L 3 U 481/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 190/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 481/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist eine Atemwegserkrankung durch Isolyanate als Berufskrankheit nach der Nummer 1315 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anerkannt, bedingt dies nicht zwangsläufig die Bewilligung einer Verletztenrente nach § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).
Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass aufgrund dieser Berufskrankheit allgemein Arbeitsplätze mit Atemwegsbelastung verschlossen sind.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 8. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII). Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Verletztengeld und Verletztenrente wegen seiner anerkannten Berufskrankheit nach der Nr.1315 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) hat.

Der 1960 geborene Kläger ist von Beruf M., Diplom-Betriebswirt und examinierter Theologe. Er hat im August 1987 eine Malerausbildung absolviert. Seit dem Jahr 1981 ist der Kläger in Malereibetrieben tätig gewesen. Er hat angegeben, bei seinen beruflichen Tätigkeiten von 1987 bis 1997 mit Farben und Lacken in Berührung gekommen zu sein. Ab dem Jahr 1995 habe er auch Kontakt mit Beschichtungsstoffen gehabt. Von April 2002 an ist der Kläger als geschäftsführender Gesellschafter und Beschichter eines Malerbetriebs tätig gewesen, wobei er Kontakt mit Polyharzstoffen hatte.

Der Beklagten ist mit D-Arzt-Bericht vom 31.12.2003 eine Reizgasinhalation des Klägers angezeigt worden. Seit 10.12.2003 bestehe Arbeitsunfähigkeit. Laut der Unfallanzeige des Arbeitsgebers vom 02.01.2004 seien bei dem Spritzen von Polyharzstoff eine akute Atemnot und ein Fieberanfall aufgetreten. Der Allgemein- und Umweltmediziner Dr. S. hat der Beklagten am 29.01.2004 den Verdacht auf eine Berufskrankheit wegen Kontakt mit Epoxiden, Ethylacetat, Isocyanat und Methylenchlorid angezeigt. Erstmalig seien die Beschwerden am 08.12.2003 aufgetreten. Ferner ist ein kurzfristiger Kontakt mit Isocyanaten am 23.12.2003 angegeben worden, bei dem sich eine deutliche Restriktion und Obstruktion der Lunge ergeben habe. Der Internist Dr. H. hat mit Attest vom 02.02.2004 den Verdacht auf rezidivierende Alveolitis-Schübe geäußert.

Der Präventionsdienst der Beklagten hat in seiner Stellungnahme vom 30.06.2004 ausgeführt, der Kläger sei bei seiner letzten Tätigkeit Isocyanaten ausgesetzt gewesen. Die Exposition sei wesentlich intensiver als bei normalen Bodenbeschichtungsarbeiten gewesen. Der Kläger sei somit gefährdend im Sinne der BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 der BKV tätig gewesen.

Der Allgemeinarzt A. hat bestätigt, dass der Kläger am 04.01.2005 sich bei ihm erneut wegen Bronchialatmen vorgestellt habe, weil er an diesem Tag mit Lösungsmitteldämpfen in Kontakt gekommen sei.

Prof. Dr. N. hat mit arbeitsmedizinischem Fachgutachten vom 20.07.2005 eine durch Isocyanate ausgelöste exogen-allergische Alveolitis im Sinne der BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 zur BKV diagnostiziert. Der (damals) 45-jährige Kläger sei von April 2002 bis zu 80 % seiner Arbeitszeit gegenüber dem Isocyanat MDI bei der Ausführung von Beschichtungsarbeiten mit 2-Komponenten-Polyuretanen durch Heißspritzverfahren exponiert. Im Dezember 2003 sowie zuletzt am 21.01.2004 seien sechs bis acht Stunden nach Exposition für eine exogen-allergische Alveolitis typische Krankheitssymptome mit Fieber, Luftnot und Gliederschmerzen aufgetreten. Diese Symptomatik habe durch eine spezifische Expositionstestung gegenüber Isocyanat MDI im Rahmen der Begutachtung bestätigt werden können.

Durch den Beratungsärztlichen Dienst der Beklagten ist dies bestätigt worden. In der Folge hat die Beklagte mit Bescheid vom 08.03.2006 eine Atemwegserkrankung durch Isocyanate als BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 zur BKV anerkannt, aber die Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt, da keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorliege.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Widerspruch vom 08.04.2006 hervorgehoben, dass dem Kläger sämtliche atemwegsbelastenden Tätigkeiten verschlossen seien, weil das Risiko zu groß wäre, die Atemwege weiter zu belasten. Atemwegsbelastende Tätigkeiten seien nach einer Zählung der IG-Metall in den alten Bundesländern etwa neun Millionen Arbeitsplätze. Daraus würde sich bezogen auf den konkreten Fall eine MdE von mindestens 30 v.H. errechnen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 26.04.2006 ergänzt, dass er vom 15.03.2005 bis zum 13.03.2006 Arbeitslosengeld bezogen habe. Seit dem 01.03.2006 beziehe er eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Er beziehe seit dem 20.01.2004 auch kein Arbeitseinkommen mehr von der Firma J. M. im Allgäu. Er habe kein Krankengeld bezogen, da seine private Krankenversicherung bei Verdacht auf eine Berufskrankheit keine Leistungen erbringe.

Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.03.2006 mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2006 zurückgewiesen. Die bestehende Alveolitis verursache keine Einschränkungen oder Störungen der Lungenfunktion, wodurch sich demzufolge keine messbare MdE ergäbe. Im Übrigen sei Gegenstand dieses Verfahrens ausschließlich das Vorliegen einer Berufskrankheit nach der Nr.1315 BKV und nicht der fragliche Arbeitsunfall vom 09.12.2003. Ob der Kläger Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 3 BKV habe, werde gesondert geprüft.

Das sich anschließende Klageverfahren ist vom Sozialgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen S 8 U 239/06 eingetragen worden. Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Klagebegründung vom 09.08.2006 hervorgehoben, gemäß § 56 Abs.2 SGB VII sei eine abstrakte Schadensberechnung erforderlich. Es liege auf der Hand, dass die festgestellte Alveolitis und die festgestellte Allergie eine Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit bzw. des körperlichen Leistungsvermögens beinhalte. Dem Kläger seien in den alten Bundesländern etwa neun Millionen Arbeitsplätze mit Atemwegsbelastung verschlossen.



Am 25.09.2006 hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, er sei als Vorführer für Dispersionsfarben tätig gewesen, habe die Tätigkeit jedoch nach einmaligem Kontakt mit dem Material aufgegeben. Der Arbeitgeber des Klägers hat angegeben, dieser sei vom 01.11.2004 bis zum 31.01.2005 beschäftigt gewesen, seit dem 21.12.2004 jedoch krankgemeldet gewesen.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 18.04.2007 für die Zeit vom 11.02. bis 31.10.2004 und vom 01.02. bis zum 14.03.2005 Verletztengeld bewilligt. Ein Anspruch für die ersten 21 Tage ist wegen der sog. Karenzzeit abgelehnt worden.

Zur Begründung seines Widerspruches hat der Kläger hervorgehoben, in seinem Tätigkeitsfeld sei er arbeitsunfähig. Er könne unmöglich Spezialbeschichtungen vornehmen.

Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.04.2007 mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2007 zurückgewiesen. Der Kläger könne zwar seine frühere Tätigkeit nicht mehr ausüben, er habe jedoch eine andere Arbeit als Anwendungstechniker aufgenommen. Dabei habe es sich auch nicht um eine schädliche Arbeit gehandelt.

Die hiergegen gerichtete Klage ist bei dem Sozialgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen S 8 U 190/07 eingetragen worden.

Der Kläger ist zum 01.01.2008 nach Brasilien verzogen und lebt ausweislich der Nachricht vom 15.02.2010 zwischenzeitlich in Paraguay; er hat glaubhaft jedoch noch einen Wohnsitz in A-Stadt.

