L 11 R 4594/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 5971/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4594/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. September 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Rahmen eines Zugunstenverfahrens streitig.

Der 1945 geborene Kläger, bei dem seit dem 23. Dezember 2002 der Grad der Behinderung (GdB) bei 50 liegt, ist gelernter Gipser und war in seinem Ausbildungsberuf bis Mai 1975 beschäftigt. Nach verschiedenen anderen Tätigkeiten war er zuletzt versicherungspflichtig bei seiner Ehefrau als Lagerverwalter von 1995 bis 29. Februar 2000 beschäftigt. Danach bezog er Arbeitslosengeld bis 19. April 2000 (vgl Versicherungsverlauf vom 1. Juni 2005), auf den Antrag auf Arbeitslosenhilfe verzichtete er (Bescheinigung des Arbeitsamtes Teningen vom 16. März 2005). Seitdem hat er nur noch geringfügige Beschäftigungen ausgeübt. Vom 2. August 1997 bis zum 1. August 2002 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet, insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden (Versicherungsverlauf vom 27. November 2007).

Vom 11. Juli bis 1. August 2002 führte der Kläger ein stationäres Rehabilitationsverfahren in der Sch.-Reha-Klinik der Beklagten durch. Er wurde als arbeitsfähig mit den Diagnosen eines chronifizierten Schmerzsyndroms, eines degenerativen HWS-Syndroms, eines myostatischen LWS-Syndroms mit pseudoradikulärer Symptomatik links, einer Coxarthrose beidseitig sowie eines Supraspinatussehnen-Syndroms beidseitig entlassen. Der Kläger suche einen Weg in die Rente, da er über keine sonstigen Einkünfte verfüge. Seine letzte Tätigkeit bei seiner Ehefrau habe er wegen rückläufiger Auftragslage aufgegeben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von häufigem Überkopfarbeiten sowie axialen Stoßbelastungen. Dies entspreche auch der Selbsteinschätzung des Klägers, wenngleich er sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenig Chancen ausrechne.

Seinen daraufhin am 2. August 2002 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 2002 nach Beiziehung des Rehabilitationsentlassungsberichts sowie Einholung einer beratungsärztlichen (Dr. B.) und berufskundlichen Stellungnahme ab. Der berufskundliche Berater V. führte aus, dass sich der Kläger spätestens 1984 von seinem qualifizierten Beruf als Gipser durch die Ausübung der Tätigkeit eines Maschinenbedieners bis Februar 1991 gelöst habe. Auch die Tätigkeit innerhalb eines Lagers für Tupperware sei als ungelernte Tätigkeit anzusehen, zumal dafür keine besondere Ausbildung erforderlich sei. Das bezogene Arbeitsentgelt sei dabei nicht von entscheidender Bedeutung, weil die Größe des Lagers und das bezogene Gehalt lediglich vom Umsatz der Ehefrau abhängig seien und über die Qualität der Tätigkeit keine Aussage getroffen werden könne. Die Benennung einer Verweisungstätigkeit sei deswegen nicht geboten. Aus welchen Gründen der Kläger die jeweilige Tätigkeit aufgegeben hatte, hatte er in der Anlage zum Rentenantrag nicht angegeben. Gegen den Bescheid vom 9. Dezember 2002 legte der Kläger keinen Widerspruch ein.

Auf seinen am 3. März 2005 gestellten Antrag gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 2005 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit beginnend ab 1. Juli 2005 (Bl 87 V-Akte).

Am 14. April 2005 ließ der Kläger die Überprüfung des die Rente ablehnenden Bescheides vom 9. Dezember 2002 ohne weitere Begründung beantragen. Mit Bescheid vom 2. März 2006 (Bl 114 V-Akte) lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 9. Dezember 2002 mit der Begründung ab, die Rente sei zu Recht nicht bewilligt worden, weil die medizinischen Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen hätten. Der Kläger habe weder neue Beweismittel vorgelegt noch neue Tatsachen vorgetragen, die geeignet wären, eine günstigere Entscheidung zu treffen. Dagegen erhob der Kläger ebenfalls keinen Widerspruch.

