L 7 AS 941/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 AS 2920/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 941/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eheähnliche Gemeinschaft
Für die Frage, ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, kommt es nicht auf die Bewertung an, die die Betroffenen diesem Begriff beimessen. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen von Hinweistatsachen, aus denen auf ein partnerschaftliches Zusammenleben geschlossen werden kann.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 1. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt H. beigeordnet.



Gründe:


I.

Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Strittig ist insbesondere das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft des Antragstellers mit Frau P.

Der Antragsteller wohnt seit 1985 mit Frau P. zusammen in einer Zweizimmerwohnung. Nach eigenen Angaben wohnt er dort seit 24 Jahren mietfrei. Er bezieht seit 01.01.2005 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung des mietfreien Wohnens.

Zuletzt wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 22.09.2009 Arbeitslosengeld II bis 31.03.2010 bewilligt. Bereits am 20.10.2009 fand ein Hausbesuch in der Wohnung statt. Auf das zugehörige Protokoll auf Seite 112 der Verwaltungsakte wird verwiesen. Die Antragsgegnerin stellte zunächst die Zahlungen ab Dezember 2009 ein. Aufgrund eines Eilverfahrens wurden die bewilligten Leistungen doch ausgezahlt.

Nach dem Fortzahlungsantrag forderte die Antragstellerin sowohl vom Antragsteller als auch direkt von Frau P. Unterlagen zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit an. Die Unterlagen für Frau P. wurden nicht vorgelegt. Mit Bescheid vom 10.05.2010 wurde die Fortzahlung der Leistungen abgelehnt, weil die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen sei. Es sei beim Hausbesuch eindeutig eine Bedarfsgemeinschaft festgestellt worden. Im Eilverfahren S 13 AS 979/10 ER wurden für die Zeit von 13.04.2010 bis 30.06.2010 monatlich 80 % der Regelleistung bewilligt (Beschluss vom 17.05.2010). Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchbescheid vom 20.09.2010) und Klage (Gerichtsbescheid vom 01.12.2010, S 42 AS 2701/10) ist hierzu eine Berufung anhängig (L 7 AS 943/10).

Nach einem erneuten Fortzahlungsantrag vom 24.06.2010 wurde die Leistungsgewährung mit Bescheid vom 23.07.2010 erneut abgelehnt. Die Prüfung der Hilfebedürftigkeit sei nicht möglich, weil Frau P. keine Unterlagen vorlege. Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchbescheid vom 20.09.2010) und Klage (Gerichtsbescheid vom 01.12.2010, S 42 AS 2700/10) ist hierzu eine Berufung anhängig (L 7 AS 942/10).

Am 15.10.2010 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Die Situation habe sich seit dem Beschluss vom 17.05.2010 nicht verändert. Der Bericht zum Hausbesuch enthalte überwiegend Einschätzungen und Vermutungen statt Beschreibungen von Tatsachen. Der Antragsgegnerin sei seit langem bekannt, dass der Antragsteller unentgeltlich bei Frau P. wohne. Letztlich werde die Leistung ausschließlich aufgrund fehlender Mitwirkung von Frau P. verweigert. Das gegen Frau P. eingeleitete Bußgeldverfahren sei nicht abgeschlossen. Das Sozialgericht führte am 17.11.2010 eine nichtöffentliche Sitzung durch, in der der Antragsteller umfangreiche Erklärungen abgab und Frau P als Zeugin vernommen wurde. Auf das zugehörige Protokoll auf Seite 53 der sozialgerichtlichen Akte wird verwiesen. Mit Beschluss vom 01.12.2010 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Der Antragsteller lebe mit Frau P. in einer Bedarfsgemeinschaft. Für das "Wirtschaften aus einem Topf" spreche bereits, nach der Antragsteller seit 25 Jahren mietfrei bei Frau P. wohne. Der gegenseitige Einstandswille ergebe sich bereits aus der Vermutungsregel nach § 7 Abs. 3a SGB II. Der Antragsteller habe mitgeteilt, dass er bis 2003 die Mutter von Frau P. pflegte. Auch Frau P. habe das mietfreie Wohnen bestätigt. Nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten habe mangels Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Frau P. die Hilfebedürftigkeit nicht abschließend geprüft werden können, so dass eine Beweislastentscheidung zulasten des Antragstellers zu treffen sei.

Am 21.12.2010 hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 01.12.2010 eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung wurde auf den Schriftsatz vom 30.11.2010 im Verfahren S 42 AS 2700/10 verwiesen.

Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 01.12.2010 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller ab 15.10.2010 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den weiteren Bewilligungsantrag vom 24.06.2010 , (hilfsweise bis 16.11.2010) Arbeitslosengeld II zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Antragsgegnerin, die Akten des Sozialgerichts und die Akten des Landessozialgerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.

Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass es bei der Beurteilung der Frage, ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, nicht auf die Bewertung ankommt, die die Betroffenen diesem Begriff beimessen. Entscheidend ist vielmehr, wie das Sozialgericht zutreffend darlegt, ob aus äußeren Hinweistatsachen auf einen partnerschaftliche Gemeinschaft geschlossen werden kann, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.

Diese Hinweistatsachen liegen hier zur Überzeugung des Gerichts eindeutig vor. Es ist allein dem späten Termin des Hausbesuchs zuzuschreiben, dass der Antragsteller bisher Leistungen erhalten hat. Der Hausbesuch vom 20.10.2010 hatte ein eindeutiges Ergebnis. Es handelte sich um eine Zweizimmerwohnung. Das angebliche Zimmer des Antragstellers war ausweislich der Einrichtung ein reines Wohnzimmer. Die angebliche Bettdecke für die Couch war noch originalverpackt. Die Einlassung des Antragstellers, er wisse nicht, wie viele Zimmer die Wohnung habe, bedarf nach einer Wohndauer von 25 Jahren keiner Kommentierung. Auch die Behauptung, dass Frau P. noch eine Wohnung habe und "nur zu Besuch komme", war offensichtlich falsch. Der Antragsteller behauptete, dass er das zweite Zimmer mangels eines Schlüssels nicht betreten könne. Da andererseits im Wohnzimmer kein Kleiderschrank war, musste er seine Kleidung in dem angeblich versperrten Zimmer aufbewahren. Da er dies nicht zugeben wollte, erklärte er, er besitze keine Kleidung. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es in der Wohnung keine getrennten Wohnbereiche gab und der Antragsteller nicht über eine Rückzugsmöglichkeit verfügte. Zusammen mit dem jahrzehntelangen unentgeltlichen Wohnen und der gemeinsamen Pflege der Mutter von Frau P. ist von einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen.

Die Antragsgegnerin hat auch alles unternommen, um von Frau P. Auskünfte zu deren Einkommen und Vermögen zu erlangen, insbesondere auch einen Bußgeldbescheid zu einer Auskunftsanforderung nach § 63, § 60 Abs. 4 SGB II erlassen. Da Frau P. im Erörterungstermin vom 17.11.2010 mitteilte, dass sie als Erzieherin täglich mindestens sechs Stunden erwerbstätig ist und Frau P. auch schon bisher die komplette Miete bezahlte, ist davon auszugehen, dass der existenznotwendige Bedarf des Antragstellers gedeckt werden kann. Ansonsten sollte Frau P. ihr Einkommen und Vermögen offenlegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dem Antragsteller war nach § 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil er weder über Vermögen noch über eigenes Einkommen verfügt und die notwendige Erfolgsaussicht - auch in Hinblick auf den Leistungen zusprechenden Beschluss vom 17.05.2010 - nicht von vornherein abzulehnen war.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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