Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KR 1/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die am 00.00.00 geborene Antragstellerin ist Mitglied der Antragsgegnerin. In der Zeit vom 09.09.2010 bis zum 10.11.2010 befand sich die Antragstellerin stationär in der Schön Klinik S. Dort wurden bei ihr folgende Erkrankungen diagnostiziert:
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Boderline-Typ (ICD-10 F 60.31) Mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F 32.1) Soziale Phobie (ICD-10 F 40.1) Nicht näher benannte Essstörung (ICD-10 F 50.9) Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ-1 Diabetes) (ICD-10 E 10.90)
Zur Affektsabilisierung und Spannungsreduktion begann man dort u.a. mit der Gabe von Aripiprazol (Abilify®) und die Antragstellerin wurde in emotional stabilisierten Zustand entlassen. Empfohlen wurde eine weiterführende ambulante Psychotherapie und kontinuierliche therapeutische Begleitung.
Am 30.11.2010 bat der die Antragstellerin behandelnden Neurologe M. die Antragsgegnerin um Übernahme der Kosten eines "Off-Label-Use" für das Medikament Abilify®. Dieses sei zwar nicht für Persönlichkeitsstörungen zugelassen, doch seien andere Medikationen - auch im Hinblick auf die Komorbidität (Suizidalität, metabolisches Syndrom, Impulskontrollstörung) - fehlgeschlagen. Im Falle des Absetzens des Medikaments sei der Gesundheitszustand der Antragstellerin gefährdet und es würden mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erneute stationäre Maßnahmen erforderlich.
Für die Antragsgegnerin erstellte daraufhin Dr. U. ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. Dieser stellte fest, dass die Behandlung der emotional instablien Persönlichkeitsstörung schwierig sei. Sie orientiere sich an den Symptomen, die medikamentös behandelt werden können. Auch kämen psychotherapeutische Verfahren zur Anwendung, eine spezifisch kausale Therapie gebe es nicht. Es könne aber bei der Antragstellerin bislang nicht davon ausgegangen werden, dass die Standardtherapien ausgeschöpft seien. Die Voraussetzungen für einen off-label-use, und damit für die begehrte Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin seien seien nicht nachgewiesen.
Mit Bescheid vom 16.12.2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Kostenübernahme für das Medikament Abilify® 15 mg ab. Hiergegen legte die Mutter der Antragstellerin am 03.01.2011 Widerspruch bei der Antragsgnerin ein.
Am gleichen Tag hat sie auch beim erkennenden Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie beantragt sinngemäß,
die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Behandlung der Antragstellerin mit dem Arzneimittel Abilify® zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
Das Gericht hat Befundberichte des Neurologen und Psychiaters M., der Schön Klinik S. sowie der Diplom-Psychologin X. angefordert. Am 28.01.2011 hat Dr. U. im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ein Zweitgutachten erstellt.
Am 07.02.2011 hat die Antragsgegnerin schließlich einen Widerspruchsbescheid erlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
II.
Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - auf Antrag - eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt grundsätzlich voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch), und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist dabei allerdings dann eine rein summarische Prüfung verwehrt, wenn es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht. In diesen Fällen ist die Sach- und Rechtslage auch im Rahmen einer einstweiligen Anordnung abschließend zu prüfen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03; Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.10.2008, L 11 KR 4447/08 ER-B). Ist dies nicht abschließend möglich, ist - entsprechend der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts - auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Breith. 2005, 803 ff. m.w.N.). Dabei ist stets die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes zu beachten, die vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin besteht, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dies sind solche Fällen, in denen die Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, a.a.O.; Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1582/02; vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.04.2007, L 28 B 429/07 AS ER).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Es scheitert an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Versicherte in der Gesetzlichen Krankenversicherung haben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Diese Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Fertigarzneimittel (vgl. dazu § 4 Abs. 1 Arzneimittelgestz [AMG]) sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) allerdings dann nicht von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung nach 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 sowie § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.12.2009, L 16 B 37/09 KR ER; Urteil vom 08.10.2009, L 16 KR 60/07; Beschluss vom 13.01.2009 - L 16 KR 218/08; vgl. hierzu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 - Sandoglobulin; Urteil vom 29.09.2006, B 1 KR 14/06 R - Cabaseril). Die Zuassung für Abilify® beschränkt sich auf die Behandlung von Schizophrenie (vgl. Rote Liste Ziffer 71 300). Die Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere der emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ überschreitet damit den Anwendungsbereich und die Zulassung des Medikaments Abilify®. Hiervon gehen - neben dem MDK Nordrhein - auch die behandelnden Ärzte der Antragstellerin aus.
Eine zulassungsüberschreitenden Anwendung der von Abilify® auf Kosten der GKV (sog. "Off-label-use") scheidet aber ebenfalls aus. Ein solcher "Off-label-use" kommt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat eine Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Abzustellen ist dabei auf die bereits im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. Bundesssozialgericht, Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R - Venimmun). Auch wenn es sich bei der bei der Klägerin bestehenden emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ nebst den übrigen Erkrankungen zweifelsohne um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handelt, so kommt die Behandlung der Antragstellerin auf Kosten der Antragsgegnerin nach den Grundsätze des "Off-label-use" dennoch nicht in Betracht. Zum einen ist - wie auch der MDK in seinen Stellungnahmen ausgeführt hat - nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass tatsächlich die möglichen Standardtherapien bei der Klägerin fehlgeschlagen sind. Hierbei verkennt das Gericht nicht, dass sich die Behandlung von emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ als schwierig darstellt und dass hier verschiedene - therapeutische (etwa Gesprächspsychotherapie) und auch medikamentöse - Ansätze zusammen verfolgt werden müssen (vgl. dazu etwa Bohus/Schmal, Psychopathologie und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung, Deutsches Ärzteblatt 2006, abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=53738). Dass hier schon allen konventionellen Methoden kein Erfolg beschieden gewesen sein soll, vermag das Gericht - trotz der eingeholten ärztlichen Stellungnahmen der behandelden Ärzte - nicht zu erkennen. Die Antragstellerin wurde seinerzeit medikamentös mit Aripiprazol (Abilify®) eingestellt und damit wurden durch die damaligen Behandler Fakten geschaffen. Die Tatsache, dass die Antragstellerin unter dieser Medikation weniger bis keine Beschwerden hat ist zweifelsohne auch sehr erfreulich. Allerdings ist nicht hinreichend dargetan, dass zu diesem Zeitpunkt tatsächlich alle anderen möglichen anderen Behandlungsalternativen ausgeschöpft wurden.
Es steht darüber hinaus aber auch noch ein anderer Aspekt der zulassungsüberschreitenden Anwendung entgegen. Es wurden nämlich von den behandelnden Ärzten bislang keine hinreichenden Unterlagen benannt, aufgrund derer davon auszugehen wäre, dass wegen der vorliegenden konkreten Datenlage begründete Aussicht darauf besteht, dass gerade mit dem begehrten Arzneimittel Abilify® ein allgemeiner Behandlungserfolg erzielt werden kann. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht zum "Off-label-use" nämlich nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 [192] - Sandoglobulin). Diese Erkenntnisse sind vorliegend nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Vielmehr erscheint die Datenlage - trotz durchaus vorhandener positiver Ergebnisse - derzeit noch unzureichend. Es gibt zwar durchaus Studien, die den positiven Einfluss sog. atypischer Neuroleptika, unter die auch der Wirkstoff Aripiprazol fällt, zeigen (vgl. hierzu etwa Gerlach/Mehler-Wex/Walitza/Warnke/Wewetzer, Neuro-Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter, 2. Aufl. 2009, S 468; so etwa auch die doppelblinde, placebokontrollierte Studie von Nickel et. al. aus den Jahren 2006, 2007, American Journal of Psychiatry, 2006, 833 ff., an der indes lediglich 52 Probanden teilgenommen hatten, abstract abrufbar unter: http://ajp.psychiatryonline.org/cgi/content/abstract/163/5/833; vgl. dazu Voderholzer/ Hohagen, Therapie psychischer Erkrankungen, 3. Aufl. 2007/2008, S. 328; vgl. aber auch die Studie der Agency for Healthcare Research and Quality, Comparative Effectiveness of Off-Label Use of Atypical Antipsychotics, abrufbar: http://effectivehealthcare.ahrq.gov/repFiles/Atypical Antipsychotics Final Report.pdf).
Gemessen an den obigen Maßstäben ist die Datenlage dennoch unzureichend (vgl. auch Bohus/Schmal, a.a.O.). Das Gericht weist auch darauf hin, dass diese Anforderungen kein Selbstzweck sind. Eine Verwendung von Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs birgt nämlich durchaus Risiken. So wird in umfangreichen Verfahren und Test im Rahmen des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens die Sicherheit und Qualität der Arzneimittel kontrolliert. Es ist damit nicht zuletzt der Schutz der Versicherten vor unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit, die eine Verwendung von Arzneimitteln außerhalb des Zulassungsbereiches nur in engen Grenzen in Betracht kommen lassen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss, vom 17.12.2009, L 16 B 37/09 KR ER; Bundessozialgericht, Urteil vom Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R - Venimmun).
Nach alledem konnte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben. Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass damit zunächst nur über den einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Es ist der Antragstellerin freilich unbenommen ist, gegen den ablehnenden Bescheid in Gestalt des nunmehr ergangenen Widerspruchsbescheides innerhalb der dafür vorgesehen Frist Klage zu erheben, um die Bestandskraft dieses Bescheides zu vermeiden.
