S 24 KN 81/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 24 KN 81/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
1. Das Gericht muss im Verfahren nach § 44 SGB X in eine Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides eintreten, wenn die Behörde bereits selbst in eine neue Sachprüfung eingetreten ist oder eine solche hätte vornehmen müssen, weil bisher nicht berücksich
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 verpflichtet, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 24.8.2007 eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, indem der Monat Februar 1985 als beitragsgeminderte Zeit mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI in der bei Rentenbeginn am 1.10.2005 geltenden Fassung bewertet wird.

II. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Überprüfungsverfahren eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung, indem seine Krankheitszeit im Beitrittsgebiet vom 8.2.1985 bis 25.2.1985 so bewertet wird, als ob dafür Rentenversicherungsbeiträge gezahlt wurden. Der 1952 geborene Kläger bezieht seit 1.10.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung, die mit Bescheid vom 24.8.2007 rückwirkend ab Rentenbeginn neu berechnet wurde. Sein dagegen erhobener Widerspruch, mit dem er u. a. geltend machte, seine Krankheitszeit im Beitrittsgebiet vom 8.2.1985 bis 25.2.1985 dürfe nicht als beitragslose Zeit bewertet werden, weil dies nur für Krankheitszeiten ab 1984 in den alten Bundesländern, nicht aber von 1984 bis 1991 im Beitrittsgebiet gelte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.5.2008 zurückgewiesen. Diese im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung der DDR (SV-Ausweis) eingetragene Krankheitszeit sei korrekt im Versicherungsverlauf gespeichert, da im SV-Ausweis für 1985 keine Arbeitsausfalltage als Summe eingetragen worden seien, so dass § 252a Abs. 2 SGB VI keine Anwendung finde. Die gegen den Widerspruchsbescheid vom 22.5.2008 aus anderen Gründen erhobene Klage wurde später für erledigt erklärt. Mit Schreiben vom 29.1.2009 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers um Sachstandsmitteilung bezüglich seines Widerspruchs wegen der Bewertung der Krankheitszeit vom 8.2.1985 bis 25.2.1985 und wies mit Schreiben vom 12.2.2009 darauf hin, dass darüber seiner Ansicht nach noch nicht entschieden worden sei. Die Beklagte lehnte es daraufhin unter Berufung auf die insoweit eingetretene Bestandskraft des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 mit Bescheid vom 15.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 ab, erneut darüber zu entscheiden, da kein neuer Sachverhalt vorgetragen worden sei. Mit seiner Klage vom 18.1.2010 wendet der Kläger dagegen ein, dass seine Krankheitszeit im Beitrittsgebiet vom 8.2.1985 bis 25.2.1985 deshalb nicht als beitragslose Zeit gespeichert werden dürfe, weil dies gemäß § 74 SGB VI nur für Krankheitszeiten ab 1984 in den alten Bundesländern, nicht aber von 1984 bis 1991 im Beitrittsgebiet gelte. Denn damals habe im Beitrittsgebiet im Gegensatz zu den alten Bundesländern keine Möglichkeit bestanden, während einer solchen Zeit Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen. Werde diese Krankheitszeit als beitragslose Zeit wie in den alten Bundesländern gespeichert, könne sie nachfolgend bei der Rentenberechnung nicht mit dem begrenzten Gesamtleistungswert bewertet werden. Dies habe auch im Bescheid vom 24.8.2007 dazu geführt, dass er für die beitragsgeminderte Zeit im Monat Februar 1985 nur die Entgeltpunkte aus seiner Beschäftigung vom 1.2.1985 bis 7.2.1985 und vom 26.2.1985 bis 28.2.1985 erhalten habe, die niedriger seien als der begrenzte Gesamtleistungswert nach § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI. Die Deutsche Rentenversicherung Bund wende in solchen Fällen § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI nicht an, sondern bewerte diese Krankheitszeiten mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI, weil § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI auf Sachverhalte in den alten Bundesländern zugeschnitten sei, wie sich aus dem Internet-Portal "rvLiteratur" der Deutschen Rentenversicherung Bund (http://rvliteratur.drv-bund.de) ergebe. Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse sich auch die Beklagte hieran halten. Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 15.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 24.8.2007 eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, indem der Monat Februar 1985 als beitragsgeminderte Zeit mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI in der bei Rentenbeginn am 1.10.2005 geltenden Fassung bewertet wird. Die Beklagte beantragt unter Berufung auf die angegriffenen Bescheide, die Klage abzuweisen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 15.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger deshalb (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte den bestandskräftigen Bescheid vom 24.8.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 wegen unrichtiger Rechtsanwendung gemäß § 44 SGB X abändert und ihm eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt, indem der Monat Februar 1985 als beitragsgeminderte Zeit mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI in der bei Rentenbeginn am 1.10.2005 geltenden Fassung bewertet wird.

1. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass über die hier streitige Rechtsfrage mit Bescheid vom 24.8.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 nach Erledigung der dagegen erhobenen Klage entgegen der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in den Schreiben vom 29.1.2009 und 12.2.2009 geäußerten Ansicht bestandskräftig entschieden wurde. Auch trägt der Kläger gegenüber dem damaligen Widerspruchsverfahren, insbesondere hinsichtlich der Bewertung der streitigen Krankheitszeit vom 8.2.1985 bis 25.2.1985, keinen neuen Sachverhalt vor, sondern beruft sich lediglich nochmals auf seine abweichende Rechtsauffassung. Jedoch ist das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.1.2009, spätestens aber dessen Schreiben vom 12.2.2009, angesichts der Bestandskraft des Bescheides vom 24.8.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 als ein Antrag auf Überprüfung dieser Bescheide gemäß § 44 SGB X auszulegen, über den die Beklagte mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 15.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 auch entschieden hat, so dass vorliegend Klagegegenstand die abgelehnte Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides vom 24.8.2007 nach § 44 SGB X ist. Dies folgt daraus, dass die Sozialleistungsträger auf Grund von § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I verpflichtet sind, umfassend zu prüfen, welche Leistungen sie bei dem ihnen unterbreiteten Sachverhalt nach materiellem Recht zu erbringen haben, so dass ein gestellter Antrag grundsätzlich auf alle Ansprüche zu beziehen ist, die nach dem vorgetragenen Lebenssachverhalt sinnvoller Gegenstand des Leistungsbegehrens sein können (BSG, Urt. v. 5.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R -, Juris Rn. 14 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 5). Der Leistungsträger muss einen Antrag daher regelmäßig so auslegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt und notfalls auf eine Klärung des Verfahrensgegenstands durch den Antragsteller hinwirken. Kann deshalb ein gestellter Leistungsantrag nur Erfolg haben, wenn zunächst die Bindungswirkung entgegenstehender Bescheide beseitigt wird, ist dieser Antrag zugleich als Antrag auf Überprüfung dieser zuvor ergangenen Bescheide gemäß § 44 SGB X auszulegen. Denn es ist dann davon auszugehen, dass bei ordnungsgemäßer Beratung jeder verständige Antragsteller von der verwaltungsverfahrensrechtlichen Möglichkeit des § 44 SGB X Gebrauch gemacht hätte, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller eine Überprüfung nach § 44 SGB X gerade nicht gewollt hat. Ein daraufhin ergehender Ablehnungsbescheid ist unter diesen Voraussetzungen deshalb zugleich auch als ablehnende Entscheidung nach § 44 SGB X auszulegen (so ausdrücklich: BSG, Urt. v. 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R -, Juris Rn. 14 bis 17 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 20). Dementsprechend ließen die Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.1.2009 und 12.2.2009 schon nach ihrem Wortlaut erkennen, dass an dem Begehren hinsichtlich der Bewertung der streitigen Krankheitszeit vom 8.2.1985 bis 25.2.1985 festgehalten und dazu eine andere Entscheidung als im Bescheid vom 24.8.2007 erreicht werden sollte. Der Prozessbevollmächtigte hatte damals lediglich verkannt, dass im Widerspruchsbescheid vom 22.5.2008 bereits darüber mit entschieden wurde. Dies war angesichts des insoweit klaren Wortlauts des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 und dem Umstand, dass im damals gegen diesen Widerspruchsbescheid eingeleiteten Klageverfahren eine andere Rechtsfrage streitig war, für die Beklagte auch ohne weiteres ersichtlich. Indem sich die Beklagte daraufhin im hier angegriffenen Bescheid vom 15.4.2009 in Ge¬stalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 auf die Bestandskraft des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 berufen und eine erneute Entscheidung darüber abgelehnt hat, weil der Kläger keinen neuen Sachverhalt vorgetragen habe, hat sie inhaltlich eine ablehnende Entscheidung nach § 44 SGB X erlassen. Denn gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Bescheid gerade auch dann zurückzunehmen, wenn er unanfechtbar (bestandskräftig) geworden ist, falls bei dessen Erlass von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, soweit