Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 218/05 Berlin
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 521/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 wird zurückgewiesen.
Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten – nachdem die Berufung betreffend die Anerkennung einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zurückgenommen worden ist – noch über die Anerkennung einer Erkrankung der Halswirbelsäule (HWS) als BK 2109 der Anlage zur BKV, über die Anerkennung der HWS Erkrankung als so genannte Wie BK und über die Gewährung einer Entschädigung durch eine Verletztenteilrente.
Die 1954 geborene Klägerin war nach einer Ausbildung zur Artistin in der Zeit von 1970 bis 1974 zunächst kurzzeitig als Artistin im Azirkus der DDR und sodann in der Zeit von 1979 bis 2001 ebenfalls als Artistin freischaffend tätig. Im Anschluss an einen am 06. Juni 2001 erlittenen Unfall mit einer Verletzung der rechten Schulter war die Klägerin nicht weiter in ihrem Beruf tätig.
Im Mai 2003 wandte sich die Klägerin unter Hinweis auf eine seit anderthalb Jahren bestehende Behandlung ihrer HWS und LWS an die Beklagte mit einem "Antrag auf Berufserkrankung". Die Beklagte befragte die Klägerin, die ihren Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung und diverse Arztberichte des Universitätsklinikums C übersandte, und holte Befundberichte des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 15. Juli 2003 und der Ärztin für Innere Medizin Dr. G vom 19. August 2003 ein, letztere teilte mit, die Klägerin seit 1989 wegen Wirbelsäulenbeschwerden behandelt zu haben. Die Beklagte zog ferner Unterlagen der ehemaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei, holte ein Vorerkrankungsverzeichnis und eine Aufstellung von Arbeitsunfähigkeitszeiten der Krankenkasse der Klägerin, der AOK Berlin, ein und befragte ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD), für den Herr K am 19. August 2003 einen Vermerk über die arbeitstechnische Belastung der Klägerin in den einzelnen Beschäftigungsabschnitten erstellte.
Weiter holte die Beklagte ein Gutachten des Prof. Dr. D, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der J Universität M, zur arbeitstechnischen Belastung der Klägerin ein, der zunächst ergänzende Erhebungen durch den TAD 28. Oktober 2003 veranlasste. Prof. Dr. D kam sodann in seinem Gutachten vom 12. Januar 2004 zu dem Ergebnis, dass unter Zugrundelegung des Mainz Dortmunder-Dosismodells eine Gesamtdosis von 21 x 106 Nh erreicht worden sei, der den Richtwert der gefährdenden Gesamtdosis für Frauen deutlich übersteige. Zur im Rahmen der BK 2109 relevanten Belastung führte er aus, dass die Klägerin zwar mit Sicherheit keine schweren Lasten auf der Schulter bzw. über Kopf getragen habe. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass sie im Rahmen ihrer artistischen Tätigkeit bei mehrfachen täglichen Vorführungen und insbesondere bei dem hierzu notwendigen Training freie Kopfstände ohne Handabstützung habe ausführen müssen. Solche freihändig ausgeführten Kopfstände seien mit einer starken Kompressionsbelastung bei Zwangshaltung des Kopfes im Hinblick auf das Ausgleichen des eigenen Körpergewichtes mit der Halsmuskulatur verbunden. Bei diesen freien Kopfständen handele es sich um ein vergleichbares Belastungsprofil mit den Tätigkeiten des fortgesetzten Tragens schwerer Lasten auf der Schulter im Sinne der BK 2109. Es könne eine Belastungsdauer von etwa einer Stunde täglich an zirka 220 Schichten pro Jahr über 23 Berufsjahre angenommen werden, was unter Berücksichtigung einer anatomisch-physiologischen Belastungsfähigkeit von Frauen in Höhe von 75 % gegenüber Männern eine vergleichbare externe Dosis wie für die (männlichen) Fleischträger ergebe. Von einer Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 sei deshalb auszugehen.
Die Beklagte holte sodann ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. H, M Universität H, vom 27. Juli 2004 ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass ein Krankheitsbild im Sinne der BK 2108 nicht vorliege. Allerdings bestehe an der HWS eine bandscheibenbedingte Erkrankung, die dem medizinischen Bild der BK 2109 entspreche. Diese Erkrankung sei auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die von Prof. Dr. D als gefährdend eingeschätzten Einwirkungen zurückzuführen. Die Exposition sei geeignet gewesen, eine Erkrankung an der HWS im Sinne einer BK 2109 hervorzurufen. Die klinisch erhobenen Befunde, die Anamnese und der radiologische Befund passten zueinander. Die Befunde hätten sich während der Belastungssituation entwickelt und im Verlauf verschlechtert. Zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe 2001 hätten bereits deutliche Veränderungen an der HWS vorgelegen. Außerberufliche Ursachen fänden sich nicht. Die Erkrankung sei damit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die langjährige Tätigkeit als Artistin entstanden. Die Klägerin habe wegen der Beschwerden im Juni 2001 ihren Beruf aufgegeben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätze er aufgrund von Funktionseinschränkungen mit funktionell bedeutsamen Ausfällen (Kräftegreifminderung Grad 4, Sensibilitätsstörungen, Schwindelattacken) auf 20 v. H. ein.
Mit Stellungnahme der Dr. S, Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Technische Sicherheit Berlin, vom 18. August 2004 wurde gewerbeärztlicherseits empfohlen, eine BK 2109 anzuerkennen, nicht allerdings eine BK 2108.
Die Beklagte holte sodann eine Rückäußerung von Prof. Dr. D ein, wobei sie unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landessozialgerichts Brandenburg vom 28. Juni 2004 (L 7 U 101/00) ausführte, dass nach dem Wortlaut der BKV nur ein Tragen schwerer Lasten auf der Schulter berücksichtigungsfähig sei. Mit Stellungnahme vom 12. Oktober 2004 teilte Prof. Dr. D daraufhin mit, dass epidemiologische Studien über Erkrankungen der Berufsgruppen von Artisten und Tänzern nicht vorlägen, so dass ihm nur die Möglichkeit der Anwendung biomechanischer Erkenntnisse verbliebe. Er habe den Eindruck, dass eine derartige Vorgehensweise akzeptabel sei. Der Gesetzgeber schreibe nicht fest, dass die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ausschließlich durch epidemiologische Studien gewonnen werden könnten. Die Abschätzung der gesundheitlichen Gefährdung im Einzelfall müsse daher zulässig sein. Eine Übersicht über die in den letzten zwei Jahrzehnten in größerem Umfang durchgeführten Forschungsarbeiten im Bereich der Biomechanik der Wirbelsäule fände sich bei Jäger et al. (1989). Die enge Auslegung des Verordnungstextes sei für ihn nicht nachvollziehbar, zumal das zugehörige Merkblatt für die ärztliche Untersuchung auch die Berücksichtigung vergleichbarer Belastungen erlaube.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2005 lehnte die Beklagte dennoch die Anerkennung der Beschwerden der Klägerin an der Wirbelsäule als BK oder wie eine BK ab, Entschädigungsleistungen seien nicht zu erbringen. Ein der BK 2108 entsprechendes Krankheitsbild liege nicht vor. Als BK 2109 könnten nur bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter anerkannt werden, Belastungen durch Kopfstände entsprächen nicht dem Wortlaut dieser BK. Eine Anerkennung als so genannte "Wie BK" auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) komme nicht in Betracht; bezüglich einer wahrscheinlichen Verursachung einer derartigen HWS Erkrankung durch Einwirkungen, wie sie die Personengruppe der Klägerin ausgesetzt gewesen sei, lägen seit der letzten Ergänzung der Anlage zur BKV keine neuen medizinischen Erkenntnisse vor. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 02. März 2005 zurück.
