Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KR 252/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kostenerstattung, off-label-use, Arzneimittel GranocyteR
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Kostenerstattung für das von der Klägerin selbst beschaffte Arzneimittel "Granocyte®" (Wirkstoff Lenograstim) in Höhe von 1.262,97 Euro.
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 09.04.2009 unter Vorlage entsprechender Verordnungen der Gemeinschaftspraxis für Hormonstörungen und Kinderwunsch Prof. Dr. S., Priv.Doz. Dr. M. B.-P. bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für das Arzneimittel Granocyte®. Die Klägerin habe insgesamt vier gescheiterte IVF- und ICSI-Behandlungen hinter sich und einen Kryozyklus mit missed abortion. Nach immunologischer Abklärung sei eine Therapie mit Granocyte® für sinnvoll gehalten worden; es bestehe jetzt eine Frühschwangerschaft.
Gestützt auf eine Stellungnahme des MDK Bayern vom 08.06.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die beantragte Kostenübernahme nicht erfolgen könne. Das Arzneimittel Granocyte® sei für die in Frage stehende Indikation nicht zugelassen. Die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Voraussetzungen für einen sogenannten off-label-use seien nicht erfüllt, zumindest genüge die wissenschaftliche Datenlage nicht den Kriterien dieser Rechtsprechung. Im Widerspruchsverfahren nahm der MDK Bayern am 24.07.2009 erneut Stellung. Es liege zwar eine Fertilitätsstörung vor. Die bei den immunologischen Untersuchungen gefundenen Auffälligkeiten bedürften jedoch außerhalb der Behandlung der Fertilitätsstörung keiner spezifischen Therapie. Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei nicht erkennbar. Mit Bescheid vom 29.07.2009 (Widerspruchsbescheid vom 11.11.2009) lehnte die Beklagte den Kostenerstattungsantrag endgültig ab.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Diese wurde mit Schriftsatz vom 11. Januar 2010 im Wesentlichen dahingehend begründet, dass für die bei der Klägerin festgestellte aloimmunologische Schwäche keine zugelassene Behandlungsform in Deutschland bestehe. Internationale Erfahrungen hätten einen erheblichen Erfolg bei der Behandlung mit Lenograstim von Frauen, bei denen die Gefahr eines Abortes aufgrund einer immunologischen Abwehrreaktion besteht, bestätigt.
Infolge der ICSI/IVF-Therapie unter Einsatz des Medikamentes Granocyte® sei es zu der Geburt einer gesunden Tochter am 29.11.2009 gekommen. Die Voraussetzungen für einen sogenannten off-label-use seien gegeben. Bei der Klägerin liege eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor; es fehle eine vertretbare andere Behandlungsalternative; in einschlägigen Fachkreisen bestehe Konsens über den voraussichtlichen Nutzen des zulassungsüberschreitenden Einsatzes.
In ihrer Klageerwiderung vom 21.01.2010 wies die Beklagte unter anderem darauf hin, dass eine Kostenerstattung schon mangels Einhaltung des Beschaffungsweges nicht erfolgen könne. Die Antragstellung sei am 09.04.2009 erfolgt. Das erste Privatrezept für das streitige Medikament sei am 23.03.2009 ausgestellt und am gleichen Tag eingelöst worden. Nach Aussage des MDK lägen keine ausreichenden Studien vor, die für eine Wirksamkeit des streitigen Präparates bei der vorliegenden Indikation sprechen. Wenn keine ausreichende Datenlage bestehe, müsse über einen Schutz des Embryo vor dem Gebrauch eines Medikamentes im off-label-use nachgedacht werden.
Mit weiterem Schriftsatz vom 05.02.2010 wurde von der Bevollmächtigten der Klägerin vorgetragen: Die Klägerin habe sich schon in einer Kinderwunschbehandlung befunden und das Medikament unverzüglich ab Implantation der Eizelle benötigt. Es sei ihr daher nicht möglich und zumutbar gewesen, den Zeitraum bis zur Entscheidung der Beklagten abzuwarten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in den Antrag, die Bescheide der Beklagten vom 22.06.2009 und 29.07.2009, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.292,67 Euro als Kostenerstattung für das Medikament Granocyte® zu zahlen.