Der Kläger hat hinsichtlich der Verletztenrente die Argumente aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Zum Verletztengeld ist noch ausgeführt worden, dass von einer unschädlichen Arbeit nichts bekannt sei.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 05.12.2006 hervorgehoben, wie für die Hauterkrankungen das Bamberger Merkblatt gebe es für die BK 1315 der Anlage zur BKV das Reichenhaller Merkblatt. Der Arbeitsmediziner Prof. Dr. N. habe die dort festgelegten Grundsätze im Rahmen seiner MdE-Bewertung mitberücksichtigt. Im Übrigen liege bei dem Kläger eine exogen-allergische Alveolitis durch Exposition gegenüber Isocyanat vor. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nur dadurch erfüllt gewesen, weil sich die Firma J., ursprünglich ein Malerbetrieb, auf Beschichtungen im Industriebereich spezialisiert habe. Nach den Ausführungen der Präventionsabteilung sei die Exposition des Klägers gegenüber Isocyanaten, bedingt durch die Verwendung von Produkten mit hohem Gehalt an Isocyanatmonomeren bei den Beschichtungsarbeiten im Heißspritzverfahren besonders intensiv gewesen. Die Beklagte gehe somit nicht davon aus, dass Isocyanate auf dem allgemeinen Arbeitsplatz einen besonderen Stellenwert hätten. - Weiterhin hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die tatsächliche Arbeitsaufnahme ein praktisch brauchbares Abgrenzungsmerkmal sei. Die Tätigkeit bei der Firma C. N. sei keine schädigende Tätigkeit gewesen. Andernfalls wäre der Versicherungsfall auch erst mit dem Wegfall dieses Beschäftigungsverhältnisses eingetreten. Die Arbeitsunfähigkeit sei somit definitiv ab 01.11.2004 beendet gewesen.

In dem Verfahren S 8 U 239/06 hat das Sozialgericht Augsburg eine ergänzende arbeitsmedizinische Stellungnahme von Prof. Dr. N. eingeholt. Dieser hat unter dem 08.03.2007 gutachtlich ausgeführt, eine bronchiale Hyperreagibilität habe bei dem Kläger auf Grund der unauffälligen Lungenfunktionstestung ausgeschlossen werden können. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, weshalb dem Kläger sämtliche Arbeitsplätze mit atemwegsbelastenden Tätigkeiten verschlossen sein sollten. Möglicherweise beruhe dies darauf, dass fälschlicherweise eine Atemwegserkrankung durch Isocyanate anstatt der Alveolitis angegeben worden sei. Bei dieser handele es sich um ein anderes Krankheitsbild. Es müsse nur eine erneute Exposition gegenüber Isocyanaten ausgeschlossen werden. Es sollten alle Arbeitsplätze mit Kontakt zu Beschichtungsstoffen aus Epoxidharz oder Isocyanat vermieden werden. Für die MdE-Bewertung der exogen-allergischen Alveolitis könne das Reichenhaller Merkblatt nicht herangezogen werden, da es ausschließlich für obstruktive Atemwegserkrankungen entwickelt worden sei. Das Bamberger Merkblatt bewerte auch die Auswirkungen einer Allergie. Bei einer schwerwiegenden Auswirkung könne auch ohne funktionelle Beeinträchtigung eine MdE von maximal 0 v.H. angenommen werden: Allerdings sei selbst für einen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weit verbreiteten Allergen wie Latex epidemologisch nicht belegt, dass tatsächlich ein Fünftel aller Arbeitsplätze verschlossen sei. Eine vergleichbare Typ I-Sensibilisierung der Atemwege gegenüber Latex bei Beschwerdefreiheit hätte auch nach dem Reichenhaller Merkblatt stets eine MdE unter 20 v.H. zu Folge. Hierauf basierend müsse festgestellt werden, dass die Allergene von Isocyanaten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich weniger verbreitet sein dürften als das Allergen Latex. Demzufolge sei eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nicht zu begründen. Eine besondere berufliche Betroffenheit, wie sie von dem Gewerbearzt angesprochen worden sei, liege nicht vor. Der Kläger habe lediglich wenige Jahre in dem Spezialberuf des Beschichters gearbeitet. Er habe zusätzlich eine qualifizierte Ausbildung als Betriebswirt und als Theologe. Die rein arbeitsmedizinische Beurteilung ergebe eine MdE von 0 v.H.

