L 4 KA 30/07 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 75/07 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 30/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 21. März 2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ausschließlich über die Kosten eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (im Folgenden: Zulassungsausschuss) ließ mit Beschluss vom 13. Juni 2006 den Antragsteller zur Übernahme des ausgeschriebenen Vertragsarztsitzes des Beigeladenen zu 9 zur vertragsärztlichen Tätigkeit zu. Die Zulassung erfolgte unter der Bedingung, dass der Antragsteller sein Beschäftigungsverhältnis am Klinikum A-Stadt spätestens drei Monate nach Bestandskraft des Beschlusses beenden und diese Beendigung nachweisen würde. Dem kam der Antragsteller durch Aufhebungsvertrag vom 24. August 2006 nach. Der Zulassungsausschuss lehnte den entsprechenden Antrag des Beigeladenen zu 10 ab.

Am 24. August 2006 legte der Beigeladene zu 10 dagegen Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens beantragte der Antragsteller die sofortige Vollziehung der Entscheidung des Zulassungsausschusses. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung deshalb notwendig sei, da durch den Widerspruch und dessen aufschiebender Wirkung der Patientenstamm und damit der Wert der Praxis schon fast vollständig vernichtet worden sei bzw. eine Vernichtung unmittelbar bevorstehe. Die bisherigen Überweiser könnten derzeit keine Überweisungen in die Praxis vornehmen. Damit seien diese Überweiser uneinbringlich verloren. Ferner sei durch die jetzige und eine mögliche zukünftige "Blockade" der Vertragsarztzulassung eine Gefährdung der Patientenversorgung zu befürchten.

Mit Beschluss vom 8. November 2006 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Beigeladenen zu 10 zurück. Den Antrag auf Anordnung des Sofortvollzugs des Antragstellers wies er ebenfalls zurück. Zu letzterer Entscheidung führte der Antragsgegner aus, ein öffentliches Interesse an einem Sofortvollzug könne im vorliegenden Fall nicht bejaht werden, da im Planungsbereich A-Stadt-Stadt eine Überversorgung im Bereich der Radiologie bestehe, so dass eine Gefährdung der Versorgung der Versicherten nicht eintreten könne. Zwar könne ein Sofortvollzug auch wegen des überwiegenden Interesses eines Beteiligten angeordnet werden. Grundsätzlich seien auch Aspekte des Eigentumsschutzes als Grundlage einer Anordnung einer sofortigen Vollziehbarkeit heranzuziehen. Vorliegend sei dem Individualinteresse des Antragstellers im Rahmen der Abwägung nicht so stark zu bewerten, dass entgegen der allgemein gültigen Regeln des Eintritts eines Suspensiveffekts als automatische Folge der Einlegung eines Rechtsmittels ausnahmsweise die sofortige Vollziehung zwingend erforderlich sei. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner auf eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 2006 (L 4 KA 42/06 ER) hingewiesen. Zwar sei vorliegend nicht auszuschließen, dass aufgrund einer vorübergehenden Schließung der Kassenarztpraxis nach deren Wiedereröffnung zunächst Schwierigkeiten in der Akquisition von Patienten auftreten könnten. Derartige Beeinträchtigungen müssten jedoch regelhaft als Folge des Eintritts einer aufschiebenden Wirkung im rechtsstaatlichen Sinne hingenommen werden. Im vorliegenden Fall trete die Tatsache hinzu, dass es sich bei der streitbefangenen Kassenarztpraxis um eine radiologische Praxis handele. Damit würden in der Regel anders als in Praxen anderer Fachrichtungen chronisch Kranke als regelmäßig wiederkehrende Patienten ausscheiden. Im Gegensatz zu anderen Fachrichtungen könne daher nur sehr eingeschränkt davon ausgegangen werden, dass eine radiologische Praxis über einen "festen Patientenstamm" verfüge, die beim nicht Betrieb der Praxis in kurzer Zeit verloren zu gehen drohten.

