L 6 SB 3993/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 3362/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3993/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. August 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Der 1958 geborene Kläger beantragte im Juli 2002 bei dem Versorgungsamt K. (VA) die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises und die Feststellung des GdB und führte zur Begründung Hörminderung, Tinnitus, Thrombose, Sehminderung, Schmerzen im linken Handgelenk und niedrigen Blutdruck auf. Das VA holte Befundberichte des Orthopäden Dr. T. vom 03.09.2002 (Vorstellung wegen Cervicalsyndrom; Befund u.a.: HWS Rotation nach links eingeschränkt, Seitneigung frei, Schulter- und Ellenbogengelenke frei beweglich, keine sensomotorischen Ausfälle, Muskeleigenreflexe seitengleich), der Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. C. vom 16.09.2002, des Augenarztes Dr. W. vom 12.11.2002 und des Facharztes für Augenheilkunde Dr. Sch. vom 07.03.2003 ein. Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 24.03.2003 (Schwerhörigkeit beidseits (Teil-GdB 20), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 20)) stellte das VA mit Bescheid vom 26.03.2003 einen GdB von 30 seit dem 24.07.2002 fest.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, mit der Begründung, dass seine Erkrankungen (Wirbelsäulenleiden, Schulter-Arm-Syndrom, Schwerhörigkeit beidseits, Tinnitus, Hypotonie, Sehminderung, postthrombotisches Syndrom, Schmerzen linkes Handgelenk) mindestens einen GdB von 50 begründeten.

Das VA holte den Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. B. vom 10.07.2003 ein, welcher den Arztbrief des Dr. M.-B. vom 10.09.2002 (Schmerzsyndrom beider Beine, Ausschluß (duplex sonographisch) einer tiefen Beinvenenthrombose oder einer anderweitigen venösen Durchblutungsstörung) und den Entlassungsbericht des Prof. Dr. S. , Chefarzt der Abteilung I, Endokrinologie, Gastroenterologie und Stoffwechsel der St.-V.-Krankenhäuser K. vom 12.11.1999 betreffend die stationäre Behandlung vom 30.09.1999 bis zum 08.10.1999 (tiefe Beinvenenthrombose rechts, homozygote APC-Resistenz und Zustand nach Hörsturz rechts 23.09.1999) beifügte. Des Weiteren holte das VA den Befundbericht des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 17.07.2003 ein und wies auf der Grundlage der vä Stellungnahme vom 09.09.2003 (Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen (Teil-GdB 20), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 20), psychovegetative Störungen, Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 10)) den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2003 zurück.

Am 24.09.2003 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Er trug vor, aufgrund seiner Erkrankungen sei mindestens ein GdB von 50 festzustellen.

Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskünfte des Chirotherapeuten Dr. K. vom 14.01.2004 (einmalige Vorstellung am 04.11.2003 wegen Nackenbeschwerden, HWS mäßiggradig funktionsgemindert, Kopfgelenksblockierung sowie eine Blockierung bei C7) und des Dr. B. vom 05.02.2004 ein, welcher u.a. den Durchgangsarztbericht des Dr. K. (Chirurg und Unfallchirurg) vom 27.01.2004 (u.a. schwere Prellung rechte Achillessehne/rechte Wade und Prellung rechter Vorfuß, Außenbandruptur) und den Arztbrief der Dr. R. (Ärztin für Innere Medizin/Kardiologie/Angiologie) vom 02.02.2004 vorlegte (u.a. Varicophlebithis der V.saph.parva links ab Mitte linker Unterschenkel bis zum Fuß bei kompletter Varicosis der V.saph.magna beidseits, teilrekanalisierte Thrombose V.fem.communis und V.fem.superf., Thrombose der V.poplitea links, Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechts 1999, homozygote APC-Resistenz). Des Weiteren holte das SG die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. S. vom 04.02.2004 ein (letzte Vorstellung am 31.03.2003; ängstlich, psychomotorisch unruhiger psychischer Befund, labilisierter Affekt und erhöhte Reizbarkeit, Grundstimmung subdepressiv, antriebsgemindert, Belastbarkeitsminderung und vorzeitige Ermüdbarkeit).

Auf der Grundlage der vä Stellungnahme vom 12.05.2004 unterbreitete der Beklagte dem Kläger ein Vergleichsangebot bzgl. der Feststellung eines Gesamt-GdB von 40 ab dem 24.07.2004, welches der Kläger nicht annahm.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.08.2004 verurteilte das SG den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 ab dem 24.07.2002 und wies im Übrigen die Klage ab. Die Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräusch begründe ebenso wie die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom und die chronisch venöse Insuffizienz jeweils einen Teil-GdB von 20, die Blutgerinnungsstörung sei mit einem Teil-GdB von 10 zu bemessen, gleichfalls die psychovegetativen Störungen und das Kopfschmerzsyndrom.

Hiergegen hat der Kläger am 14.09.2004 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die bereits von ihm genannten Erkrankungen seien zu niedrig bewertet und insbesondere werde sein Leiden auf psychischem Gebiet nicht ausreichend berücksichtigt. Sein Gesundheitszustand habe sich diesbezüglich weiter verschlechtert, seine Depression habe zugenommen, wobei ihn die zwischenzeitlich bei seiner Frau diagnostizierte Brustkrebserkrankung sehr belaste. Der GdB für die orthopädischen Leiden sei zu niedrig bemessen, denn er habe ständig Nackenbeschwerden, Hinterkopfschmerzen, eine Muskelverspannung und Rückenschmerz in Höhe C 6/7 beidseits.