Im Klageverfahren hat das Gericht ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 10. Juli 2006 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass an der Wirbelsäule folgende Erkrankungen vorlägen:
- chronische Bandscheibendegeneration der unteren HWS mit rezidivierenden Nervenwurzelreizerscheinungen und wiederkehrenden Zerviko-Cephalgien/ Funktionsstörungen, - rezidivierende Dorsolumbalgien mit möglichen Wurzelreizerscheinungen bei anlagebedingter Übergangsstörung im Sinne einer Lumbalisation des SWK 1, eines Os sacrum acutums und eines anlagebedingten engen Spinalkanals.
Im Bereich der LWS hätten keine spezifischen im Vordergrund stehenden Bandscheibenveränderungen nachgewiesen können. Eine berufsbedingte Erkrankung im Sinne einer BK 2108 könne danach nicht anerkannt werden. Im Bereich der HWS stelle sich mit stärkeren Abnutzungserscheinungen als an der LWS ein Kriterium für die Anerkennung einer BK 2109 dar. Wiederkehrende Nervenwurzelreizerscheinungen könnten ursächlich auf die festgestellte knöcherne Abnutzungserscheinung zurückgeführt werden. Eine exakte Rekonstruktion der Krankheitsentwicklung sei allerdings nicht mehr möglich, da insbesondere zu Beginn des Beschwerdeprozesses eine Bandscheibendiagnostik nicht durchgeführt worden sei, was zu Vorbehalten gegenüber den Feststellungen des Prof. Dr. H führe. Allerdings reichten die Argumente für das Vorhandensein einer BK bei Abwägung aus, um sich Prof. Dr. H in seiner Schlussfolgerung zur berufsbedingten Verursachung anzuschließen. Allerdings sei die von ihm gefundene MdE von 20 v. H. allenfalls unter Ausnutzung des gesamten Ermessensspielraums maximal gerechtfertigt. Denn die Schwindelsymptomatik lasse sich nicht spezifisch auf die Segmentdegeneration der Etage HWK 6/7 zurückführen, eine neurologische Kraftminderung habe ausgeschlossen werden können und die von der Klägerin beschriebenen akuten Blockadephänomene müssten nicht die Folge einer Bandscheibenerkrankung sein.
Die Beklagte übersandte in dem Verfahren noch eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 07. August 2006 aus einem anderen Verfahren, worin ausgeführt ist, dass sich der Verordnungsgeber nach Erlass der Verordnung von Dezember 1992 nicht erneut mit der Frage befasst habe, ob bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS auch durch andere Tätigkeiten als durch "Tragen auf der Schulter" verursacht werden könnten. Auch der das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beratende ärztliche Sachverständigenbeirat habe sich mit der Problematik nicht mehr befasst. Dementsprechend seien auch hierzu keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bekannt.
Mit Urteil vom 25. April 2008 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass für eine Anerkennung des LWS Leidens der Klägerin als BK 2108 die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, wie Prof. Dr. H und Dr. W übereinstimmend festgestellt hätten. Zum HWS Leiden hätten zwar die Gutachter übereinstimmend und überzeugend eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS mit Betroffenheit insbesondere des Segments C6/7 diagnostiziert. Auch sei mit dem Gutachten des Prof. Dr. D davon auszugehen, dass die Klägerin von 1979 bis 2001 in erheblichem Ausmaß Belastungen der Bandscheibenstrukturen der HWS aufgrund ihrer Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei, die ohne weiteres geeignet gewesen seien, erhebliche Bandscheibenschäden zu verursachen. Gleichwohl könne entgegen dem Votum von Prof. Dr. D aus rechtlichen Gründen nicht vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2109 ausgegangen werden. Denn die fraglichen beruflichen Belastungen der Klägerin seien keine solchen des Hebens oder Tragens schwerer Lasten auf der Schulter, wie dies der Tatbestand der BK 2109 verlange, gewesen. Vielmehr seien diese durch freihändige Kopfstände bei Vorführungen und im Training sowie das Aufgefangenwerden aus einem Sprung mit dem Kopf auf die Handfläche eines Partners entstanden. Diese Tätigkeiten seien nicht vom Wortlaut des Tatbestandes der BK 2109 erfasst. Da der Wortlaut einer rechtlichen Regelung den äußersten Rahmen einer möglichen Auslegung bestimme, könnte die Tätigkeit der Klägerin nur im Wege einer Analogie, also einer entsprechenden Anwendung des Tatbestandes der BK 2109 auf andere Tätigkeiten, als gefährdend bewertet werden. Die Voraussetzungen einer solchen Analogie seien jedoch nicht gegeben, weil keine Lücke in den maßgeblichen rechtlichen Regelungen vorliege, die durch eine Analogiebildung geschlossen werden könnte. Denn der Gesetzgeber habe mit § 9 Abs. 2 SGB VII eine eigenständige rechtliche Regelung für die Behandlung solcher beruflicher Belastungen geschaffen, die von der Liste der nach der Anlage zur BKV anerkennungsfähigen Berufskrankheiten nicht erfasst würden. Habe der Gesetzgeber aber selbst eine spezielle gesetzliche Regelung zur Schließung von Lücken geschaffen und sehe diese Regelung die Anerkennung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII nur vor, wenn über den Einzelfall hinaus aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse abstrakt-generell die Voraussetzungen für die Schaffung eines neuen BKen Tatbestandes erfüllt seien, schließe dies die Annahme einer Lücke im Normprogramm des Berufskkrankheiten Rechts aus. Hieran ändere sich nichts dadurch, dass im amtlichen Merkblatt zur BK 2109 (Bekanntmachung des BMA, BArbBl 3/93 Seite 53) unter Ziffer 1 ausgeführt werde, dass eine Anwendung des BKen Tatbestandes auch auf "Tätigkeiten mit vergleichbarem Belastungsprofil" in Betracht zu ziehen sei. Denn das amtliche Merkblatt könne lediglich eine Auslegungshilfe und Bewertungshilfe in dem durch den Verordnungsgeber und den Gesetzgeber vorgegebenen rechtlichen Rahmen geben, diesen Rahmen aber nicht erweitern. Gebunden sei das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung nicht an die Ausführungen im amtlichen Merkblatt, sondern an den Wortlaut des Tatbestandes der BK 2109 und die eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers, die Anerkennung einer Erkrankung als BK nach § 9 Abs. 1 SGB VII über diesen Wortlaut hinaus im Wege der Analogie nicht zuzulassen, sondern nur unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 SGB VII. Nicht entschieden zu werden brauchte, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung des HWS Leidens der Klägerin wie eine BK nach § 9 Abs. 2 BKV erfüllt seien. Die Beklagte habe hierzu zwar in ihrem ablehnenden Bescheid eine Entscheidung getroffen. Die Klägerin habe jedoch sowohl mit ihrer Klageschrift vom 14. März 2005 als auch mit der späteren Klagebegründung vom 15. Oktober 