L 9 U 3676/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 2309/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3676/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts H. vom 3. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt 1. die Anerkennung und Entschädigung einer Lungen- und Darmkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) Nr. 2402 der Anl. 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), 2. die Anerkennung und Entschädigung eines Enddarmkarzinoms als wie eine BK anzuerkennende Krankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) und 3. die Gewährung von Verletztenrente und Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV wegen der bereits anerkannten BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV.

Die zunächst vom Kläger verklagte H.-B. (H.-BG) - im Klage- und Berufungsverfahren Beklagte - und die frühere S. M.-BG, später BG M. Nord Süd, die in erster Instanz beigeladen wurde, haben sich zum 1.1.2011 zur BG H. und M. (BGHM) zusammengeschlossen.

Der 1946 geborene Kläger kam im Jahr 1972 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Ende November 1972 nahm er eine Tätigkeit bei der Firma NSU (heute: A. AG) in N. auf, wo er bis Ende November 1973 am Karosserieband mit Punktschweißen betraut war. Von Januar 1974 bis März 1977 war er bei der Firma E. und von Januar 1978 bis Februar 1979 bei der Firma St. Landtechnik in Kupferzell als Stahlschweißer beschäftigt. Vom 12.2.1979 bis 31.12.1999, der Kündigung des Arbeitgebers aufgrund hoher Arbeitsunfähigkeitszeiten, arbeitete der Kläger als Aluminiumschweißer bei der W. L. GmbH & Co. KG. Danach war er vom 16.3.2000 bis 2.11.2003 beim Arbeitsamt (nunmehr: Arbeitsagentur) H. arbeitslos gemeldet. Seit Oktober 2003 bezieht er - wegen eines Rektumkarzinoms - eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Am 14.8.2003 wurde beim Kläger ein Rektumkarzinom entfernt. Im Rahmen von Kontrolluntersuchungen fielen Lungenrundherde auf, weswegen der Verdacht auf Lungenmetastasen bestand. Deswegen wurde am 7.10.2003 eine diagnostische Tracheobronchoskopie durchgeführt mit beid-seitiger Keilsektion (Oberlappen rechts, Mittellappen, Oberlappen links) und Entfernung einzelner Lymphknoten. Die histologische Untersuchung in der Chirurgischen Universitätsklinik F. ergab keinen Anhalt für Malignität. Eine HartM.-Lunge lag nicht vor. Morphologie und Verteilung des Staubes wurden als passend zu einer Schweißerlunge angesehen (Arztbrief der Chirurgischen Universitätsklinik F. vom 28.10.2003).

Am 20.10.2003 erstattete die Ärztin H. der S.n M.-BG eine ärztliche Anzeige über eine BK "Lungenfibrose, evtl. Hartmetall-Lunge, Schweißerlunge". Als Vorerkrankung erwähnte sie einen Zustand nach Rektumkarzinom und führte aus, bei dem Lungenbefund handle es sich um einen Zufallsbefund; diesbezügliche Beschwerden habe der Kläger nicht angegeben.

Die Südwestliche Bau BG, an die die S. M.-BG das Verfahren abgegeben hatte, beauftragte Prof. Dr. M., Direktor des Instituts für Pathologie der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B., mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser führte unter dem 28.11.2003 aus, die untersuchten Präparate - die ihm von der Chirurgischen Universitätsklinik F. zur Verfügung gestellt worden waren - zeigten ungewöhnlich schwerwiegende Veränderungen und erfüllten die Voraussetzungen für eine BK Nr. 4106, einer Aluminium assoziierten Lungenkrankheit. Bei diesem schwerwiegenden Bild müsse man davon ausgehen, dass deutliche Funktionsstörungen bereits messbar seien. Der Gesamtbefund werde noch kompliziert durch Veränderungen, die als sog. Schweißerlunge zu interpretieren seien. Hier sei der Schweregrad aber deutlich geringer, so dass von Grad I auszugehen sei. Insgesamt seien aber die in Kombination vorliegenden Aluminiumspeicherungen und die sidero-pneumokoniotischen Veränderungen derart massiv, dass allein aus der Sicht der Pathologie von einer BK auszugehen sei. Sicher liege eine BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV und bedingt auch eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII i.S. einer Sidero-Fibrose vor.

Die H.-BG, an die die Südwestliche Bau-BG den Vorgang zuständigkeitshalber zwischenzeitlich abgegeben hatte, zog das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von der AOK H. bei, holte Auskünfte bei Dr. W. vom 8.11.2003, der L. GmbH & Co. KG und dem arbeitsmedizinischen Dienst ein. Dr. H., Arzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, legte Kopien der Untersuchungsbefunde vor und erklärte unter dem 11.2.2004, beim Kläger seien in den Jahren 1980, 1984, 1987, 1989, 1991, 1994 und 1998 arbeitsmedizinische Untersuchung durchgeführt worden. Gesundheitliche Bedenken seien nicht ausgesprochen worden. Bei der Untersuchung im Jahr 1994 sei dokumentiert worden, dass seit zwei Jahren konsequent eine Feinstaubmaske getragen werde und bei der Untersuchung im Jahr 1998, dass eine Absaugkabine und Feinstaubmasken mit Ausatemventil vorhanden gewesen seien. Anamnestisch von Bedeutung sei eine seit 1984 rezidivierende spastische Bronchitis, die mit einem erheblichen Nikotinabusus von bis zu 40 Zigaretten pro Tag zusammenhängen könne. Ferner befragte die H.-BG den Kläger, veranlasste Ermittlungen zur Exposition des Klägers bei der L. GmbH & Co. KG durch ihren Präventionsdienst (Bericht von Dr. H. vom 3.3.2004) und zog Unterlagen vom Rentenversicherungsträger, bei dem der Kläger im Rentenantrag vom 15.9.2003 angegeben hatte, seit 1.8.2003 wegen Darmkrebs erwerbsgemindert zu sein, bei. Außerdem beauftragte die H.-BG PD Dr. Sch., Kommissarischer Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G., mit der Begutachtung des Klägers. Dieser führte in dem zusammen mit Dr. H.-H. erstatteten Gutachten vom 12.8.2004 aus, beim Kläger lägen eine leicht- bis mäßiggradige Sidero-Pneumokoniose sowie eine ungewöhnlich hohe Aluminium-Speicherung der Lunge vor. Beide Diagnosen beruhten auf dem Histologiebefund; die röntgenologisch-morphologischen Befunde ließen lediglich eine beginnende Fibrosierung der Lunge erkennen. Lungenfunktionseinschränkungen hätten nicht festgestellt werden können. Eine Restriktion, eine Störung der Diffusionskapazität und eine Gasaustauschstörung seien nicht nachweisbar gewesen. Die mäßige periphere Obstruktion der Bronchien passe zum Nikotinabusus des Klägers. Die hochgradig eingeschränkte kardio-pulmonale Leistungsbreite sei auf außerberufliche Ursachen, das Rektumkarzinom mit anschließender einschneidender Therapie, zurückzuführen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege unter 20 %.