Am 11. Dezember 2006 ließ der Kläger zum zweiten Mal die Überprüfung des Bescheides vom 9. Dezember 2002 beantragen. Zur Begründung führte er aus, es habe keiner weiteren Unterlagen bedurft, denn die Auswertung hätte ergeben müssen, dass er bereits seit Anfang der 70er Jahre unter entsprechender Gichterkrankung und Poliarthrose gelitten habe. Aus dem Reha-Entlassungsbericht ergebe sich im Jahre 2002 nämlich ein chronifiziertes Schmerzsyndrom. Am 12. April 2007 ließ der Kläger Befundberichte des Allgemeinmediziners H. sowie des Orthopäden Dr. J. vorlegen. Die beratende Ärztin Dr. M. führte in deren Auswertung aus, dass die Leistungsbewertung der Reha-Klinik S. durch die vorgelegten Befunde bestätigt werde. Im Juni 2005 hätte sich nur eine geringe Funktionseinschränkung gefunden. Beim Kardiologen im April 2004 sei der Kläger noch bis 175 Watt belastbar gewesen. Mit Bescheid vom 23. April 2007 lehnte die Beklagte gestützt hierauf den Überprüfungsantrag ab. Der Kläger legte Widerspruch ein und ließ ein Gutachten des Orthopäden Dr. Schr., erstattet in dem Schwerbehindertenverfahren S 3 SB 2046/06, vorlegen, wonach ua die Diagnose "Gicht mit Gelenkbeteiligung" aufgrund der erhobenen klinischen und röntgenologischen Befunde nicht nachvollzogen werden könne. Dr. M. verblieb auch in Auswertung dieses Gutachtens dabei, dass die Leistungsbeurteilung der Reha-Klinik nicht in Frage gestellt werden könne. In dem Reha-Verfahren habe eine deutliche Besserung im Bereich der Wirbelsäule und der Gelenke erzielt werden können. Funktionelle Einschränkungen im Bereich der Schultergelenke hätten nicht vorgelegen. Der Bluthochdruck sei medikamentös behandelt worden, Folgeschäden seien nicht nachweisbar gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2007 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Bescheide vom 9. Dezember 2002 und 2. März 2006 seien nicht zurückzunehmen, weil weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Zu Beginn seines Erwerbslebens habe der Kläger den Beruf eines Gipsers erlernt und sei als solcher zunächst auch noch längerfristig tätig gewesen. Er habe darauf folgend kurzfristig im Schwimmbadbau gearbeitet und von 1976 bis 1984 in einem Lager. Spätestens im Jahr 1984 habe er sich von seinem qualifizierten Beruf gelöst, indem er bis Februar 1997 die ungelernte Beschäftigung eines Maschinenbedieners ausgeübt habe. Er sei daher als Lagerist zu beurteilen, da er innerhalb der Bezirksverkaufsstelle seiner Ehefrau zuletzt in diesem Beruf von 1995 bis Februar 2000 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die Tätigkeit in einem Lager für Tupperware sei als ungelernte Tätigkeit anzusehen, für die keine besondere Ausbildung erforderlich gewesen sei. Der Beruf müsse daher dem unteren Bereich zugeordnet werden, sodass für ihn alle Tätigkeiten des so genannten allgemeinen Arbeitsmarktes als Beschäftigungsalternativen in Frage kämen. Er sei nach dein eingeholten medizinischen Ermittlungen in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, sodass er nicht erwerbsgemindert wäre.

Mit seiner dagegen am 16. November 2007 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger zunächst geltend gemacht, die sozialmedizinische Leistungseinschätzung der Beklagten sei fehlerhaft. Die Angelegenheit sei aufgrund mehrerer Überprüfungsanträge und länger schwellenden Verfahren als ausgeschrieben anzusehen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt und den Kläger anschließend nach Aktenlage orthopädisch begutachten lassen.

