L 13 AS 396/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 4224/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 396/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kläger (vgl. §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) ist unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Rechtshängigkeit des Eilverfahrens, herbeizuführen ist, von einer - hier nicht glaubhaft gemachten - in die Gegenwart fortwirkenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER-B - veröffentlicht in Juris). Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O. m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor. Der hierauf gerichtete Antrag der Kläger ist allerdings - anders als das SG entschieden hat - nicht bereits unzulässig; denn die Kläger haben mit dem am 26. November 2010 beim SG eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag nicht nur den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, sondern - zumindest sinngemäß - auch (fristgerecht) Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. November 2010 erhoben. Auf Seite 4 dieses Schriftsatzes haben die Kläger "gleichzeitig Antrag in der Hauptsache gestellt" und u. a. beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 24. September 2010 zu gewähren. Nachdem sie auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 26. November 2010 bereits beantragt hatten, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen zu bewilligen und auszuzahlen, können die auf der letzten Seite des Schriftsatzes gestellten Anträge nicht anders verstanden werden, als dass der Widerspruchsbescheid vom 18. November 2010 auch im Wege des Hauptsacheverfahrens, also mit der sozialgerichtlichen Klage angefochten werden sollte.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber unbegründet. Die Kläger haben - auch im Beschwerdeverfahren - nicht glaubhaft gemacht, dass sie über keine ausreichenden Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verfügen und deshalb hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften über die Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. insbesondere §§ 9, 11 und 12 des Sozialgesetzbuchs, Zweites Buch [SGB II]) sind. Die Kläger sind allerdings nicht, wie das SG angenommen hat, deshalb nicht hilfebedürftig, weil sie über zu berücksichtigendes Vermögen im Sinne des § 12 SGB II verfügen. Deshalb kommt es auch auf die vom SG aufgeworfene Frage nach dem Verbleib der am 7. Oktober 2010 an den Schwiegersohn der Kläger getätigten Überweisung in Höhe von 17.000,00 EUR und des am 21. Oktober 2010 in bar abgehobenen Betrages in Höhe von 10.000,00 EUR nicht an. Wie die Beklagte in der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2010 zutreffend ausgeführt hat, ist der den Klägern zugeflossene Kaufpreis für die selbstgenutzte Eigentumswohnung in Höhe von (nach Abzug der im Rahmen der Immobilienfinanzierung noch bestehenden Verbindlichkeiten) 7.575,00 EUR zwar als Vermögen zu werten, das den maßgeblichen Freibetrag (16.200,00 EUR) aber nicht übersteigt.

Die Beklagte hat jedoch die den Klägern am 29. September 2010 zugeflossene und vom ehemaligen Arbeitgeber des Klägers zu 1. aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs gezahlte Abfindung in Höhe von 29.999,00 EUR zu Recht als die Hilfebedürftigkeit der Kläger ausschließendes Einkommen gewertet. Dass Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses als Entlassungsentschädigung - wie hier - während des Leistungsbezugs gezahlt werden, als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu werten sind, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; vgl. nur Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 55/08 R – veröffentlicht in Juris m.w.N.). Angesichts der Höhe der Abfindung kann diese nach Maßgabe des § 2 Abs. 4 Satz 3 der Arbeitslosengeld II-Verordnung auf einen angemessenen Zeitraum aufgeteilt werden und schließt die Hilfebedürftigkeit der Kläger aus. Diese können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie hätten das Einkommen zur Tilgung bestehender Schulden verwendet; es stehe ihnen nun nicht mehr für die Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung. Im Zeitpunkt der Auszahlung des Einkommens offene Schulden sind nicht vom Einkommen abzusetzen; das Einkommen ist zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen (BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291). Entgegen den Ausführungen der Kläger steht letztlich auch die behauptete und durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen glaubhaft gemachte Abtretung der gegen den Arbeitgeber bestehenden Ansprüche der Anrechenbarkeit der zugeflossenen Abfindung nicht entgegen. Die Kläger konnten über die Abfindungszahlung nach deren Eingang auf dem Girokonto uneingeschränkt verfügen. Es handelt sich also nicht um eine Fallgestaltung, bei der zu entscheiden ist, ob eine fiktive, wegen der Abtretung nicht in den Verfügungsbereich des Hilfeempfängers gelangte Zahlung als Einkommen nach § 11 SGB II anzurechnen ist. Dies ist insbesondere dann in Literatur und Rechtsprechung als problematisch angesehen worden, wenn anders als vorliegend, der Drittschuldner direkt an den Zessionar leistet (verneinend u. a. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 3. Februar 2010, L 15 AS 1081/09, bejahend u.a. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 3. Februar 2010, L 12 AS 90/10 B ER, jeweils veröffentlicht in Juris). Können Hilfebedürftige hingegen - wie hier - über zugeflossene Einnahmen uneingeschränkt verfügen, sind diese nach ständiger Rechtsprechung des Senats trotz zuvor zum Zwecke der Schuldentilgung erfolgter Abtretung der Ansprüche in voller Höhe als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 14. März 2011 - L 13 AS 5666/10 ER-B).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG. Weder das Antrags- noch das Beschwerdeverfahren hat Erfolg; zudem hat der Antragsgegner keinen Anlass für das gerichtliche Eilverfahren gegeben, so dass ein Kostenerstattungsanspruch (zum Ermessen vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 193 Rdnr. 12 ff.) unangemessen wäre.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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