S 30 R 4456/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 30 R 4456/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Erwerbsminderungsrente.

Die am ... 1948 geborene Klägerin lebt in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Sie hat in den USA Pflichtbeitragszeiten und zwar 26 Monate im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis zum 28. Februar 2001 sowie 27 Monate im Zeitraum 1. Dezember 2002 bis zum 28. Februar 2005. Die Pflichtbeitragszeiten in den USA für die Monate März bis November 2001 sind wegen gleichzeitig vorliegender Berücksichtigungszeiten wegen Erziehung eines Kindes verdrängt. Entsprechendes gilt für März 2005, für den – ebenso wie für den Zeitraum 1. April 2005 bis 22. Mai 2008 (38 Monate) - eine Zurechnungszeit vorliegt. Im Übrigen hat die Klägerin Zeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zwischen dem 18. August 1965 und dem 13. Dezember 1997, mit denen sie die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Zuletzt war die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt bis zum 28. Juli 1997.

Am 28. Januar 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten formlos die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte übermittelte der Klägerin die entsprechenden Antragsvordrucke. Die Klägerin gab an, seit dem 23. März 2005 arbeitsunfähig erkrankt zu sein. Vom 22. bis 28. November 2008 sei sie stationär im "P s F"-Hospital behandelt und dort erneut am Rücken operiert worden. Einen Beruf habe sie nicht erlernt.

Die Klägerin erhält auf ihren Antrag vom 17. Oktober 2007 seit Juli 2006 Invaliditätsleistungen (disability benefits) der Social Security Administration - Retirement, Survivors, an Disability Insurance - (Schreiben vom 23. Dezember 2008). In einer aktenkundigen diesbezüglichen Zusammenfassung sind Angaben über den beruflichen Werdegang der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland enthalten. Hiernach gab sie unter anderem an, vom 19. Januar 1993 bis zum 19. Dezember 1998 im Haus B in O -Sch im "Nursing Home" beschäftigt gewesen zu sein. Weitere Beschäftigungen gab sie an beim M Hotel in I -O n sowie im "Army an Air Force Exchange Service" in G (Art der Beschäftigung: "Militry Exchange").

Aktenkundig ist des Weiteren ein englischsprachiger Operationsbericht über eine Rücken-OP am 22. Oktober 2008 von Herrn L.

Die Beklagte forderte über die Klägerin einen Befundbericht bei Herrn L an. Der Beklagten ging ein solcher Befundbericht vom 5. Juli 2009 zu, dem einige Arztbriefe über persönliche Vorstellungen der Klägerin bei Herrn L beigefügt waren. Der Befundbericht enthält außer Angaben zu Größe und Gewicht der Klägerin keine Anamnese, dafür aber eine Mitteilung von Befundänderungen sowie die Beurteilung einer OP-bedingten Besserung des Gesundheitszustands. Im Übrigen sind im Befundbericht unter den jetzt vorliegenden wesentlichen Befunden und Funktionseinschränkungen sowie den jetzt vorliegenden wesentlichen Diagnosen knappe Angaben (jeweils vier bis fünf Wörter) gemacht worden. Eine medikamentöse oder sonstige Therapie finde nicht statt.

Die Beklagte holte ausgehend von der Annahme, die Klägerin sei Krankenpflegerin gewesen, eine Leistungsbeurteilung bei ihrem medizinischen Dienst ein. Dieser teilte mit, die Klägerin könne ihre letzte berufliche Tätigkeit nur noch im Umfang von unter drei Stunden verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen unter Ausschluss von andauernden Zwangshaltungen, häufigem Bücken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Nässe- und Kälteexposition und Akkordarbeiten. Es bestehe ein Zustand nach operativen Interventionen bei degenerativen Bandscheibenleiden. Der Zustand bestehe seit März 2005.

Mit Schreiben vom 3. September 2009 forderte die Beklagte die Klägerin auf, ihren beruflichen Werdegang zu schildern. Ausweislich eines Telefonvermerks vom 9. September 2009 weigerte sich die Klägerin, solche Angaben zu übermitteln, da der Beklagten alles vorliege. Sie habe aber nach nochmaliger Bitte mitgeteilt, Altenpflegerin gewesen zu sein. Ausgehend von diesem Beruf bestätigte der medizinische Dienst der Beklagten seine Leistungsbeurteilung mit einem handschriftlichen "ja".