Mit Bescheid vom 10.9.2004 teilte die H.-BG dem Kläger mit, seine Lungenerkrankung werde teilweise als berufsbedingt anerkannt. Bei dem berufsbedingten Anteil seiner Lungenerkrankung handle es sich um eine BK nach Nr. 4106 der Anl. zur BKV. Als Folge der BK anerkannte die H.-BG: Aluminiumspeicherung im Lungengewebe ohne Funktionsbeeinträchtigungen von Lunge, Bronchien, Herz und Kreislauf. Als Folge der BK anerkannte sie nicht: Leichtgradige Eisenablagerungen im Lungengewebe (Sidero-Pneumokoniose = Staublungenerkrankung durch Eisenstaub). Darmtumorerkrankung mit Teilentfernung der Lunge und eingeschränkter kardio-pulmonaler Leistungsbreite (vom Herzen und der Lunge ausgehende Einschränkung der Leistungsbreite). Verengung der Bronchien nach langjährigen Rauchgewohnheiten (Obstruktion/Verengung der kleinen Atemwege). Ein Anspruch auf Rente und auf Leistungen im Rahmen von § 3 BKV bestehe nicht.

In der von der H.-BG veranlassten gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 17.9.2004 führte der Staatliche Gewerbearzt Dr. H. aus, eine BK Nr. 4106 der BKV werde in nicht entschädigungspflichtigem Ausmaß (MdE unter 20 %) zur Anerkennung vorgeschlagen. Eine BK im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII werde den Ausführungen von PD Dr. Sch. zufolge ebenfalls zur Anerkennung vorgeschlagen.

Gegen den Bescheid vom 10.9.2004 legte der Kläger am 13.10.2004 Widerspruch ein und begehrte wegen der anerkannten BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV die Gewährung einer Entschädigung, insbesondere in Form der Verletztenrente, sowie Leistungen nach § 3 BKV, insbesondere in Form von Übergangsleistungen (Ausgleich des Verdienstausfalls für fünf Jahre ab Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit). Wegen der fortgeschrittenen Fibrosierung im Sinne der Sidero-Pneumokoniose werde ein rechtsmittelfähiger Bescheid beantragt. Diesbezüglich ist ein Berufungsverfahren unter dem Az. L 9 U 3910/08 anhängig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2004 wies die H.-BG den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Aluminiumspeicherung im Lungengewebe sei seinerzeit als Zufallsbefund im Rahmen der Behandlung der außerberuflichen Darmtumorerkrankung festgestellt worden. Zunächst sei der Verdacht auf das Vorliegen von Lungenmetastasen als Folge des außerberuflich entstandenen Darmtumors geäußert worden, weswegen auch die Entscheidung zur operativen Teilentfernung der Lunge gefallen sei. Wegen der Aluminose selbst habe keine Notwendigkeit für eine solche Operation bestanden. Die Teilentfernung der Lunge sei nicht ursächlich auf die anerkannte BK (Aluminose) zurückzuführen. Die histologische Untersuchung des entnommenen Lungengewebes im Rahmen der Operation habe schließlich erst den Zufallsbefund ergeben. Die Aluminiumspeicherung im Lungengewebe verursache keinerlei Funktionsbeeinträchtigung. Daher liege eine rentenberechtigende MdE wegen der anerkannten BK nach Nr. 4106 der Anl. zur BKV nicht vor. Die Aufgabe der Tätigkeit als Aluminiumschweißer sei aufgrund der außerberuflich entstandenen Darmtumorerkrankung erfolgt. Diese habe zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit und schließlich auch zur Stellung eines Rentenantrags geführt. Wegen dieser Darmtumorerkrankung sei der Kläger schließlich aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Da diese Erwerbsunfähigkeit unabhängig von der anerkannten BK eingetreten sei, liege ein ursächlich auf die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit zurückzuführender Minderverdienst nicht vor. Es könne dahingestellt bleiben, ob wegen der Aluminose eine Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz als Aluminiumschweißer möglich gewesen wäre, da die Aufgabe der Tätigkeit tatsächlich auf eine unabhängig davon bestehende Darmtumorerkrankung ursächlich zurückzuführen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 8.12.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) H. (S 7 U 3653/04) erhoben und die Gewährung von Verletztenrente wegen der BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV sowie von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV in Form des Ausgleichs der Verdienstausfälle für fünf Jahre ab Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit begehrt. Im Rahmen der Prüfung der BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV bat der Kläger mit Schriftsatz vom 10.12.2003 um Prüfung, ob das Rektumkarzinom beruflich bedingt sei. Die H.-BG holte Stellungnahmen beim Beratungsarzt Dr. M. vom 12.3.2004 (keine medizinischen Erkenntnisse, wonach ein Rektumkarzinom durch Aluminiumdämpfe verursacht werde) und beim Staatlichen Gewerbearzt Dr. H. vom 5.4.2004 (BK im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII bezüglich des Rektumkarzinoms werde nicht zur Anerkennung vorgeschlagen) ein.

