L 2 P 97/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 P 87/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 97/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zum Fehlen eines Anordnungsanspruches auf vorläufige Gewärhung eines Vorschusses auf das beantragte Pflegegeld.
2. Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung im einstweiligen Rechtsschutz.
I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. B. wird abgelehnt.

II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 17. November 2010 wird zurückgewiesen.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 17. November 2010, mit dem dieses den Antrag, ihm vorläufig einen angemessenen Vorschuss auf das beantragte Pflegegeld zu bezahlen, zurückgewiesen hat.

Der Antragsteller stellte am 29. März 2010 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung. Mit Bescheid vom 10. Mai 2010 lehnte die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin den Antrag ab, nachdem der Sozialmedizinische Dienst in einem Gutachten vom 3. Mai 2010 den Grundpflegebedarf auf insgesamt 37 Minuten eingeschätzt hatte. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens lehnte der Antragsteller eine erneute Begutachtung durch den Sozialmedizinischen Dienst ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2010 wies sie den Widerspruch zurück. Hiergegen ist eine Klage beim Sozialgericht Regensburg (Az.: S 14 P 89/10) anhängig, das die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Auftrag gegeben hat, dessen Ergebnis noch nicht vorliegt.

Zugleich hat der Antragsteller eine Auszahlung eines angemessenen Vorschusses auf das Pflegegeld beantragt. Es seien die Voraussetzungen mindestens der Pflegestufe I gegeben. Die Behauptung, er habe eine ärztliche Bescheinigung ohne sachliche Gründe verhindert, sei falsch. Er habe sich am 3. Mai 2010 vom medizinischen Dienst untersuchen lassen. Die pflegende Person könne ohne Bewilligung von Pflegegeld die Leistungen zukünftig nicht mehr erbringen. Die Hilfe betrage derzeit ca. 15 Stunden pro Woche.

Im weiteren Verlauf hat der Antragsteller eine von der Antragsgegnerin erneut veranlasste Begutachtung durch die Pflegefachkraft V. abgelehnt.

Mit Beschluss vom 17. November 2010 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen und einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgewiesen. Dem Antragsteller stehe ein Vorschuss im Wege der einstweiligen Anordnung nicht zu. Es habe bislang nicht dargetan werden können, dass die Voraussetzung des § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) vorliegen. Vielmehr habe der Sozialmedizinische Dienst zur Überzeugung des Gerichts nur einen Bedarf von 37 Minuten festgestellt. Eine weitere Begutachtung im Widerspruchsverfahren sei an den Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten gescheitert. Ein solches Gutachten sei jedoch erforderlich, um den aktuellen Grundpflegebedarf festzustellen. Dies könne nicht im summarischen Verfahren der einstweiligen Anordnung festgestellt werden. Aus diesem Grund scheitere auch eine Vorschussgewährung gemäß § 42 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I). Ebenso fehle es an einem Anordnungsgrund.

Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Es sei zwingend geboten, dass im vorliegenden Eilverfahren nicht nur die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens geprüft werden; wenn eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts im Eilverfahren nicht möglich sei, müsse eine umfassende Güter- und Folgenabwägung durchgeführt werden. Finanziell sei ihm die Bezahlung einer Pflegeperson nicht möglich. Auch wenn bislang kein gerichtliches Sachverständigengutachten über die Pflegebedürftigkeit vorliege, bestehe eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzung der Pflegestufe I erfüllt sei. Vor allem falle ein zusätzlicher Hilfebedarf im Bereich der Mobilität an.

Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, dass bereits ein Mangel der begründeten Erfolgsaussicht der Gewährung von Prozesskostenhilfe entgegen stehe. Sie hat ferner beantragt, die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts zurückzuweisen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Der Anspruch auf Gewährung eines angemessenen Vorschusses auf das beantragte Pflegegeld ist nicht gegeben.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei hat das Gericht die Belange der Öffentlichkeit und des Antragstellers abzuwägen. Wenn eine Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden (Bayer. Landessozialgericht, Az.: L 2 B 354/01 U ER).