deshalb Sozialleistungen (hier die Erwerbsminderungsrente) zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Bei dieser ablehnenden Entscheidung nach § 44 SGB X hat die Beklagte jedoch nicht berücksichtigt, dass die Rücknahmepflicht gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht nur dann gilt, wenn von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wurde (was der Kläger hier gar nicht geltend macht), sondern auch dann, wenn bei Erlass des bestandskräftigen Verwaltungsaktes (hier desjenigen vom 24.8.2007) das Recht unrichtig angewandt wurde. Die richtige Rechtsanwendung haben die Behörden (und nachfolgend die Gerichte) jedoch im Rahmen des § 44 SGB X stets umfassend von Amts wegen zu prüfen, gleichgültig, ob neue Tatsachen oder neue rechtliche Gesichtspunkte vorgetragen werden. Denn § 44 SGB X löst nach seinem Sinn und Zweck den Konflikt zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer auf, so dass Behörden und Gerichte unter Geltung des § 44 SGB X trotz erkannter Rechtswidrigkeit nicht "sehenden Auges" unter Berufung auf die Bindungswirkung einen rechtswidrigen Bescheid zu Lasten des Adressaten aufrechterhalten dürfen. Das Recht, unter bloßer Berufung auf die Bindungswirkung eines Bescheides eine erneute umfassende Sachprüfung nach § 44 SGB X abzulehnen (wie dies die Beklagte hier getan hat), können die Behörden (und nachfolgend die Gerichte) deshalb nur dann haben, wenn der Antragsteller behauptet, bei Erlass des bestandskräftigen Bescheides sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden, und der Antragsteller dazu keine neuen, bisher unberücksichtigten Tatsachen vorträgt, die rechtserheblich und auch tatsächlich zutreffend sind, was vor einer Ablehnung unter bloßer Berufung auf die Bindungswirkung eines Bescheides dementsprechend von der Behörde (und nachfolgend dem Gericht) zu prüfen ist (vgl. BSG, Urt. v. 5.9.2006 - B 2 U 24/05 R -, Juris Rn. 12/13 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 18, mit Verweis auf: BSG, Urt. v. 16.5.2001 - B 5 RJ 26/00 R -, Juris Rn. 16 bis 19 = SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG, Urt. v. 3.2.1988 - 9.9a RV 18.86 -, Juris Rn. 17 = SozR 1300 § 44 Nr. 33; BSG, Urt. v. 3.4.2001 - B 4 RA 22/00 R -, SozR 3-2200 § 1265 Nr. 20). Dies muss im Übrigen nach Auffassung des Gerichts bei Berufung des Antragstellers auf einen unrichtigen Sachverhalt angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 20 SGB X) auch dann gelten, wenn unabhängig vom Vortrag des Antragstellers greifbare Anhaltspunkte bestehen, dass rechtserhebliche Tatsachen bisher unberücksichtigt geblieben sind. Im Klageverfahren gegen eine ablehnende Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X muss deshalb vom Gericht immer dann in eine Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides eingetreten werden, wenn die Behörde bei ihrer Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X bereits selbst in eine neue Sachprüfung eingetreten ist oder eine solche hätte vornehmen müssen, weil bisher nicht berücksichtigte rechtserhebliche und zutreffende Tatsachen vorgetragen wurden bzw. solche Tatsachen sonst ersichtlich (greifbar) sind oder wenn (dann aber auch nur soweit) es um die (un-)richtige Rechtsanwendung bei unveränderter Tatsachengrundlage geht (zum Meinungsstand vgl. auch: Steinwedel in KassKomm, Stand Juli 2009, § 44 SGB X Rn. 43; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rn. 38/39). Letzteres ist hier der Fall, weil der Kläger lediglich verlangt, dass die bereits bei Erlass des Bescheides vom 24.8.2007 mittels seines SV-Ausweises nachgewiesene Tatsache, dass im Monat Februar 1985 zwischen den mit Pflichtbeiträgen aus abhängiger Beschäftigung belegten Zeiten vom 1.2.1985 bis 7.2.1985 und 26.2.1985 bis 28.2.1985 eine beitragslose Krankheitszeit vom 8.2.1985 bis 25.2.1985 liegt, rechtlich anders bewertet wird: Statt für den Monat Februar 1985 nur die Entgeltpunkte aus den Pflichtbeiträgen wegen abhängiger Beschäftigung vom 1.2.1985 bis 7.2.1985 und vom 26.2.1985 bis 28.2.1985 anzusetzen, soll der Monat Februar 1985 als beitragsgeminderte Zeit insgesamt mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI in der bei Rentenbeginn am 1.10.2005 geltenden Fassung bewertet werden, was zu mehr Entgeltpunkten für den Monat Februar 1985 und damit im Ergebnis auch zu einer (geringfügig) höheren Rente führt.