Mit Bescheid vom 27.4.2004 teilte die H.-BG dem Kläger mit, seine Darmerkrankung sei keine BK nach der Liste der BK als Anl. 1 zur BKV. Sie sei auch nicht wie eine BK zu entschädigen. Es gebe keine neuen medizinischen Erkenntnisse - als allgemein anerkannter Kenntnisstand der Wissenschaft - wonach die bei ihm vorliegende Darmerkrankung durch die Exposition gegenüber Aluminiumoxidrauch oder Aluminiumfeinstäube verursacht werden könne. Vielmehr handle es sich um eine anlagebedingte, von der allgemeinen Lebensführung beeinflusste Darmerkrankung, d.h. Entstehung und Verlauf seien schicksalhaft.

Hiergegen legte der Kläger am 28.5.2004 Widerspruch ein und begehrte die Anerkennung der Darmerkrankung als Listen-BK oder als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII sowie die Gewährung einer Verletztenrente.

Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme bei Dr. M. vom 9.7.2004 wies die H.-BG den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.7.2004 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 2.8.2004 Klage zum SG (S 7 U 2309/04) erhoben, mit der er die Anerkennung der Darmerkrankung als BK, hilfsweise als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII sowie die Gewährung einer Verletztenrente begehrt hat.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 20.1.2004 im Rahmen des Feststellungsverfahrens der BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV die Prüfung begehrte, ob eine durch ionisierende Strahlen verursachte BK (Nr. 2402 der Anl. zur BKV) vorliege, holte die H.-BG eine Stellungnahme bei ihrem Präventionsdienst sowie eine gewerbeärztliche Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes ein. Dr. H. verwies unter dem 23.3.2004 auf seine Stellungnahme im Rahmen des Feststellungsverfahrens wegen der BK 4106 und führte aus, eine Exposition gegenüber Röntgenstrahlung, radioaktiven Elementen oder anderen ionisierenden Strahlungen könne für die Zeit der Tätigkeit bei der Firma L. vom 12.2.1979 bis 31.12.1999 sicher ausgeschlossen werden. Die Staatliche Gewerbeärztin Dr. G. führte unter dem 20.4.2004 aus, eine BK gem. Nr. 2402 der BKV werde nicht zur Anerkennung vorgeschlagen. Die haftungsbegründende Kausalität könne nicht wahrscheinlich gemacht werden.

Mit Bescheid vom 10.5.2004 teilte die H.-BG dem Kläger mit, seine Lungen- sowie Darmerkrankung seien keine BK nach Nr. 2402 der Anl. zur BKV. Es drohe auch keine Gefahr, dass eine solche BK entstehe (§ 3 BKV). Er habe daher keinen Anspruch auf Leistungen. Eine Gefährdung durch radioaktive Elemente oder andere ionisierende Strahlenbelastung im Sinne der BK Nr. 2402 der Anl. zur BKV - hier durch Arbeiten an einem sog. WIG-Schweißgerät (Wolfram in Erdgas schweißen) mit einer dadurch bedingten Belastung gegenüber Thorium bzw. anderen radioaktiven Elementen - sei sicher auszuschließen. Die WIG-Schweißgeräte seien (bei der Firma L.) nur zu Versuchszwecken angeschafft worden und in der Fertigung nie zum Einsatz gekommen, so dass der Kläger an derartigen Geräten nicht gearbeitet habe. Damit lägen schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer Erkrankung durch ionisierende Strahlen nicht vor.

Den Widerspruch des Klägers vom 9.6.2004 wies die H.-BG nach Einholung einer Stellungnahme bei Dr. H. vom 5.7.2004, der Auskünfte bei der Firma L. eingeholt hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 29.9.2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die L. GmbH & Co. KG habe angegeben, dass in der Aluminiumschweißerei 1994/1995 Versuche mit einem WIG-Schweißgerät durchgeführt worden seien. Der Umfang dieser Versuche sei von den beiden zuständigen Lehrschweißern der Firma auf insgesamt maximal 10 bis 20 Stunden Schweißarbeiten geschätzt worden. Die Versuche selbst seien ausschließlich von diesen Lehrschweißern durchgeführt worden. Der Kläger selbst habe, wie er auch anlässlich der Begutachtung in einem anderen anhängigen BK-Verfahren angegeben habe, keine Arbeiten an diesem WIG-Schweißgerät durchgeführt. Aufgrund des geringen Umfangs der Versuche) und der Entfernung des Arbeitsplatzes des Klägers vom Ort der Versuche (etwa 30 bis 60 Meter) könne allerdings eine nennenswerte Exposition im Sinne der BK Nr. 2402 der BK-Liste ausgeschlossen werden. Nach der Strahlenschutzverordnung sei er nicht als beruflich strahlenexponierte Person einzustufen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer Erkrankung durch ionisierende Strahlen lägen daher nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 3.11.2004 Klage (S 7 U 3284/04) erhoben, mit der die Anerkennung einer Lungen- und Darmerkrankung als BK Nr. 2402 der Anl. zur BKV sowie die Gewährung von Verletztenrente und Übergangsleistungen nach § 3 BKV begehrt.

Mit Beschluss vom 11.2.2005 hat das SG die Rechtsstreitigkeiten S 7 U 2309/04 und S 7 U 3284/04 sowie S 7 U 3653/04 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 7 U 2309/04 verbunden.

