L 2 P 79/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 48/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 79/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Fehlen eines Anordnungsanspruchs bei einem Antrag auf Gewährung von Pflegeleistungen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg
vom 10. September 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I.

Am 4. November 2009 stellte der Bf. einen Antrag auf Pflegegeldleistung durch die Antrags- und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Bg.). Nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 11. Dezember 2009 lehnte die Bg. den Antrag mit Bescheid vom 12. Januar 2010 ab. Der MDK war zu einem Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege von 13 Minuten und im Bereich der Hauswirtschaft von 43 Minuten gelangt. Als pflegebegründende Diagnosen berücksichtigte er dabei eine Quetschung der Wirbelkörper C6/C7 infolge eines im April 2007 erlittenen Schädelhirntraumas sowie eine leichte Geh- und Stehbehinderung, ferner eine Bewegungseinschränkung der linken oberen Extremität. Aufgrund des Widerspruchs des Bf. holte die Bg. eine Stellungnahme des MDK nach Aktenlage vom 12. Mai 2010 ein, der an dem Gutachtensergebnis festhielt. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 wies die Bg. daraufhin den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Bf. Klage vor dem Sozialgericht Augsburg (Az.: S 10 P 49/10) eingereicht sowie am 31. August 2010 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Seine Symptome hätten sich massiv verschlechtert. Er habe erhebliche finanzielle Probleme. Den Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 10. September 2010 abgewiesen, da ein Anordnungsanspruch weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich sei. Nach dem schlüssigen Gutachten des MDK betrage der Bedarf an der Grundpflege 13 Minuten, so dass die Voraussetzungen für das Vorliegen der Pflegestufe I nicht gegeben seien. Ferner fehle es am Vorliegen eines Anordnungsgrundes.

Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde hat der Bf. ausgeführt, die Einschätzung von 13 Minuten Grundhilfebedarf gehe vollständig an der Realität vorbei. Er könne die benötigte Hilfe nicht bezahlen. Es sei menschenverachtend, wie er seit Jahren diskriminiert werde. Ihm seien bereits zwei Pflegehilfen abgesprungen, da er diese nicht adäquat habe bezahlen können.

Die Bg. hat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Weder im Antrags- noch im Beschwerdeverfahren sei vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten bestehe und in welcher Hinsicht der MDK den Pflegebedarf unzureichend berücksichtigt habe.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei hat das Gericht die Belange der Öffentlichkeit und des Antragstellers abzuwägen.

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sind (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 290 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Glaubhaftmachung begnügt sich bei der Ermittlung des Sachverhaltes im Gegensatz zum Vollbeweis mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dagegen dürfen die Anforderungen an die Erkenntnis der Rechtslage, d.h. die Intensität der rechtlichen Prüfung, grundsätzlich nicht herabgestuft werden. Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist grundsätzlich das materielle Recht, das vollumfänglich zu prüfen ist. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so verlangt der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz eine Eilentscheidung anhand einer umfassenden Güter- und Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05). Wenn eine Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden, so dass ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist (Bayer. Landessozialgericht, Az.: L 2 B 354/01 U ER).

Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass zumindest ein derartiger Anordnungsanspruch nicht gegeben ist. Nach den bislang vorliegenden Ergebnissen der medizinischen Sachverhaltsaufklärung liegt der Bedarf an Grundpflege mit 13 Minuten, wie vom MDK festgestellt, deutlich unter den von § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) geforderten "mehr als 45 Minuten". Auch wenn bei einzelnen Einschätzungen des MDK vom Bf. Einwendungen vorgebracht werden, kann bei einer Differenz von 33 Minuten auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht von einer Erfolgsaussicht der Klage im Hauptsacheverfahren ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Bf. auch im Beschwerdeverfahren keine substantiierten Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht hat. Allein die Ausführung, die zeitliche Einschätzung sei "völlig an den Haaren herbeigezogen", ist hierfür nicht ausreichend. Schließlich weist das Sozialgericht zutreffend darauf hin, dass das dortige Vorbringen vor allem hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Wäsche waschen, Einkaufen, Botengänge etc. betrifft, die einen gesonderten Teil bei der Ermittlung des Zeitaufwandes nach § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI darstellen. Zwar fehlen nach dem Gutachten des MDK auch hierbei mit 43 Minuten die erforderlichen 45 Minuten. Allerdings wäre aufgrund der geringen zeitlichen Differenz für diesen Teilbereich von einer Erfolgsaussicht auszugehen. Da sich jedoch der Gesamtbedarf von 90 Minuten aus dem Zeitbedarf für die Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung zusammensetzt, ist die Erfolgsaussicht insgesamt nicht gegeben. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines medizinischen Gutachtens muss vorliegend dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben, da dem Bf. aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen erkennbar an einer zügigen Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung gelegen ist.

Da somit ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist, kann der Senat offen lassen, ob aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse ein Anordnungsgrund, also die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile, gegeben wäre.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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