L 19 AS 43/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AS 3075/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 43/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 26.11.2010 werden zurückgewiesen.

Gründe:

Die Kläger, die in Bedarfsgemeinschaft Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) beziehen, beantragten bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagter) die Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Unterkunft. Dies lehnte Letzterer durch formloses Schreiben vom 09.06.2010 ab, weil der Umzug aufgrund ausreichenden Wohnraums nicht notwendig sei. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte als unzulässig zurück, weil durch die Ablehnung nicht in die Rechte der Kläger eingegriffen worden sei, sondern das Zusicherungsverfahren lediglich den Zweck habe, über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren Entstehung eine Entscheidung herbeizuführen und so für den Hilfebedürftigen das Entstehen einer erneuten Notlage infolge der nur teilweise Übernahme von Kosten zu vermeiden (Widerspruchsbescheid vom 23.06.2010). Gleichzeitig teilte der Beklagte mit, dass das Vorbringen der Kläger die Notwendigkeit des Umzugs begründen könne, wegen der Unangemessenheit der in Aussicht genommenen Wohnung die Zusicherung aber gleichwohl nicht erfolgen könne.

Für die hiergegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) Dortmund Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 26.11.2010 abgelehnt, weil, nachdem die neue Unterkunft, für die die Zusicherung begehrt worden sei, nicht mehr zur Verfügung stehe, den Klägern das erforderliche Feststellungsinteresse für die Fortsetzung des Verfahrens fehle.

Die dagegen gerichteten Beschwerden sind zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil das Klagebegehren nicht die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nach § 73a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) bietet.

Eine solche Erfolgsaussicht kann nicht schon daraus abgeleitet werden, dass der Beklagte den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig behandelt hat. Die Entscheidung des Leistungsträgers über die begehrte Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II erfüllt die Anforderungen an einen Verwaltungsakt (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 22 Rn 83; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 22 Rn 67). Ein solcher ist nach § 31 S. 1 SGB Zehntes Buch (X) jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Hierunter fallen auch Zusicherungen im Sinne des § 34 SGB X (Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl., § 34 Rn 5 m.w.N.). Mit der Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II erkennt der Leistungsträger nicht nur die Berechtigung zum Umzug der Leistungsempfänger an, sondern er wird aufgrund dieser Entscheidung auch verpflichtet, die Kostenübernahme durch einen zukünftigen Leistungsbescheid für die neue Unterkunft in dem ihm angezeigten Umfang zu regeln (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn 69; Piepenstock in jurisPK, 2. Aufl., § 22 Rn 92). Damit stellt die Zusicherung aber eine Regelung mit entsprechender Außenwirkung auf dem Gebiet des öffentlichen Leistungsrechts dar.

Aus der von dem Beklagten in Bezug genommenen Rechtsprechung (u. a. Beschl. des Senats v. 27.08.2009 - L 19 B 217/09 AS; BSG Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R) folgt nichts anderes. Allein der Umstand, dass die Zusicherung nicht Voraussetzung für den Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft im Falle eines notwendigen Umzugs in eine angemessene Wohnung ist (BSG Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 Rn 27) und aus diesem Grund die Verpflichtung des SGB II-Leistungsträgers zur Abgabe der Zusicherung in einstweiligen Rechtsschutz-Verfahren regelmäßig abgelehnt wird, enthebt die Zusicherung nicht ihres Regelungscharakters. Mit ihrer Abgabe wird nämlich das Verhältnis zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger dahin geregelt, dass die tatsächlichen Kosten der neuen Unterkunft angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II und daher den zukünftigen Leistungsbewilligungen zugrunde zu legen sind.

Auch wenn die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig daher rechtswidrig gewesen ist, ist infolge des Umstands, dass jedenfalls bei Vorlage des vollständigen Prozesskostenhilfegesuchs die Wohnung, für die die Zusicherung begehrt worden ist, nicht mehr zur Verfügung stand, eine Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts eingetreten, sodass auch kein Interesse mehr an der ggf. isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides bestehen kann. Es kann daher dahin stehen, ob die Klage in derartigen Fällen unmittelbar auf die materielle Leistung oder nur auf Aufhebung des angefochtenen Widerspruchsbescheides gerichtet werden kann (vgl. dazu Schlegel in Hennig, SGG, § 84 Rn 22).

Für die im Fall der Erledigung des streitigen Verwaltungsaktes allein statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage auf Ausspruch des Gerichts über die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes fehlt den Klägern das berechtigte Interesse im Sinne des § 131 Abs. 1 S. 3 SGG. Dieses kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art sein und wird für den Fall einer Wiederholungsgefahr, eines Rehabilitationsbedürfnisses, der Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs oder bei Präjudizialität des Verfahrens angenommen (BSG Urt. v. 28.08.2007 - B 7/7a AL 16/06 R = SozR 4-1500 § 131 Nr. 3 m.w.N.).