Mit Bescheid vom 18. September 2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, wobei sie vom Antragsdatum 17. Oktober 2007 ausging (Tag der Beantragung einer amerikanischen Rente). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, dem sie eine medizinische Stellungnahme von Herrn L beifügte, der mitteilte, die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, vollschichtig zu arbeiten. Ausweislich eines internen Aktenvermerks vom 2. Dezember 2009 ging der Beklagten ein Datenträger zu, auf denen sich nicht druckbare Dateien ("z.B. Röntgenbilder") befunden haben. Dieser Datenträger ist der Klägerin offenbar lediglich zurückgeschickt worden. Die Beklagte ließ einen der dem Befundbericht von Herrn L beigefügten Arztbriefe (vom 7. Mai 2009) übersetzen.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 4. Januar 2010 mit, dass nach jetzigem Stand der Widerspruch zurückzuweisen sei. Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch aufrecht erhalten werde. Die Klägerin übermittelte eine medizinische Stellungnahme von Herrn L vom 23. Februar 2010, die die Beklagte übersetzen ließ. Dort wurde mitgeteilt, dass die Klägerin erhebliche operative Eingriffe und Versteifungen wegen erheblicher Lendenprobleme hinter sich habe. Herr L schilderte kurz zwei Operationen vom 22. März 2006 und vom 22. Oktober 2008 und erklärte, der Klägerin eine Invalidität von 100 Prozent bescheinigen zu wollen. Sie sei nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit egal welcher Art nachzugehen. In einem kurzen handschriftlichen Vermerk teilte der beratungsärztliche Dienst mit, es resultiere daraus keine Änderung im Verhältnis zu den vorangegangenen Beurteilungen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs und mehr Stunden tätig sein.

Hiergegen hat die Klägerin am 6. September 2010 Klage erhoben. Sie hat ihrer Klage die DVD beigefügt, die sie bereits der Beklagten im Widerspruchsverfahren vorgelegt hatte.

Die Klägerin beantragt schriftlich und sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen.

Ausgehend vom Leistungsfall am 23. März 2005 seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Der Operateur habe ein gutes OP-Ergebnis mitgeteilt; die Klägerin benötige nicht einmal Schmerzmittel. Insoweit sei die Beurteilung von Herrn L vom Februar 2010 nicht nachvollziehbar. Berufsschutz komme der Klägerin nicht zu. Von Ermittlungen der beruflichen Tätigkeit beim früheren Arbeitgeber sei abgesehen worden. Die zwölf Jahre zurückliegende Beschäftigung habe für den Berufsschutz keine Bedeutung.

Das Gericht hat die Beteiligten über die Absicht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, mit Schreiben vom 19. November 2010 angehört. Die Kammer hat auch erklärt, den Rechtsstreit an die Beklagte zu erneuten Entscheidung zurückverweisen zu wollen. Die Beklagte ist hiermit nicht einverstanden.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt im Rechtssinne geklärt ist, vgl. § 105 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Beteiligten sind zur Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, gehört worden.

Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010 ist nach Maßgabe des § 131 Abs. 5 SGG aufzuheben. Daraus folgt kraft Gesetzes und ohne, dass dies tenoriert werden müsste, dass die Beklagte über den Rentenantrag der Klägerin erneut zu entscheiden hat (a. A. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 131, Rn. 21, der eine Verurteilung zur Neuentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts vorschlägt; gegen einen "Bescheidungstenor" aber zutreffend Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Mai 2005 - L 8 RJ 141/04 – juris; wie hier auch Sozialgericht (SG) Mainz, Gerichtsbescheid vom 18. November 2008 – S 3 AS 602/08).

Hält das Gericht in den Fällen des § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann gemäß § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. Die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 und 4 SGG liegen hier vor.

Für die Entscheidung in der Sache ist eine weitere Sachaufklärung nötig. Die insoweit notwendigen Ermittlungen sind auch erheblich.

