L 11 AS 671/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 981/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 671/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Anordnugsgrund entfällt, wenn Ag Leistungserbringung darlehensweise anbietet
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom
14.07.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 11.11.2009 bis 30.05.2010 als Zuschuss anstatt als Darlehen.
Am 11.11.2009 beantragte der Antragsteller (Ast) Alg II. Mit Bescheid vom 29.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 bewilligte die Antragsgegnerin (Ag) Alg II in Höhe der Regelleistung. Die Bewilligung erfolge (vorläufig) darlehensweise, da der ASt Vermögen in Form eines Grundstückes habe, das er zur Zeit nicht verwerten könne. Nachweise über die Höhe der Beiträge zur Krankenversicherung möge er noch vorlegen, damit auch diese darlehensweise übernommen werden könnten. Dagegen hat der ASt Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (S 13 AS 597/10). Auf Weiterzahlungsantrag vom 20.04.2010 bewilligte die Ag erneut darlehensweise Alg II für die Zeit vom 01.06.2010 bis 30.11.2010 mit Bescheid vom 14.05.2010, wobei sie zusätzlich ausführte, auch Unterkunfts- und Heizungskosten sowie die Beiträge zur Krankenversicherung könnten gegen Vorlage entsprechender Nachweise darlehensweise übernommen werden. Gegen diesen Bescheid hat der ASt lt. Auskunft der Ag keinen Widerspruch eingelegt.
Bereits im Januar 2010 hat der ASt beim SG einstweiligen Rechtsschutz begehrt und zuletzt beantragt, ihm "Alg II als Zuschuss, einschließlich der Gewährung von Unterkunft zu gewähren". Das SG hat nach teilweiser Zurückverweisung durch das Bayer. Landessozialgericht (LSG) zuletzt mit Beschluss vom 14.07.2010 den Antrag abgelehnt. Ein Erfolg in der Hauptsache sei unwahrscheinlich, Nachweise für Unterkunftskosten habe er nicht vorgelegt. Es fehle an einem Anordnungsgrund wie auch an einem Anordnungsanspruch.
Dagegen hat der ASt Beschwerde zum LSG eingelegt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegt Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet.
Streitig ist dabei, nachdem einstweiliger Rechtsschutz hinsichtlich des Antrages vom 11.11.2009, über den mit Bescheid vom 29.01.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 entschieden worden ist, begehrt wurde, allein der Leistungszeitraum vom 11.11.2009 bis 31.05.2010. Über den Weiterzahlungsantrag vom 20.04.2010 hat die Ag mit Schreiben vom 14.05.2010 entschieden (Zeitraum 01.06.2010 bis 30.11.2010). Dieser Bescheid ist nicht Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geworden, diesbezüglich wäre ein erneuter Antrag an das SG zu stellen gewesen. Im Übrigen hat der ASt gegen diesen Bescheid lt. Auskunft der Ag keinen Widerspruch eingelegt, sodass er bestandskräftig ist und ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren mangels Vorliegens eines Hauptsacheverfahrens diesbezüglich bereits nicht zulässig wäre.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74; vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. RdNr 652).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 -1 BvR 2971/06 -).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO, BVerfG vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09 -).

Vorliegend fehlt es unabhängig vom Vorliegen eines Anordnungsanspruches bereits an einem Anordnungsgrund. Zum einen sind Leistungen darlehensweise gewährt worden und Krankenversicherungsbeiträge wären bei Vorlage entsprechender Nachweise ebenfalls in Form eines Darlehens übernommen worden. Unterkunftskosten hatte der ASt zu diesem Zeitpunkt nicht geltend gemacht. Es lag somit keine existenzbedrohende Lage, die einen einstweiligen Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache erforderlich gemacht hätte, vor. Zusätzlich handelt es sich um zum Zeitpunkt des Beschlusses des SG bereits abgelaufene Zeiträume, für die in der Regel einstweiliger Rechtsschutz nicht mehr erforderlich ist.

Es ist ständige Rechtsprechung des Senates, dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit im Streit stehen, in aller Regel ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht glaubhaft zu machen ist. Hierbei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Aufgrund des Verfahrensganges und des Streitgegenstandes war der Senat jedoch gehindert, eine Entscheidung in Bezug auf noch laufende Leistungen zu treffen. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann. Charakteristisch ist daher für jeden Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft bringt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume die Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtiger schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl. hierzu Beschluss des Senates vom 05.08.2010 - L 11 AS 405/10 B ER - mwN). Beides ist vorliegend nicht gegeben, wobei zu berücksichtigen ist, dass bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des SG der Leistungszeitraum abgelaufen war und der Bescheid vom 14.05.2010 bestandskräftig geworden ist.

Mangels Vorliegens eines Anordnungsgrundes war daher die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved