L 2 P 87/10 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 P 90/10
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 87/10 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Erscheint eine weitere medizinische Sacchverhaltsaufklärung erforderlich, ist grundsätzlich vom Vorliegen einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit der Klage auszugehen.
2. Bei Streitigkeiten um die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe regelmäßig als erforderlich anzusehen.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts
Landshut vom 2. September 2010 aufgehoben.

II. Dem Beschwerdeführer wird für das Verfahren vor dem
Sozialgericht Landshut (Az.: S 3 P 90/10) Prozesskosten-
hilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Herr Rechtsanwalt
D. B., B-Stadt, beigeordnet.



Gründe:

I.
Streitig ist, ob dem Kläger für das Verfahren vor dem Sozialgericht Landshut Prozesskostenhilfe zu gewähren ist.
Der 1987 geborene Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.), der durch seine Mutter vertreten wird, begehrt im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut die Gewährung von Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Die Beklagte hatte dies mit Bescheid vom 21. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2010 abgelehnt. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) war in Gutachten vom 20. April und 25. Mai 2010 zu dem Ergebnis gelangt, dass im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von lediglich 17 Minuten gegeben sei, so dass die Voraussetzungen für das Vorliegen der Pflegestufe I nicht erfüllt seien.

Einen Antrag vom 11. August 2010 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 2. September 2010 abgelehnt. Da das Verfahren vor den Sozialgerichten gerichtskostenfrei sei, komme eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur für die Kosten der Beiordnung eines Rechtsanwalts in Betracht. Eine Vertretung erscheine vorliegend nicht erforderlich, da die Streitsache weder tatsächlich noch rechtlich schwierig gelagert sei, der Bf. selbst nicht hilflos erscheine und das Gericht etwa notwendige Ermittlungen von Amts wegen anzustellen habe.

Zur Begründung der Beschwerde hat der Bf. vorgebracht, dass zur Vermeidung einer prozessualen Schlechterstellung die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich sei. Es bestehe auch eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage. Er hat hierzu verschiedene ärztliche Unterlagen zu einem bestehenden Autismus, asthmatischen Beschwerden und einer Neurodermitis vorgelegt sowie den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 24. April 2006 übermittelt.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Rechtsstreit keine hinreichende Erfolgs-aussicht habe. Sie hat insbesondere auf die gutachterlichen Äußerungen des MDK verwiesen.

II.

Die am Montag, den 11. Oktober 2010 form- und fristgerecht (§§ 172, 173, 64 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingegangene Beschwerde ist zulässig und begründet.

Nach § 73 a SGG i.V.m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe. Voraussetzungen sind die Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit, des Ausschlusses der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung und eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Ist, wie im sozialgerichtlichen Verfahren, eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Zur Beurteilung der Erfolgsaussicht darf und muss sich das Gericht mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussicht begnügen. Der Erfolg braucht zwar nicht gewiss zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist der geltend gemachte Anspruch noch ungewiss und bedarf er einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, ist dies ausreichend, um eine gewisse Erfolgsaussicht wahrscheinlich erscheinen zu lassen.

Dies ist vorliegend zu bejahen. Zwar verweist die Beklagte zu Recht auf die Feststellungen des MDK, wonach der zeitliche Hilfebedarf in der Grundpflege lediglich 17 Minuten beträgt. Die Voraussetzungen der Pflegestufe I mit mehr als 45 Minuten gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI sind damit nicht erfüllt. Allerdings wendet sich der Bf. gerade gegen diese Einschätzung durch den MDK und legt hierzu auch verschiedene ärztliche Berichte vor. Dem Senat erscheint daher eine weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung erforderlich, so dass vom Vorliegen einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit der Klage auszugehen ist.

Dabei kann die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch nicht daran scheitern, dass eine Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich ist, wie das Sozialgericht dies angenommen hat. Zwar scheidet die zweite Variante des § 121 Abs. 2 ZPO aus, da die Beklagte nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, jedoch ist eine Vertretung des Bf.

erforderlich. Dies beurteilt sich im Einzelfall nach Umfang und Schwierigkeit der Sache und nach den persönlichen Verhältnissen der Partei, insbesondere nach ihrer Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (BVerfG NJW 1997, 2103 f; NJW-RR 2007, 1713 f). Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob ein Bemittelter in einem solchen Fall vernünftigerweise einen Rechtsanwalt beauftragen würde; auch kann die Bedeutung des Rechtsstreits für den Antragsteller mit zu berücksichtigen sein (zum Ganzen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 73 a Rdnr. 9 b).

Die Beklagte wird in dem Verfahren durch rechtskundige und prozesserfahrene Mitarbeiter vertreten. Um eine "Waffengleichheit" im Verfahren herzustellen, wird ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt oder einen erfahrenen Prozessvertreter einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2009, Az. 1 BvR 439/08, in einem Verfahren nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch). Soweit sich das Sozialgericht auf das im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Amtsermittlungsprinzip nach § 103 SGG bezieht, hat das Bundesverfassungsgericht mehrmals darauf hingewiesen, dass ein pauschales Abstellen auf den Amtsermittlungsgrundsatz im sozialgerichtlichen Verfahren gegen das Prinzip der Rechtsschutzgleichheit verstößt. Dies gelte auch dann, wenn ausschließlich oder schwerpunktmäßig tatsächliche Fragen im Streit sind, die möglicherweise durch eine Beweiserhebung im Wege der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens geklärt werden müssen (z.B. BVerfG NZS 2002, 420; NJW-RR 2007, 1713 f). Gerade bei Klageverfahren, die auf Leistungen aus der Pflegeversicherung gerichtet sind, in dem die betroffenen Versicherten unter meist erheblichen Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit und Fähigkeiten leiden und in dem der Rechtsstreit oft von erheblicher Bedeutung für die Finanzierbarkeit von Pflegeleistungen ist, ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe regelmäßig als erforderlich anzusehen.

Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts D. B. war daher zu bewilligen. Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses des Bf., der u.a. Grundsicherungsleistungen bezieht, war eine Ratenzahlung nicht anzuordnen.

Eine Entscheidung zur Tragung der außergerichtlichen Kosten unterbleibt wegen § 73 a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschlusses ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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