2005 lediglich die Anerkennung einer BK 2108 und einer BK 2109 geltend gemacht und nicht erkennen lassen, dass sich das Klagebegehren auch auf die Anerkennung insbesondere ihres HWS Leiden wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII richten solle. Insoweit sei der Bescheid vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2005 daher bestandskräftig geworden. Ergänzend sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII für die Anerkennung insbesondere des HWS Leidens, aber auch des LWS Leidens der Klägerin wie eine BK nicht erfüllt sein dürften. Denn es sei nicht ersichtlich, dass es neue, allgemein anerkannte und hinreichend medizinisch-wissenschaftlich fundierte und gesicherte Erkenntnisse gebe, dass eine besondere Gefahr bandscheibenbedingter Erkrankungen der HWS auch durch andere besondere Belastungen als das Heben und Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, denen bestimmte Personengruppen in ihrer beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Maße ausgesetzt sind, begründet werde. Das für die regelmäßige Ergänzung und Überarbeitung der BKV zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe eine dahingehende erneute Anfrage der Beklagten unter dem 07. August 2006 verneint. Auch sonst seien dem Gericht diesbezüglich keine konkreten Hinweise auf neuere medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse bekannt.
Gegen dieses ihr am 09. Juni 2008 zugegangene Urteil richtet sich die am 03. Juli 2008 eingegangene Berufung der Klägerin.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr HWS Leiden als Berufskrankheit nach der Nummer 2109 der BKV anzuerkennen, hilfsweise die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII vorzunehmen und ihr Versorgung in rentenberechtigendem Grade zu gewähren.
Die Klägerin verweist auf Dr. W, der unter Ausnutzung des Ermessensspielraumes eine MdE von 20 v. H. noch für gerechtfertigt erachtet habe. Der Auffassung des Gutachters, die Voraussetzungen für die BK 2108 aus medizinischen Gründen abzulehnen, jedoch diejenigen für die Anerkennung einer BK 2109 als gegeben anzusehen, schließe sie sich an. Die Auffassung des Sozialgerichts, dass zu § 9 Abs. 2 SGB VII kein Antrag gestellt worden sei, könne nicht durchgreifen, da die Beklagte hierzu im angefochtenen Bescheid Stellung genommen habe und es ihr in erster Linie um die Anerkennung ihrer Berufserkrankung gegangen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihre im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes einen Erörterungstermin vom 16. Dezember 2008 durchgeführt und hierbei darauf hingewiesen, dass die Auffassung des Sozialgerichts Berlin auch zur Frage, ob eine "Quasi BK" noch streitgegenständlich sei, wohl zutreffend sein dürfte.
Das Gericht hat ferner eine in einem Parallelverfahren eingeholte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 23. November 2009 den Beteiligten zur Kenntnis übersandt, wonach diesem keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne des § 9 SGB VII zur Frage der Verursachung von Wirbelsäulenschäden durch die berufliche Tätigkeit als Artist oder Stuntman vorliegen.
Das Gericht hat sodann die Beteiligten mit Schreiben vom 12. Mai 2010 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, über das Verfahren durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden, und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
Mit Schriftsatz vom 07. November 2010 hat die Klägerin ihre Berufung insoweit zurückgenommen, als eine BK 2108 geltend gemacht worden war.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und der Gerichtsakte zum Aktenzeichen L 31 U 386/08 die Folgen des Unfalls vom 06. Juni 2001 betreffend, sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände).
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da das Gericht die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2005 und das erstinstanzliche Urteil sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung der bei ihr bestehenden Wirbelsäulenschäden als BK 2109 oder als sog. "Wie- BK".
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter bei so genanntem Unterlassungszwang.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und dass die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2. April 2009, Az. B 2 U 9/08 T, zitiert nach juris).
Ein Anspruch auf dieser Grundlage besteht für die Klägerin nicht, weil sie die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne eines Tragens schwerer Lasten auf der Schulter nicht erfüllt. Das Gericht legt dabei durchaus die von der Klägerin selbst geschilderten erheblichen körperlichen Belastungen zugrunde, wie sie von Prof. Dr. Dfestgestellt worden sind.
Der Wortlaut der BKV ist jedoch hinsichtlich der hier streitigen arbeitstechnischen Voraussetzung zur BK 2109 verbindlich. Nach allgemeinen Grundsätzen setzt eine Auslegung zunächst immer einen auslegungsfähigen Wortlaut voraus; die Bedeutung, die ihm zugemessen werden soll, muss noch vom Wortsinn erfasst sein. Der Wortlaut der BK 2109 ist jedoch klar und im Hinblick auf die beschriebene Tätigkeit nicht interpretationsfähig. Die Würdigung des Wortlauts einer Vorschrift ist die Grundlage jeder Auslegung; ist der Wortlaut eindeutig und nach ihm sprachlich und begrifflich das klar zum Ausdruck gebracht, was dem vom Normgeber gewollten Sinn der Vorschrift entspricht, so ist grundsätzlich hiernach auszulegen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007, Az. B 2 U 15/06 R, NZS 2008, 604, m. w. N.) Der Begriff des "Tragens" umfasst nicht jedwede Belastung. Ein Tragen auf der Schulter liegt nur dann vor, wenn die im BK-Tatbestand beschriebene schwere Last von oben auf die Schulter drückt (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Juni 2009, Az.: L 31 U 446/08). Der Wortlaut der BK 2109 deckt sich im hier verstandenen Sinn auch mit dem Sinn der Bestimmung, wie er sich aus den hierzu gemachten Ausführungen im Merkblatt zur BK 2109 (BArbBl 3/93, S. 53 ff.) ergibt. Die Merkblätter sind als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes heranzuziehen (BSG, Urteil vom 18. August 2004, Az.: B 8 KN 1/03 U R, BSGE 93, 149, m. w. N.), allerdings kommt ihnen keinerlei rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG, Urteil vom 12. April 2005, Az. B 2 U 6/04 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 59), auch öffnet ein Merkblatt nicht den Tatbestand der Verordnung entgegen seinem Wortlaut auf eine andere als die klar beschriebene Art der Tätigkeit, hier des Tragens auf der Schulter. Ergänzend wird gemäß § 153 Abs. 1 SGG auf die umfassenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt.