Der Orthopäde Dr. J., bei dem der Kläger seit 1997 in Behandlung steht, hat sich zu einer Leistungseinschätzung für nicht in der Lage erachtet und über mittel- bis schwergradige Funktionsstörungen im Bereich der betroffenen Gelenke und Wirbelsäulenabschnitte berichtet. Der Allgemeinmediziner H., bei dem der Kläger ebenfalls seit 1997 in regelmäßiger hausärztlicher Behandlung wegen Hyperurikämie steht, hat über eine Verschlechterung der klinischen Befunde bei deutlicher Stabilisierung des Allgemeinzustandes berichtet. Als Rentner sei dem Kläger keine neuen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder gar eine "Ich-AG" zuzumuten. Der Urologe Dr. A. hat den Kläger seit 1995 wegen Prostatitis behandelt, die chronisch, aber ohne Hinweis auf Malignität gewesen sei.

Der Sachverständige Dr. Dr. Schr. hat ausgeführt, dass der Kläger in Anbetracht der im Heilverfahren 2002 erhobenen Befunde noch in der Lage gewesen sei, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 12 kg in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltung, ohne Rumpfverwindung, ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder in Vorhalte oder über Kopf auszuüben. Das chronische HWS- und LWS-Syndrom sei mittelgradiger funktioneller Ausprägung gewesen. Nervenwurzelbezogene neurologische Ausfälle seien nicht beschrieben worden. Des Weiteren habe er an einem Supraspinatussehnensyndrom beidseits mit nur geringgradig funktionellen Beeinträchtigungen gelitten. Die Wegefähigkeit sei auch 2007 nicht eingeschränkt gewesen. Der Kläger habe anlässlich seiner damaligen Begutachtung berichtet, dass er zwei- bis dreimal wöchentlich Wanderungen von zwei bis drei Stunden absolviere. Wenn das 2007 möglich sei, könne man davon ausgehen, dass 2002 eher noch eine bessere Beweglichkeit bestanden habe. Auch die von ihm 2007 erhobenen Befunde stünden einer leichten vollschichtigen Arbeit nicht entgegen. Ein Gesamt-GdB von 50 vH bedinge nicht automatisch eine Erwerbsminderung.

Dabei ist der Sachverständige auch nach nochmaliger Anfrage aufgrund der Anregung seitens des klägerischen Bevollmächtigten verblieben. Eine berufliche Belastbarkeit mit qualitativen Einschränkungen sei noch zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung 2007 vorhanden gewesen. Er habe damit im Wesentlichen die gleiche Einstufung wie die Reha-Maßnahme getroffen.

In der daraufhin anberaumten mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2009 hat der Kläger vorgetragen, er habe seinen Beruf als Gipser aus medizinischen Gründen aufgegeben. Das Gericht hat dem Kläger aufgegeben, sein Vorbringen unter Vorlage von entsprechenden Unterlagen oder auf andere Art substantiiert darzulegen (Protokoll vom 26. Juni 2009). Hierfür ist dem Kläger eine Frist bis zum 31. Juli 2009 gesetzt worden (Verfügung vom 11. Juli 2009). Nachdem hierauf trotz Erinnerung vom 12. August 2009 keine weiteren Unterlagen vorgelegt worden sind, hat das SG mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2009 angekündigt, dem Kläger die Kosten des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 26. Juni 2009 aufzuerlegen. Dieser habe wegen des Verschuldens des Klägers vertagt werden müssen, weil dieser erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet habe, er habe seinen Beruf aus medizinischen Gründen aufgeben müssen. Hierzu hat der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30. Oktober 2009 erhalten. Hierauf hat der Kläger mitteilen lassen, die mündliche Verhandlung sei gerade dafür vorgesehen, zu seinem Berufsschutz vorzutragen. Natürlich könne er medizinische Unterlagen aus dieser Zeit nicht mehr vorlegen. Dies müsse aber sowohl vom Gericht wie auch von der Beklagten von Amts wegen geprüft werden. Bislang sei die Prüfung unterlassen worden, warum die Lösung von dem Beruf als Gipser erfolgt sei. Hierfür sei eine rheumatoid bedingte Arthrose seit den 70er Jahren Ursache gewesen. Dies könne die Ehefrau des Klägers, die bereits 45 Jahre mit ihm verheiratet sei, bestätigen. Hierzu hat er eine Faxkopie einer Erklärung seiner Ehefrau vom 25. Juli 2009 vorgelegt.