Das Sozialgericht Augsburg hat die Streitsachen S 8 U 239/06 und S 8 U 190/07 mit Beschluss vom 18.06.2008 gemäß § 113 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Nach entsprechender Ankündigung hat das Sozialgericht Augsburg die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.10.2009 abgewiesen. Sowohl der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2006 als auch der Bescheid vom 18.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2007 seien rechtmäßig und würden den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen. Denn der Kläger habe keine weitergehenden Anspruch auf Verletztengeld als bereits bewilligt. Für die Zeit ab 01.11.2004 bis zum 31.01.2005 sei kein Anspruch auf Verletztengeld gegeben, weil der Kläger eine andere zumutbare Tätigkeit ausgeübt habe. Der Kläger habe seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Tätigkeit als Beschichter und Geschäftsführer eines Malerbetriebes wegen Krankheit ab 11.02.2004 nicht mehr ausgeübt. Allerdings habe er ab November 2004 eine Tätigkeit bei der Firma C. N. als Außendienstmitarbeiter bzw. Anwendungstechniker für Farben und Putze aufgenommen. Diese Tätigkeit habe er bis zur Krankschreibung am 21.12.2004 ausgeübt. Damit sei die Arbeitsunfähigkeit entfallen. Dass es durch die Wiedererkrankung ab 21.12.2004 zu einem Wiederaufleben bzw. einem neuen Anspruch auf Verletztengeld gekommen sei, sei nicht nachgewiesen. Denn es sei nicht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Arbeitsunfähigkeit infolge des Versicherungsfalles der BK nach der Nr.1315 eingetreten sei. Dagegen spräche, dass der Kläger vom 01.11. bis zum 21.12.2004, also etwa sieben Wochen, habe arbeiten können. Dass es wegen der BK nach der Nr.1315 erst dann zu Krankheitszeichen kommen sollte, sei wenig wahrscheinlich. Zudem liege beim Kläger eine exogen-allergische Alveolitis vor, jedoch keine Atemwegserkrankung. Dies ergebe sich aus den überzeugenden Feststellungen des Prof. Dr. N., zuletzt bestätigt in seiner Stellungnahme vom 08.03.2007. Kennzeichen der exogen-allergischen Alveolitis sei aber, dass sie durch die Inhalation von Antigenen ausgelöst werde. Dies seien Partikel, die in Stäuben, Aerosolen, Dämpfen oder Gasen enthalten seien, und beim Einatmen bis in die Alveolen gelängen. Es sei demnach gerade kein bloßer Kontakt in Form eines Hautkontakts ausreichend. Prof. Dr. N. habe sogar weiter ausgeführt, dass eine bronchiale Hyperreagibilität ausgeschlossen sei. Es müsse nur eine Exposition gegenüber Isocyanaten ausgeschlossen werden, nicht aber gegenüber sonstigen über die Atemwege aufnehmbaren Stoffen. Wenn der Kläger angegeben habe, er habe in seiner neuen Tätigkeit mit Farben hantiert, ergäbe sich somit nicht im Vollbeweis das notwendige Einatmen von isocyanathaltigen Dämpfen oder Gasen, wie es bei der früheren Tätigkeit des Klägers als Beschichter beim Aufsprühen von Farben aufgetreten sei. Schließlich habe der Allgemeinarzt A. angegeben, der Kläger habe ihn am 04.01.2005 nochmals aufgesucht, weil er an diesem Tag Lösungsmitteldämpfe eingeatmet habe. Da der Kläger aber ab dem 21.12.2004 nicht mehr gearbeitet hat, ist es unwahrscheinlich, dass der Kläger - außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit und in Kenntnis seiner Anfälligkeit ohne Not - gerade isocyanathaltige Partikel eingeatmet haben sollte. Es sei vielmehr von einer anderen, nicht auf die Folgen der BK nach der Nr.1315 zurückzuführenden Ursache auszugehen. Darüber hinaus habe der Kläger nach Aufgabe der früheren Berufstätigkeit auf Grund seiner weiteren beruflichen Qualifikationen als Diplom-Betriebswirt und Theologe auch auf andere Tätigkeiten als im Malergewerbe verwiesen werden können. Ohnedies sei der Kläger bereits bei der Firma J. nicht allein als M. bzw. Beschichter, sondern auch als Geschäftsführer beschäftigt gewesen. Daher sei auch dieses Tätigkeitsfeld eröffnet, bei dem eine Gefährdung im Sinne der BKV auszuschließen sei.