Die so zu verstehenden arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2109 sind im Falle der Klägerin daher nicht gegeben. Ein Tragen schwerer Lasten auf der Schulter hat bei ihr nicht stattgefunden. Derartiges ist von ihr nicht behauptet und von Prof. Dr. D auch nicht unterstellt worden. In Ermangelung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen kamen daher weder eine Anerkennung des HWS Leidens der Klägerin als BK noch die Gewährung einer Verletztenteilrente in Betracht.
Die Erkrankung der Klägerin an der HWS ist auch nicht wie eine BK anzuerkennen oder gemäß SGB VII zu entschädigen.
Zunächst einmal ist die diesbezügliche Ablehnung der Beklagten durch den angefochtenen Bescheid bestandskräftig geworden, da sie mit der Klage zunächst ausdrücklich nicht angefochten worden ist. Das Gericht schließt sich auch insoweit den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil an; die Klägerin ist hierauf im Erörterungstermin vom 16. Dezember 2008 hingewiesen worden. Wenn sich eine Klage, wie vorliegend, ausdrücklich nur gegen einen Teil eines belastenden Verwaltungsaktes wehrt, so ist hierin auch nur bezüglich dieses Teiles des Streitgegenstandes Klage erhoben worden, soweit der Streitgegenstand teilbar ist. Dies ist im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen den verschiedenen BKen und der Anerkennung als Quasi BK ohne weiteres gegeben. Wie im bereits genannten Erörterungstermin unter Bezugnahme auf die BSG Rechtsprechung u. a. vom 02. Dezember 2008 (Az. B 2 KN 3/07 U R, zitiert nach juris.de) ausgeführt worden ist, ist zwischen der Entscheidung des Versicherungsträgers über die Anerkennung einer bestimmten Listen BK und einer Wie BK zu unterscheiden (BSG, a. a. O., m. w. N.). Hierbei handelt es sich um zwei Arten von Versicherungsfällen, die dementsprechend getrennt voneinander zu betrachten sind (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010, Az. B 2 U 5/08 R, zitiert nach juris.de). Das Klageverfahren unterliegt der Dispositionsmaxime der Beteiligten (§ 123 SGG) und ist abhängig von ihren Anträgen. Zwar entscheidet nach § 123 SGG das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Damit ist der förmliche Klageantrag nicht die alleinige und ausschließliche Erkenntnisquelle, sondern dem Vorbringen des Klägers sowie den Umständen des Einzelfalls kommt besondere Bedeutung zu (BSG, Urteil vom 11. November 1987, Az. 9 a RV 22/85, zitiert nach juris.de). Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wurde jedoch keine Klage gegen die Ablehnung einer Anerkennung als Wie-BK eingelegt. Selbst wenn man unter Berücksichtigung dieser Vorgaben die Klageschrift vom 14. März 2005, die noch keinen konkreten Antrag enthielt, noch als auslegungsfähig ansehen würde, so ist doch jedenfalls mit der Berufungsbegründung im Schriftsatz vom 15. Oktober 2005 ausdrücklich eine Beschränkung auf die Anerkennung der BKen 2108 und 2109 erfolgt, die im Hinblick auf den Antrag nicht mehr auslegungsfähig dahin war, dass zusätzlich der weitere Streitgegenstand der Wie BK weiterhin Streitgegenstand sein sollte. Auch die Klagebegründung und die spätere Argumentation bezog sich ausschließlich auf die BKen 2108 und 2109, jedoch in keiner Weise auf eine Anerkennung als Wie BK. Eine gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG fristgemäße Klageerhebung lag daher nur im Hinblick auf die Anerkennung als BK vor, nicht jedoch im Hinblick auf eine Wie-BK. Letztere war damit zulässigerweise nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Letztlich wurde auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25. April 2008 ein diesbezüglicher Klageantrag nicht mehr gestellt.
Wie bereits erstinstanzlich ausgeführt, wären die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Wie BK jedoch auch in der Sache nicht gegeben. Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift erfüllt sind. Mit dieser Regelung sollen Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Hierfür reicht es nicht aus, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch zur so genannten BK Reife verdichtet haben. Dies ist der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine so genannte herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (BSG, SozR 2200 § 551 Nr. 9, 27, BSG, SozR 3 2200 § 551 Nr. 9 und BSG, Urteil vom 04.06.2002, Az. B 2 U 20/01 R, m. w. N., jeweils zitiert nach juris.de).
Das Vorliegen derartiger Erkenntnisse zu einem besonderen Risiko für Artisten, berufsbedingt an Wirbelsäulenschäden zu erkranken, konnte vorliegend nicht festgestellt werden. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat mit Schreiben vom 23. November 2009 mitgeteilt, dass die Frage der Verursachung von Wirbelsäulenschäden durch die berufliche Tätigkeit als Artist bisher nicht geprüft wurde, eine Prüfung sei auch nicht beabsichtigt, medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse lägen dort nicht vor. Diese Anfrage ist in einem Parallelverfahren erfolgt, wurde den Beteiligten dieses Verfahrens jedoch zur Verfügung gestellt. In diesem – ebenfalls gegen die Beklagte dieses Verfahrens geführten – Parallelverfahren (L 2 U 331/08), in dem der Prozessbevollmächtigte dieses Verfahrens ebenfalls aufgetreten ist, hat auch Dr. W mit Stellungnahme vom 08. November 2006 ausgeführt, dass Untersuchungen und Dokumentationen zu Wirbelsäulenschäden bei Artisten nicht existieren. Im vorliegenden Verfahren ist dies von Prof. Dr. D mit Stellungnahme vom 12. Oktober 2004 ausgeführt worden, der bestätigte, dass epidemiologische Studien über Erkrankungen der Berufsgruppen von Artisten und Tänzern nicht vorlägen. Dem erkennenden Gericht sind derartige Untersuchungen ebenfalls nicht bekannt, auch konnte die Klägerin auf keine derartigen Veröffentlichungen verweisen. Es fehlt damit für die Berufsgruppe der Artisten an jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer gruppentypischen Risikoerhöhung, die aus den oben dargelegten Gründen entgegen der Auffassung des Prof. Dr. D nicht entbehrlich sind. Erst recht nicht festgestellt werden konnte damit der von der Rechtsprechung geforderte Konsens der Mehrheit der medizinischen Sachverständigen zur generellen Eignung der Belastungen von Artisten, Wirbelsäulenerkrankungen zu verursachen.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.
Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten – nachdem die Berufung betreffend die Anerkennung einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zurückgenommen worden ist – noch über die Anerkennung einer Erkrankung der Halswirbelsäule (HWS) als BK 2109 der Anlage zur BKV, über die Anerkennung der HWS Erkrankung als so genannte Wie BK und über die Gewährung einer Entschädigung durch eine Verletztenteilrente.
Die 1954 geborene Klägerin war nach einer Ausbildung zur Artistin in der Zeit von 1970 bis 1974 zunächst kurzzeitig als Artistin im Azirkus der DDR und sodann in der Zeit von 1979 bis 2001 ebenfalls als Artistin freischaffend tätig. Im Anschluss an einen am 06. Juni 2001 erlittenen Unfall mit einer Verletzung der rechten Schulter war die Klägerin nicht weiter in ihrem Beruf tätig.
Im Mai 2003 wandte sich die Klägerin unter Hinweis auf eine seit anderthalb Jahren bestehende Behandlung ihrer HWS und LWS an die Beklagte mit einem "Antrag auf Berufserkrankung". Die Beklagte befragte die Klägerin, die ihren Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung und diverse Arztberichte des Universitätsklinikums C übersandte, und holte Befundberichte des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 15. Juli 2003 und der Ärztin für Innere Medizin Dr. G vom 19. August 2003 ein, letztere teilte mit, die Klägerin seit 1989 wegen Wirbelsäulenbeschwerden behandelt zu haben. Die Beklagte zog ferner Unterlagen der ehemaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei, holte ein Vorerkrankungsverzeichnis und eine Aufstellung von Arbeitsunfähigkeitszeiten der Krankenkasse der Klägerin, der AOK Berlin, ein und befragte ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD), für den Herr K am 19. August 2003 einen Vermerk über die arbeitstechnische Belastung der Klägerin in den einzelnen Beschäftigungsabschnitten erstellte.
Weiter holte die Beklagte ein Gutachten des Prof. Dr. D, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der J Universität M, zur arbeitstechnischen Belastung der Klägerin ein, der zunächst ergänzende Erhebungen durch den TAD 28. Oktober 2003 veranlasste. Prof. Dr. D kam sodann in seinem Gutachten vom 12. Januar 2004 zu dem Ergebnis, dass unter Zugrundelegung des Mainz Dortmunder-Dosismodells eine Gesamtdosis von 21 x 106 Nh erreicht worden sei, der den Richtwert der gefährdenden Gesamtdosis für Frauen deutlich übersteige. Zur im Rahmen der BK 2109 relevanten Belastung führte er aus, dass die Klägerin zwar mit Sicherheit keine schweren Lasten auf der Schulter bzw. über Kopf getragen habe. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass sie im Rahmen ihrer artistischen Tätigkeit bei mehrfachen täglichen Vorführungen und insbesondere bei dem hierzu notwendigen Training freie Kopfstände ohne Handabstützung habe ausführen müssen. Solche freihändig ausgeführten Kopfstände seien mit einer starken Kompressionsbelastung bei Zwangshaltung des Kopfes im Hinblick auf das Ausgleichen des eigenen Körpergewichtes mit der Halsmuskulatur verbunden. Bei diesen freien Kopfständen handele es sich um ein vergleichbares Belastungsprofil mit den Tätigkeiten des fortgesetzten Tragens schwerer Lasten auf der Schulter im Sinne der BK 2109. Es könne eine Belastungsdauer von etwa einer Stunde täglich an zirka 220 Schichten pro Jahr über 23 Berufsjahre angenommen werden, was unter Berücksichtigung einer anatomisch-physiologischen Belastungsfähigkeit von Frauen in Höhe von 75 % gegenüber Männern eine vergleichbare externe Dosis wie für die (männlichen) Fleischträger ergebe. Von einer Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 sei deshalb auszugehen.
Die Beklagte holte sodann ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. H, M Universität H, vom 27. Juli 2004 ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass ein Krankheitsbild im Sinne der BK 2108 nicht vorliege. Allerdings bestehe an der HWS eine bandscheibenbedingte Erkrankung, die dem medizinischen Bild der BK 2109 entspreche. Diese Erkrankung sei auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die von Prof. Dr. D als gefährdend eingeschätzten Einwirkungen zurückzuführen. Die Exposition sei geeignet gewesen, eine Erkrankung an der HWS im Sinne einer BK 2109 hervorzurufen. Die klinisch erhobenen Befunde, die Anamnese und der radiologische Befund passten zueinander. Die Befunde hätten sich während der Belastungssituation entwickelt und im Verlauf verschlechtert. Zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe 2001 hätten bereits deutliche Veränderungen an der HWS vorgelegen. Außerberufliche Ursachen fänden sich nicht. Die Erkrankung sei damit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die langjährige Tätigkeit als Artistin entstanden. Die Klägerin habe wegen der Beschwerden im Juni 2001 ihren Beruf aufgegeben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätze er aufgrund von Funktionseinschränkungen mit funktionell bedeutsamen Ausfällen (Kräftegreifminderung Grad 4, Sensibilitätsstörungen, Schwindelattacken) auf 20 v. H. ein.
Mit Stellungnahme der Dr. S, Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Technische Sicherheit Berlin, vom 18. August 2004 wurde gewerbeärztlicherseits empfohlen, eine BK 2109 anzuerkennen, nicht allerdings eine BK 2108.
Die Beklagte holte sodann eine Rückäußerung von Prof. Dr. D ein, wobei sie unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landessozialgerichts Brandenburg vom 28. Juni 2004 (L 7 U 101/00) ausführte, dass nach dem Wortlaut der BKV nur ein Tragen schwerer Lasten auf der Schulter berücksichtigungsfähig sei. Mit Stellungnahme vom 12. Oktober 2004 teilte Prof. Dr. D daraufhin mit, dass epidemiologische Studien über Erkrankungen der Berufsgruppen von Artisten und Tänzern nicht vorlägen, so dass ihm nur die Möglichkeit der Anwendung biomechanischer Erkenntnisse verbliebe. Er habe den Eindruck, dass eine derartige Vorgehensweise akzeptabel sei. Der Gesetzgeber schreibe nicht fest, dass die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ausschließlich durch epidemiologische Studien gewonnen werden könnten. Die Abschätzung der gesundheitlichen Gefährdung im Einzelfall müsse daher zulässig sein. Eine Übersicht über die in den letzten zwei Jahrzehnten in größerem Umfang durchgeführten Forschungsarbeiten im Bereich der Biomechanik der Wirbelsäule fände sich bei Jäger et al. (1989). Die enge Auslegung des Verordnungstextes sei für ihn nicht nachvollziehbar, zumal das zugehörige Merkblatt für die ärztliche Untersuchung auch die Berücksichtigung vergleichbarer Belastungen erlaube.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2005 lehnte die Beklagte dennoch die Anerkennung der Beschwerden der Klägerin an der Wirbelsäule als BK oder wie eine BK ab, Entschädigungsleistungen seien nicht zu erbringen. Ein der BK 2108 entsprechendes Krankheitsbild liege nicht vor. Als BK 2109 könnten nur bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter anerkannt werden, Belastungen durch Kopfstände entsprächen nicht dem Wortlaut dieser BK. Eine Anerkennung als so genannte "Wie BK" auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) komme nicht in Betracht; bezüglich einer wahrscheinlichen Verursachung einer derartigen HWS Erkrankung durch Einwirkungen, wie sie die Personengruppe der Klägerin ausgesetzt gewesen sei, lägen seit der letzten Ergänzung der Anlage zur BKV keine neuen medizinischen Erkenntnisse vor. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 02. März 2005 zurück.
