S 197 AS 9343/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
197
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 197 AS 9343/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 490/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 4. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2009 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 30. Juni 2009 monatlich 90 statt 80 vom Hundert der Regelleistung zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Berücksichtigung von 100 statt 80 vom Hundert der Regelleistung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Leistungszeitraum vom 1. Februar 2009 bis 30. Juni 2009.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2009 gewährte der Beklagte der am ... 1991 geborenen Klägerin, ihrem am ... 1992 geborenen Lebensgefährten M S sowie deren gemeinsamem Kind M M Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 30. Juni 2009 in Höhe von monatlich 699,97 Euro. Der Berechnung legte der Beklagte für die Klägerin sowie für ihren Lebensgefährten eine Regelleistung für erwerbsfähige Hilfebedürftige in Höhe von jeweils 281,- Euro, das sind 80 vom Hundert der Regelleistung für Kinder ab Beginn des 15. Lebensjahrs bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs, zu Grunde.

Hiergegen legte die Klägerin am 26. Februar 2009 (Eingang bei dem Beklagten) Widerspruch ein. Sie habe mit ihrem Partner eine eigene Bedarfsgemeinschaft und daher – ebenso wie dieser – einen Anspruch auf einen Regelsatz von 316,- Euro monatlich. Alternativ habe sie einen Anspruch auf 351,- Euro und ihr Partner nur auf 281,- Euro monatlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. März 2009 wies der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung berief er sich auf die Regelung in § 20 SGB II.

Am 27. März 2009 (Eingang) hat die Klägerin beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der sie ihre Begehren weiter verfolgt. Als sie mir ihrem Kind noch bei ihrer Mutter gewohnt habe, habe sie einen Regelsatz von 351,- Euro erhalten. Jetzt, da sie mit dem auch noch minderjährigen Vater des Kindes zusammen lebe, bekomme sie auf einmal nur noch 281,- Euro, was sie nicht verstehe.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 4. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2009 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 30. Juni 2009 monatlich volle Regelleistung statt 80 vom Hundert der Regelleistung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass die Klägerin mit ihrem Einzug in den Haushalt ihres Partners nicht mehr alleinstehend oder alleinerziehend sei und daher keinen Anspruch auf volle Regelleistung habe. Die Regelleistung betrage 80 vom Hundert, da die Klägerin noch minderjährig sei.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf die Berücksichtigung einer Regelleistung in Höhe von 90 statt 80 vom Hundert. Sie hat jedoch keinen Anspruch auf die Berücksichtigung einer Regelleistung in voller Höhe.

Die Beteiligten streiten ausdrücklich nur um die Höhe der der Berechnung zu Grunde liegenden Regelleistung. Der Streitgegenstand ist auf einen abtrennbaren Regelungsteil der angefochtenen Bescheide beschränkt. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 16. Oktober 2007, Az. B 8/9b SO 2/06 R, auf das auch im Weiteren Bezug genommen wird, ausgeführt, dass die Beteiligten bei einem Rechtsstreit über die Höhe der Grundsicherung (dort im Alter, dasselbe gilt jedoch auch für Arbeitssuchende) die Möglichkeit haben, Teilelemente durch Teilvergleich oder -anerkenntnis (Rn. 21 a. E. m. w. N., zitiert nach Juris) unstreitig zu stellen. Für die Klageerhebung kann nichts anderes gelten, was bedeutet – und das hält die Kammer trotz entgegenstehender Rechtsprechung für zutreffend –, dass die Beteiligten von vornherein nur Teilelemente streitig stellen können. So liegt es im vorliegenden Rechtsstreit, in dem die Beteiligten ausschließlich über die Höhe der für die Klägerin zu berücksichtigenden Regelleistung für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 30. Juni 2009 streiten.

Die Höhe der für die Klägerin zu berücksichtigenden Regelleistung ergibt sich aus § 20 Abs. 3 SGB II analog. Für den vorliegenden Fall weist das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke auf. Da er mit der in § 20 Abs. 3 SGB II geregelten Sachlage vergleichbar ist, ist die analoge Anwendung dieser Norm geboten.