2. Dieses Begehren hat Erfolg, weil § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI auf Krankheitszeiten im Beitrittsgebiet vom 1.1.1984 bis 31.12.1991, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, für die aber nach den Gegebenheiten im Beitrittsgebiet keine Rentenversicherungsbeiträge gezahlt werden konnten (wie hier für die Zeit vom 8.2.1985 bis 25.2.1985), keine Anwendung finden kann. Diese Zeiten sind vielmehr wie Anrechnungszeiten wegen Krankheit (insbesondere Arbeitsunfähigkeitszeiten) in den alten Bundesländern, für die Beiträge gezahlt wurden, mindestens mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI in der bei Rentenbeginn geltenden Fassung zu bewerten. § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI bestimmt, dass Kalendermonate dann nicht mit dem (begrenzten) Gesamtleistungswert zu bewerten sind, wenn sie nur deshalb Anrechnungszeiten sind, weil Krankheit nach dem 31.12.1983 vorgelegen hat und nicht Beiträge gezahlt worden sind. Angesichts dieses einschränkungslosen Wortlauts müsste die Vorschrift auch auf Krankheitszeiten im Beitrittsgebiet von 1984 bis 1991, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, angewandt werden. Denn in der ehemaligen DDR wurden während der Arbeitsunfähigkeit zwar auch Sozialleistungen, insbesondere Krankengeld gemäß den §§ 24 ff. der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO-DDR) vom 17.11.1977 (GBl. d. DDR I, S. 373), bezogen. Dafür konnten aber keine Rentenversicherungsbeiträge gezahlt werden, weil während dieser Zeiten keine Beitragspflicht bestand (§ 17 i. V. m. § 3 SVO-DDR). Diese Vorschriften der SVO-DDR sind erst mit Inkrafttreten des SGB VI am 1.1.1992 außer Kraft getreten (vgl. Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 3 Buchst. b des Einigungsvertrages). Ab 1.7.1990 trat lediglich die rentenversicherungspflichtige Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle für sechs Wochen gemäß § 115a des Arbeitsgesetzbuchs der DDR (AGB-DDR) in der ab 1.7.1990 geltenden Fassung (§ 1 des Gesetzes vom 22.6.1990, GBl. d. DDR I S. 371) hinzu. Ansonsten verblieb es bis 31.12.1991 bei der fehlenden Möglichkeit zur Beitragszahlung während der Arbeitsunfähigkeit. Im Gegensatz zur Rechtslage im Beitrittsgebiet bis 31.12.1991 wurden in den alten Bundesländern aufgrund des Gesetzes vom 22.12.1983 (BGBl. I S. 1532) ab 1.1.1984 für Arbeitsunfähigkeitszeiten bei Bezug entsprechender Sozialleistungen (z. B. Krankengeld) grundsätzlich Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. Bei fehlendem Leistungsbezug (d. h. für Nichtversicherte und ohne Anspruch auf Krankengeld Versicherte) bestand während dieser Zeiten die Möglichkeit zur freiwilligen Beitragszahlung (§ 112 AVG, § 1385b RVO und § 130b RKG, jeweils in der ab 1.1.1984 geltenden Fassung). Trotz der Beitragszahlung handelte es sich bei diesen Zeiten bis zum 31.12.1997 aber um Anrechnungszeiten (§ 252 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI), die wegen der gleichzeitigen Beitragszahlung zu beitragsgeminderten Zeiten werden (§ 54 Abs. 3 SGB VI) und deshalb gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI mit dem begrenzten Gesamtleistungswert zu bewerten sind, da für sie wegen der Beitragszahlung § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI nicht gilt. Hatten es mithin die Versicherten in den alten Bundesländern ab 1.1.1984 selbst