Weiterhin hat das Sozialgericht Augsburg zur Verletztenrente ausgeführt, dass eine MdE in rentenberechtigendem Grad infolge der BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 zur BKV nicht vorliege. Das Sozialgericht folge der Einschätzung des Prof. Dr. N., weil sie mit dem vergleichbaren Verweis auf die Situation beim Allergen Latex nachvollziehbar und tragfähig begründet sei. Die von den Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführte Zahl von neun Millionen verschlossenen Arbeitsplätzen allein in den alten Bundesländern sei nicht realistisch. Prof. Dr. N. habe deutlich gemacht, dass eben nicht alle atemwegsbelastenden Arbeitsplätze verschlossen seien, sondern nur solche mit einer Exposition gegenüber Epoxidharzen oder Isocyanaten. Dass deren Zahl weitaus geringer einzustufen sei, folge bereits aus der Tatsache, dass die BK nach der Nr.1315 gerichtsbekannt zu den eher seltenen Berufskrankheiten zähle (vgl. Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin "Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2007": Demnach entfielen auf die BK nach der Nr.1315 im Jahr 2007 nur 2,1 % aller Anerkennungen). Auch eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers im Sinne des § 56 Abs.2 Satz 3 SGB VII komme nicht in Betracht. Dagegen würden bereits die breitgefächerten beruflichen Qualifikationen des Klägers sprechen. Auch habe er keine beispielsweise mit einer besonders langen oder kostspieligen Ausbildung verbundenen Kenntnisse oder Erfahrungen im Malerberuf erworben, die anderweitig nicht mehr oder nicht mehr in diesem Umfange genutzt werden könnten (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 14/99 R). Ferner sei darauf hinzuweisen, dass ab dem Wegzug des Klägers nach Brasilien zum 01.01.2008 ein Anspruch auf Verletztenrente auch wegen § 12 Abs.1 des Fremdrentengesetzes nicht gegeben sei.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 14.11.2009 ging am 16.11.2009 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des Senats wurden die Akten der Beklagten sowie die Streitakten S 8 U 239/06 und S 8 U 190/07 beigezogen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben zur Berufungsbegründung ausgeführt, anerkannt sei, dass der Kläger beruflich mit Isocyanaten in Berührung gekommen sei, und zwar als Beschichter eines Malerbetriebes mit entsprechenden Atemnotanfällen. Die Exposition gegenüber Isocyanaten sei wesentlich intensiver als bei normalen Bodenbeschichtungsarbeiten gewesen. Deshalb seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen der anerkannten Berufskrankheit gegeben. In dem Berufsbild als Beschichter mit Isocyanaten bzw. mit Polyharzstoffen sei der Kläger nicht wieder arbeitsfähig geworden. Deshalb habe er Verletztengeldanspruch bis auf weiteres, insbesondere für die Zeit ab 21.12.2004. Der Kläger habe einen Arbeitsversuch unternommen, der mit dem 21.12.2004 auf Grund Krankschreibung geendet habe. Deshalb sei für die Verletztengeldzahlung anzuknüpfen an die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, und zwar an die Beschichtertätigkeit mit Isocyanaten. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Beklagte den Kläger beruflich rehabilitiert hätte bzw. durch entsprechende Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben einen entsprechenden Erfolg erzielt hätte. - Spätestens aber ab dem 31.10.2004 schulde die Beklagte zusätzlich zu dem Verletztengeld auch eine Verletztenrente. Dass eine exogen-allergische Alveolitis keine Atemwegserkrankung wäre, erscheine nicht nachvollziehbar. Es gehe offenbar um die Erkrankung der Lungenbläschen. Da der Kläger bereits mit schweren Atemnotanfällen reagiert habe, müsse jede weitere Atemwegsgefährdung auch durch andere Arbeiten vermieden werden, was bei der MdE zu beachten sei. Insoweit gebiete § 56 Abs.2 SGB VII eine abstrakte Schadensberechnung. Bei einem Ausfall von etwa neun Millionen atemwegsbelastenden Arbeitsplätzen in den alten Bundesländern ergäbe dies eine MdE von 30 v.H.

Das BayLSG regte nach Überprüfung der Akten mit Nachricht vom 22.04.2010 an, die Berufung zurückzunehmen, da von Amts wegen keine Ermittlungen mehr durchgeführt würden. Für die Stellung eines Antrags nach § 109 SGG wurde eine Frist bis 31.05.2010 gesetzt.

