L 13 AS 5127/10 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 1065/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 5127/10 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 30. September 2010 (S 3 AS 1065/09) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens L 13 AS 5127/10 NZB unter Beiordnung von Rechtsanwalt Fr., F., wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 30. September 2010 (S 3 AS 1065/09) ist zulässig (vgl. § 145 Abs. 1 SGG), sie ist jedoch nicht begründet; die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Das SG hat mit Urteil vom 30. September 2010 die auf Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 4. Juni 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 10. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2009 gerichtete Klage abgewiesen; das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 7. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. November 2010 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht den in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG genannten Betrag, denn mit den angefochtenen Bescheiden vom 4. Juni 2008 und 10. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2009 hat die Beklagte die Leistungsbewilligungen für die Monate Juni bis August 2007 teilweise bzw. ganz aufgehoben und insoweit einen Betrag von insgesamt 556,58 Euro (241,40 Euro für Juni; 230,85 für Juli und 84,33 Euro für August) zur Erstattung festgesetzt.

Da das SG die Berufung im Urteil nicht zugelassen hat, bedarf eine Berufung der Zulassung durch Beschluss des LSG (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Keine dieser Voraussetzungen liegen hier vor.

Die Klägerin trägt vor, es liege ein Fall der Divergenz zur Entscheidung des BSG vom 9. November 2010 (B 4 AS 37/09 R), wonach das BSG bestätigt habe, dass die wirksame Nachholung der Anhörung ein förmliches Verfahren in dem Sinne voraussetze, dass die beklagte Behörde dem Kläger förmlich und in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen einräume und danach zu erkennen gebe, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am Verwaltungsakt festhalte. Das sei vorliegend nicht erfolgt. Die Entscheidung des SG weiche von dieser Entscheidung des BSG ab. Aus diesem Vorbringen ergibt sich jedoch keine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Eine Divergenz wäre anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. hierzu Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Einen Rechtssatz in diesem Sinn hat das SG in seinem Urteil nicht aufgestellt. Vielmehr ist das SG überhaupt nicht auf die Frage der Anhörung eingegangen; im Schweigen des SG kann insoweit jedoch kein Rechtssatz erkannt werden, der von einem der Rechtsprechung des BSG zu entnehmenden Rechtssatz abweicht.

Auch ist die Berufung nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 121, 132 zur entsprechenden früheren Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (so Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rndr. 28; vgl. dort auch § 160 Rdnr. 6 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Klärungsbedürftige Rechtsfragen in diesem Sinn wirft die Streitsache nicht auf.

Die Klägerin macht geltend, die Frage, ob die Behörde die Möglichkeit habe, einen Bewilligungsbescheid betreffend Grundsicherungsleistungen mehr als ein halbes Jahr, nachdem ihr die entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt seien, zurückzunehmen oder aufzuheben, habe grundsätzliche Bedeutung. Dies stellt keine klärungsbedürftige Frage dar, denn da der Gesetzgeber die Regelungen des SGB X auch für den Rechtskreis des SGB II für anwendbar erklärt hat (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II) und ihm dabei die Auslegung der Vorschriften des SGB X durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung bekannt war, hat er auch entschieden, dass § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X (ggf. in Verbindung mit § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X) mit der dort vorgesehenen einjährigen Handlungsfrist anwendbar ist. Ist die von der Klägerin gestellte Frage bereits von Gesetzes wegen geklärt, handelt es sich nicht um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die grundsätzliche Bedeutung hat.

Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, die vom SG vorgenommene Auslegung des § 40 Abs. 2 SGB II (§ 40 Abs. 2 SGB II sei nur anzuwenden, wenn die Leistungsbewilligung vollständig aufgehoben werde) sei zu eng; die Klärung der Auslegung des § 40 Abs. 2 SGB II habe grundsätzliche Bedeutung. Auch diese von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn seit dem 1. April 2006 ist in § 40 Abs. 2 SGB II (seit 1. April 2011 vgl. § 40 Abs. 4 SGB II) klargestellt, die Beschränkung der Erstattung nach § 40 Abs. 2 "Satz 1 gilt nicht in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 des Zehnten Buches, des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches sowie in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird." Diese Vorschrift galt bereits zum Zeitpunkt der aufgehobenen Leistungsbewilligung im Jahr 2007, wie auch zum Zeitpunkt der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung der Beklagten im Jahr 2008 bzw. 2009. Insoweit ist die von der Klägerin - und vom Prozessbevollmächtigten in verschiedenen Verfahren formelhaft - vorgebrachte Frage nicht mehr klärungsbedürftig; die Klärung von Fragen zu nicht mehr geltendem Recht hat grds. keine grundsätzliche Bedeutung.

Auch soweit die Klägerin einen Anhörungsmangel vorträgt (dazu siehe bereits zuvor), handelt es sich nicht mehr um eine klärungsbedürftige Frage, denn das BSG hat diese Frage auch mit der vom der Klägerin zitierten Entscheidung - geklärt.

Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen haben keine grundsätzliche Bedeutung; es handelt sich vielmehr um Rügen der (aus ihrer Sicht) materiellen Unrichtigkeit des Urteils des SG; hierauf kann die Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht (mit Erfolg) gestützt werden.

Verfahrensfehler im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG hat die Klägerin nicht vorgebracht und liegen - soweit Verfahrensfehler von Amts wegen zu beachten wären - nicht vor.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Das angefochtene Urteil des SG wird hiermit rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).

Da die Beschwerde der Klägerin zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Gesuchs um Bewilligung von Prozesskostenhilfe (dazu vgl. den Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Februar 2009 - L 13 AS 4995/08 PKH-B sowie BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 - beide veröffentlicht in juris) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO hatte (dazu siehe zuvor), war auch dieser Antrag abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
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