Der Beklagtenvertreter stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die beklagte Krankenkasse hat die beantragte Kostenerstattung zu Recht abgelehnt. Sie ist nicht verpflichtet, der Klägerin die Kosten des ihr auf Privatrezept verordneten und von ihr selbst beschafften, außerhalb seines bestimmungsgemäßen Indikationsgebiets angewandten Arzneimittels Granocyte® zu erstatten. Die Voraussetzungen des § 13 SGB V für einen Kostenerstattungsanspruch sind nicht erfüllt. Zwar hat die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Arzneimittel abgelehnt, jedoch fehlt es an der Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und dem Kostenaufwand der Klägerin. Die Klägerin hatte bei der Beklagten noch keinen Antrag auf Versorgung mit dem begehrten Arzneimittel gestellt, als sie sich im Rahmen der IVF/ICSI-Behandlung in der Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. S./Priv.Doz. Dr. B.-P. ab 23.03.2009 mit Granocyte® behandeln ließ. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können Versicherte ausschließlich dann Kostenerstattung nach § 13 Abs.3 Satz 1 Fall 2 SGB V für selbst beschaffte Leistungen verlangen, wenn die Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung über den Leistungsantrag entschieden hat (Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R unter Aufgabe von BSG vom 28.09.1993 – 1 RK 37/92).
Auch wenn man jedoch mit der Bevollmächtigten der Klägerin davon ausgeht, dass eine Entscheidung der Krankenkasse wegen Unaufschiebbarkeit im vorliegenden Fall entbehrlich war, kommt man zu keinem anderen Ergebnis. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin scheitert nämlich auch daran, dass die Ablehnung ihrer Versorgung mit dem begehrten Arzneimittel nicht zu Unrecht erfolgt ist.
Nach den Feststellungen des MDK bestand aufgrund der konkreten Datenlage keine begründete Aussicht, dass mit dem Arzneimittel Granocyte® der gewünschte Behandlungserfolg erzielt werden kann. Hinreichend sichere wissenschaftliche Erkenntnisse lagen insoweit nicht vor. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des MDK vom 24.07.2009 verlief eine Literaturrecherche in der Datenbank Pubmed ergebnislos. Insofern ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass die Datenlage hinsichtlich des Evidenzniveaus nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genügt. Dies gilt auch für das von der Klägerseite vorgelegte "abstract" über einen mündlichen Vortrag in Barcelona im Juli 2008. Danach soll es laut einer Studie zwischen Januar 2000 und Juni 2006 am Ungarischen Zentrum für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, an der 68 Frauen mit wiederholtem spontanen Abort teilgenommen haben, unter medikamentöser Behandlung mit Lenograstim bei 82% der Frauen zu einer erfolgreichen Schwangerschaft gekommen sein, in der Vergleichsgruppe nur bei 48%. Ungeachtet der Frage, warum der MDK bei seiner Internetrecherche nicht fündig geworden ist, reicht diese Studie nicht aus, einen 0ff-Label-Gebrauch von Arzneimitteln zu rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn – entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase 3 (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen – oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Das von Klägerseite vorgelegte "abstract" erfüllt offenkundig nicht die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Voraussetzungen.
Zu keinem anderen Ergebnis führt auch die grundrechtsorientierte Auslegung des SGB V, anknüpfend an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005. Sie setzt unter anderem voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Daran fehlt es hier. Die bei der Klägerin vorliegende Fertilitätsstörung kann nicht mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden. Mit dem Kriterium einer Krankheit, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des sogenannten off-labe-use formuliert ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 05.05.2009, B 1 KR 15/08 R).
Im Übrigen schließt sich die Kammer der zutreffenden Begründung im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 11.11.2009 an; von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen (§ 136 Abs. 3 SGG).
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
-
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Kostenerstattung für das von der Klägerin selbst beschaffte Arzneimittel "Granocyte®" (Wirkstoff Lenograstim) in Höhe von 1.262,97 Euro.
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 09.04.2009 unter Vorlage entsprechender Verordnungen der Gemeinschaftspraxis für Hormonstörungen und Kinderwunsch Prof. Dr. S., Priv.Doz. Dr. M. B.-P. bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für das Arzneimittel Granocyte®. Die Klägerin habe insgesamt vier gescheiterte IVF- und ICSI-Behandlungen hinter sich und einen Kryozyklus mit missed abortion. Nach immunologischer Abklärung sei eine Therapie mit Granocyte® für sinnvoll gehalten worden; es bestehe jetzt eine Frühschwangerschaft.
Gestützt auf eine Stellungnahme des MDK Bayern vom 08.06.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die beantragte Kostenübernahme nicht erfolgen könne. Das Arzneimittel Granocyte® sei für die in Frage stehende Indikation nicht zugelassen. Die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Voraussetzungen für einen sogenannten off-label-use seien nicht erfüllt, zumindest genüge die wissenschaftliche Datenlage nicht den Kriterien dieser Rechtsprechung. Im Widerspruchsverfahren nahm der MDK Bayern am 24.07.2009 erneut Stellung. Es liege zwar eine Fertilitätsstörung vor. Die bei den immunologischen Untersuchungen gefundenen Auffälligkeiten bedürften jedoch außerhalb der Behandlung der Fertilitätsstörung keiner spezifischen Therapie. Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei nicht erkennbar. Mit Bescheid vom 29.07.2009 (Widerspruchsbescheid vom 11.11.2009) lehnte die Beklagte den Kostenerstattungsantrag endgültig ab.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Diese wurde mit Schriftsatz vom 11. Januar 2010 im Wesentlichen dahingehend begründet, dass für die bei der Klägerin festgestellte aloimmunologische Schwäche keine zugelassene Behandlungsform in Deutschland bestehe. Internationale Erfahrungen hätten einen erheblichen Erfolg bei der Behandlung mit Lenograstim von Frauen, bei denen die Gefahr eines Abortes aufgrund einer immunologischen Abwehrreaktion besteht, bestätigt.
Infolge der ICSI/IVF-Therapie unter Einsatz des Medikamentes Granocyte® sei es zu der Geburt einer gesunden Tochter am 29.11.2009 gekommen. Die Voraussetzungen für einen sogenannten off-label-use seien gegeben. Bei der Klägerin liege eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor; es fehle eine vertretbare andere Behandlungsalternative; in einschlägigen Fachkreisen bestehe Konsens über den voraussichtlichen Nutzen des zulassungsüberschreitenden Einsatzes.
In ihrer Klageerwiderung vom 21.01.2010 wies die Beklagte unter anderem darauf hin, dass eine Kostenerstattung schon mangels Einhaltung des Beschaffungsweges nicht erfolgen könne. Die Antragstellung sei am 09.04.2009 erfolgt. Das erste Privatrezept für das streitige Medikament sei am 23.03.2009 ausgestellt und am gleichen Tag eingelöst worden. Nach Aussage des MDK lägen keine ausreichenden Studien vor, die für eine Wirksamkeit des streitigen Präparates bei der vorliegenden Indikation sprechen. Wenn keine ausreichende Datenlage bestehe, müsse über einen Schutz des Embryo vor dem Gebrauch eines Medikamentes im off-label-use nachgedacht werden.
Mit weiterem Schriftsatz vom 05.02.2010 wurde von der Bevollmächtigten der Klägerin vorgetragen: Die Klägerin habe sich schon in einer Kinderwunschbehandlung befunden und das Medikament unverzüglich ab Implantation der Eizelle benötigt. Es sei ihr daher nicht möglich und zumutbar gewesen, den Zeitraum bis zur Entscheidung der Beklagten abzuwarten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in den Antrag, die Bescheide der Beklagten vom 22.06.2009 und 29.07.2009, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.292,67 Euro als Kostenerstattung für das Medikament Granocyte® zu zahlen.