Das SG hat PD Dr. Sch., den kommissarischen Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G., mit der (erneuten) Begutachtung des Klägers beauftragt. Nachdem dieser weitere Ermittlungen wegen des WIG-Schweißens für erforderlich hielt, hat die H.-BG eine Stellungnahme von Dr. H. vom 6.6.2005 vorgelegt, der darin ausführt, selbst wenn der Kläger entgegen seinen früheren Angaben und der des Betriebes Schweißarbeiten mit einem WIG-Schweißgerät ausgeführt haben sollte (nach Angaben des Klägers ca. 1 Stunde), so sei eine exakte Dosisberechnung nicht möglich, da die Dosis von verschiedenen Faktoren (z.B. Gleichstrom oder Wechselstrom, Thoriumgehalt der Elektroden, Lüftungssituation/Absaugung) abhängig sei. Selbst wenn man für die Tätigkeit bei der Firma L. die Maximaldosis zugrundelegen würde, würde die Belastung maximal 0,14 % des Grenzwertes für beruflich nicht strahlenexponierte Personen betragen. Eine relevante Exposition im Sinne der BK 2402 könne für die Tätigkeit bei der Firma L. ausgeschlossen werden.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 13.6.2005 hat Dr. H. ausgeführt, Herr W. von der Firma L. habe nach Rücksprache mit dem Einkauf der Firma und den Lieferanten festgestellt, dass keine thorierten Elektroden gekauft bzw. bezogen worden und somit auch nicht zum Einsatz gekommen seien. Eine Exposition gegenüber Thoriumoxid bzw. eine Belastung durch Strahlung könne somit für die Tätigkeit bei der Firma L. ausgeschlossen werden. Die Firma E. - Präzisionsteile teilte am 20.10.2005 mit, sie könne nicht mehr nachvollziehen, welche Elektroden bei den Schweißarbeiten im sog. WIG-Verfahren vor 30 Jahren verwendet worden seien. Unterlagen darüber, die eventuell darüber Aufschluss geben könnten, seien zwischenzeitlich vernichtet. Der Präventionsdienst der BG M. Süd, deren Mitglied die Firma E. ist, gab unter dem 23.1.2006 an, der Seniorchef Roland E. könne sich nicht direkt an den Kläger erinnern. Geschweißt worden seien überwiegend Stahlkonstruktionen aus Baustahl im MIG- bzw. MAG-Verfahren sowie Edelstahl im WIG-Verfahren. Die Edelstahlschweißungen seien nur von zwei langjährigen Mitarbeitern durchgeführt worden. Der Kläger habe nur Schutzgasschweißen im MIG- bzw. MAG-Verfahren ausgeführt. Eine strahlenmäßige Belastung im Sinne der optischen Strahlung durch Schutzgasschweißverfahren für Edelstähle (WIG-Verfahren) könne nicht gänzlich ausgeschlossen werden, wenngleich auch nur temporär. Ionisierende Strahlen fänden sich nach der Literatur (Valentin und Kollegen in Arbeitsmedizin, Bd. 2, "Berufskrankheiten" Seite 152) im beruflichen Umfeld nur im Bereich der Medizin (Röntgen- und Nuklearmedizin) sowie im Umgang in kerntechnisch radioaktiven Anlagen. Eine schädigende Wirkung bei der Beschäftigung des Klägers bei der Firma E. i.S.v. ionisierenden Strahlen könne somit nicht festgestellt werden. Gleiches gelte für die Beschäftigung als Schweißer bei der Firma St. Landtechnik.

Nachdem der Kläger behauptet hatte, er habe bei der Firma E. auch das WIG-Schweißverfahren für Edelstahl und für Aluminium-Filtergehäuse von "Purlator" angewandt, hat die Firma E. am 27.3.2006 mitgeteilt, es seien in den Jahren 1973 bis 1976 Edelstahl- und Aluminiumfiltergehäuse für die Firma Purolator geschweißt worden. Sie könne nach 30 Jahren nicht mehr nachvollziehen, welche Schweißverfahren der Kläger angewandt habe. Zwischenzeitlich sei auch der damalige Vorarbeiter der Abteilung Schweißerei verstorben, der vielleicht hätte Auskunft geben können.

In dem zusammen mit Dr. H.-H. erstatteten Gutachten vom 27.3.2006 ist PD Dr. Sch. zum Ergebnis gelangt, als arbeitsbedingte Erkrankungen lägen beim Kläger ein Zustand nach beiderseitiger Keilsektion der Lunge mit der histologisch gesicherten Diagnose: Sidero-Fibrose der Lungen (sog. "Schweißerlunge-Fibrose Grad I"), ungewöhnlich starke Aluminiumspeicherung im Lungengewebe, kein Nachweis von relevanten Lungenfunktionseinschränkungen vor. Als nicht arbeitsbedingte Erkrankungen bestünden ein Zustand nach tiefer anteriorer Rektumresektion im August 2003, ein Zustand nach Rückverlagerung des Anus praeter vor wenigen Monaten, ein Zustand nach zweifacher Poly-Chemotherapie und Radiatio mit deutlich eingeschränkter Leistungsbreite, insbesondere Schmerzsyndrom an beiden Hüftgelenken nach der Radiatio. Eine BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV sei bereits anerkannt. Sowohl bei der ambulanten Untersuchung im Jahr 2004 als auch bei der erneuten Untersuchung am 17.3.2005 hätten sie fachinternistisch-pulmologisch keine Lungenfunktionseinschränkung verifizieren können, die eine MdE in rentenberechtigendem Grade zur Folge gehabt hätte. Aufgrund der Resektion von Lungengewebe und dem histologisch nachgewiesenen Fibrosegrad I schätzten sie die MdE auf unter 20 v.H. Zur BK Nr. 2402 der Anl. 1 der BKV sei auszuführen, nach verschiedenen Studien komme es zu einer Verdoppelungs-Dosis für das Auftreten von Colon-Karzinomen nach einer Einwirkung von etwa 1Sv = 1.000mSv. Die beim Kläger unter worst-case-Bedingungen errechnete Dosis von 8,4µ Sv = 0,0084 mSv trage kaum zu einer Risikoerhöhung bei. Für das Rektumkarzinom, an dem der Kläger erkrankt sei, seien keine signifikant erhöhten Risiken für eine Tumorerkrankung epidemiologisch nachgewiesen. Es liege im Vergleich zu anderen Tumorformen nach Einwirkung ionisierender Strahlung wie dem Brustkarzinom, dem Schilddrüsenkarzinom, dem Harnblasen- und dem Eileiterkarzinom sehr viel niedriger. Das Risiko für ein Rektumkarzinom liege somit nicht höher als das für ein Colonkarzinom. Beim Rektumkarzinom sei mit einem gehäuften Auftreten ab dem 45. Lebensjahr zu rechnen. 70 % der Diagnosen würden im Alter zwischen 50 und 80 Jahren gestellt. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr. 2402 der BKV könnten nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Eine Verursachung des Rektumkarzinoms durch Aluminium-staub sei nach dem derzeitigen arbeitsmedizinischen Wissensstand nicht bekannt. Aluminium sei nicht als bekanntermaßen humankarzerogener Stoff (K1) eingestuft. Die Anerkennung einer BK nach einer Listen-Nr. der BKV erscheine nicht möglich, da die bösartige Neubildung des Darmes dort nicht aufgeführt werde. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Quasi-BK i.S. des § 9 Abs. 2 SGB VII lägen ihres Erachtens nicht vor. Epidemiologische Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen Dickdarm- und Mastdarmkrebs und lebensstilassoziierten Faktoren auf, so zum Fett- und Fleischverzehr. Aufgrund der Häufigkeit des Dickdarm- und Rektumkarzinoms (ca. 20 % aller Krebsarten) lasse sich ein beruflich gesteigertes Krebsrisiko nur schwer ableiten. Auch der Umstand, dass dieser Krebs nicht am Ort der Einwirkung entstanden sei, mache einen Zusammenhang der Enddarmkarzinomerkrankung mit der inhalativen Aufnahme von Aluminiumstäuben nicht hinreichend wahrscheinlich. Die vorliegenden Studien ließen kein erhöhtes Enddarmkarzinomrisiko nach inhalativer Einwirkung von Aluminiumstäuben am Arbeitsplatz erkennen. Neuere Studien, die eine Assoziation mit einer Aluminiumstaubgefährdung am Arbeitsplatz belegten, lägen nicht vor. Ein ursächlicher Zusammenhang des Rektumkarzinoms mit der beruflich gefährdenden Tätigkeit lasse sich beim Kläger nicht feststellen.

