen Sprechstunde vorgestellt und über seit zwei Jahren bestehende Arthrosebeschwerden des linken Hüftgelenks geklagt. Auf den mitgebrachten Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 2006 habe sich eine deutliche Coxa valga mit schlechter Kopfüberdachung bei nur geringgradiger Verschmälerung des Knorpels in der tragenden Zone gezeigt. In Aufnahmen aus dem Jahr 2008 sei die Gelenkspalte in der tragenden Zone vollständig aufgehoben gewesen. Man habe der Klägerin die Implantation einer Hüfttotalendoprothese links empfohlen. Die geplante Operation sei dort jedoch nicht durchgeführt worden.

Der Senat hat ferner die Akten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens 6 Ca 457/08 vom Arbeitsgericht Freiburg beigezogen. Mit ihrer dortigen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie sich durchaus dazu in der Lage sehe, halbtags als Bandagennäherin tätig zu sein, da es sich hierbei um eine leichte Tätigkeit handele, die trotz der Erkrankung problemlos zu bewältigen sei. Sie werde sich nunmehr alsbald einer Hüftoperation unterziehen, und im Anschluss daran wieder gesundheitlich voll hergestellt sein. Zu diesem Sachvortrag hatte das Arbeitsgericht ein traumatologisch-orthopädisches Gutachten von Dr. V. vom Universitätsklinikum Freiburg eingeholt. In seinem Gutachten vom 29.10.2009 diagnostizierte Dr. V. in fachorthopädischer Hinsicht 1. ein degenerativ bedingtes Halswirbelsäulensyndrom mit Retrospondylose der mittleren Halswirbelsäule, konsekutiven funktionellen Bewegungsbeschwerden mit Muskelspannungsstörung im Bereich des cervicothorakalen Überganges, 2. multisegmentales degeneratives Brustwirbelsäulensyndrom mit konsekutiver, leichtgradiger Bewegungseinschränkung, 3. multisegmentales, degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit Osteochondrose L4/5, Spondylose sowie Facettengelenksarthrose der unteren Lendenwirbelsäule oder intermittierender pseudoradikulärer Beschwerdesymptomatik ohne sensomotorisches Defizit, 4. ISG-Syndrom bei leichtgradiger ISG-Arthrose rechtsseitig, 5. Dysplasie Coxarthrose links mehr als rechts mit funktioneller Bewegungseinschränkung sowie Ruhe- und Belastungsschmerzhaftigkeit, 6. Hallux valgus beidseits, links mehr als rechts. Vor dem Hintergrund dieser orthopädischen Diagnosen hielt der Gutachter die Durchführung einer Tätigkeit von vier Stunden als Bandagennäherin, im Sitzen ausgeübt, für möglich. Es handele sich um eine leichte Arbeit. Da im Bereich der oberen Extremitäten keine Einschränkungen bestünden, sei diese durchführbar. Aufgrund der wirbelsäulenbedingten Beschwerden seien kurzzeitige Arbeitsunterbrechungen zu ermöglichen, um fixierte Sitzhaltungen über längere Zeit zu vermeiden. Schweres Heben, Tragen und Umsetzen sowie längeres Stehen oder Treppenlaufen sei aufgrund der Beschwerdesymptomatik der Klägerin gegenwärtig nicht vertretbar. Im Zusammenhang mit der Hüftgelenksproblematik könnten sich noch Veränderungen ergeben, die Klägerin wolle sich ihren Angaben zu Folge in absehbarer Zeit einer operativen Versorgung mit einer Hüftgelenksendoprothese unterziehen. Nach einer entsprechenden Rehabilitationsphase erscheine dann auch eine intermittierende Tätigkeit im Stehen, zum Beispiel in einer Packabteilung ohne schweres Heben von Lasten durchführbar zu sein. Derzeit solle die Tätigkeit auf eine sitzende Tätigkeit reduziert bleiben. Sofern eine beschwerdeadaptierte, begleitende physiotherapeutische Übungsbehandlung im Rahmen des Arbeitseinstiegs möglich wäre, könne eine Arbeitsfähigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit gegeben sein.