Nach Auslegung von § 20 SGB II besteht eine planwidrige Regelungslücke. Gemäß § 20 Abs. 3 SGB II beträgt die Regelleistung für zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, jeweils 90 vom Hundert der Regelleistung nach Absatz 2. Nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II in Verbindung mit der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2008 beträgt die monatliche Regelleistung für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, 351 Euro. Die Regelleistung für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft beträgt 80 vom Hundert der Regelleistung nach Satz 1, § 20 Abs. 2 S. 2 SGB II. Aus diesem Regelungssystem ist ersichtlich, dass der Sachverhalt, von dem die Klägerin betroffen ist, von § 20 SGB II nicht unmittelbar erfasst wird. Die Klägerin lebte, seinerzeit selbst minderjährig, im streitigen Zeitraum mit einem minderjährigen Partner und dem gemeinsamen Kind in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen. Auf diesen Sachverhalt ist § 20 Abs. 3 SGG nicht unmittelbar anwendbar, der sich nur auf Personen bezieht, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Für minderjährige Partner ist zwar grundsätzlich die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 SGB II einschlägig. Zugleich bestimmt § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II, dass Personen, deren Partner minderjährig ist, volle Regelleistung erhalten. Den vorliegenden Fall einer Bedarfsgemeinschaft zweier Minderjähriger hat der Gesetzgeber hingegen nicht geregelt. Zu dem Regelleistungssystem hat er in der Bundestagsdrucksache 15/1516 vielmehr erläutert, dass bei Abschaffung des Haushaltsvorstands die Regelleistung zweier Angehöriger der Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, nunmehr jeweils 90 vom Hundert, also den rechnerischen Durchschnitt von vormals 100 und 80 vom Hundert beträgt. Nur für "Angehörige", die das 15. Lebensjahr vollendet haben, hat der Gesetzgeber 80 vom Hundert der Regelleistung vorgesehen. Die Klägerin war im streitigen Zeitraum jedoch kein "angehöriges Kind" (das hat der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollen) einer Bedarfsgemeinschaft, sondern selbst Partnerin einer Bedarfsgemeinschaft.

Die Regelungslücke ist durch analoge Anwendung von § 20 Abs. 3 SGB II zu schließen (zur analogen Anwendung von § 20 Abs. 3 SGB II vgl. auch BSG a. a. O.). Diese Regelung enthält eine vergleichbare Interessenlage. Aus der Gesetzessystematik des § 20 SGB II ergibt sich die Wertung, dass die Gesamtleistung zweier Partner einer Bedarfsgemeinschaft insgesamt 180 vom Hundert beträgt (so im Ergebnis auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. April 2010, Az. L 10 AS 1228/09). Zwar ist das Zweite Buch Sozialgesetzbuch auch dadurch geprägt, dass der Leistungsumfang für Personen, die das 18. bzw. 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, geringer ausgestaltet ist. Für die Regelleistung minderjähriger Partner in einer Bedarfsgemeinschaft hat der Gesetzgeber eine Schlechterstellung jedoch nicht beabsichtigt, was auch die Regelung in § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II zeigt, wonach der Partner eines Minderjährigen die volle Regelleistung erhält, damit die Partner der Bedarfsgemeinschaft über eine Gesamtregelleistung von 180 vom Hundert verfügen können. Eine solche Schlechterstellung – das zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem das Paar ein gemeinsames Kind zu versorgen hat – wäre auch nicht gerechtfertigt. Gründe, die vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gebotenen Existenzsicherung durch die Leistungen des SGB II eine Reduzierung der – hypothetischen – Gesamtregelleistung von 180 auf 160 vom Hundert rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

Soweit die Klägerin die volle statt 90 vom Hundert der Regelleistung begehrt, ergibt sich hierfür vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen keine Rechtsgrundlage.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung war zuzulassen, obwohl der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- Euro nicht übersteigt, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 1, 2 SGG. Die Rechtsfrage, in welcher Höhe Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft zweier Minderjähriger Regelleistung beanspruchen können, ist bislang in der Rechtssprechung nicht geklärt. Die Klärung dieser Frage, die nicht nur die Klägerin, sondern alle Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften Minderjähriger betrifft, liegt im allgemeinen Interesse.
Rechtskraft
Aus
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