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach den §§ 43 oder 240 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat. Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Kammer kann anhand der Ermittlungen der Beklagten das quantitative und qualitative Leistungsvermögen der Klägerin nicht bestimmen. Namentlich ist nicht erkennbar, ob die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts mehr als drei oder mehr als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Vorliegend hat die Beklagte einen Befundbericht bei Herrn L eingeholt. Des Weiteren gingen ihr ein OP-Bericht über die OP vom 22. November 2008, mehrere Arztbriefe sowie eine medizinische Beurteilung von Herrn L vom 23. Februar 2010 zu. Übersetzt worden sind nur einige wenige Unterlagen (vgl. den berechtigten Hinweis auf die Amtssprache in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 7. März 2007 - S 26 R 289/06 – juris). Anhand dieser Unterlagen ist eine abschließende medizinische Leistungsbeurteilung nicht möglich.

In den Akten findet sich bereits keine Anamnese. Auch der Befundbericht von Herrn L enthält in dem hierfür vorgesehenen Feld keine Eintragungen. "Die Anamnese gehört zu den wichtigsten Bestandteilen des Gutachtens. Die gründliche und gezielte Anamnese ist Voraussetzung dafür, dass die im weiteren Prozess der Begutachtung erhobenen Befunde und Diagnosen in der Epikrise richtig gewertet und die Leistungsfähigkeit des Versicherten im Erwerbsleben auch korrekt festgestellt werden können." (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 6. Auflage 2003, nachfolgend: Sozialmedizinische Begutachtung, S. 98). Ob im Übrigen wirklich eines umfassende Darstellung der Diagnosen vorliegt, kann dahinstehen. Die handschriftliche Leistungsbeurteilung des medizinischen Dienstes der Beklagten enthält insoweit nur den Hinweis auf Zustand nach wiederholten Interventionen bei degenerativem Bandscheibenleiden. Jedenfalls fehlt es aber an einer Epikrise, also an einer zusammenfassenden Darstellung der Erkrankungen und der damit verbundenen klinischen Auswirkungen (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung, S. 103). Um eine solche erstellen zu können, hätte es hier aber einer ambulanten Untersuchung der Klägerin bedurft. Auch vorliegend zeigt sich damit, dass der Rentenversicherungsträger bei der Entscheidung über die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen hat und eine Entscheidung lediglich nach Aktenlage ohne Untersuchung des Versicherten grundsätzlich unzureichend ist (vgl. Orientierungssatz SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 7. März 2007 - S 26 R 289/06 – juris). Das Bestehen oder Nichtbestehen einer sozialrechtlich relevanten Leistungsbeeinträchtigung allein aus dem Vorliegen medizinischer Diagnosen zu folgern, greift im Übrigen regelmäßig zu kurz (insoweit zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. März 2010 - L 8 R 145/09 - juris).

Soweit sich die Beklagte offenbar darauf stützt, dass die Klägerin sich ausweislich des Arztbriefes vom 7. Mai 2009 bei Herrn L in einem bemerkenswert guten Zustand vorgestellt habe und keine Schmerzmittel einnehme, kann allein hieraus nicht gefolgert werden, die Klägerin sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei oder sechs Stunden erwerbsfähig. Die Einschätzung "She is doing remarkebly well." (vgl. auch schon den Arztbrief vom 16. Dezember 2008, "She is doing extremly well.") lässt überhaupt keinen Schluss auf die Leistungsfähigkeit zu, sondern ist in Relation zu den präoperativen Befunden und zur Schwere der Operation zu verstehen. Gegen ein erhaltenes Leistungsvermögen für mehr als drei oder sechs Stunden täglich spricht jedenfalls die Einschätzung von Herrn L vom 23. Februar 2010, der von einer 100-prozentigen Invalidität ausgeht. Hierin liegt – anders als die Beklagte mit Schriftsatz vom 10. November 2010 meint – kein Widerspruch zum Arztbrief vom 7. Mai 2009, weil aus einer gelungenen Operation nicht zwingend auf ein vollschichtiges Leistungsvermögen geschlossen werden kann. Zudem deutet auch der Arztbrief vom 7. Mai 2009 auf nicht unerhebliche gesundheitliche Probleme hin. Zum einen werden dort Gleichgewichtsprobleme der Klägerin geschildert, zum anderen ist der Klägerin ein Stützapparat/Korsett verschrieben worden.