Die Beklagte hat dahingehend Stellung genommen, dass sich aus der subjektiven Wahrnehmung der Ehefrau nicht objektiv ableiten lasse, dass bereits 1975 Leistungseinschränkungen in einem Ausmaß bestanden hätten, die es dem Kläger nicht mehr ermöglichten, seinen bisherigen Beruf auszuüben. Hierfür seien entsprechende fachlich qualifizierte Nachweise, die dies belegten, erforderlich.

Daraufhin hat der klägerische Bevollmächtigte mitgeteilt, dass es begrüßt werde, dass per Gerichtsbescheid entschieden werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 20. September 2010, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 25. September 2010, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, sondern zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung noch in der Lage gewesen, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich aus den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen und insbesondere dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. Schr ... Die orthopädischen Erkrankungen bedingten nur qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Dr. Dr. Schr. habe nachvollziehbar begründet, dass vor dem Hintergrund der gestellten Diagnosen der Kläger noch in der Lage sei, leichte körperliche Arbeiten mit Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten. Dabei seien weder besondere Arbeitsbedingungen erforderlich gewesen noch sei die Wegefähigkeit des Klägers eingeschränkt. Das Gutachten sei auch nicht deswegen widersprüchlich, weil der Sachverständige den Kläger für erwerbsfähig gehalten habe, obwohl er einen GdB von 50 für angemessen erachtet habe. Denn die Zuerkennung eines GdB nach dem Schwerbehindertenrecht habe keinerlei Aussagekraft bezüglich der rentenrechtlichen Erwerbsfähigkeit. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Denn seine zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung sei als Tätigkeit eines ungelernten Arbeiters zu qualifizieren, so dass dem Kläger ein konkreter Verweisungsberuf nicht benannt werden müsse. Auf einen Berufsschutz als Gipser könne er sich nicht berufen. Er habe eine Berufsaufgabe aus medizinischen Gründen erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2009 geltend gemacht und diesen Vortrag nicht hinreichend substantiiert. Allein eine schriftliche Erklärung seiner Ehefrau - die keine Ärztin sei - sei nicht ausreichend. Dass der Kläger den Nachweis nicht erbringen könne, ginge nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu seinen Lasten. Zugleich sind dem Kläger die Kosten des Termins zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2009 auferlegt worden. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Termin zur mündlichen Verhandlung diene nicht dazu, erstmals Behauptungen aufzustellen, die längst im vorbereitenden Verfahren schriftlich hätten vorgetragen werden können. Dies sei spätestens bei der Klagebegründung erforderlich gewesen, vernünftigerweise aber bereits in einem der beiden vorangegangenen Überprüfungsverfahren. Die mündliche Verhandlung habe nur deswegen vertagt werden müssen, um dem Kläger Gelegenheit zum Nachweis oder wenigstens zur Substantiierung seines Vorbringens zu geben.

Seine dagegen am 28. September 2010 eingelegte Berufung hat der Kläger trotz zweimaliger Mahnung vom 16. November 2010 und 2. Dezember 2010 nicht begründet. Nach der Terminierung hat er vortragen lassen, ihm sei erst jetzt wieder in Erinnerung gekommen, dass er aufgrund seiner Gichterkrankung wehrdienstuntauglich gewesen sei.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. September 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweise Erwerbsminderung und höchsthilfsweise teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. August 2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1, 144 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Rücknahme des Bescheides vom 9. Dezember 2002 und Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweise Erwerbsminderung und höchsthilfsweise teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. August 2002.

Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers nicht vor. Das SG hat dies ausführlich begründet und dargelegt.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I Seite 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302 b Abs 1 SGB VI).

Nach § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nicht erwerbsgemindert war, weil er - unter Beachtung gewisser Einschränkungen - noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein konnte. Dies hat bereits das SG ausführlich begründet dargelegt, weswegen der Senat auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug nimmt, denen er sich in vollem Umfang anschließt; insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.

Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger nach dem vorgelegten Versicherungsverlauf zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt. Die Auswertung der medizinischen Unterlagen bestätigt aber auch zur Überzeugung des Senats, dass der Kläger nicht erwerbsgemindert war.

Leistungslimitierend sind bei dem Kläger in erster Linie seine orthopädischen Erkrankungen. Dass diese zwar qualitative Leistungseinschränkungen, nicht aber eine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens begründen, hat der Sachverständige Dr. Dr. Schr. in seinem Gutachten überzeugend dargelegt und wird auch durch die im Heilverfahren 2002 erhobenen Befunde bestätigt. Für die Richtigkeit der Beurteilung spricht, dass der Kläger bereits als arbeitsfähig in das Rehabilitationsverfahren aufgenommen wurde. Die Bewegungsmaße der Hals- und Lendenwirbelsäule belegen nur eine mittelgradige Einschränkung der Funktionsfähigkeit, welches auch für die Rotationsbewegungen beider Schultergelenke gilt. Nervenwurzelbezogene Ausfallerscheinungen fehlten völlig.

Gegen eine stärkere Ausprägung des chronischen Schmerzsyndroms spricht, dass der Kläger keine entsprechende Therapie durchgeführt hat und auch eine medikamentöse Schmerztherapie im Rahmen der Reha-Maßnahme ablehnte. Der Senat entnimmt dies dem Reha-Entlassungsbericht. Das belegt, dass ein entsprechender Leidensdruck bei dem Kläger fehlte, so dass auch die Schmerzen einer mindestens sechsstündigen Tätigkeit nicht entgegenstehen.

Der Kläger ist auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit. Nach § 240 Abs 1 SGB VI haben darüber hinaus Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs 2 Sätze 2 und 4 SGB VI).

Dafür, dass er sich von seinem erlernten Beruf als Gipser aus gesundheitlichen Gründen gelöst hat, liegen auch zur Überzeugung des Senats keinerlei Anhaltspunkte vor. Während der Reha-Maßnahme, wo sein beruflicher Werdegang rekapituliert wurde, hat er lediglich angegeben, dass es sich um eine schwere körperliche Arbeit gehandelt hat, nicht aber, was, die Richtigkeit seines Vortrags unterstellt, nahe gelegen hätte, dass er diesen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte. In der Beschäftigungsübersicht im August 2002 hat der Kläger ebenfalls keine Angaben zu den Gründen seines Berufswechsels gemacht, obwohl danach ausdrücklich gefragt war. Weder bei seinem ersten noch während der zwei Überprüfungsverfahren hat er jemals eine Berufsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen geltend gemacht, sondern diese erstmals in der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2009 behauptet. Dies Behauptung hat er in keiner Weise substantiiert noch irgendwelche Nachweise dafür vorgelegt. Allein die Angaben seiner Ehefrau reichen hierfür nicht aus. Dies geht nach dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers. Bezugsberuf ist deswegen seine zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit eines Lageristen. Er ist deswegen auch zur Überzeugung des Senats auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, auf dem noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen besteht.

Ebenfalls erweist sich die Entscheidung des SG, dem Kläger Verschuldenskosten aufzuerlegen, als rechtmäßig.

Nach § 192 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG kann das Gericht im Urteil einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs 2 SGG, dh für das Klageverfahren 150,- EUR. Von diesem Betrag ist in vorliegendem Fall auszugehen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auferlegung von Kosten waren gegeben. Die Vertagung des Rechtsstreits war ursächlich auf den verspäteten Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen. Der Begriff der Vertagung setzt nicht voraus, dass ein neuer Termin bestimmt wird (LSG Niedersachsen-Bremen 30. September 2003, L 4 B 6/03 SF, zit nach juris). Schuldhaft ist das Verhalten deshalb, weil der Vortrag des Klägers verspätet war, nämlich nach drei vorangegangenen Verwaltungsverfahren erstmals in der mündlichen Verhandlung und zudem erst nach umfangreicher vorangegangener Sachverhaltsermittlungen erfolgte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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