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sind (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 290 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Die Glaubhaftmachung begnügt sich bei der Ermittlung des Sachverhaltes im Gegensatz zum Vollbeweis mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dagegen dürfen die Anforderungen an die Erkenntnis der Rechtslage, d.h. die Intensität der rechtlichen Prüfung, grundsätzlich nicht herabgestuft werden. Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist das materielle Recht, das vollumfänglich zu prüfen ist. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so verlangt der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz eine Eilentscheidung anhand einer umfassenden Güter- und Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05).

Antragsziel ist eine Zahlung von Vorschüssen. Gemäß § 42 Abs. 1 SGB I kommt die Zahlung von Vorschüssen in Betracht, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist - zumindest im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens - das Bestehen des Anspruchs auf Leistungen nach §§ 14, 15 SGB XI dem Grunde nach nicht festgestellt. Vielmehr sind nach Aktenlage die Voraussetzungen der §§ 14, 15 SGB XI für das Vorliegen zumindest der Pflegestufe I nicht gegeben. Nach dem Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes beträgt der Hilfebedarf in der Grundpflege 37 Minuten und liegt damit noch deutlich unter den von § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI geforderten mindestens 46 Minuten. Eine weitere Begutachtung scheiterte bislang, wobei der Senat offen lassen kann, ob dies der Antragsteller zu vertreten hat.

Ferner widerspräche es aufgrund der vom Antragsteller dargelegten Eilbedürftigkeit, im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ein Gutachten einzuholen oder das Ergebnis des vom Sozialgericht im Klageverfahren in Auftrag gegebenen Gutachtens abzuwarten. Im Übrigen ist im Ergebnis eine Abwägung zwischen den Belangen der Öffentlichkeit, hier an der Nichtleistung von Pflegeleistungen und somit am wirtschaftlichen und sparsamen Umgang mit den Haushaltsmitteln des Sozialversicherungsträgers, und den vor allem finanziellen Belangen des Antragstellers vorzunehmen. Die Abwägung fällt, auch unter Berücksichtigung der möglichen Durchsetzbarkeit von eventuellen Rückforderungsansprüchen gegen den Antragsteller, zu Gunsten der Antragsgegnerin aus. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die finanzielle Lage des Antragstellers angespannt ist, da sich dessen Einkommen auf ein Altersruhegeld und Grundsicherung beschränkt. Damit kann aber bei dem nach dem vorliegenden Gutachten festgestellten Pflegebedarf das Existenzminimum gesichert werden. Im Rahmen der Abwägung ist ferner zu beachten, dass das Sozialgericht bereits ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, so dass das Vorliegen einer weiteren medizinischen Einschätzung zur Klärung der Anspruchsvoraussetzungen zeitlich bevorsteht.

Auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war damit abzulehnen.

Nach § 73 a SGG in Verbindung mit den §§ 114 f ZPO erhält eine Partei Prozesskostenhilfe, wenn die dafür im Einzelnen aufgestellten Voraussetzungen gegeben sind. Im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens kommt im Hinblick auf die Kostenfreiheit gemäß § 183 SGG als Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Wesentlichen nur die vorläufige oder endgültige Übernahme der Kosten der Vertretung durch einen Rechtsanwalt in Betracht.

Voraussetzung ist dabei neben einem Antrag, der Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit und dem Ausschluss der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht durch das Gericht ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Antrag. Damit sind die bislang vom Gericht durchgeführten Ermittlungen zu berücksichtigen.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist dabei im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren getrennt zu bewerten. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bietet bei gebotener summarischer Prüfung (BVerfG vom 20.06. 2006, Az.: 1 BvR 2673/05) aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zur Beurteilung der Erfolgsaussicht darf und muss sich das Gericht mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussicht begnügen. Der Erfolg braucht zwar nicht gewiss zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Dies ist nach der gegenwärtigen Aktenlage zu verneinen.

Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war daher abzulehnen; eine Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 SGG musste ausscheiden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auch im Beschwerdeverfahren nicht erfolgreich war.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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