in der Hand, Arbeitsunfähigkeitszeiten mit Rentenversicherungsbeiträgen zu belegen, falls für sie nicht ohnehin Pflichtbeiträge gezahlt wurden, hatten die Versicherten im Beitrittsgebiet ab dem Stichtag am 1.1.1984, auf den § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI abstellt, bis zum 31.12.1991 keine Möglichkeit derartige Anrechnungszeiten mit Beiträgen zu belegen. Aus diesem Grund wendet die Deutschen Rentenversicherung Bund gemäß ihrem Internet-Portal "rvLiteratur" (http://rvliteratur.drv-bund.de, unter § 74 SGB VI bzw. § 263 SGB VI) auf Arbeitsunfähigkeitszeiten im Beitrittsgebiet vom 1.1.1984 bis 31.12.1991 offensichtlich die Vorschrift des § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI nicht an, weil sie auf Sachverhalte in den alten Bundesländern zugeschnitten sei und dort nicht angewendet werden dürfe, wo die fehlende Beitragsleistung dem Versicherten nicht anzulasten sei. Stattdessen sollen diese Zeiten wie beitragsversicherte Arbeitsunfähigkeitszeiten mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI bewertet werden. Dem schließt sich das Gericht an und legt § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI dementsprechend einschränkend im Sinne einer teleologischen Reduktion aus, weil die Vorschrift hinsichtlich der Besonderheiten im Beitrittsgebiet eine planwidrige Regelungslücke enthält, die entsprechend ausfüllungsbedürftig ist. Die Gesetzesbegründung zum Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.9.1996 (BGBl. I S. 1461), das mit Wirkung ab 1.1.1997 erstmals die Regelung des heutigen § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI eingeführt hatte (damals noch flankiert durch die ab 1.1.1997 geltende Übergangsvorschrift in § 263 Abs. 2a Satz 4 SGB VI, die für Versicherte mit Rentenbeginn vor dem 1.1.2001 eine schrittweise abzuschmelzende Bewertung beitragsloser Anrechnungszeiten vorsah), enthält keinen Hinweis darauf, ob die dargestellte Besonderheit im Beitrittsgebiet berücksichtigt wurde. Vielmehr wird lediglich ausgeführt dass zwecks Begrenzung der Lohnzusatzkosten u. a. Einschränkungen bei Rententeilen erfolgen sollen, die nicht auf adäquaten Beitragszahlungen beruhen, wozu auch Krankheitszeiten ohne öffentlich-rechtlichen Leistungsbezug und damit ohne Beitragszahlung zur Rentenversicherung gehören sollten (BT-Drs. 13/4610, S. 1 und 19 [unter Buchst d]). Allerdings zeigt bereits die Anknüpfung an den Stichtag 1.1.1984, dass der Gesetzgeber nur die seit dem 1.1.1984 in den alten Bundesländern geltende Rechtslage im Blick hatte, wo es die Versicherten - wie ausgeführt - selbst in der Hand hatten, Arbeitsunfähigkeitszeiten mit Rentenversicherungsbeiträgen zu belegen, was im Beitrittsgebiet ab 1.1.1984 aber keine Entsprechung findet. Zudem schließt die Gesetzesbegründung aus dem fehlenden öffentlich-rechtlichen Leistungsbezug (Krankengeld) auf die Beitragslosigkeit, obwohl im Beitrittsgebiet während der Arbeitsunfähigkeit öffentlich-rechtliche Leistungen (Krankengeld) bezogen und trotzdem keine Beiträge gezahlt wurden. Dies spricht dafür, dass hinsichtlich der Krankheitszeiten im Beitrittsgebiet ab 1.1.1984 bis 31.12.1991 eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz existiert. Hinzu kommt, dass die dargestellte Problematik aufgrund der Sonderregelung in § 252a Abs. 2 SGB VI für Anrechnungszeiten insbesondere wegen Krankheit im Beitrittsgebiet häufig nicht auftreten wird. Denn gemäß § 252a Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden für das Beitrittsgebiet anstelle von Anrechnungszeiten insbesondere wegen Krankheit für die Zeit vor dem 1.7.1990 pauschal Anrechnungszeiten für Ausfalltage ermittelt, wenn im SV-Ausweis Arbeitsausfalltage als Summe eingetragen sind. Liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift vor, entstehen Anrechnungszeiten eigener Art, die nicht von den besonderen Regelungen über die begrenzte oder ausgeschlossene Gesamtleistungsbewertung erfasst werden und daher den vollen Gesamtleistungswert erhalten (Polster in KassKomm, Stand Juli 2010, § 252a SGB VI Rn. 32). Die meisten Krankheitszeiten im Beitrittsgebiet ab 1.1.1984 bis zum 30.6.1990 werden deshalb unter diese Regelung fallen, weil etwa ab 1974/1975 im Beitrittsgebiet solche Zeiten zusammen mit den übrigen in § 252a Abs. 2 Satz 1 SGB VI genannten Zeiten üblicherweise nur noch als Summe von Arbeitsaufalltagen im SV-Ausweis eingetragen wurden (vgl. Polster in KassKomm, Stand Juli 2010, § 252a SGB VI Rn. 25). Ist dies jedoch - wie hier beim Kläger - ausnahmsweise nicht der Fall gewesen, wurde also stattdessen lediglich der konkrete Zeitraum der Krankheit eingetragen, findet § 252a Abs. 2 SGB VI keine Anwendung. Es bleibt dann vielmehr bei den allgemeinen Regelungen, wie sie die Beklagte vorliegend angewandt hat (BSG, Urt. v. 18.5.2006 - B 4 RA 40/05 R -, Juris Rn. 22). Gleiches gilt für die Zeit vom 1.7.1990 bis 31.12.1991, sofern keine Lohnfortzahlung nach dem ab 1.7.1991 geltenden § 115a AGB-DDR gewährt wurde. Dies konnte insbesondere der Fall sein, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem 1.7.1990 begonnen hatte (§ 2 des Gesetzes vom 22.6.1990, GBl. d. DDR I S. 371) oder wenn der mögliche Lohnfortzahlungszeitraum nach § 115a AGB-DDR überschritten wurde. Abgesehen davon, dass es angesichts des daraus ersichtlichen Ausnahmecharakters der hier zu beurteilenden Situation nahe liegt, dass der Gesetzgeber Fälle wie den vorliegenden versehentlich unberücksichtigt gelassen hat, wäre es vor allem auch nicht verständlich, wenn Krankheitszeiten im Beitrittsgebiet ab 1.1.1984, die als Summe von Arbeitsaufalltagen im SV-Ausweis eingetragen wurden, mit dem vollen Gesamtleistungswert berücksichtigt werden, während die gleichen Zeiten, falls sie nicht als Summe, sondern nur mit ihrem tatsächlichen Zeitraum eingetragen wurden, überhaupt nicht bewertet werden. Um diesen Wertungswiderspruch zu vermeiden und den bei der Schaffung der Regelung in § 74 Satz 4 Nr. 2 SGB VI vom Gesetzgeber offensichtlich versehentlich nicht berücksichtigten Besonderheiten im Beitrittsgebiet Rechnung zu tragen, hält es das Gericht daher für erforderlich, Anrechnungszeiten im Beitrittsgebiet wegen Krankheit vom 1.1.1984 bis 31.12.1991, für die aufgrund der damaligen Gegebenheiten im Beitrittsgebiet keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet werden konnten, zumindest mit dem begrenzten Gesamtleistungswert gemäß § 263 Abs. 2a Satz 1 SGB VI in der bei Rentenbeginn geltenden Fassung zu bewerten, falls für sie bis 30.6.1990 keine Arbeitsausfalltage als Summe im SV-Ausweis eingetragen wurden und daher für sie § 252a Abs. 2 SGB VI keine Anwendung findet.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Rechtskraft
Aus
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