Vor dem Hintergrund obiger Anmerkungen ist die Stellungnahme des beratungsärztlichen Dienstes vom 13. August 2009 ungenügend. Die dort geäußerte sozialmedizinische Leistungsbeurteilung besteht in erster Linie aus nicht begründetem Ankreuzen von Feldern auf einem dafür vorgesehenen Formblatt. Warum beispielsweise die Klägerin mit ihren degenerativem Bandscheibenleiden eine Tätigkeit überwiegend im Sitzen verrichten soll, hätte zumindest einer Erläuterung bedurft. Eine ordnungsgemäße Auflistung der Diagnosen einerseits und eine darauf bezogene und begründete Herleitung des Leistungsbildes andererseits liegt damit nicht vor. Insoweit haben die Ausführungen des beratungsärztlichen Dienstes nicht einmal den Wert eines – hier aber ohnehin unzureichenden – Gutachtens nach Aktenlage.

Nicht möglich ist der Kammer auch eine abschließende Beurteilung, ob der Klägerin eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI zusteht. Dabei kann hier dahinstehen, ob allein die Mangelhaftigkeit der Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf den beruflichen Werdegang der Klägerin eine Zurückverweisung getragen hätte. Da die Beklagte die medizinischen Ermittlungen nachzuholen hat, wird sie auch die unzureichenden Ermittlungen zu § 240 SGB VI nachzuholen haben.

Nach § 240 Abs. 2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI (wie auch nach § 43 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 gültigen Fassung) ist der bisherige Beruf des Versicherten. Darunter ist im allgemeinen diejenige der Versicherungspflicht unterliegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, das heißt mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22. März 1988 - 8/5a RKn 9/86 - SozR 2200 § 1246 Nr. 158; Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 35/96 - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Urteil vom 18. Februar 1998 - B 5 RJ 34/97 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 61). Welche Verweisungstätigkeiten sozial zumutbar sind, bestimmt sich nach dem qualitativen Wert der bisherigen Berufstätigkeit. Das BSG hat zur Erleichterung dieser Beurteilung ein Mehrstufenschema entwickelt, das, ausgehend von den unterschiedlichen Ausbildungserfordernissen, die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert, die durch die Leitberufe des Facharbeiters (Vorarbeiters) mit Vorgesetztenfunktion und den diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiter, den Facharbeiter, den angelernten Arbeiter und den ungelernten Arbeiter charakterisiert sind (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 1993 - 13 RJ 71/92 - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 38).

Die Beklagte hat hier durch Befragen der Klägerin nicht alle auf der Hand liegenden Ermittlungen angestellt, um die zuletzt verrichtete berufliche Tätigkeit einerseits und deren Wertigkeit andererseits beurteilen zu können. Denn mindestens hätte sie den ihr bekannten letzten Arbeitgeber – Haus B in O - Sch – anschreiben können und müssen, das nach Internetrecherche der Kammer auch immer noch existiert. Es mag unwahrscheinlich sein, dass dort noch Personalakten der Klägerin vorliegen. Keinesfalls dürfte die Beklagte aber von Ermittlungen absehen mit der von ihr im Schriftsatz vom 6. Dezember 2010 vorgetragenen Begründung, der Berufsschutz habe allein vor dem Hintergrund des letzten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in Deutschland vor über zwölf Jahren keine rentenrechtliche Relevanz. Einmal erworbener Berufsschutz "verjährt" nicht. Die in den USA zurückgelegten Beschäftigungen sind unmaßgeblich. Denn im Ausland ausgeübte Beschäftigungen, die nicht der deutschen Versicherungspflicht unterlagen, sind für die Bestimmung des bisherigen Berufs grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Januar 2010 - L 14 R 583/09 – juris m. w. N. und Hinweisen zu Ausnahmen).