Das SG hat den Kläger in den Erörterungsterminen vom 19.9. und 19.12.2006 angehört und eine Auskunft bei dem DVS Verband Schweißtechnische Kursstätte H. vom 30.10.2006 eingeholt sowie Unterlagen aus einem Parallelverfahren S 7 U 953/05 (u.a. Niederschrift vom 31.3.2006) beigezogen.

Im Termin vom 19.9.2006 hat der Kläger die Klagen zurückgenommen, soweit er wegen der BK Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV sowie der Darmerkrankung Verletztenrente beantragt und die Feststellung der Darmerkrankung als Listen-BK begehrt hatte.

Mit Beschluss vom 4.1.2007 hat das SG die BG M. Süd zum Verfahren beigeladen. Die BG M. Nord Süd (Rechtsnachfolgerin der BG M. Süd) hat eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 23.3.2007 vorgelegt und erklärt, zwar könne eine Gefährdung des Klägers durch ionisierende Strahlen nicht ausgeschlossen werden. Es sei jedoch nicht möglich, eine fundierte Stellungnahme über die Belastung zu erstellen. Hierfür wären der genaue Umfang, in dem der Kläger der Umgang mit dem jeweiligen Schweißelektroden gehabt hatte, erforderlich.

Mit Urteil vom 3.6.2008 hat das SG die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen einer BK nach Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV lägen nicht vor. Auch sei deswegen keine Leistung nach § 3 Abs. 2 BKV zu gewähren. Weiter seien die Voraussetzungen einer BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII wegen des Rektumkarzinoms nicht gegeben. Ferner erreichten die auf die BK nach Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV zurückzuführenden Funktionseinschränkungen keine MdE in rentenberechtigendem Grade. Ebenso seien deswegen keine Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV zu gewähren. Nach den schlüssigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. Sch. sprächen nicht deutlich überwiegende Gründe dafür, dass das Rektumkarzinom durch ionisierende Strahlen verursacht worden sei, denen der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Schweißer ausgesetzt gewesen sei. Der Kläger habe längstens bis zur Beendigung seiner Tätigkeit bei der Firma E. im März 1977 mit thoriumhaltigen Elektroden gearbeitet. Das Rektumkarzinom sei erst im Jahre 2003, mithin 25 Jahre nach dem Ende der Tätigkeit bei der Firma E., diagnostiziert worden. Die Diagnose im Alter von 57 Jahren entspreche eher einer alterspezifischen Inzidenz, wie PD Dr. Sch. nachvollziehbar ausführe. 70 % der Diagnosen würden danach im Alter zwischen 50 und 80 Jahren gestellt. Der Kläger habe in diesem Zusammenhang auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV. Wegen des Rektumkarzinoms sei auch keine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII festzustellen. Neue medizinische Erkenntnisse, dass die Tätigkeit des Klägers zu dem Rektumkarzinom geführt habe, seien nicht gegeben. Wegen der Folgen der BK nach Nr. 4106 Anl. 1 zu BKV seien weder eine Rente noch Leistungen nach § 3 BKV zu gewähren. Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. Sch. seien keine Lungenfunktionseinschränkungen zu verifizieren gewesen, die sich auf Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen zurückführen ließen und eine MdE von wenigstens 20 v.H. bedingten. Wegen der Folgen der BK nach Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV sei dem Kläger auch keine Stützrente zu gewähren, da der Kläger einen weiteren Versicherungsfall, der mit einer MdE von 10 v.H. zu berücksichtigen wäre, nicht erlitten habe. Für Leistungen nach § 3 BKV fehle es wegen der arbeitgeberseitigen Kündigung an der hierfür erforderlichen Ursächlichkeit. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 10.7.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.7.2008 Berufung eingelegt.

Nach dem zum 1.1.2011 erfolgten Zusammenschluss der Beklagten und der Beigeladenen wurde der Beiladungsbeschluss des SG - weil nun gegenstandslos - mit Beschluss vom 17.1.2011 aufgehoben.

