S 128 AS 14433/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
128
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 128 AS 14433/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist eine Untätigkeitsklage.

Die 1990 geborene Klägerin zu 1. und der 1985 geborene Kläger zu 2. beziehen zusammen mit der 2007 geborenen Tochter vom Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Schreiben vom 27. November 2008 beantragte die Klägerin zu 1. beim Beklagten einen Umzug in eine rund 83 qm große Wohnung, weil die jetzige Wohnung für drei Personen zu klein sei. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit an die Klägerin zu 1. gerichtetem Bescheid vom 30. Dezember 2008 ab, weil die jetzige Wohnung für drei Personen ausreichend groß sei. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin zu 1. über ihren Bevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt G (G.), am 4. Februar 2009 Widerspruch ein. Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 als verfristet zurück. Hiergegen haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben (S 101 AS./09).

Die Prozessbevollmächtigte im hiesigen Verfahren legte am 28. Januar 2009 namens und in Vollmacht des Klägers zu 2. ebenfalls Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 ein. Überschrieben war das Widerspruchsschreiben mit "Meine Mandanten: Familie L M ".

Die Kläger haben am 12. Mai 2009 Untätigkeitsklage in Bezug auf ihren am 28. Januar 2009 eingelegten Widerspruch erhoben. Sie meinen, der Beklagte habe nicht den verfristeten Widerspruch verbescheiden, über den fristgerecht erhobenen Widerspruch dagegen nicht entscheiden dürfen.

Die Kläger beantragen schriftlich,

den Beklagten zu verpflichten, den Widerspruch der Kläger vom 28. Januar 2009 gegen den Bescheid des Beklagten vom 30. Dezember 2008 zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Widerspruchsverfahren sei abgeschlossen. Ein weiterer Widerspruchsbescheid an die hiesige Verfahrensbevollmächtigte dürfe nicht ergehen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die hier nach Maßgabe des § 88 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhobene Untätigkeitsklage ist unzulässig.

Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Das gleiche gilt nach § 88 Abs. 2 SGG, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt. Die Kläger haben gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 Widerspruch eingelegt. Über diesen hat der Beklagte entschieden und unter dem 26. Februar 2009, also vor Erhebung der Untätigkeitsklage, einen Widerspruchsbescheid erlassen. Die Kläger haben hier keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte in Bezug auf den Bescheid vom 30. Dezember 2008 einen weiteren Widerspruchsbescheid erlässt.

Hier steht in Rede die Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Unterkunft nach § 22 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Anspruchsinhaber sind die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, hier also die Kläger sowie deren gemeinsame Tochter, die indes im hiesigen Verfahren keine Klage erhoben hat. Beantragt hat diese Leistung mit Schreiben vom 27. November 2008 die Klägerin zu 1. Sie hat für die Bedarfsgemeinschaft gehandelt. Denn nach § 38 Satz 1 SGB II wird, soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Leben mehrere erwerbsfähige Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft, gilt diese Vermutung nach § 38 Satz 2 SGB II zugunsten desjenigen, der die Leistungen beantragt. Nach § 38 Satz 2 SGB II galt die Klägerin zu 1. also als bevollmächtigt, für die Bedarfsgemeinschaft die begehrte Zusicherung zu beantragen. Sie galt damit aber auch als bevollmächtigt, für die Bedarfsgemeinschaft Widerspruch einzulegen (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 38, Rn. 18), was sie, durch den Bevollmächtigten G., am 4. Februar 2009 auch getan hat.

Dass der Kläger zu 2. bereits am 28. Januar 2009 ebenfalls Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 eingelegt hat, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Insbesondere rechtfertigt diese Tatsache nicht den Schluss, die Klägerin zu 1. habe am 4. Februar 2009 nicht mehr für die Bedarfsgemeinschaft, sondern nur noch für sich Widerspruch einlegen können. Die Kammer verkennt zwar nicht, dass im Einzelfall die Vollmachtsvermutung auch erlöschen kann. Dafür reicht es hier aber nicht aus, dass der Kläger zu 2. in eigenem Namen Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 eingelegt hat. Denn dieser Widerspruch nahm deutlich Bezug auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft, nicht nur auf den Kläger zu 2. Es wäre auch gar nicht verständlich, warum die Klägerin zu 1. für die Bedarfsgemeinschaft einen Antrag stellen darf, die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft dann aber Wert darauf legen, separat Widerspruch einzulegen. Jedenfalls hätte ein solcher Wille deutlich erklärt werden müssen. Wollte man im Übrigen unzutreffend annehmen, die Vollmachtsvermutung zugunsten der Klägerin zu 1. sei durch die Einlegung des Widerspruchs des Klägers zu 2. am 28. Januar 2009 erloschen, hätte der Kläger zu 2. nicht für die Bedarfsgemeinschaft, sondern nur für sich allein Widerspruch einlegen können. Denn die Vollmachtsvermutung nach § 38 Satz 2 SGB II galt für ihn nicht, da er den Antrag auf Zusicherung zu den Aufwendungen für die Unterkunft nicht beantragt hatte.

Hat der Beklagte demnach über einen Widerspruch der Bedarfsgemeinschaft gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 durch Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 entschieden, liegt Untätigkeit nicht vor. Zulässigkeitsvoraussetzung für die Untätigkeitsklage ist, dass die Kläger sachlich nicht beschieden worden sind, die Behörde also nicht eine abschließende Entscheidung zur Hauptsache getroffen hat (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 88, Rn. 4). Hier aber ist, wie dargelegt, eine Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 ergangen. Eine Bedarfsgemeinschaft hat regelmäßig auch dann keinen Anspruch auf den Erlass mehrerer Widerspruchsbescheide, wenn sie gegen denselben Bescheid mehrere Widersprüche einlegt.

Unmaßgeblich ist dabei, dass der Beklagte – wohl kaum zu Recht, denn die Zugangsfiktion nach § 37 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch setzt voraus, dass der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt ist (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28. November 2006 - B 2 U 33/05 R - SozR 4-2700 § 136 Nr. 2) – den Widerspruch wegen Verfristung als unzulässig zurückgewiesen hat. Denn die Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 SGG ist gerichtet auf Bescheidung schlechthin, nicht einen Widerspruchsbescheid bestimmten Inhalts (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1993 – 14a RKa 1/93 - SozR 3-1500 § 88 Nr. 1). Daher muss die Kammer hier auch nicht entscheiden, ob der Beklagte nicht gehalten war, den Widerspruch des Klägers zu 2. für die Bedarfsgemeinschaft vom 28. Januar 2009 als fristwahrend zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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