Die Bevollmächtigten des Klägers benannten mit Telefax vom 31.05.2010 Prof. Dr. N. (zu beauftragen ohne Kostenvorschuss).

Das BayLSG erwiderte mit Schreiben vom 08.06.2010, dass der Kläger einen Kostenvorschuss in Höhe von 3.500,00 EUR zu leisten habe. Dies erachteten die Bevollmächtigten des Klägers entsprechend ihrer Nachricht vom 15.09.2010 als ermessensfehlerhaft.

Mit Beschluss vom 27.09.2010 wurde die Berufung auf den Berichterstatter übertragen (§ 153 Abs.5 SGG).

In der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2010 ist für den Kläger niemand erschienen. Die Bevollmächtigten des Klägers haben bereits mit Schriftsatz vom 14.11.2009 beantragt:
Unter Abänderung/Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 08.10.2009 wird nach den Anträgen aus erster Instanz erkannt, dass heiße auf eine Verletztengeldzahlung aus Anlass der anerkannten BK nach der Nr.1315 (Isocyanate) über den 31.10.2004 hinaus, insbesondere ab 21.12.2004 bis auf weiteres und auf eine Verletztenrente aus Anlass der exogen-allergischen Alveolitis nach einer rentenberechtigenden MdE von mindestens 20 v.H. bis auf weiteres. - Hilfsweise: Die Revision wird zugelassen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 08.10.2009 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage gegen den Bescheid vom 08.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2006 sowie die Klage gegen den Bescheid vom 18.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2007 mit Gerichtsbescheid vom 08.10.2009 zutreffend abgewiesen. Das BayLSG sieht von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs.2 SGG).

Dies gilt auch in Berücksichtigung der Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 14.11.2009 sowohl hinsichtlich des weitergehenden Verletztengeldes als auch der Verletztenrente. - Hinsichtlich des Verletztengeldes im Sinne von §§ 45 ff. SGB VII ist ergänzend auszuführen, dass der Kläger nicht nur gelernter M., sondern auch Theologe und Diplom-Betriebswirt ist. Nach eigenen Angaben hat er überwiegend Bürotätigkeiten in der Firma J. M. in Allgäu GmbH als Geschäftsführer ausgeführt. Die Beklagte hat daher zutreffend Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung nicht angeboten, da eine entsprechende Verweisbarkeit auf die Tätigkeit als Diplom-Betriebswirt vorgelegen hat und liegt. Weiterhin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.09.2008 zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger am 01.11.2004 ein Beschäftigungsverhältnis als Anwendungstechniker bei der Firma C. N. aufgenommen hat. Nach den Ermittlungen zur Feststellung von Verletztengeld hat es sich hierbei nicht um eine schädigende Tätigkeit gehandelt. Andernfalls wäre der Versicherungsfall auch erst mit dem Wegfall dieses Beschäftigungsverhältnisses eingetreten. Die Arbeitsunfähigkeit ist somit ab 01.11.2004 zweifelsfrei beendet gewesen.

Dass es durch die Wiedererkrankung ab 21.12.2004 zu einem Wiederaufleben bzw. einem neuen Anspruch auf Verletztengeld gekommen ist, ist dies nicht nachgewiesen. Prof. Dr. N. hat sich im Rahmen seines arbeitsmedizinischen Fachgutachtens vom 20.07.2005 eingehend mit den von Herrn A. und Dr. H. bescheinigten AU-Zeiten vom 10.12.2003 bis 18.12.2003, 19.12.2003 bis 29.12.2003, 02.01.2004 bis 16.01.2004, 28.01.2004 bis 18.02.2004 und 17.02.2004 bis 10.03.2004 auseinandergesetzt. Zur Frage des Wiederauflebens von Verletztengeld ab dem 21.12.2004 ist jedoch das aktenkundige Rentengutachten von Dr. F. vom 17.05.2005 insoweit aussagekräftig, als dort im Rahmen der Gesamtbeurteilung ausgeführt wird: "Die klinische Untersuchung, die Lungenfunktion, die Laborkontrollen und das EKG fielen normal aus. Allerdings ist der Untersuchte nicht Chemikalien ausgesetzt worden. Herr A. stellte einen Rentenantrag, da er auf Isocyanate massiv mit Fieber, Gliederschmerzen, Unruhe, Benommenheit und Atemnot reagiert. Er ist von Beruf M. und arbeitete vom 01.04.2002 bis 31.10.2004 als selbständiger Beschichter, vom 01.11.2004 bis 31.10.2005 als Anwendungstechniker. Wegen der Krankheit wurde ihm schließlich gekündigt. Er kann in seinem erlernten oder in damit verwandten Berufen nicht mehr arbeiten, da eine hochgradige Gefährdung (Alveolitis) besteht. Arbeiten ohne Exposition auf Chemikalien können vollschichtig zum Beispiel in dem erlernten Beruf als Betriebswirt ausgeführt werden."