Der Kläger hat vorgetragen, im Vordergrund stünden die Strahlenbelastung und die Belastung durch Aluminium. Da eine Strahlenbelastung vorgelegen habe und nachweisbar sei, seien die Lungenbefunde und der Darmkrebs ebenfalls aus diesem Gesichtspunkt anzuerkennen und zu entschädigen. Was das Ausmaß der Strahlenbelastung betreffe, kenne der Darmkrebs keine Schwellendosis. Da eine Aluminose und eine Schweißersiderose feststellbar seien, bestehe auch Anspruch auf eine Verletztenrente. Im Übrigen bedinge die Aluminose eine MdE um 20 v.H., weil sie mit einem Ausfall an Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einhergehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts H. vom 3. Juni 2008 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2004 aufzuheben, die Lungen- und Darmkrebserkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anl. 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente und Leistungen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheiten-Verordnung zu gewähren, den Bescheid vom 27. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2004 aufzuheben und das Enddarmkarzinom als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente und Leistungen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheiten-Verordnung zu gewähren, den Bescheid vom 10. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Berufskrankheit nach Nr. 4106 der Anl. 1 zum Berufskrankheiten-Verordnung eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. sowie Leistungen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheiten-Verord-nung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, sie verweise auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil und ihre bisherige Argumentation. Eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und dem eingeholten Gutachten von PD Dr. Sch. erfolge von Klägerseite nicht.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Prof. Dr. N. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser ist im Gutachten nach Aktenlage vom 30.6.2009 zum Ergebnis gelangt, für die beim Kläger vorliegende Lungenerkrankung komme den schädigenden Einwirkungen der beruflichen Tätigkeit als Schweißer/Aluminium-schweißer mit Wahrscheinlichkeit eine überragende Bedeutung zu. Diese sei dem vom Beruf unabhängigen inhalativen Zigarettenrauchen zumindest annähernd gleichwertig. Es liege eine BK nach Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV vor, welche eine mäßig ausgeprägte periphere Obstruktion der kleinen Atemwege bedinge bzw. wesentlich mitbedinge. Diese BK bedinge eine MdE von weniger als 20 %. Die Darmerkrankung sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf schädigende Einwirkungen der beruflichen Tätigkeit als Schweißer/Aluminiumschweißer zurückzuführen. Zwar sei der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen. Das Ausmaß der Exposition habe jedoch nicht geklärt werden können. Insbesondere sei unbekannt, in welcher Höhe er von 1973 bis 1976 beim Schweißen im sog. WIG-Verfahren der Einwirkung von Thoriumoxid ausgesetzt gewesen sei. Eine BK nach Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV könne nicht als gesichert angesehen werden. Bei der Darmerkrankung des Klägers handle es sich um keine Krankheit, die zwar nicht in der Anlage zur BKV bezeichnet sei oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorlägen, für die jedoch nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Anlage zur BKV erfüllt seien. Der Beurteilung in dem Gutachten von PD Dr. Sch. stimme er zu. Eine abweichende Ansicht vertrete er nur insofern, als er eine weitere Abklärung der quantitativen Exposition des Klägers gegenüber ionisierenden Strahlen nicht für aussichtslos halte.

Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der BG M. Nord Süd Roth hat unter dem 13.1.2010 erklärt, bereits in seinen früheren Stellungnahmen habe er sich auf die Betriebsakte der Firma E. und Befragungen früherer Mitarbeiter bezogen. Das Ergebnis - damals wie heute - sei, dass es keinen schriftlichen Beleg gebe, dass im Hause E. thoriumhaltige Elektroden verwendet worden seien. Fakt sei aber, dass thoriumhaltige Elektroden im angefragten Zeitraum handelsüblich gewesen seien. Ob, wann und in welchem Umfang diese jedoch von der Firma E. gegebenenfalls eingesetzt worden seien und ob der Kläger diese dann auch benutzt habe, könne nicht mehr ermittelt werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung seiner Lungen- und Darmerkrankung als BK Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV und auf Gewährung von Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV, auf Feststellung seines Enddarmkarzinoms als Wie-BK sowie auf Gewährung von Verletztenrente und Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV wegen der anerkannten BK 4106 der Anl. 1 zur BKV hat.

Soweit der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente wegen der BK Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV sowie die Gewährung von Verletztenrente und Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV wegen einer Wie-BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII begehrt, hat die Berufung schon deshalb keinen Erfolg, weil eine Entscheidung des SG hierüber nicht vorliegt, der Kläger die diesbezüglichen Klagen im Erörterungstermin vom 19.9.2006 zurückgenommen hat und damit die entsprechenden Verwaltungsentscheidungen insoweit gemäß § 77 SGG bindend geworden sind.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, wobei sie bestimmen kann, dass Krankheiten nur dann BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 2 Satz 2, 1. und 2. Halbsatz SGB VII).

Unter Berücksichtigung dessen müssen bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sein, die ggf. bei einzelnen Erkrankungen der BK-Liste einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "Verrichtung einer versicherten Tätigkeit", "Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt hingegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. u.a. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - in SozR 4-2700 § 9 Nr. 14 und in Juris, Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr.16 und in Juris).

Zu 1: BK Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV

Die BK Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV lautet: "Erkrankung durch ionisierende Strahlen".

Ionisierend bedeutet, dass diese Strahlen aufgrund hohen Energiepotenzials, das ihnen innewohnt, in der Lage sind, Atome, die von ihnen getroffen werden, in einen elektrisch geladenen Zustand zu versetzen. Damit sind ionisierende Strahlen u.a. fähig, Atome und Moleküle in biologischen Zellen oder die "Baupläne" von Organ(ism)en (Erbsubstanz) zu verändern (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. Seite 1179). Gefahrenquellen für die Verursachung dieser BK sind nach dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit vom 13.5.1991, BArbBl, 7-8/72) Röntgenstrahlen, radioaktive Stoffe und andere ionisierende Strahlen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Erkrankung durch ionisierende Strahlen vorliegt, ist zu unterscheiden zwischen nicht-stochastischen und stochastischen Strahleneinwirkungen. Bei den nicht-stochastischen Strahleneinwirkungen muss eine Schwellendosis überschritten werden, damit ein Effekt eintritt. Bei den stochastischen Strahleneinwirkungen wird keine Schwellendosis angenommen (Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2402, Abschnitt III). Stochastische (d.h. zufällige) Schäden entstehen durch Mutation oder Transformation von Zellen. Die Schäden sind zufällig in dem Sinne, dass sie nicht zwangsläufig ab einer bestimmten Strahlendosis auftreten, sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten mit wachsender Strahlendosis zunimmt. Ionisierende Strahlen können sowohl Malignome verursachen (ohne Schwellendosis) als auch das Malignomwachstum beschleunigen (mit Schwellendosis). Hohe Dosen ionisierender Strahlen können im Gegenzug das Malignomwachstum verzögern, das Malignomrisiko herabsetzen oder eliminieren. Als Manifestationszeiten nach Exposition mit ionisierenden Strahlen werden für Leukosen mindestens zwei Jahre und für andere Malignome mindestens 10 Jahre angenommen. Die Verdoppelungsdosen für Tumore bei Erwachsenen liegen im Bereich von 2 Millionen Mikrosievert (= 2 Sievert). Physikalische Faktoren (UV-Strahlung, Radon, andere ionisierende Strahlen) sind nur in ca. 3 % am Krebsgeschehen beteiligt. (Mertens/Brandenburg, Der Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Stand Februar 2010, Anm. 3.2 zu M 2402 m.w.N.).