Gründe:
I.
Die am 00.00.00 geborene Antragstellerin ist Mitglied der Antragsgegnerin. In der Zeit vom 09.09.2010 bis zum 10.11.2010 befand sich die Antragstellerin stationär in der Schön Klinik S. Dort wurden bei ihr folgende Erkrankungen diagnostiziert:
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Boderline-Typ (ICD-10 F 60.31) Mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F 32.1) Soziale Phobie (ICD-10 F 40.1) Nicht näher benannte Essstörung (ICD-10 F 50.9) Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ-1 Diabetes) (ICD-10 E 10.90)
Zur Affektsabilisierung und Spannungsreduktion begann man dort u.a. mit der Gabe von Aripiprazol (Abilify®) und die Antragstellerin wurde in emotional stabilisierten Zustand entlassen. Empfohlen wurde eine weiterführende ambulante Psychotherapie und kontinuierliche therapeutische Begleitung.
Am 30.11.2010 bat der die Antragstellerin behandelnden Neurologe M. die Antragsgegnerin um Übernahme der Kosten eines "Off-Label-Use" für das Medikament Abilify®. Dieses sei zwar nicht für Persönlichkeitsstörungen zugelassen, doch seien andere Medikationen - auch im Hinblick auf die Komorbidität (Suizidalität, metabolisches Syndrom, Impulskontrollstörung) - fehlgeschlagen. Im Falle des Absetzens des Medikaments sei der Gesundheitszustand der Antragstellerin gefährdet und es würden mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erneute stationäre Maßnahmen erforderlich.
Für die Antragsgegnerin erstellte daraufhin Dr. U. ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. Dieser stellte fest, dass die Behandlung der emotional instablien Persönlichkeitsstörung schwierig sei. Sie orientiere sich an den Symptomen, die medikamentös behandelt werden können. Auch kämen psychotherapeutische Verfahren zur Anwendung, eine spezifisch kausale Therapie gebe es nicht. Es könne aber bei der Antragstellerin bislang nicht davon ausgegangen werden, dass die Standardtherapien ausgeschöpft seien. Die Voraussetzungen für einen off-label-use, und damit für die begehrte Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin seien seien nicht nachgewiesen.
Mit Bescheid vom 16.12.2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Kostenübernahme für das Medikament Abilify® 15 mg ab. Hiergegen legte die Mutter der Antragstellerin am 03.01.2011 Widerspruch bei der Antragsgnerin ein.
Am gleichen Tag hat sie auch beim erkennenden Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie beantragt sinngemäß,
die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Behandlung der Antragstellerin mit dem Arzneimittel Abilify® zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
Das Gericht hat Befundberichte des Neurologen und Psychiaters M., der Schön Klinik S. sowie der Diplom-Psychologin X. angefordert. Am 28.01.2011 hat Dr. U. im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ein Zweitgutachten erstellt.
Am 07.02.2011 hat die Antragsgegnerin schließlich einen Widerspruchsbescheid erlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
II.
Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - auf Antrag - eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt grundsätzlich voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch), und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist dabei allerdings dann eine rein summarische Prüfung verwehrt, wenn es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht. In diesen Fällen ist die Sach- und Rechtslage auch im Rahmen einer einstweiligen Anordnung abschließend zu prüfen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03; Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.10.2008, L 11 KR 4447/08 ER-B). Ist dies nicht abschließend möglich, ist - entsprechend der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts - auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Breith. 2005, 803 ff. m.w.N.). Dabei ist stets die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes zu beachten, die vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin besteht, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dies sind solche Fällen, in denen die Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, a.a.O.; Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1582/02; vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.04.2007, L 28 B 429/07 AS ER).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Es scheitert an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Versicherte in der Gesetzlichen Krankenversicherung haben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Diese Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Fertigarzneimittel (vgl. dazu § 4 Abs. 1 Arzneimittelgestz [AMG]) sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) allerdings dann nicht von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung nach 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 sowie § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.12.2009, L 16 B 37/09 KR ER; Urteil vom 08.10.2009, L 16 KR 60/07; Beschluss vom 13.01.2009 - L 16 KR 218/08; vgl. hierzu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 - Sandoglobulin; Urteil vom 29.09.2006, B 1 KR 14/06 R - Cabaseril). Die Zuassung für Abilify® beschränkt sich auf die Behandlung von Schizophrenie (vgl. Rote Liste Ziffer 71 300). Die Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere der emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ überschreitet damit den Anwendungsbereich und die Zulassung des Medikaments Abilify®. Hiervon gehen - neben dem MDK Nordrhein - auch die behandelnden Ärzte der Antragstellerin aus.
Eine zulassungsüberschreitenden Anwendung der von Abilify® auf Kosten der GKV (sog. "Off-label-use") scheidet aber ebenfalls aus. Ein solcher "Off-label-use" kommt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat eine Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Abzustellen ist dabei auf die bereits im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. Bundesssozialgericht, Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R - Venimmun). Auch wenn es sich bei der bei der Klägerin bestehenden emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ nebst den übrigen Erkrankungen zweifelsohne um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handelt, so kommt die Behandlung der Antragstellerin auf Kosten der Antragsgegnerin nach den Grundsätze des "Off-label-use" dennoch nicht in Betracht. Zum einen ist - wie auch der MDK in seinen Stellungnahmen ausgeführt hat - nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass tatsächlich die möglichen Standardtherapien bei der Klägerin fehlgeschlagen sind. Hierbei verkennt das Gericht nicht, dass sich die Behandlung von emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ als schwierig darstellt und dass hier verschiedene - therapeutische (etwa Gesprächspsychotherapie) und auch medikamentöse - Ansätze zusammen verfolgt werden müssen (vgl. dazu etwa Bohus/Schmal, Psychopathologie und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung, Deutsches Ärzteblatt 2006, abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=53738). Dass hier schon allen konventionellen Methoden kein Erfolg beschieden gewesen sein soll, vermag das Gericht - trotz der eingeholten ärztlichen Stellungnahmen der behandelden Ärzte - nicht zu erkennen. Die Antragstellerin wurde seinerzeit medikamentös mit Aripiprazol (Abilify®) eingestellt und damit wurden durch die damaligen Behandler Fakten geschaffen. Die Tatsache, dass die Antragstellerin unter dieser Medikation weniger bis keine Beschwerden hat ist zweifelsohne auch sehr erfreulich. Allerdings ist nicht hinreichend dargetan, dass zu diesem Zeitpunkt tatsächlich alle anderen möglichen anderen Behandlungsalternativen ausgeschöpft wurden.
Es steht darüber hinaus aber auch noch ein anderer Aspekt der zulassungsüberschreitenden Anwendung entgegen. Es wurden nämlich von den behandelnden Ärzten bislang keine hinreichenden Unterlagen benannt, aufgrund derer davon auszugehen wäre, dass wegen der vorliegenden konkreten Datenlage begründete Aussicht darauf besteht, dass gerade mit dem begehrten Arzneimittel Abilify® ein allgemeiner Behandlungserfolg erzielt werden kann. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht zum "Off-label-use" nämlich nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 [192] - Sandoglobulin). Diese Erkenntnisse sind vorliegend nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Vielmehr erscheint die Datenlage - trotz durchaus vorhandener positiver Ergebnisse - derzeit noch unzureichend. Es gibt zwar durchaus Studien, die den positiven Einfluss sog. atypischer Neuroleptika, unter die auch der Wirkstoff Aripiprazol fällt, zeigen (vgl. hierzu etwa Gerlach/Mehler-Wex/Walitza/Warnke/Wewetzer, Neuro-Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter, 2. Aufl. 2009, S 468; so etwa auch die doppelblinde, placebokontrollierte Studie von Nickel et. al. aus den Jahren 2006, 2007, American Journal of Psychiatry, 2006, 833 ff., an der indes lediglich 52 Probanden teilgenommen hatten, abstract abrufbar unter: http://ajp.psychiatryonline.org/cgi/content/abstract/163/5/833; vgl. dazu Voderholzer/ Hohagen, Therapie psychischer Erkrankungen, 3. Aufl. 2007/2008, S. 328; vgl. aber auch die Studie der Agency for Healthcare Research and Quality, Comparative Effectiveness of Off-Label Use of Atypical Antipsychotics, abrufbar: http://effectivehealthcare.ahrq.gov/repFiles/Atypical Antipsychotics Final Report.pdf).
Gemessen an den obigen Maßstäben ist die Datenlage dennoch unzureichend (vgl. auch Bohus/Schmal, a.a.O.). Das Gericht weist auch darauf hin, dass diese Anforderungen kein Selbstzweck sind. Eine Verwendung von Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs birgt nämlich durchaus Risiken. So wird in umfangreichen Verfahren und Test im Rahmen des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens die Sicherheit und Qualität der Arzneimittel kontrolliert. Es ist damit nicht zuletzt der Schutz der Versicherten vor unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit, die eine Verwendung von Arzneimitteln außerhalb des Zulassungsbereiches nur in engen Grenzen in Betracht kommen lassen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss, vom 17.12.2009, L 16 B 37/09 KR ER; Bundessozialgericht, Urteil vom Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R - Venimmun).
Nach alledem konnte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben. Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass damit zunächst nur über den einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Es ist der Antragstellerin freilich unbenommen ist, gegen den ablehnenden Bescheid in Gestalt des nunmehr ergangenen Widerspruchsbescheides innerhalb der dafür vorgesehen Frist Klage zu erheben, um die Bestandskraft dieses Bescheides zu vermeiden.
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