Es sprechen somit alle Gesichtspunkte dagegen, dass die Arbeitsunfähigkeit ab dem 21.12.2004 auf eine Exposition von Isocyanaten zurückzuführen ist, wie sie z.B. bei der früheren Tätigkeit (Heißspritzverfahren) gegeben war.

Zur Verletztenrente im Sinne von §§ 56 ff. SGB VII folgt der Senat den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. N. mit Gutachten vom 20.07.2005 und ergänzender Stellungnahme vom 06.08.2007: "Für die MdE-Bewertung einer EAA liegen keine entsprechenden Empfehlungen von Fachgesellschaften vor. Dies relativiert auch die vom Gericht erbetene Bewertung hinsichtlich des Reichenhaller Merkblattes, das ausschließlich für obstruktive Atemwegserkrankungen entwickelt worden ist. Gleichfalls liegen keine epidemologischen Daten zur Verbreitung von Allergenen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Während im Reichenhaller Merkblatt ausschließlich Funktionsschäden bewertet werden, wird im Bamberger Merkblatt für die BK Nr.5101 auch die Auswirkung der Allergie und damit eine Bewertung der Verbreitung von Allergien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt berücksichtigt. Hiernach gäbe es die Möglichkeit, bei einer schwerwiegenden Auswirkung einer Allergie auch ohne funktionelle Beeinträchtigung eine MdE von maximal 20 v.H. zu bemessen. Hier ist jedoch anzufügen, dass selbst für ein auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weit verbreitetes Allergen wie Latex epidemologisch nicht belegt werden kann, dass tatsächlich 20 v.H. aller Arbeitsplätze verschlossen sind. Eine vergleichbare Typ I-Sensibilisierung der Atemwege gegenüber Latex bei Beschwerdefreiheit hätte nach dem Reichenhaller Merkblatt stets eine MdE unter 20 v.H. zur Folge. Hierauf basierend muss festgestellt werden, dass die Allergene von Isocyanaten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich weniger verbreitet sein dürfen als das Allergen Latex. Demzufolge ist eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß von 20 v.H. auch unter Heranziehung des Bamberger Merkblattes nicht zu begründen. - Eine besondere berufliche Betroffenheit ist bereits deswegen nicht gegeben. Der Kläger hat zusätzlich eine qualifizierte Ausbildung als Betriebswirt und als Theologe, Tätigkeiten, in denen keine Einschränkungen durch die Berufskrankheit vorhanden sind. - Zusammenfassend bestehe nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit bei dem Kläger keine messbaren funktionellen Einschränkungen auf Grund der diagnostizierten Berufskrankheit."

Vorstehende Ausführungen des Prof. Dr. N. sind auch nicht anderweitig widerlegt worden. Insbesondere hat der Kläger nicht den erbetenen Kostenvorschuss in Höhe von 3.500,00 EUR nach § 109 SGG geleistet, um Prof. Dr. N. zu hören. Die Erhebung eines entsprechenden Kostenvorschusses ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Dies folgt aus §§ 73a Abs.3, 109 Abs.1 Satz 2 SGG. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers ist hierfür auch keine Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 08.10.2009 zurückzuweisen. Die Anwesenheit des Klägers oder seiner Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2010 ist hierbei nicht erforderlich gewesen (§ 110 Abs.1 SGG). Der Senat hat hier durch Beschluss vom 27.09.2010 die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§ 153 Abs.5 SGG).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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