Vorliegend fehlt es bereits am Nachweis, dass der Kläger bei der Verrichtung seiner versicherten Tätigkeit ionisierenden Strahlen ausgesetzt war. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen von Dr. H. (Stellungnahmen vom 2.3.2004, 3.3.2004, 5.7.2004, 6.6.2005 und 13.6.2005), die sich auch auf Angaben der Arbeitgeberin stützen, war der Kläger bei seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit bei der Firma L. vom 12.2.1979 bis 31.12.1999 keinen ionisierenden Strahlen ausgesetzt. Bei dieser Firma wurde zwar 1994 ein WIG-Schweißgerät zu Versuchszwecken angeschafft; dieses kam in der Fertigung jedoch nicht zum Einsatz. Es wurden lediglich von den Lehrschweißern Herrn Jacobsen und Herrn Markus über einen Zeitraum von einem halben bis einem Jahr Versuche (maximal 20 Stunden) durchgeführt. Danach wurde das Schweißgerät nur noch sehr sporadisch für einzelne Versuche verwendet. Die verschiedenen Arbeitsplätze des Klägers befanden sich zwischen 30 und 60 m von dem Ort entfernt, an dem die Versuche mit dem WIG-Schweißgerät durchgeführt worden. Aber selbst wenn der Kläger - wie er behauptet - ca. eine halbe bis eine Stunde mit dem WIG-Schweißgerät gearbeitet hat, so ist nicht nachgewiesen, dass er ionisierenden Strahlen ausgesetzt war. Denn nach den auf Angaben der Arbeitgeberin beruhenden Feststellungen von Dr. H. hatte die Firma L. keine thorierten Elektroden gekauft bzw. bezogen, so dass solche auch nicht zum Einsatz kamen. Die beim WIG-Schweißen an Stahl zum Einsatz gekommenen grauen und an Aluminium grünen Elektroden enthielten kein Thoriumoxid, so dass eine Belastung durch ionisierende Strahlen bei der Firma L. ausgeschlossen werden kann.

Eine Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen bei der Tätigkeit für die Firma E. ist ebenfalls nicht nachgewiesen. Zwar hat der Kläger angegeben, während seiner Tätigkeit bei dieser Firma auch im WIG-Verfahren geschweißt zu haben. Die Firma E. Präzisionsteile (Auskünfte vom 20.10.2005 und 27.3.2006) konnte jedoch nach über 30 Jahren nicht mehr angeben, welche Elektroden im Beschäftigungszeitraum des Klägers (2.1.1974 - 31.3.1977) verwendet wurden. Nach den Angaben des Seniorchefs wurden überwiegend Stahlkonstruktionen aus Baustahl im MIG- bzw. MAG-Verfahren sowie Edelstahl im WIG-Verfahren geschweißt. An den Edelstahlschweißungen hatten sich nur zwei langjährige Mitarbeiter versucht (Präventionsdienst der BG M. Süd vom 23.1.2006). Damit ist schon nicht nachgewiesen, dass der Kläger mit Schweißarbeiten im WIG-Verfahren betraut war, zumal es sich bei ihm um keinen langjährigen Mitarbeiter der Firma gehandelt hat, sondern um einen, der erst im Januar 1974 - nach einer einjährigen Tätigkeit bei einer anderen Firma in der BRD - zur Firma gekommen und lediglich bis März 1977 geblieben ist. Aber selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger Edelstahl im WIG-Verfahren geschweißt hat, ist nicht nachgewiesen, dass die verwendeten Elektroden überhaupt Thorium enthielten. Unabhängig davon, dass schon nicht nachgewiesen ist, dass der Kläger ionisierenden Strahlen bei seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt war - und wenn ja, in welchem Ausmaß -, ist ein Kausalzusammenhang auch nicht hinreichend wahrscheinlich, wie PD Dr. Sch. im Gutachten vom 27.3.2006 nachvollziehbar ausführt. Beim Rektumkarzinom handelt es sich um ein häufig zu diagnostizierendes Karzinom des Verdauungstraktes, das gehäuft ab dem 45. Lebensjahr auftritt. 70 % der Diagnosen werden im Alter zwischen 50 und 80 Jahren gestellt. Der Kläger selbst war zum Zeitpunkt der Diagnose 57 Jahre alt. Soweit Dr. N. meint, der Hauptverband der gewerblichen B.en sollte ermitteln, mit welchem Anteil seinerzeit thoriumhaltige Elektroden beim WIG-Schweißen verwendet wurden, und ob der Kläger Schweißarbeiten in ungünstiger Körperhaltung verrichtet hatte, verkennt er, dass maßgebend der konkrete Arbeitsplatz des Klägers und die von ihm verwandten Elektroden sind und man nicht als nachgewiesen unterstellen kann, dass der Kläger die üblicherweise verwandten Elektroden benutzt hat. Da der Arbeitsplatz des Klägers nicht mehr existiert und Personen, die Angaben über die verwandten Elektroden und die Körperhaltung des Klägers machen könnten, nach über 30 Jahren nicht vorhanden sind, sieht der Senat auch keine weiteren Aufklärungsmöglichkeiten. Darüber hinaus weist Dr. N. selbst darauf hin, dass der Dickdarm nach der wissenschaftlichen Literatur zwar zu den Zielgebieten der Krebserzeugung durch ionisierende Strahlen gehört, dass dies jedoch eher für Kolonkarzinome gilt, während Rektumkarzinome bezogen auf die Dosis von 1 Sievert keine erhöhte Mortalität erkennen ließen und nur eine geringe Steigerung der Inzidenz. Nach alledem kann eine BK Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV nicht festgestellt werden.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV.

