L 8 SB 79/11 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 2376/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 79/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 17.12.2010, mit dem dieses den von der Klägerin im Rechtsstreit S 3 SB 2376/09 gestellten Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. P. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig. Der Beklagte hat mit dem von der Klägerin angegriffenen Bescheid die Feststellung des GdB mit der Begründung abgelehnt, dass die geltend gemachten Gesundheitsstörungen keinen GdB von wenigstens 20 bedingten.

Am 18.06.2010 beauftragte das SG den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. mit der Erstattung eines Gutachtens. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihren Schreiben vom 02.07.2010, 08.07.2010 und 27.07.2010. Sie machte geltend, die vom Gericht angeordnete Untersuchung durch Dr. P. erscheine ihr unnötig. Ferner bemängelte sie, dass nicht klar sei, ob Dr. P. ein neurologisches oder ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten erstatten solle. Das SG äußerte sich hierzu am 06.07.2010 und 22.07.2010 dahingehend, dass Dr. P. im Rahmen der Amtsermittlungspflicht des Gerichts mit der Erstattung eines Gutachtens, in dem er alle von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen habe, beauftragt worden sei.

Am 15.09.2010 ging das auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 09.09.2010 beruhende schriftliche Gutachten des Sachverständigen beim SG ein. Dr. P. diagnostizierte depressiv-ängstliche Anpassungsstörungen bei sozialer Belastungssituation und Somatisierungs-störungen mit hypochondrischen Zügen und bewertete diese Funktionsstörungen mit einem GdB von 20 und nahm insgesamt einen GdB von 30 an.

Am 18.10.2010 - das schriftliche Gutachten war ihr am 15.09.2010 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt worden - lehnte die Klägerin Dr. P. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie begründete ihren auf 19.10.2010 datierten Antrag damit, dass Dr. P., der vom SG nur mit einer neurologischen Begutachtung beauftragt worden sei, auch eine soziale und biographische Anamnese erhoben habe, ihr finanzielle Absichten unterstellt sowie ihren Sohn mit dem Zitat "Arbeitsstörungen" diffamiert habe. Er habe sich fachfremd geäußert und habe gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen. Mit weiterem Schreiben vom 19.10.2010 - eingegangen am 22.10.2010 - bemängelte sie im einzelnen eine Reihe von Ausführungen im schriftlichen Gutachten. Dr. P. nahm am 25.10.2010 zu den Ausführungen der Klägerin Stellung. Die Klägerin äußerte sich nochmals unter dem 03.11.2010.

Mit Beschluss vom 17.12.2010 lehnte das SG den Antrag der Klägerin auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. P. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zwar sei davon auszugehen, dass der Befangenheitsantrag, den sie knapp 1 Monat nach der Übersendung des schriftlichen Gutachtens gestellt habe, noch rechtzeitig sei. Eine Besorgnis der Befangenheit läge beim Sachverständigen Dr. P. jedoch nicht vor. Es treffe nicht zu, dass Dr. P. lediglich mit der Erstattung eines neurologischen Gutachtens beauftragt worden sei. Vielmehr sei es dem Gericht darauf angekommen, die Fachkompetenz von Dr. P. auf neurologischem und psychiatrischem Gebiet umfassend in Anspruch zu nehmen. Eine mangelnde Sachkunde des Sachverständigen sei nicht erkennbar. Der Sachverständige habe entgegen der Darstellung der Klägerin auch nicht versucht, ihr finanzielle Absichten zu unterstellen. Ebenso wenig könne der vom Sachverständigen in seinem Gutachten in Bezug auf ihren Sohn verwendete Begriff der "Arbeitsstörungen" die Besorgnis der Befangenheit begründen.

Dagegen hat die Klägerin am 07.01.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt, mit der sie - unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens - an ihrem Ziel festhält.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des SG und des Beklagten sowie die Akten des Senats Bezug genommen.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist nicht in entsprechender Anwendung des § 172 Abs. 2 SGG ausgeschlossen. Gemäß § 172 Abs. 2 SGG können u. a. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Sachverständige sind keine Gerichtspersonen. Auch die analoge Anwendung des § 172 Abs. 2 SGG ist nach Auffassung des Senats nicht möglich (vgl. Beschluss des Senats vom 15.11.2010 - L 8 SF 3957/10 AB - unter Hinweis auf Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 118 Rdnr. 20 sowie Leitherer, a. a. O., § 172 Rdnr. 3 und 6; a.A. LSG Baden-Württemberg, 7. Senat, Beschluss vom 27.01.2010 - L 7 R 3206/09 B -). § 172 Abs. 2 SGG enthält nach Überzeugung des Senats insoweit keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke.

Die Beschwerde der Klägerin hat jedoch keinen Erfolg.

Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO, der nach § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen 2 Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Daraus folgt, dass es für die Rechtzeitigkeit des Ablehnungsantrages darauf ankommt, worin der Ablehnungsgrund besteht. Wird der Ablehnungsgrund erst aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens hergeleitet, so ist er grundsätzlich in der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO geltend zu machen (BGH Urteil vom 15.03.2005 - VII ZB 74/04-, NJW 2005, 1869). Ist keine richterliche Frist gesetzt, ist Ab ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Ablehnungsgrundes ist dieser unverzüglich geltend zu machen, spätestens d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Die hierzu jedoch innerhalb einer angemessenen Frist, ist nach der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. u.a. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl. § 406 Rn. 23; Zöller, ZPO, 28. Aufl. § 406 Rn. 11 jew. m.w.N.) längstens die unter Heranziehung Zweiwochenfrist des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO; mit 2 Wochen nicht zu in der Rechtsprechung wird teilweise die Auffassung vertreten, es komme auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an (vgl. BGH Urteil vom 15.03.2005 a.a.O., m.w.N.) k. Der Senat hält eine Frist von 4 Wochen grundsätzlich für eine angemessene Überlegungsfrist, wenn nicht die besonderen Umstände des Einzelfalls eine kürzere oder auch längere Prüfungszeit nahelegen. urz bemessen ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Klägerin den Ablehnungsantrag unter jedem Gesichtspunkt zu spät gestellt hat. Vorliegend ist die angesichts der geltend gemachten Ablehnungsgründe zu bemessende angemessene Überlegungsfrist deutlich überschritten. Gründe, die eine längere Prüfungszeit erforderlich machten, sind nicht ersichtlich. Dies hat die Klägerin auch nicht vorgetragen. Sowohl die Ablehnungsgründe, die sich für die Klägerin aufgrund ihrer Untersuchung durch den Sachverständigen ergeben, als auch die Ablehnungsgründe, die auf dessen Ausführungen im schriftlichen Gutachten beruhen, sind nicht innerhalb der genannten Frist geltend gemacht worden. Die Klägerin wurde am 09.09.2010 von Dr. P. untersucht. Die von der Klägerin bemängelte soziale und biographische Anamneseerhebung durch Dr. P. war ihr durch die entsprechenden Fragen des Sachverständigen während der Untersuchung bekannt. Die Klägerin hätte den sich daraus für sie ergebenden Ablehnungsgrund deshalb nicht erst über 5 Wochen danach mit Schreiben vom "19.10.2010"- eingegangen per Fax am 18.10.2010 -, sondern unverzüglich, spätestens aber 2 Wochen am 07.10.2010 nach ihrer Untersuchung am 09.09.20010 geltend machen müssen. Dies gilt auch, soweit die Klägerin geltend macht, der Sachverständige habe sich nicht an den Auftrag des SG gehalten, (nur) ein neurologisches (was im Übrigen nicht zutrifft) - und nicht ein neurologisch-psychiatrisches - Gutachten zu erstatten. Auch das war ihr durch den Gang und den Ablauf der Untersuchung bekannt. Sie hat dies zwar vor der Gutachtenserstattung gerügt, aber keinen Befangenheitsantrag gestellt.

Soweit die Klägerin den Befangenheitsantrag auf Ausführungen des Sachverständigen im schriftlichen Gutachten stützt (insbesondere die Unterstellung finanzieller Absichten und die Verwendung des Begriffs "Arbeitsstörungen" im Hinblick auf die berufliche Situation ihres Sohnes) ist festzustellen, dass diese Ablehnungsgründe ebenfalls nicht rechtzeitig geltend gemacht worden sind. Das schriftliche Gutachten von Dr. P. ist der Klägerin am 15.09.2010 übersandt worden. Erst mit am 18.10.2010 beim SG eingegangenem Fax hat die Klägerin einen Befangenheitsantrag gegen Dr. P. gestellt und (auch) diese Ablehnungsgründe und weitere per Fax am 22.10.2010 vorgebracht. Unabhängig von der Frage der Verwertbarkeit des Gutachtens, die für die Klägerin offenbar ebenfalls eine wesentliche Rolle spielt, die aber nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, hätte sie diese Gründe aber spätestens etwa 2 Wochen binnen 4 Wochen nach Zugang des schriftlichen Gutachtens am 14./15.10.2010 geltend machen müssen. Der Senat teilt die Auffassung des SG nicht, dass die Klägerin den Befangenheitsantrag rechtzeitig gestellt hat, weil er knapp 4 Wochen nach Übersendung des Gutachtens eingegangen sei. Zwischen dem Zugang des am 15.09.2010 der Klägerin übersandten Gutachtens, der - in entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X spätestens am 18.09.2010 (dritter Tag nach der Aufgabe zur Post) anzunehmen istdas ihr nach üblicher Postlaufzeit spätestens am 17.09.2010 zugegangen sein dürfte, und dem Eingang des Befangenheitsantrages beim SG am 18.10.2010 lagen mehr als 4 Wochen. Die Frist von 4 Wochen ist um mehrere Tage versäumt. Die im Fax vom 22.10.2010 genannten Gründe sind sogar noch deutlicher nach Fristende vorgetragen worden. Dies hält der Senat unter Berücksichtigung der des in der Zweiwochenfrist des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO genannten Frist von 2 Wochen zum Ausdruck kommenden Gebots unverzüglicher Befangenheitsrüge nicht mehr für rechtzeitig.

Unabhängig davon ist auch eine berechtigte Besorgnis der Befangenheit von Dr. P. zu verneinen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt nach § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich selbst für befangen hält (BVerfGE 35, 171, 272). Ebenso wenig reicht es aus, dass der Beteiligte tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit hat (BSG in Breithaupt 1986, 446 f). Maßgebend ist vielmehr, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Sachverständigen zu zweifeln (BVerfGE 20,9, 14; 43, 126, 127; BSG aaO). Das geltend gemachte Fehlverhalten des Sachverständigen bei der Untersuchung der Klägerin und die von ihr gerügten Ausführungen im schriftlichen Gutachten von Dr. P. erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Ob dem Gutachten (in jedem Punkt) zu folgen ist, ist eine andere Frage. Sie bleibt der Beweiswürdigung des SG vorbehalten. Zweifel an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Sachverständigen Dr. P. - wie erforderlich - bestehen jedenfalls infolge der unter Abschnitt I dargelegten Rügen der Klägerin nicht. Insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG analog).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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