Der Senat hat daraufhin den Orthopäden Dr. Schw. von Amts wegen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 23.06.2010 stellte Dr. Schw. folgende fachorthopädische Diagnosen: 1. fortgeschrittene Dysplasie-Coxarthrose links mit erheblicher Bewegungseinschränkung, insbesondere bezüglich der Hüftbeugung und -rotation, 2. degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit Osteochondrosen und Facettengelenksarthrosen bei bekanntem Bandscheibenvorfall L4/L5 mit ausstrahlenden Schmerzen und pseudoradikulärer Beschwerdesymptomatik im linken Bein, 3. degeneratives Hals- und Brustwirbelsäulensyndrom mit Bewegungsbeschwerden und Muskelverspannungen, konsekutiver Spannungskopfschmerz mit migräneartigen Ausprägungen. Die Klägerin sei aufgrund der genannten Diagnosen und Befunde deutlich eingeschränkt bei stehenden und gehenden Tätigkeiten. Hier stehe die Hüftgelenksarthrose im Vordergrund. Aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden bestünden weitere Einschränkungen bezüglich häufigem Bücken und Heben oder Tragen von Lasten über 5 kg. Leichte und mittelschwere Tätigkeiten seien in überwiegend sitzender Position mit der individuellen Möglichkeit des Positionswechsels (Sitzen-Gehen-Stehen) durchaus möglich. Unter Beachtung der aufgeführten Einschränkungen sei die Klägerin zu leichten und mittelschweren Tätigkeiten für sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche leistungsfähig. Nicht möglich seien ferner Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, in Kälte, Nässe oder im Freien sowie das Gehen weiter Strecken. Die Beurteilung stimme im Wesentlichen mit der von Dr. V. aus dem Jahr 2009 überein. Lediglich die Coxarthrose links habe sich im Vergleich deutlich progredient gezeigt. Bei der Untersuchung habe sich eine deutliche Tendenz zu einer depressiven Dystonie und Antriebsschwäche mit generalisierten, teils diffusen Ängsten gezeigt. Ob insoweit Leistungseinschränkungen bestünden, wäre gegebenenfalls auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet gesondert zu begutachten.

Die Klägerin hat abschließend vortragen lassen, aufgrund der vom Gutachter Dr. Schw. bestätigten zahlreichen Beschwerden sei dessen Schlussfolgerung, dass die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden und mehr an fünf Tagen der Woche arbeiten könne, nicht nachvollziehbar. Diese sei und bleibe erwerbsgemindert. Es bestehe ein Restleistungsvermögen für unter 3 Stunden. Unter Bezugnahme auf eine Mitteilung der Praxis Dr. N. hat die Klägerin ferner geltend gemacht, dieser Mitteilung sei zu entnehmen, dass bei ihr eine Protrusion HWK 4/5 und 5/6 und 6/7, eine Spinalkanalstenose HWK 5/6, eine Deformierung des Myelons HWK 5/6 und eine Unterbrechung der Spinolaminarlinie HWK 5/6 bestehe. Auch dies zeige, dass sie nicht mehr erwerbsfähig sei.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein ( 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts Freiburg, dass die Klägerin nicht in zeitlicher Hinsicht erwerbsgemindert ist. Das Sozialgericht hat seine Entscheidung gestützt auf die Sachverständigengutachten von Dr. Kl. und Dr. W. sowie auf die Aussage des behandelnden Orthopäden Dr. V., der die Leistungseinschätzung der Gutachter bestätigt und die Klägerin ebenfalls für dazu in der Lage gesehen hat, leichte körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Ergänzend hat das Sozialgericht auch das im Schwerbehindertenverfahren eingeholte Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Kö. herangezogen, aus dem sich keine Anhaltspunkte für erwerbsmindernde Funktionseinschränkungen bei der Klägerin ergeben haben. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des Sozialgerichts in vollem Umfang an und hält ebenso das Gutachten des Prof. Dr. Sch. für nicht geeignet, ein untervollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin nachzuweisen. Dieser hatte der Klägerin ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden auch für lediglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bescheinigt. Das Sozialgericht hat sich insoweit zu Recht den Bedenken des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten angeschlossen, die Dr. Schl. in seiner ausführlichen Stellungnahme vom 16.02.2009 dargelegt hat. Seinen Einwand, der Gutachter Prof. Sch. habe ausschließlich auf die subjektiven Schilderungen der Klägerin abgestellt, ohne für die von ihr geklagten Einschränkungen und die berichtete Erschöpfung ein objektives Korrelat benennen zu können, hält auch der Senat für überzeugend. Der Leistungseinschätzung von Prof. Dr. Sch. ist daher nicht zu folgen. Insbesondere steht die besondere Gewichtung der subjektiven Beschwerdeschilderung der Klägerin, die Prof. Sch. vorgenommen hat, in erheblichen Widerspruch zu der Feststellung des Gutachter Dr. W., der in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 15.08.2007 die subjektive Haltung der Klägerin für bedenklich erachtet hat, in dem er gerade die ungünstige Wirkung der ungewöhnlichen Schonhaltung der Klägerin auf ihre gesundheitliche Entwicklung herausgestellt hat.

Im Berufungsverfahren haben sich keine Erkenntnisse ergeben, die den Senat zu einer abweichenden Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin veranlassen.