Nach § 3 Abs. 1 BKV haben die Unfallversicherungsträger, wenn für Versicherte die Gefahr besteht, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, dieser Gefahr mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Ist die Gefahr gleichwohl nicht zu beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Den für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Nach Abs. 2 haben Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen. Als Übergangsleistungen wird 1. ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder 2. eine monatlich wiederkehrende Zahlungen bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt. Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit sind nicht zu berücksichtigen.

Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV kommen schon deswegen nicht in Betracht, weil schon nicht ersichtlich ist, dass es sich bei der Tätigkeit bei der Firma E. um eine gefährdende Tätigkeit gehandelt und der Kläger diese deswegen aufgegeben hat. Unabhängig davon hat der Kläger durch Aufgabe dieser Tätigkeit auch keine Minderung seines Verdienstes erlitten, da er bei der Firma L. wesentlich mehr (über das Doppelte) verdient hat (Firma E.: 1976 DM 21.477,- Firma L.: 1980 DM 48.129,-).

Zu 2: Wie-BK

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung des Enddarmkarzinoms als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII.

Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind.

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen. 2. Die Voraussetzungen einer der in Anl. 1 zur BKV bezeichneten Krankheiten dürfen nicht erfüllt sein. 3. Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen; es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein, und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen. 4. Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein. 5. Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein (BSG, Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - in Juris).

Der Kläger war bei seiner Tätigkeit als Schweißer nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Er hat mit dem Enddarmkarzinom eine bestimmte Krankheit genannt, deren Anerkennung als Wie-BK er begehrt. Die Merkmale einer Listen-BK sind nicht erfüllt; insbesondere handelt es sich bei dem Enddarmkarzinom um keine BK Nr. 2402 der Anl. 1 zur BKV, wie oben dargelegt wurde. Der Kläger gehörte einer bestimmten Personengruppe, nämlich den Aluminiumschweißern, an, die durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen, nämlich Aluminium, ausgesetzt sind. Nach dem Stand der Wissenschaft ist jedoch Aluminium bzw. sind Aluminiumsstäube nicht die wesentliche Ursache für das Dickdarm- bzw. Rektumkarzinom. Es ist schon nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen nicht belegt, dass Aluminium Krebs und insbesondere Dickdarm- bzw. Rektumkarzinom verursacht. Bisher konnten weder für Aluminium-Feinstaub noch für Aluminiumoxid-Feinstaub krebserzeugende Wirkungen experimentell oder epidemiologisch gesichert werden, wie PD Dr. Sch. und Dr. N. übereinstimmend dargelegt haben. Aluminium selbst ist nicht als krebserzeugend eingestuft. PD Dr. Sch. hat vielmehr nachvollziehbar dargelegt, dass bösartige Neubildungen etwa 20 % aller Todesfälle pro Jahr in der BRD ausmachen, wobei der Dickdarmkrebs (inklusive Enddarmkrebs = Rektumkrebs) die zweithäufigste Ursache aller Krebstodesfälle ist. Auch die Statistiken anderer Länder Europas und Nordamerikas zeigen, dass der Dickdarmkrebs einer der häufigsten Krebsarten ist, während diese Krankheit in Japan und in den Entwicklungsländern selten ist. Epidemiologische Studien weisen auf einen Zusammenhang mit Lebensstil-assoziierten Faktoren, insbesondere mit dem Fett- und Fleischverzehr, hin. Neuere Studien, die eine Assoziation mit einer Aluminium-Staubgefährdung am Arbeitsplatz belegen, liegen nicht vor. Eine Wie-BK kann angesichts obiger Ausführungen nicht festgestellt werden.

Zu 3: BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente sowie von Übergangsleistungen wegen der anerkannten BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (hier BK Nr. 4106 der Anl. 1 der BKV) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Nach den von PD Dr. Sch. in den Gutachten vom 12.8.2004 und 27.3.2006 wiedergege-benen Befunden liegen beim Kläger keine Lungenfunktionseinschränkungen vor, die auf die anerkannte BK 4106 der Anl. 1 zur BKV zurückzuführen sind. Bei der Lungenfunktionsanalyse konnte keine restriktive Ventilationsstörung nachgewiesen werden, wie sie bei einer klinisch relevanten Fibrose zu erwarten wäre. Eine obstruktive Ventilationsstörung der großen Atemwege und eine Lungenüberblähung lagen ebenfalls nicht vor. Der Sauerstoffpartialdruck in Ruhe und unter leichter Belastung (bis 25 Watt) waren im Rahmen der Spirometrie ebenfalls unauffällig. Die mäßige periphere Obstruktion ist auf den langjährigen Nikotinabusus zurückzuführen. Eine messbare MdE resultiert angesichts dessen aus der anerkannten BK 4106 der Anl. 1 zur BKV nicht.

Der Kläger hat wegen der BK Nr. 4106 der Anl. 1 zur BKV auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass der Versicherte wegen der Gefahr, dass eine BK entsteht, seine Tätigkeit unterlassen hat. Deshalb muss ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang einerseits zwischen der drohenden BK und der Arbeitseinstellung sowie andererseits zwischen dieser Einstellung und der Verdienstminderung oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile bestehen (BSG, Urteil vom 12.1.2010 - B 2 U 33/08 R - in Juris).

Vorliegend hat der Kläger seine Tätigkeit bei der Firma L. nicht wegen einer drohenden BK bzw. der BK 4106 eingestellt, sondern deswegen, weil ihm die Firma - nach seinen Angaben wegen hoher Krankheitszeiten - zum 31.12.1999 gekündigt hat. Die beim Kläger vor der Kündigung vorliegenden Arbeitsunfähigkeitszeiten beruhten jedoch nicht auf der BK 4106 der Anl. 1 zur BKV bzw. der Aluminiumspeicherung, sondern auf zahlreichen Allgemeinerkrankungen (Dorsalgie, BWS-Syndrom HWS-Syndrom, Lumbalgie, Bronchitis, Nikotinabusus, Tendova-ginitis, Gichtanfall, Konjunktivitis, Sinusitis). Deswegen bestand zwischen der BK 4106 der Anl. 1 zur BKV und der Aufgabe der Tätigkeit bei der Firma L. kein ursächlicher Zusammenhang.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung wird deswegen zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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