Im Klageverfahren hat das Gericht ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 10. Juli 2006 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass an der Wirbelsäule folgende Erkrankungen vorlägen:
- chronische Bandscheibendegeneration der unteren HWS mit rezidivierenden Nervenwurzelreizerscheinungen und wiederkehrenden Zerviko-Cephalgien/ Funktionsstörungen, - rezidivierende Dorsolumbalgien mit möglichen Wurzelreizerscheinungen bei anlagebedingter Übergangsstörung im Sinne einer Lumbalisation des SWK 1, eines Os sacrum acutums und eines anlagebedingten engen Spinalkanals.
Im Bereich der LWS hätten keine spezifischen im Vordergrund stehenden Bandscheibenveränderungen nachgewiesen können. Eine berufsbedingte Erkrankung im Sinne einer BK 2108 könne danach nicht anerkannt werden. Im Bereich der HWS stelle sich mit stärkeren Abnutzungserscheinungen als an der LWS ein Kriterium für die Anerkennung einer BK 2109 dar. Wiederkehrende Nervenwurzelreizerscheinungen könnten ursächlich auf die festgestellte knöcherne Abnutzungserscheinung zurückgeführt werden. Eine exakte Rekonstruktion der Krankheitsentwicklung sei allerdings nicht mehr möglich, da insbesondere zu Beginn des Beschwerdeprozesses eine Bandscheibendiagnostik nicht durchgeführt worden sei, was zu Vorbehalten gegenüber den Feststellungen des Prof. Dr. H führe. Allerdings reichten die Argumente für das Vorhandensein einer BK bei Abwägung aus, um sich Prof. Dr. H in seiner Schlussfolgerung zur berufsbedingten Verursachung anzuschließen. Allerdings sei die von ihm gefundene MdE von 20 v. H. allenfalls unter Ausnutzung des gesamten Ermessensspielraums maximal gerechtfertigt. Denn die Schwindelsymptomatik lasse sich nicht spezifisch auf die Segmentdegeneration der Etage HWK 6/7 zurückführen, eine neurologische Kraftminderung habe ausgeschlossen werden können und die von der Klägerin beschriebenen akuten Blockadephänomene müssten nicht die Folge einer Bandscheibenerkrankung sein.
Die Beklagte übersandte in dem Verfahren noch eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 07. August 2006 aus einem anderen Verfahren, worin ausgeführt ist, dass sich der Verordnungsgeber nach Erlass der Verordnung von Dezember 1992 nicht erneut mit der Frage befasst habe, ob bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS auch durch andere Tätigkeiten als durch "Tragen auf der Schulter" verursacht werden könnten. Auch der das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beratende ärztliche Sachverständigenbeirat habe sich mit der Problematik nicht mehr befasst. Dementsprechend seien auch hierzu keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bekannt.
Mit Urteil vom 25. April 2008 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass für eine Anerkennung des LWS Leidens der Klägerin als BK 2108 die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, wie Prof. Dr. H und Dr. W übereinstimmend festgestellt hätten. Zum HWS Leiden hätten zwar die Gutachter übereinstimmend und überzeugend eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS mit Betroffenheit insbesondere des Segments C6/7 diagnostiziert. Auch sei mit dem Gutachten des Prof. Dr. D davon auszugehen, dass die Klägerin von 1979 bis 2001 in erheblichem Ausmaß Belastungen der Bandscheibenstrukturen der HWS aufgrund ihrer Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei, die ohne weiteres geeignet gewesen seien, erhebliche Bandscheibenschäden zu verursachen. Gleichwohl könne entgegen dem Votum von Prof. Dr. D aus rechtlichen Gründen nicht vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2109 ausgegangen werden. Denn die fraglichen beruflichen Belastungen der Klägerin seien keine solchen des Hebens oder Tragens schwerer Lasten auf der Schulter, wie dies der Tatbestand der BK 2109 verlange, gewesen. Vielmehr seien diese durch freihändige Kopfstände bei Vorführungen und im Training sowie das Aufgefangenwerden aus einem Sprung mit dem Kopf auf die Handfläche eines Partners entstanden. Diese Tätigkeiten seien nicht vom Wortlaut des Tatbestandes der BK 2109 erfasst. Da der Wortlaut einer rechtlichen Regelung den äußersten Rahmen einer möglichen Auslegung bestimme, könnte die Tätigkeit der Klägerin nur im Wege einer Analogie, also einer entsprechenden Anwendung des Tatbestandes der BK 2109 auf andere Tätigkeiten, als gefährdend bewertet werden. Die Voraussetzungen einer solchen Analogie seien jedoch nicht gegeben, weil keine Lücke in den maßgeblichen rechtlichen Regelungen vorliege, die durch eine Analogiebildung geschlossen werden könnte. Denn der Gesetzgeber habe mit § 9 Abs. 2 SGB VII eine eigenständige rechtliche Regelung für die Behandlung solcher beruflicher Belastungen geschaffen, die von der Liste der nach der Anlage zur BKV anerkennungsfähigen Berufskrankheiten nicht erfasst würden. Habe der Gesetzgeber aber selbst eine spezielle gesetzliche Regelung zur Schließung von Lücken geschaffen und sehe diese Regelung die Anerkennung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII nur vor, wenn über den Einzelfall hinaus aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse abstrakt-generell die Voraussetzungen für die Schaffung eines neuen BKen Tatbestandes erfüllt seien, schließe dies die Annahme einer Lücke im Normprogramm des Berufskkrankheiten Rechts aus. Hieran ändere sich nichts dadurch, dass im amtlichen Merkblatt zur BK 2109 (Bekanntmachung des BMA, BArbBl 3/93 Seite 53) unter Ziffer 1 ausgeführt werde, dass eine Anwendung des BKen Tatbestandes auch auf "Tätigkeiten mit vergleichbarem Belastungsprofil" in Betracht zu ziehen sei. Denn das amtliche Merkblatt könne lediglich eine Auslegungshilfe und Bewertungshilfe in dem durch den Verordnungsgeber und den Gesetzgeber vorgegebenen rechtlichen Rahmen geben, diesen Rahmen aber nicht erweitern. Gebunden sei das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung nicht an die Ausführungen im amtlichen Merkblatt, sondern an den Wortlaut des Tatbestandes der BK 2109 und die eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers, die Anerkennung einer Erkrankung als BK nach § 9 Abs. 1 SGB VII über diesen Wortlaut hinaus im Wege der Analogie nicht zuzulassen, sondern nur unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 SGB VII. Nicht entschieden zu werden brauchte, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung des HWS Leidens der Klägerin wie eine BK nach § 9 Abs. 2 BKV erfüllt seien. Die Beklagte habe hierzu zwar in ihrem ablehnenden Bescheid eine Entscheidung getroffen. Die Klägerin habe jedoch sowohl mit ihrer Klageschrift vom 14. März 2005 als auch mit der späteren Klagebegründung vom 15. Oktober 