Am 8. März 2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Marburg beantragt, den sofortigen Vollzug des Beschlusses vom 8. November 2006 anzuordnen. Das Sozialgericht hat den Beteiligten bis zum 20. März 2007 Gelegenheit gegeben, Stellung zu nehmen. Mit Beschluss vom 21. März 2007 hat das Sozialgericht die sofortige Vollziehung des Beschlusses vom 8. November 2006 angeordnet. In diesem Zusammenhang hat das Sozialgericht den Schriftsatz des Antragsgegners vom 14. März 2007 nicht mehr berücksichtigt, da er zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht Bestandteil der Gerichtsakte gewesen ist. Außerdem hat das Sozialgericht entschieden, dass die Gerichtskosten und die notwendigen Kosten des Antragstellers von dem Antragsgegner und dem Beigeladenen zu 10 jeweils zur Hälfte zu tragen seien. Weitere Kosten seien nicht zu erstatten. In den Gründen hat das Sozialgericht zu der Kostenentscheidung ausgeführt, der Beigeladene zu 10 habe den Antrag auf Zurückweisung des Antrags des Antragstellers gestellt. Der Antragsgegner sei mit Kosten zu belasten gewesen, da er den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der sofortigen Vollziehung abgelehnt und nur unzureichend dessen Interessen und die Interessen des Beigeladenen zu 9 berücksichtigt habe.

Gegen den dem Antragsgegner am 23. März 2007 zugestellten Beschluss hat dieser am 2. April 2007 Beschwerde bezogen auf die Kostenentscheidung bei dem Sozialgericht Marburg eingelegt. Mit Beschluss vom 13. April 2007 hat das Sozialgericht entschieden, dass der Beschwerde nicht abgeholfen werde. Zwar sei der Vortrag des Antragsgegners zutreffend, dass der Schriftsatz vom 14. März 2007 nicht rechtzeitig vor Beschlussfassung zur Gerichtsakte gelangt sei. Der Beschwerde sei jedoch nicht abzuhelfen, weil in Zulassungssachen, in denen es jedenfalls um die Zulassung als Vertragsarzt gehe, keine allzu hohen Anforderungen an den Anordnungsgrund gestellt werden müssten. Soweit mit einer Praxistätigkeit bereits begonnen worden sei, bedeute die Versagung der Anordnung der sofortigen Vollziehung für den bereits tätigen Vertragsarzt, dass er eine bereits laufende Praxis aufgeben müsse, was zwangsläufig zu Folgeschwierigkeiten bei der Aufgabe der Tätigkeit führe. Demgegenüber bleibe es für den Konkurrenten weiterhin bei der Lage, dass er eine vertragsärztliche Tätigkeit nicht ausüben könne. Soweit der Konkurrent im Endergebnis im Verfahren obsiege, habe der zunächst zugelassene Vertragsarzt seine Tätigkeit zu beenden und der Konkurrent könne die Tätigkeit aufnehmen. Nachteile würden dem Konkurrenten dadurch nicht entstehen.

Der Antragsgegner weist darauf hin, dass sein Schriftsatz vom 14. März 2007 zu Unrecht von dem Sozialgericht nicht berücksichtigt worden sei. Wäre dieser berücksichtigt worden, wäre die Kostenentscheidung anders getroffen worden. Die Ablehnung der Anordnung des Sofortvollzugs im Widerspruchsverfahren sei deshalb erfolgt, weil der Antragsteller während dieses Verfahrens keinen hinreichenden Sachvortrag zu seiner existenziellen Gefährdung aufgrund der Nichtaufnahme der kassenärztlichen Tätigkeit beigebracht habe. In dem Schriftsatz vom 14. März 2007 sei nun ausdrücklich festgestellt worden, dass ein rechtzeitiger und vollständiger Sachvortrag durch den Antragsteller im Widerspruchsverfahren sehr wohl dazu hätte führen können, dass die vom Antragsteller begehrte Anordnung des Sofortvollzugs selbst ausgesprochen worden wäre.

Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 21. März 2007 bezüglich der Kostenregelung gemäß Ziffer 4. des angefochtenen Beschlusses dahingehend zu ändern, dass die Kosten vollständig dem Beigeladenen zu 10 auferlegt werden.

Der Beigeladene zu 10 beantragt (sinngemäß),
die Beschwerde zurückzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert. Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners, die Gerichtsakte sowie die Gerichtsakte des Sozialgerichts Marburg bezüglich des Hauptsacheverfahrens (Az.: S 12 KA 50/07) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zur Hälfte auferlegt. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er den Gründen der angefochtenen Entscheidung sowie den Gründen des Nichtabhilfebeschlusses vom 13. April 2007 folgt (entsprechend § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Ergänzend weist der Senat noch auf Folgendes hin: Soweit der Antragsgegner rügt, die Kostenentscheidung des Sozialgerichts sei anders ausgefallen, wenn sein Schriftsatz vom 14. März 2007 rechtzeitig zur Gerichtsakte gelangt wäre, wobei dieser Umstand auf einem Fehler in der Organisation des Sozialgerichts beruhe, verkennt er, dass sich das Sozialgericht im Nichtabhilfebeschluss vom 13. April 2007 mit der Argumentation des Antragsgegners auseinandergesetzt hat. Der Umstand, dass das Sozialgericht in diesem Beschluss der Argumentation des Antragsgegners nicht gefolgt ist, zeigt auf, dass die Kostenentscheidung nicht anders ausgefallen wäre, wenn dieser Schriftsatz vor Beschlussfassung zur Gerichtsakte gelangt wäre.