Der Senat hat bei Dr. S. die sachverständige Zeugenauskunft vom 18.10.2004 eingeholt und den Kläger anschließend auf sein Antragsrecht nach § 109 SGG hingewiesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.08.2004 und den Bescheid des Beklagten vom 26.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten, die Akte des SG und die Akte des Senats verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe gem. § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber unbegründet, denn das SG hat die Klage auf Feststellung eines höheren GdB als 40 zu Recht abgewiesen.

Das SG hat in seiner angefochtenen Entscheidung die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des GdB ausführlich und zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat nach eigener Überprüfung Bezug, § 153 Abs. 2 SGG. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass die Bestimmung des GdB eine rechtliche Wertung von Tatsachen ist, welche gegebenenfalls mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Das Gericht hat in eigener Verantwortung und nach freier Beweiswürdigung die Höhe des GdB festzustellen und ist hierbei folglich an etwaige von Sachverständigen vorgeschlagene Einzelwerte nicht gebunden (BSGE SozR 3-3870 § 4 Nr. 5; BSG Urteil vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R).

Der Senat ist - ebenso wie das SG - zur Überzeugung gelangt, dass ein GdB von 50, d.h. die Schwerbehinderteneigenschaft, beim Kläger nicht festgestellt werden kann.

Bezüglich der Bewertung des Teil-GdB für die Funktionsbehinderung Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen und für die Funktionsbehinderung chronisch venöse Insuffizienz verweist der Senat nach eigener Überprüfung, zumal der Kläger diesbezüglich im Berufungsverfahren nicht vorgetragen hat, auf die zutreffenden Ausführungen des SG und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs. 2 SGG.

Auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt nicht die Feststellung eines höheren GdB. Entgegen der Auffassung des Klägers ist für seinen psychischen Gesundheitszustand und die hierdurch bedingten Funktionsbehinderungen kein Teil-GdB von 30, sondern lediglich ein Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AP 2004) begründen leichtere psychovegetative oder psychische Störungen einen GdB zwischen 0-20; erst für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) wird ein Teil-GdB von 30-40 für angemessen erachtet (AP 26.3 S.48). Maßgebend ist vorliegend, dass aus den seitens des behandelnden Facharztes Dr. S. mitgeteilten Befunden nicht auf eine stärker behindernde Störung im Sinne der AP geschlossen werden kann. Dr. S. beschrieb in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 18.10.2004 den psychischen Befund des Klägers als psychomotorisch unruhig, aber lebhaft mit labilisiertem Affekt bei erhöhter Reizbarkeit; den Kontakt und Rapport des Klägers beschrieb er als gut mit thematischer Fixierung auf eigene körperliche und seelische Befindlichkeit. Dr. S. berichtete des Weiteren über eine ängstlich-depressive Grundstimmung, Selbstunsicherheit, Versagens- und Zukunftsangst, herabgesetzte Konzentrations- und Merkfähigkeit, vorzeitige Ermüdbarkeit und Belastbarkeitsminderung. Über stärker behindernde Störungen mit "wesentlicher" Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit berichtete Dr. S. ebenso wenig wie über eine somatoforme Störung. Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgetragene Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustandes ist nicht nachgewiesen. Hiergegen spricht, dass der Kläger trotz der geltend gemachten Verschlimmerung seiner Depression seit dem 31. März 2003 Dr. S. nicht mehr aufgesucht hat.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat das SG zu Recht für die Funktionsbehinderungen infolge der Wirbelsäulenerkrankung einen Teil-GdB von 20 für angemessen erachtet. Nach den AP begründen Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen einen Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt einen Teil-GdB von 20; erst für Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ist ein GdB von 30-40 anzuerkennen (AP Ziff. 26.18, S. 116). Maßgebend ist, dass beim Kläger lediglich Wirbelsäulenschäden in einem Abschnitt vorliegen, nämlich im Bereich der HWS und dass hierdurch nur leichte bis mittelgradige funktionelle Auswirkungen bedingt sind. Dr. T. beschrieb im Befundbericht vom 03.09.2002 eine eingeschränkte HWS-Rotation nach links bei freier Seitneigung, wobei die Schulter- und Ellenbogengelenke frei beweglich waren, und ohne sensomotorische Ausfälle. Auch wurden die Muskeleigenreflexe seitengleich beschrieben. Röntgenologisch zeigte die HWS im Juni 2002 eine Osteochondrose HWK 5/6 mit Spondylose. Auch der behandelnde Hausarzt Dr. B. hat bezüglich des Wirbelsäulenleidens des Klägers in seinem Befundbericht vom 10.07.2003 und in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 05.02.2004 keine weitergehenden Befunde mitgeteilt. Letztendlich berichtete auch Dr. S. in seinen sachverständigen Zeugenauskünften vom 04.02.2004 und vom 18.10.2004 lediglich über eine Muskelverspannung und einen Druckschmerz in Höhe C 6/7 und bewertete die C.

Hinsichtlich der Bildung des Gesamt-GdB verweist der Senat ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seiner angefochtenen Entscheidung. Zu ergänzen ist lediglich, dass auch mehrere leichtere Gesundheitsstörungen, welche mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sind, bei der Erhöhung des Gesamt-GdB überhaupt nicht zu berücksichtigen sind (AP Gemeinsame Grundbegriffe Ziff. 19 Abs. 4 S. 26), so dass vorliegend "günstigstenfalls" ein Gesamt-GdB von 40 festgestellt werden kann. Keinesfall ist der Kläger mit einem "Schwerbehinderten" vergleichbar, wobei ein Gesamt-GdB von 50 beispielsweise angenommen werden kann, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist, wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel oder bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule (AP 19.2 S. 25).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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