Die Annahme der hier alleine in Betracht kommenden Wiederholungsgefahr setzt die konkret absehbare Möglichkeit voraus, dass innerhalb der nahen Zukunft eine gleiche oder gleichartige Entscheidung oder Maßnahme zu Lasten der Kläger zu erwarten ist (BVerwG Beschl. v. 29.04.2008 - 1 WB 11/07 = Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 31 m.w.N.). Es muss die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr bestehen, dass sich unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Sachverhalt wiederholt oder dass trotz veränderter Verhältnisse zumindest eine auf gleichartigen Erwägungen beruhende Entscheidung zu erwarten ist, weil die Behörde eine entsprechende Absicht zu erkennen gegeben hat (BSG Urt. v. 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 4 Rn 7). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des SG, dass im Hinblick auf die veränderten Verhältnisse, die einem zukünftigen Zusicherungsbegehren nach § 22 Abs. 2 SGB II zugrunde liegen werden, eine solche Wiederholungsgefahr auszuschließen ist. Verweigert der zuständige Leistungsträger zu Unrecht eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II, besteht vielmehr grundsätzlich ein Interesse des Hilfebedürftigen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung (ebenso LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 15.12.2006 - L 5 B 1147/06 AS ER = www.juris.de; einschränkend LSG Berlin-Brandendenburg Urt. v. 11.05.2010 - L 5 AS 1576/09 = www.juris.de; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn 105). Anderenfalls könnte der Leistungsempfänger bei einem Verbleib in seiner bisherigen Wohnung nicht klären lassen, unter welchen Voraussetzungen ein Umzug in eine andere Wohnung ohne leistungsrechtliche Nachteile für ihn möglich ist, oder er trüge bei einem gleichwohl durchgeführten Umzug das Risiko, die Mietdifferenz tragen zu müssen, sofern sich die Entscheidung des Leistungsträgers als zutreffend erweist. Dies gilt insbesondere in Ansehung des Umstands, dass nach der überwiegenden Rechtsprechung des LSG NRW (vgl. z. B. Beschl. v. 27.05.2008 - L 20 B 75/08 AS) eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II nicht im Wege einstweiligen Rechtsschutzes erlangt werden kann. Daher besteht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse regelmäßig nicht nur, soweit der Leistungserbringer den Umzug als solchen als nicht notwendig angesehen hat, sondern auch soweit er die Zusicherung wegen Unangemessenheit der neuen Unterkunft abgelehnt hat (a.A. LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 11.05.2010 a.a.O.; Krauß a.a.O.). Diesbezüglich liegt auch nicht die bloße Klärung von Anspruchselementen vor (a.A. LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 15.12.2006 a.a.O.), sondern es wird vielmehr die Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten in Bezug auf den zustehenden angemessenen Wohnraum einschließlich des Anspruchs auf Erlass zukünftiger Leistungsbescheide auf dieser Grundlage über die Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II geklärt.

Trotz dieser grundsätzlichen Interessenlage fehlt den Klägern hier das erforderliche Feststellungsinteresse. Soweit der Beklagte seine Entscheidung ursprünglich damit begründet hat, dass keine Notwendigkeit eines Wohnungswechsels bestünde, hat er hiervon ausdrücklich Abstand genommen. Auch wenn dieses lediglich durch ein formloses Schreiben geschehen ist, droht den Klägern aufgrund des Ablehnungsbescheides vom 09.06.2010 kein Nachteil. Zum einen stellt ein Ablehnungsbescheid keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar und kann daher einem zukünftigen Zusicherungsbegehren nicht entgegengehalten werden. Zum anderen hat der Beklagte nunmehr schriftlich die Notwendigkeit des Umzugs anerkannt, sodass er unabhängig von der Rechtsqualität dieses Aktes gegen das Verbot eines venire contra factum proprium verstieße, wenn er sich im Falle eines Umzugs der Kläger auf eine gegenteilige Bedarfslage beriefe.

Soweit der Beklagte nunmehr seine Ablehnung der Zusicherung mit der Unangemessen-heit der neuen Wohnung begründet hat, haben die Kläger selbst mit ihrem Beschwerde-vorbringen erklärt, dass sie hinsichtlich dieses Umstandes kein Feststellungsinteresse geltendmachen.

Die Beschwerden sind daher zurückzuweisen.

Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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