Außerdem lagen dem Antragsgegner im Rahmen der Widerspruchsentscheidung die maßgeblichen Fakten vor. So wusste er, dass der Antragsteller bereits am 24. August 2006 seinen Arbeitsvertrag mit dem Klinikum A-Stadt aufgehoben hat. Der Antragsteller hat außerdem explizit ausgeführt, dass die Praxis, die auf die Überweisungen anderer Ärzte angewiesen sei, keine Überweisungen mehr erhalten würde. Dadurch ginge der Patientenstamm verloren und der Wert der Praxis würde vernichtet werden. Damit war dem Antragsgegner bekannt, dass der Antragsteller weder ein Einkommen aus seiner Arbeitstätigkeit am Klinikum A-Stadt noch ein Einkommen aus der übernommenen Praxis des Beigeladenen zu 9 hatte. Dass ein Arzt, der eine Praxis übernimmt, an den abgebenden Arzt einen Kaufpreis zu entrichten hat, ist dem Antragsgegner ebenso bekannt wie der Umstand, dass ein derartiger Kaufpreis häufig durch Kreditinstitute finanziert wird. Wenn nunmehr der Antragsgegner argumentiert, seine Entscheidung sei wohl anders ausgefallen, wenn er davon Kenntnis gehabt hätte, dass der Antragsteller mit einem Kredit in Höhe von 80.000,00 EUR belastet ist, vermag dies nicht zu überzeugen. Wenn ein derartiger Umstand für eine Entscheidung in diesem Zusammenhang für den Antragsgegner von derart großer Bedeutung ist, wäre es ihm ohne weiteres zumutbar gewesen, insoweit bei dem Antragsteller nachzufragen. Dies wäre etwa in der Sitzung vom 8. November 2006 möglich gewesen, an der der Antragsteller persönlich teilgenommen hat.

Ebenso wenig überzeugen die Ausführungen des Antragsgegners zu der Frage des Patientenstammes. Zwar ist es richtig, dass eine radiologische Praxis keinen Patientenstamm dahingehend hat, dass bestimmte Patienten immer wieder den Arzt aufsuchen. Eine radiologische Praxis ist jedoch davon abhängig, dass andere ärztliche Praxen ihre Patienten zu Behandlungen in die radiologische Praxis überweisen. Damit ist eine radiologische Praxis in verstärktem Ausmaß von einem reibungslosen Ablauf und einem störungsfreien Verhältnis mit Überweisungspraxen angewiesen, deren Anzahl von vornherein beschränkt und bei Wegfall kaum zu kompensieren ist. Der Erfolg einer radiologischen Praxis steht und fällt damit, dass ausreichend viele Überweisungspraxen Patienten überweisen. Überweisen derartige Praxen ihre Patienten an andere radiologische Praxen, besteht die unmittelbare "Gefahr", dass auf Dauer ein wirtschaftlicher Erfolg der radiologischen Praxis nicht mehr möglich ist.

Soweit der Antragsgegner in seinem Beschluss vom 8. November 2006 bzw. in seinem Schriftsatz vom 14. März 2007 auf die "restriktive Rechtsprechung" des erkennenden Senates hinweist, vermag dies seine Entscheidung keinesfalls zu rechtfertigen. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 22. Juni 2006 (Az.: L 4 KA 42/06 ER) ausdrücklich auf die Begründungsanforderungen einer Entscheidung zum Sofortvollzug hingewiesen. Er hat ausgeführt, dass die Begründung sämtliche Gesichtspunkte enthalten muss, die die Behörde in ihre Entscheidung einbezogen hat, insbesondere die Gesichtspunkte, die im Rahmen der Interessensabwägung wesentlich gewesen sind. Der Senat hat damit deutlich gemacht, dass er formelhafte Wendungen insoweit nicht akzeptiert. Diese Begründungsanforderungen sind keineswegs besonders streng, sondern Ausfluss der Rechtsschutzgarantie des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz. Der Antragsgegner hat den Inhalt dieser Entscheidung offensichtlich verkannt, denn in diesem Zusammenhang finden sich keinerlei Aussagen des Senats zu der Qualität der inhaltlichen Anforderungen an einen Anordnungsgrund.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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