Nach dem vom Senat eingeholten orthopädischen Fachgutachten des Dr. Schw. ist die Klägerin trotz einer sich progredient entwickelnden Coxarthrose mit erheblicher Bewegungseinschränkung weiterhin leistungsfähig für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden arbeitstäglich in überwiegend sitzender Haltung. Gewährleistet sein muss die individuelle Möglichkeit des Wechsels zwischen Gehen, Stehen und Sitzen. Ausgeschlossen sind häufiges Bücken, das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, in Kälte, Nässe oder im Freien, sowie das Gehen weiter Strecken. Mit diesen qualitativen Leistungseinschränkungen kann nach der Auffassung des Gutachters, der sich der Senat anschließt, den Funktionsdefiziten der Klägerin Rechnung getragen werden. Diese beruhen neben der Hüftgelenkserkrankung auch auf degenerativen Wirbelsäulensyndromen sowohl im Lendenwirbelsäulenbereich als auch im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich. Eine im Wesentlichen übereinstimmende Diagnose hatte auch der Gutachter Dr. V. gestellt, der die Klägerin in dem von ihr vor dem Arbeitsgericht Freiburg geführten Kündigungsschutzverfahren begutachtet hatte. Er hatte ihren Vortrag, sie könne ihrer Tätigkeit als Bandagennäherin trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen jedenfalls noch halbtags nachgehen, bestätigt. Dieser Vortrag der Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren steht erkennbar in einem Widerspruch zu ihrem Vortrag im vorliegenden Rentenverfahren, in dem sie sich in erster Linie darauf beruft, in vollem Umfang erwerbsgemindert zu sein. Auch gegenüber dem Gutachter Dr. W. hatte die Klägerin bei der Begutachtung im Jahr 2007 geäußert, sie sehe sich dazu in der Lage, ihre frühere Tätigkeit wieder aufzunehmen, allerdings hatte sie sich damals auf den nachmittäglich verrichteten Teil ihrer ursprünglichen Tätigkeit beschränkt, der die überwiegend im Stehen und Gehen zu verrichtende Tätigkeit als Verpackerin betraf. Jedenfalls vor dem Hintergrund der Einlassung im arbeitsgerichtlichen Verfahren erscheint daher der Vortrag des Kläger-Vertreters, die durch Dr. Schw. erhobenen Befunde ließen nur den Schluss zu, dass bei der Klägerin kein Restleistungsvermögen mehr bestehe, als nicht besonders plausibel. Ebenso ist die Haltung der Klägerin in Bezug auf die ihr angeratene operative Behandlung der Hüftgelenksbeschwerden als widersprüchlich einzuschätzen. Ausweislich der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. R. vom 27.04.2010 wurde der Klägerin dort bereits im Jahr 2008 die Implantation einer Hüftgelenksendoprothese angeraten. Der Gutachter Dr. Schw. hat bestätigt, dass durch eine derartige operative Behandlung mit einer deutlichen Besserung sowohl der Beschwerden als auch der Beweglichkeit zu rechnen sei. Während die Klägerin dem Gutachter Dr. V. am 28.10.2009 im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens angegeben hatte, sie wolle sich in absehbarer Zeit einer solchen operativen Versorgung unterziehen, teilte der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 21.04.2010 mit, die Klägerin habe große Ängste und Vorbehalte gegen einen operativen Eingriff. Bis zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. Schw. ist ein solcher auch tatsächlich nicht durchgeführt worden. Dass eine operative Behandlung des Hüftgelenks danach erfolgt sei, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Ungeachtet dieser widersprüchlichen Haltung der Klägerin verbleibt es aber bei der Feststellung des Gutachters Dr. Schw., dass auch die nicht operativ behandelte Coxarthrose zu keiner quantitativen Leistungsminderung der Klägerin führt.

Auch aus dem zuletzt von der Klägerin noch vorgelegten MRT-Befundbericht der Praxis Dr. N. & Partner folgt nichts anderes. Denn dieser Befund stammt vom 12.02.2010. Die darin diagnostizierten Beschwerden der HWS sind in der späteren Begutachtung durch Dr. Schw. vom 23.06.2010 erfasst worden, so dass dem Befundbericht keine weitere Bedeutung für die Frage der Leistungsfähigkeit der Klägerin zugemessen werden kann.

Hinsichtlich der von Dr. Schw. festgestellten Tendenz zu einer depressiven Dystonie und Antriebsschwäche mit generalisierten und teils diffusen Ängsten hat sich der Senat nicht zu weiteren Sachverhaltsermittlungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet veranlasst gesehen. Denn die Klägerin ist offenbar nicht in engmaschiger psychiatrischer oder sonstiger psychotherapeutischer Behandlung. Sie hat selbst lediglich vortragen lassen, sie nehme Cipralex zur Stärkung der Psyche. Der Neurologe und Psychiater Dr. H. hat zwar in seiner Stellungnahme vom 21.04.2010 angegeben, neben der medikamentösen und physiotherapeutischen Therapie sei auch eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung ständig erforderlich gewesen. Nähere Angaben zu einer solchen Therapie hat er aber nicht gemacht. Vielmehr hat er bezüglich der bei ihm erfolgten Behandlungen angeben, diese hätten seit April 2006 in lediglich viertel- bis halbjährlichen Abständen bis zuletzt am 08.02.2010 stattgefunden. Ein besonderer Leidensdruck aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung lässt sich daran nicht erkennen, so dass der Senat davon ausgeht, dass die Leistungseinschätzung des Gutachters Dr. W. aufgrund dessen Begutachtung im Jahr 2007 weiterhin Bestand hat und die Klägerin in neurologisch-psychiatrischer Hinsicht keiner quantitativen Leistungseinschränkung unterliegt.

Es besteht auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 Abs. 1 SGB VI. Denn die Klägerin genießt keinen Berufsschutz. Sie hat keinen Beruf erlernt, sondern war als ungelernte Arbeiterin tätig und muss sich deshalb im Rahmen der sozialen Zumutbarkeit auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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