Die demnach erforderliche Sachverhaltsaufklärung ist allein für das medizinische Fachgebiet auch als erheblich anzusehen. Die Erheblichkeit der noch durchzuführenden Ermittlungen kann sich aus Zeitdauer, Umfang und den personellen Möglichkeiten, aber auch aus besonders hohen Kosten ergeben (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2009 - L 4 R 1519/08 - juris). Hier sind mindestens besonders hohe Kosten zu erwarten. Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin zur vollumfänglichen Sachverhaltsaufklärung in Deutschland begutachtet werden muss. Allein die hierfür anfallenden Reise- und Hotelkosten – gegebenenfalls auch für eine Begleitperson, vgl. Klägerschriftsatz vom 6. September 2010 – sind als erheblich anzusehen. Hiergegen sprechen nicht die Bedenken des LSG Nordrhein-Westfalen. Dieses geht davon aus, dass eine medizinische Ermittlung durch das SG ohne großen Mehraufwand durch die Einholung gerichtlicher Gutachten selbst durchgeführt werden könne. Insoweit werde sein Aufwand regelmäßig nicht größer sein, als wenn es ein qualitativ besseres Gutachten der Beklagten zu überprüfen hätte. Denn in der großen Mehrzahl der Verfahren, bei denen es um die Gewährung von Erwerbsminderungsrente geht, geschehe dies ebenfalls durch gerichtliche Gutachten. Nur in den seltensten Fällen stütze nämlich ein erstinstanzliches Gericht seine Urteilsfindung bei Ansprüchen auf Erwerbsminderungsrenten allein auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten. Dies komme regelmäßig nur dann in Betracht, wenn die dort getroffenen Leistungsbeurteilungen von den behandelnden Ärzten geteilt werden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. März 2010 - L 8 R 145/09 – juris). Auf welche Grundlage das LSG Nordrhein-Westfalen seine Erkenntnisse über das Ermittlungs- und Entscheidungsverhalten der erstinstanzlichen Gerichte stützt, ist nicht erkennbar. Nach Auffassung der Kammer ist die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens aber unnötig, wenn ein oder mehrere erschöpfende und das Leistungsbild des Klägers zutreffend beschreibende Gutachten im Verwaltungsverfahren bereits eingeholt worden sind.

Die Aufhebung und Zurückverweisung zum Zwecke der Nachholung der erheblichen Ermittlungen ist auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich. Dies ist der Fall, wenn die Beklagte beispielsweise nach ihren personellen und sachlichen Ausstattung die Ermittlungen besser durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, diese tätig werden zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2007 - B 5 RJ 30/05 R - SozR 4-1500 § 131 Nr. 2). Deshalb ist eine Zurückverweisung regelmäßig sachdienlich, wenn die begründete Möglichkeit besteht, dass die noch erforderlichen erheblichen Ermittlungen, insbesondere wegen der personellen und sachlichen Ausstattung der Behörde, inhaltlich besser oder schneller vonstatten gehen als bei Gericht. Die Berücksichtigung der Belange der Beteiligten, die sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet, bedarf bei Verpflichtungsklagen und kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen besonderer Prüfung, weil in diesem Fall das Bedürfnis des Betroffenen nach einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung stärker ist als bei einer Anfechtungsklage. Übergeordnete Gesichtspunkte, die es rechtfertigen, dass der Kläger bei Leistungs- oder Verpflichtungsklagen mit der Gefahr einer Verzögerung des Rechtsstreits belastet wird, setzen daher in der Regel ein gravierendes Ermittlungsdefizit voraus, etwa wenn die Behörde insgesamt oder zu einem wesentlichen Streitpunkt überhaupt keine eigene Sachverhaltsermittlung durchgeführt hat oder das Ermittlungsergebnis für die Beurteilung des Streitgegenstandes nicht verwertbar ist (vgl. Keller, a. a. O., Rn. 19a; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Juni 2006 - L 4 SB 24/06 - juris). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Sachdienlichkeit nicht überspannt werden (SG Mainz, Gerichtsbescheid vom 18. November 2008 – S 3 AS 602/08). Der Gesetzgeber hat die Einführung des § 131 Abs. 5 SGG damit begründet, dass das Unterlassen erforderlicher Sachverhaltsaufklärung im Einzelfall zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führt (vgl. BT-Drs. 15/1508, Seite 29). Dies und die Erstreckung des § 131 Abs. 5 SGG auch auf Leistungs- und Verpflichtungsklagen zeigt, dass der Gesetzgeber auch den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ein effektives und - wenn auch mit Zurückhaltung - anzuwendendes Instrument an die Hand geben will, die sachwidrige Aufwandsverlagerung auf die Gerichte zu verhindern.

Die medizinischen Ermittlungen der Beklagten sind hier derart mangelhaft, dass gleichsam erstmals das Gericht die an sich der Beklagten obliegenden Ermittlungen vorzunehmen hätte (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2009 - L 4 R 1519/08 – juris). Die Einholung eines Befundberichts, der nur unzureichende Angaben enthält, kann von der Kammer nicht als ausreichender Versuch einer Sachverhaltsaufklärung angesehen werden. Gleiches gilt für die Kenntnisnahme verschiedener Arztbriefe und OP-Berichte, die zudem auch nur teilweise übersetzt worden sind. Eine auf dieser ungenügenden Tatsachengrundlage erstellte sozialmedizinische Leistungsbeurteilung muss defizitär sein und ist zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin unverwertbar.

Da die Verwaltungsakten der Beklagten am 27. September 2010 bei Gericht eingegangen sind, ist die Frist nach § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG gewahrt. Die Beteiligten sind zur Absicht des Gerichts, nach Maßgabe des § 131 Abs. 5 SGG zu entscheiden, auch angehört worden.

Liegen die Zurückverweisungsvoraussetzungen demnach vor, ist eine Zurückverweisung unter Ausübung sachgerechten Ermessens auch geboten. Die Zurückverweisung zielt darauf ab, dem Gericht eine zeit- und kostenintensive gerichtliche Sachaufklärung zu ersparen, die eigentlich der Behörde obliegt (vgl. BT-Drs. 15/1508 Seite 29). Daneben bezweckt sie aber auch, den Versicherten – dies auch unter Berücksichtigung der Zwecke des Vorverfahrens Rechtsschutz, Selbstkontrolle der Beklagten und Schutz der Gerichte vor Überlastung (vgl. Leitherer, a. a. O., Vor § 77, Rn. 1a) - ein sachgerechtes Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und demnach einen vollständigen "Instanzenzug" zu erhalten. Die Abwägung der Interessen der Beteiligten an einer Sachentscheidung und der Tatsachenfeststellung bereits auf Verwaltungsebene gebietet es vorliegend, den Verlust eines ordnungsgemäßen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens für die Klägerin zu vermeiden.

Gegen die Zurückverweisung spricht hier nicht, dass von der Möglichkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 131 Abs. 5 SGG im Kontext mit Leistungsklagen generell kein Gebrauch zu machen sei, da stattdessen als "Mittel der Wahl" eine Fortführung und Entscheidung des Verfahrens mit einer Kostenentscheidung nach § 192 Abs. 4 SGG durch das Gericht in Betracht käme (Mey, SGb 2010, 68, 72). Dem widerspricht bereits, dass der Gesetzgeber die Zurückverweisungsmöglichkeit ausdrücklich auch auf Leistungs- und Verpflichtungsklagen erstreckt hat. Wollte man gleichwohl § 192 Abs. 4 SGG für vorrangig anwendbar halten, liefe die gesetzliche Neuregelung ins Leere. Im Übrigen bliebe das Kernproblem der sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte erhalten und würde im Grunde dadurch verstärkt, dass das Gericht nach Nachholung der eigentlich der Verwaltung obliegenden Aufgaben auch noch einen Kostenbeschluss zu fertigen hat.

Eine Klageabweisung in Bezug auf den Leistungsantrag hat nicht zu erfolgen, weil es sich hierbei um eine Sachentscheidung handeln würde, die aus dargelegten Gründen aber nicht möglich ist.

Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass sie die Auffassung nicht teilt, eine Zurückverweisung sei in der Regel durch Gerichtsbescheid nicht möglich (so Keller, a. a. O., Rn. 19b; wie hier LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. Januar 2006 - L 6 SB 197/05 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Insbesondere im Hinblick auf die weitgehend unterlassene Aufklärung des Sachverhalts im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und dem damit einhergehenden Verstoß gegen § 20 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch sind die Kosten der Beklagten in vollem Umfang aufzuerlegen. Im Falle einer gerichtlichen Entscheidung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG erzielt die Klägerin zwar nur einen Teilerfolg, da lediglich der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben, aber keine Entscheidung über den sachrechtlichen Anspruch getroffen wird. Eine Kostenbelastung der Klägerin ist aber hier nicht gerechtfertigt, weil es nicht an ihr lag, das Gericht zur Nachholung erforderlicher Ermittlungen und zur vollständigen Prüfung des Anspruchs zu zwingen. Für die Beklagte dagegen realisiert sich ein mit unzureichenden Ermittlungen im Verwaltungsverfahren eingegangenes Risiko (vgl. SG Lübeck, Urteil vom 5. Februar 2010 - S 15 R 428/09 - juris).
Rechtskraft
Aus
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