Der Beklagtenvertreter stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die beklagte Krankenkasse hat die beantragte Kostenerstattung zu Recht abgelehnt. Sie ist nicht verpflichtet, der Klägerin die Kosten des ihr auf Privatrezept verordneten und von ihr selbst beschafften, außerhalb seines bestimmungsgemäßen Indikationsgebiets angewandten Arzneimittels Granocyte® zu erstatten. Die Voraussetzungen des § 13 SGB V für einen Kostenerstattungsanspruch sind nicht erfüllt. Zwar hat die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Arzneimittel abgelehnt, jedoch fehlt es an der Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und dem Kostenaufwand der Klägerin. Die Klägerin hatte bei der Beklagten noch keinen Antrag auf Versorgung mit dem begehrten Arzneimittel gestellt, als sie sich im Rahmen der IVF/ICSI-Behandlung in der Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. S./Priv.Doz. Dr. B.-P. ab 23.03.2009 mit Granocyte® behandeln ließ. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können Versicherte ausschließlich dann Kostenerstattung nach § 13 Abs.3 Satz 1 Fall 2 SGB V für selbst beschaffte Leistungen verlangen, wenn die Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung über den Leistungsantrag entschieden hat (Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R unter Aufgabe von BSG vom 28.09.1993 – 1 RK 37/92).
Auch wenn man jedoch mit der Bevollmächtigten der Klägerin davon ausgeht, dass eine Entscheidung der Krankenkasse wegen Unaufschiebbarkeit im vorliegenden Fall entbehrlich war, kommt man zu keinem anderen Ergebnis. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin scheitert nämlich auch daran, dass die Ablehnung ihrer Versorgung mit dem begehrten Arzneimittel nicht zu Unrecht erfolgt ist.
Nach den Feststellungen des MDK bestand aufgrund der konkreten Datenlage keine begründete Aussicht, dass mit dem Arzneimittel Granocyte® der gewünschte Behandlungserfolg erzielt werden kann. Hinreichend sichere wissenschaftliche Erkenntnisse lagen insoweit nicht vor. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des MDK vom 24.07.2009 verlief eine Literaturrecherche in der Datenbank Pubmed ergebnislos. Insofern ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass die Datenlage hinsichtlich des Evidenzniveaus nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genügt. Dies gilt auch für das von der Klägerseite vorgelegte "abstract" über einen mündlichen Vortrag in Barcelona im Juli 2008. Danach soll es laut einer Studie zwischen Januar 2000 und Juni 2006 am Ungarischen Zentrum für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, an der 68 Frauen mit wiederholtem spontanen Abort teilgenommen haben, unter medikamentöser Behandlung mit Lenograstim bei 82% der Frauen zu einer erfolgreichen Schwangerschaft gekommen sein, in der Vergleichsgruppe nur bei 48%. Ungeachtet der Frage, warum der MDK bei seiner Internetrecherche nicht fündig geworden ist, reicht diese Studie nicht aus, einen 0ff-Label-Gebrauch von Arzneimitteln zu rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn – entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase 3 (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen – oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Das von Klägerseite vorgelegte "abstract" erfüllt offenkundig nicht die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Voraussetzungen.
Zu keinem anderen Ergebnis führt auch die grundrechtsorientierte Auslegung des SGB V, anknüpfend an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005. Sie setzt unter anderem voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Daran fehlt es hier. Die bei der Klägerin vorliegende Fertilitätsstörung kann nicht mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden. Mit dem Kriterium einer Krankheit, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des sogenannten off-labe-use formuliert ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 05.05.2009, B 1 KR 15/08 R).
Im Übrigen schließt sich die Kammer der zutreffenden Begründung im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 11.11.2009 an; von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen (§ 136 Abs. 3 SGG).
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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