2005 lediglich die Anerkennung einer BK 2108 und einer BK 2109 geltend gemacht und nicht erkennen lassen, dass sich das Klagebegehren auch auf die Anerkennung insbesondere ihres HWS Leiden wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII richten solle. Insoweit sei der Bescheid vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2005 daher bestandskräftig geworden. Ergänzend sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII für die Anerkennung insbesondere des HWS Leidens, aber auch des LWS Leidens der Klägerin wie eine BK nicht erfüllt sein dürften. Denn es sei nicht ersichtlich, dass es neue, allgemein anerkannte und hinreichend medizinisch-wissenschaftlich fundierte und gesicherte Erkenntnisse gebe, dass eine besondere Gefahr bandscheibenbedingter Erkrankungen der HWS auch durch andere besondere Belastungen als das Heben und Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, denen bestimmte Personengruppen in ihrer beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Maße ausgesetzt sind, begründet werde. Das für die regelmäßige Ergänzung und Überarbeitung der BKV zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe eine dahingehende erneute Anfrage der Beklagten unter dem 07. August 2006 verneint. Auch sonst seien dem Gericht diesbezüglich keine konkreten Hinweise auf neuere medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse bekannt.
Gegen dieses ihr am 09. Juni 2008 zugegangene Urteil richtet sich die am 03. Juli 2008 eingegangene Berufung der Klägerin.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr HWS Leiden als Berufskrankheit nach der Nummer 2109 der BKV anzuerkennen, hilfsweise die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII vorzunehmen und ihr Versorgung in rentenberechtigendem Grade zu gewähren.
Die Klägerin verweist auf Dr. W, der unter Ausnutzung des Ermessensspielraumes eine MdE von 20 v. H. noch für gerechtfertigt erachtet habe. Der Auffassung des Gutachters, die Voraussetzungen für die BK 2108 aus medizinischen Gründen abzulehnen, jedoch diejenigen für die Anerkennung einer BK 2109 als gegeben anzusehen, schließe sie sich an. Die Auffassung des Sozialgerichts, dass zu § 9 Abs. 2 SGB VII kein Antrag gestellt worden sei, könne nicht durchgreifen, da die Beklagte hierzu im angefochtenen Bescheid Stellung genommen habe und es ihr in erster Linie um die Anerkennung ihrer Berufserkrankung gegangen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihre im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes einen Erörterungstermin vom 16. Dezember 2008 durchgeführt und hierbei darauf hingewiesen, dass die Auffassung des Sozialgerichts Berlin auch zur Frage, ob eine "Quasi BK" noch streitgegenständlich sei, wohl zutreffend sein dürfte.
Das Gericht hat ferner eine in einem Parallelverfahren eingeholte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 23. November 2009 den Beteiligten zur Kenntnis übersandt, wonach diesem keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne des § 9 SGB VII zur Frage der Verursachung von Wirbelsäulenschäden durch die berufliche Tätigkeit als Artist oder Stuntman vorliegen.
Das Gericht hat sodann die Beteiligten mit Schreiben vom 12. Mai 2010 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, über das Verfahren durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden, und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
Mit Schriftsatz vom 07. November 2010 hat die Klägerin ihre Berufung insoweit zurückgenommen, als eine BK 2108 geltend gemacht worden war.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und der Gerichtsakte zum Aktenzeichen L 31 U 386/08 die Folgen des Unfalls vom 06. Juni 2001 betreffend, sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände).
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da das Gericht die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2005 und das erstinstanzliche Urteil sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung der bei ihr bestehenden Wirbelsäulenschäden als BK 2109 oder als sog. "Wie- BK".
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter bei so genanntem Unterlassungszwang.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und dass die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2. April 2009, Az. B 2 U 9/08 T, zitiert nach juris).
Ein Anspruch auf dieser Grundlage besteht für die Klägerin nicht, weil sie die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne eines Tragens schwerer Lasten auf der Schulter nicht erfüllt. Das Gericht legt dabei durchaus die von der Klägerin selbst geschilderten erheblichen körperlichen Belastungen zugrunde, wie sie von Prof. Dr. Dfestgestellt worden sind.
Der Wortlaut der BKV ist jedoch hinsichtlich der hier streitigen arbeitstechnischen Voraussetzung zur BK 2109 verbindlich. Nach allgemeinen Grundsätzen setzt eine Auslegung zunächst immer einen auslegungsfähigen Wortlaut voraus; die Bedeutung, die ihm zugemessen werden soll, muss noch vom Wortsinn erfasst sein. Der Wortlaut der BK 2109 ist jedoch klar und im Hinblick auf die beschriebene Tätigkeit nicht interpretationsfähig. Die Würdigung des Wortlauts einer Vorschrift ist die Grundlage jeder Auslegung; ist der Wortlaut eindeutig und nach ihm sprachlich und begrifflich das klar zum Ausdruck gebracht, was dem vom Normgeber gewollten Sinn der Vorschrift entspricht, so ist grundsätzlich hiernach auszulegen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007, Az. B 2 U 15/06 R, NZS 2008, 604, m. w. N.) Der Begriff des "Tragens" umfasst nicht jedwede Belastung. Ein Tragen auf der Schulter liegt nur dann vor, wenn die im BK-Tatbestand beschriebene schwere Last von oben auf die Schulter drückt (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Juni 2009, Az.: L 31 U 446/08). Der Wortlaut der BK 2109 deckt sich im hier verstandenen Sinn auch mit dem Sinn der Bestimmung, wie er sich aus den hierzu gemachten Ausführungen im Merkblatt zur BK 2109 (BArbBl 3/93, S. 53 ff.) ergibt. Die Merkblätter sind als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes heranzuziehen (BSG, Urteil vom 18. August 2004, Az.: B 8 KN 1/03 U R, BSGE 93, 149, m. w. N.), allerdings kommt ihnen keinerlei rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG, Urteil vom 12. April 2005, Az. B 2 U 6/04 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 59), auch öffnet ein Merkblatt nicht den Tatbestand der Verordnung entgegen seinem Wortlaut auf eine andere als die klar beschriebene Art der Tätigkeit, hier des Tragens auf der Schulter. Ergänzend wird gemäß § 153 Abs. 1 SGG auf die umfassenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt.
Die so zu verstehenden arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2109 sind im Falle der Klägerin daher nicht gegeben. Ein Tragen schwerer Lasten auf der Schulter hat bei ihr nicht stattgefunden. Derartiges ist von ihr nicht behauptet und von Prof. Dr. D auch nicht unterstellt worden. In Ermangelung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen kamen daher weder eine Anerkennung des HWS Leidens der Klägerin als BK noch die Gewährung einer Verletztenteilrente in Betracht.
Die Erkrankung der Klägerin an der HWS ist auch nicht wie eine BK anzuerkennen oder gemäß SGB VII zu entschädigen.
Zunächst einmal ist die diesbezügliche Ablehnung der Beklagten durch den angefochtenen Bescheid bestandskräftig geworden, da sie mit der Klage zunächst ausdrücklich nicht angefochten worden ist. Das Gericht schließt sich auch insoweit den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil an; die Klägerin ist hierauf im Erörterungstermin vom 16. Dezember 2008 hingewiesen worden. Wenn sich eine Klage, wie vorliegend, ausdrücklich nur gegen einen Teil eines belastenden Verwaltungsaktes wehrt, so ist hierin auch nur bezüglich dieses Teiles des Streitgegenstandes Klage erhoben worden, soweit der Streitgegenstand teilbar ist. Dies ist im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen den verschiedenen BKen und der Anerkennung als Quasi BK ohne weiteres gegeben. Wie im bereits genannten Erörterungstermin unter Bezugnahme auf die BSG Rechtsprechung u. a. vom 02. Dezember 2008 (Az. B 2 KN 3/07 U R, zitiert nach juris.de) ausgeführt worden ist, ist zwischen der Entscheidung des Versicherungsträgers über die Anerkennung einer bestimmten Listen BK und einer Wie BK zu unterscheiden (BSG, a. a. O., m. w. N.). Hierbei handelt es sich um zwei Arten von Versicherungsfällen, die dementsprechend getrennt voneinander zu betrachten sind (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010, Az. B 2 U 5/08 R, zitiert nach juris.de). Das Klageverfahren unterliegt der Dispositionsmaxime der Beteiligten (§ 123 SGG) und ist abhängig von ihren Anträgen. Zwar entscheidet nach § 123 SGG das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Damit ist der förmliche Klageantrag nicht die alleinige und ausschließliche Erkenntnisquelle, sondern dem Vorbringen des Klägers sowie den Umständen des Einzelfalls kommt besondere Bedeutung zu (BSG, Urteil vom 11. November 1987, Az. 9 a RV 22/85, zitiert nach juris.de). Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wurde jedoch keine Klage gegen die Ablehnung einer Anerkennung als Wie-BK eingelegt. Selbst wenn man unter Berücksichtigung dieser Vorgaben die Klageschrift vom 14. März 2005, die noch keinen konkreten Antrag enthielt, noch als auslegungsfähig ansehen würde, so ist doch jedenfalls mit der Berufungsbegründung im Schriftsatz vom 15. Oktober 2005 ausdrücklich eine Beschränkung auf die Anerkennung der BKen 2108 und 2109 erfolgt, die im Hinblick auf den Antrag nicht mehr auslegungsfähig dahin war, dass zusätzlich der weitere Streitgegenstand der Wie BK weiterhin Streitgegenstand sein sollte. Auch die Klagebegründung und die spätere Argumentation bezog sich ausschließlich auf die BKen 2108 und 2109, jedoch in keiner Weise auf eine Anerkennung als Wie BK. Eine gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG fristgemäße Klageerhebung lag daher nur im Hinblick auf die Anerkennung als BK vor, nicht jedoch im Hinblick auf eine Wie-BK. Letztere war damit zulässigerweise nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Letztlich wurde auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25. April 2008 ein diesbezüglicher Klageantrag nicht mehr gestellt.
Wie bereits erstinstanzlich ausgeführt, wären die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Wie BK jedoch auch in der Sache nicht gegeben. Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift erfüllt sind. Mit dieser Regelung sollen Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Hierfür reicht es nicht aus, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch zur so genannten BK Reife verdichtet haben. Dies ist der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine so genannte herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (BSG, SozR 2200 § 551 Nr. 9, 27, BSG, SozR 3 2200 § 551 Nr. 9 und BSG, Urteil vom 04.06.2002, Az. B 2 U 20/01 R, m. w. N., jeweils zitiert nach juris.de).
Das Vorliegen derartiger Erkenntnisse zu einem besonderen Risiko für Artisten, berufsbedingt an Wirbelsäulenschäden zu erkranken, konnte vorliegend nicht festgestellt werden. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat mit Schreiben vom 23. November 2009 mitgeteilt, dass die Frage der Verursachung von Wirbelsäulenschäden durch die berufliche Tätigkeit als Artist bisher nicht geprüft wurde, eine Prüfung sei auch nicht beabsichtigt, medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse lägen dort nicht vor. Diese Anfrage ist in einem Parallelverfahren erfolgt, wurde den Beteiligten dieses Verfahrens jedoch zur Verfügung gestellt. In diesem – ebenfalls gegen die Beklagte dieses Verfahrens geführten – Parallelverfahren (L 2 U 331/08), in dem der Prozessbevollmächtigte dieses Verfahrens ebenfalls aufgetreten ist, hat auch Dr. W mit Stellungnahme vom 08. November 2006 ausgeführt, dass Untersuchungen und Dokumentationen zu Wirbelsäulenschäden bei Artisten nicht existieren. Im vorliegenden Verfahren ist dies von Prof. Dr. D mit Stellungnahme vom 12. Oktober 2004 ausgeführt worden, der bestätigte, dass epidemiologische Studien über Erkrankungen der Berufsgruppen von Artisten und Tänzern nicht vorlägen. Dem erkennenden Gericht sind derartige Untersuchungen ebenfalls nicht bekannt, auch konnte die Klägerin auf keine derartigen Veröffentlichungen verweisen. Es fehlt damit für die Berufsgruppe der Artisten an jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer gruppentypischen Risikoerhöhung, die aus den oben dargelegten Gründen entgegen der Auffassung des Prof. Dr. D nicht entbehrlich sind. Erst recht nicht festgestellt werden konnte damit der von der Rechtsprechung geforderte Konsens der Mehrheit der medizinischen Sachverständigen zur generellen Eignung der Belastungen von Artisten, Wirbelsäulenerkrankungen zu verursachen.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved