L 20 AY 178/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AY 202/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AY 178/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.11.2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die 1955 geborene Antragstellerin ist kanadische Staatsangehörige. Sie reiste im Oktober 2005 nach Deutschland ein. Seinerzeit war sie mit dem 1947 geborenen deutschen Staatsangehörigen IX seit dem 25.06.2004 verheiratet. Seit dem 17.01.2007 lebte sie von ihm getrennt. Zum 26.06.2007 stellte sie, nachdem ihr zwischenzeitlich die Abschiebung nach Kanada angedroht worden war, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder her. Mit Schriftsatz vom 10.12.2007 beantragte sie beim Familiengericht L die Ehescheidung. Dabei gab sie an, ihr Ehemann habe sich vom 26.06. bis 15.10.2007 wegen Alkoholkrankheit in einer Fachklinik stationär behandeln lassen. Anschließend hätten sie noch einmal ein eheliches Zusammenleben versucht, was jedoch bereits nach kurzer Zeit gescheitert sei. Sie versuche derzeit, die gemeinsame Wohnung so kurzfristig wie möglich zu verlassen. Am 21.01.2008 zog die Antragstellerin in ein L-er Frauenwohnheim. Nachdem gutachterlich das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung diagnostiziert worden war, in deren Folge derzeit eine Rückkehr ins Heimatland nicht möglich ist, erhielt die Antragstellerin im Februar 2010 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Die Antragstellerin, die zunächst bis zum 28.02.2009 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen hatte, erhält seit dem 01.03.2009 Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Unter dem 14.09.2010 legte sie durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch gegen einen Bescheid vom 02.06.2010 über die Leistungsgewährung für den Monat Juli 2010 ein und wies gleichzeitig darauf hin, dass für die Monate August und September ein schriftlicher Bescheid nicht vorliege. Ihr stünden Leistungen nach § 2 AsylbLG anstelle der gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG zu; da sie sich seit mehr als vier Jahren in Deutschland aufhalte, sei die Vorbezugsfrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllt.

Am 29.10.2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren. Zugleich hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie hat vorgetragen, sie erfülle die Vorbezugsfrist von 48 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Im Hinblick auf die ihr erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG könne auch nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgegangen werden. Über ihren Widerspruch sei noch nicht entschieden worden.

Die Beklagte hat demgegenüber darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Vorbezugsfrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG allein durch den Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG erfüllt werden könne; die Antragstellerin erfülle diese Vorbezugsfrist noch nicht.

Auf einen Hinweis des Sozialgerichts auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.06.2008 - B 8/9 b AY 1/07 R hat die Antragstellerin ergänzend vorgetragen, die Entscheidung des BSG sei aus ihrer Sicht mit dem Willkürverbot aus Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht zu vereinbaren. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Antragstellerin vom 17.11.2010 Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 17.11.2010 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Auf den Beschluss wird Bezug genommen.

Gegen den am 25.11.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 17.12.2010 Beschwerde eingelegt; für das Beschwerdeverfahren beantragt sie darüber hinaus die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Sie trägt vor, sie begehre Leistungen nach § 2 AsylbLG auch für Folgemonate; die Antragsgegnerin habe zu verstehen gegeben, dass sie die Leistungen auch für die nächsten zweieinhalb Jahre auf dem Niveau des § 3 AsylbLG halten wolle. Soweit das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt habe, überdehne es die Anforderungen für eine solche Gewährung. Es sei aufgezeigt worden, dass das Urteil des BSG vom 17.06.2008 - B 8/9 b AY 1/07 R auf ihren Fall nicht übertragbar sei. Insofern spreche zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren; dies müsse eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Folge haben. In der Sache selbst führt die Antragstellerin aus, der Senat habe mit Beschluss vom 26.07.2010 - L 20 AY 13/09 (Aussetzungs- und Vorlagebeschluss im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG) Leistungen nach § 3 AsylbLG als evident unzureichend angesehen. Die Nachteile, die sie bei einem Abwarten der Hauptsacheentscheidung in Kauf nehmen müsste, seien so erheblich, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches nur sehr gering sein könnten. Es sei ihr nicht zuzumuten, weitere zweieinhalb Jahre auf offensichtlich unzureichende Leistungen nach § 3 AsylbLG verwiesen zu werden, obwohl sie einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG habe. Ein anderslautender Beschluss des Senats in Sachen L 20 AY 67/10 B ER sei ihr bekannt. Sie wolle in ihrem Verfahren jedoch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anrufen; im Unterschied zum Verfahren L 20 AY 67/10 B ER habe sie nicht nur noch wenige Wochen, sondern Jahre des Bezuges unzureichender Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewärtigen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist sowohl hinsichtlich der Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung (L 20 AY 178/10 B ER) als auch hinsichtlich der Versagung von Prozesskostenhilfe (L 20 AY 179/10 B) zulässig, aber unbegründet.

1. Der Mindestbeschwerdewert von 750,01 EUR (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) wird erreicht. Denn die Antragstellerin begehrt eine zukunftsoffene einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung höherer Leistungen nach § 2 AsylbLG anstelle derjenigen nach § 3 AsylbLG.

2. Doch auch dann, wenn man die Beschwerde als unzulässig ansehen wollte, ist sie jedenfalls zugleich unbegründet.

a) Das Sozialgericht hat zu Recht die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach § 2 AsylbLG anstelle der gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG abgelehnt. Der Antragstellerin ist dabei selbst klar, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung (Urteil des BSG vom 17.06.2008 - B 8/9 b AY 1/08 R) zur Erfüllung der Vorbezugsfrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG einzig den tatsächlichen Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG ausreichen lässt. Auch der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass eine erweiternde Auslegung des § 2 Abs. 1 AsylbLG dahingehend, dass etwa Zeiten der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts oder des Bezugs anderer Sozialleistungen - wie etwa der von der Antragstellerin vorbezogenen Leistungen nach dem SGB II - nicht ausreichen, um die gesetzliche Vorbezugsfrist von 48 Monaten zu erfüllen (vgl. nur den von der Antragstellerin selbst angesprochenen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Senats vom 26.07.2010 - L 20 AY 13/09, der zu dieser Frage ausführlich Stellung nimmt). Mit ihrem Hinweis, sie beabsichtige eine Anrufung des BVerfG im Anschluss an die Entscheidung des Senats, gibt die Antragstellerin auch selbst zu erkennen, dass sie nicht davon ausgeht, dass der Senat in Anwendung des einfachen Rechts höhere Leistungen zusprechen kann, als sie in Anwendung von § 3 AsylbLG derzeit erhält.

Wenn der Senat im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 26.07.2010 - L 20 AY 13/09 die Leistungen nach § 3 AsylbLG als für eine Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums evident unzureichend angesehen hat, so ist es ihm gleichwohl nicht möglich, der Antragstellerin durch einstweilige Anordnung vorläufig höhere als die gesetzlich genau bezifferten Leistungen nach § 3 AsylbLG zuzusprechen. Der Senat hat dies bereits in einem entsprechenden Fall mit Beschluss vom 01.06.2010 L 20 AY 4/10 B ER entschieden; im dazugehörigen Anhörungsrügeverfahren L 20 AY 47/10 B ER RG hat der Senat im Beschluss vom 04.08.2010 hierzu nochmals ergänzende Ausführungen gemacht. Das BVerfG hat die gegen den Beschluss des Senats L 20 AY 4/10 B ER erhobene Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 30.10.2010 - 1 BvR 2037/10 nicht zur Entscheidung angenommen. Es hat ausgeführt, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit könnten unmittelbar gestützt auf die Verfassung, insbesondere auf das aus Artikel 1 Abs. 1 i.V.m. mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 1 GG folgende Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, keinen (weiteren) Leistungsanspruch zusprechen. Denn die Konkretisierung dieses Grundrechts bleibe dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten; wie dieser den Umfang der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums bestimme, oder ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichere, bleibe grundsätzlich ihm überlassen. Auch eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG komme in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in Betracht, da in diesen Verfahren nur eine vorläufige Klärung herbeizuführen sei, bei der möglichst zeitnah entschieden werde, welche Leistungspflichten einstweilen gelten sollten; eine solche zeitnahe Klärung sei in einem Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG jedoch nicht zu erwarten. Dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ist diese Entscheidung des BVerfG (wie er dem Berichterstatter des Senats am 05.01.2011 telefonisch bestätigt hat) auch bekannt. Allerdings behält sich die Antragstellerin gleichwohl die Anrufung des BVerfG vor, da sie der Ansicht ist, ihr Fall sei anders gelagert und könne deshalb zu einer anderen verfassungsgerichtlichen Bewertung führen.

b) Konnte der Antrag der Antragstellerin aus Gründen, die sie bereits dem Beschluss des Senats vom 01.06.2010 - L 20 AY 4/10 B ER sowie dem Beschluss vom 04.08.2010 im dazugehörigen Anhörungsrügeverfahren L 20 AY 47/10 B ER RG entnehmen konnte, im Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht (29.10.2010) nicht mehr aussichtsreich erscheinen, so fehlte dem Antrag zugleich eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S.v. § 73a SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht deshalb zutreffend abgelehnt.

III.

Aus den gleichen Gründen wie zu II.b) ausgeführt fehlt auch der Beschwerde eine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 73a SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO. Auch im Beschwerdeverfahren kommt deshalb eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht. Dass die Antragstellerin von der Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde Gebrauch zu machen beabsichtigt, ändert nichts daran, dass nach Auffassung des Senats das Begehren der Antragstellerin keine hinreichende Erfolgsaussicht aufweist; die Antragstellerin begehrt ersichtlich die einstweilige Zuerkennung von Leistungen contra legem, während der Senat an die Leistungsvorschriften des AsylbLG gebunden ist. Auch eine Aussetzung und Vorlage i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG kommt in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von vornherein nicht in Betracht. Deswegen ist es für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auch unbeachtlich, dass der Senat selbst § 3 AsylbLG für verfassungswidrig hält.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe auf § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO, im Übrigen auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

V.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG). Der sozialgerichtliche Instanzenzug ist mit der vorliegenden Beschwerdeentscheidung vielmehr abgeschlossen. Die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG bleibt hiervon unberührt.
Rechtskraft
Aus
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