L 4 P 5283/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 P 2745/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 5283/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 08. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I.

Die am 1938 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Sie leidet unter Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Osteoporose, Gefühllosigkeit in den Händen und ist sturzgefährdet (ihre eigenen Angaben im Pflegebogen zur Vorlage beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung - MDK - vom 10. Oktober 2007).

Am 27. September 2007 beantragte sie bei der beklagten Pflegekasse die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld. Pflegefachkraft M. vom MDK untersuchte die Klägerin daraufhin am 12. November 2007 und erstattete das Gutachten vom 13. November 2007. Er führte aus, pflegebegründende Diagnosen seien Osteoporose (anamnestisch), Diabetes mellitus mit (anamnestisch) Pelzigkeitsgefühl der Finger und Adipositas. Insgesamt betrage der Pflegebedarf in der Grundpflege tagesdurchschnittlich 33 Minuten. Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege bestehe tagesdurchschnittlich im Umfang von 19 Minuten, und zwar sechsmal wöchentlich als Teilübernahme und Unterstützung bei der Ganzkörperwäsche mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von zwölf Minuten, einmal wöchentlich als Teilübernahme und Unterstützung beim Baden mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von drei Minuten sowie zweimal täglich als Teilübernahme und Unterstützung beim Kämmen mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von einer Minute. Bei der Darm- und Blasenentleerung bestehe Hilfebedarf nur für das Richten der Bekleidung in Form der Unterstützung siebenmal täglich mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von drei Minuten. Die Klägerin habe berichtet, sie hätte Probleme beim Festhalten eines Waschlappens. Dies sei für ihn nicht so richtig nachvollziehbar. Während der Begutachtung habe sie eine Tasse zum Mund führen und daraus trinken können. Die Klägerin putze ihr Gesäß selbst mit feuchten Tüchern, weshalb solle sie ihr Gesicht, ihre Hände sowie die Vorderseite des Oberkörpers nicht selbst waschen können? Die Klägerin putze sich auch ihre Zähne selbst. Bei der Ernährung bestehe ein tagesdurchschnittlicher Zeitaufwand von zwei Minuten für die volle Übernahme der mundgerechten Zubereitung der Nahrung einmal täglich (Fleisch schneiden). Ansonsten erfolgten Nahrungsaufnahme und Eingießen von Getränken selbstständig. Bei der Mobilität bestehe ein Zeitbedarf von zwölf Minuten tagesdurchschnittlich, und zwar zwei Minuten Unterstützung tagesdurchschnittlich beim Aufstehen und Zubettgehen (viermal täglich), einmal täglich Teilübernahme und Unterstützung beim Ankleiden des gesamten Körpers mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitbedarf von sechs Minuten sowie einmal täglich beim Entkleiden des gesamten Körpers mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitbedarf von drei Minuten und einmal wöchentlich beim Stehen/Transfer in Form der Teilübernahme, Beaufsichtigung und Unterstützung mit einer Minute tagesdurchschnittlich. Regelmäßiger nächtlicher Grundpflegebedarf bestehe nicht. Die Angaben der Klägerin zum Hilfebedarf seien zum großen Teil nicht recht nachvollziehbar. Diese sei vielmehr durchaus in der Lage, mehr in der Grundpflege zu tun.

Mit Bescheid vom 15. November 2007 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab. Entscheidend für die Pflegeleistungen sei, wie oft und wie lange die Klägerin in den verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens Unterstützung brauche. Der Zeitaufwand für die pflegerische Hilfe (Körperpflege, Beweglichkeit, Ernährung) müsse täglich mehr als 45 Minuten betragen. Der MDK könne diesen erheblichen Hilfebedarf z. Z. nicht feststellen.

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 26. November 2007, bei der Beklagten am 27. November 2007 eingegangen, Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Telefonisch begründete sie diesen damit, sie brauche in allen Bereichen Hilfe. Ihr Mann müsse den ganzen Tag wegen erheblicher Sturzgefahr um sie sein.

Die Beklagte ersuchte erneut den MDK um eine Begutachtung der Klägerin. Ärztin Dr. S. untersuchte die Klägerin am 10. Januar 2008 und erstattete am 14. Januar 2008 ihr Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien ein Verdacht auf diabetische Polyneuropathie bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus, Hypertonie, Wirbelsäulenschmerzen und Übergewichtigkeit. Hilfebedarf bestehe im Bereich der Körperpflege im Umfang von tagesdurchschnittlich neun Minuten. Die Klägerin benötige Teilübernahme bei der Teilwäsche des Ober- und des Unterkörpers jeweils einmal täglich mit einem Zeitaufwand von je drei Minuten tagesdurchschnittlich, beim Baden Teilübernahme und Unterstützung einmal wöchentlich mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von zwei Minuten, beim Kämmen Teilübernahme zweimal täglich mit einem tagesdurchschnittlichen Zeitaufwand von einer Minute. Sie könne sich nicht alleine den Rücken waschen und habe Probleme beim Bücken zum Waschen der Füße. Beim Baden erfolge ebenso eine Rückenwaschung. Gekämmt werde sie im hinteren Kopfbereich, im vorderen Bereich könne sie sich selbst kämmen. Sie gehe selbstständig zur Toilette und könne auch bei einer passenden Hose sich diese alleine hochziehen. Ihre Einlagen wechsle sie auch selbstständig und putze sich auch selbstständig das Gesäß. Pflegebedarf bei der Ernährung bestehe nicht. Bei der Mobilität bestehe ein tagesdurchschnittlicher Zeitaufwand in Höhe von zwei Minuten, da sie einmal täglich Unterstützung beim Ankleiden des gesamten Körpers benötige. Sie könne zwar alleine die Hose und den Pullover an- und ausziehen, erhalte jedoch öfters etwas Hilfe z. B. zum Anziehen der Strümpfe und dem An- und Ausziehen des Büstenhalters. Zwar erhalte sie etwas Hilfe beim Aufstehen von der Couch, sie könne dies aber auch alleine. Vom WC stehe sie auch alleine auf. Insgesamt errechne sich ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von elf Minuten tagesdurchschnittlich. Die Angaben der Klägerin seien in keiner Weise nachvollziehbar. So habe diese z.B. angegeben, sie benötige immer Hilfe beim "Trinken geben." Sie habe aber ihre Milch alleine getrunken. Der Ehemann helfe ihr teilweise, weil ihr manche Dinge schwerfielen. Sie sei aber medizinisch nicht auf diese Hilfe angewiesen. Dass die Klägerin Gefühlsstörungen in den Händen habe, sei bei dem sehr schlecht eingestellten Diabetes nachvollziehbar. Das heiße aber nicht, dass sie selbst nicht in der Lage sei, ihre Hände zu benutzen und es heiße auch nicht, dass sie diesbezüglich auf Hilfe angewiesen sei, ihre Hände nicht gebrauchen könne und Pflege benötige. Die Klägerin könne ihre Hände einsetzen, wenn sie wolle.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03. Juli 2008 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Der tägliche Hilfebedarf in der Grundpflege sei lediglich auf durchschnittlich 33 bzw. elf Minuten täglich festgestellt worden. Ein für die Pflegestufe I erforderlicher Zeitaufwand von mehr als 45 Minuten im Bereich der Grundpflege sei nicht nachvollziehbar. Eine pflegerelevante Sturzgefahr sei nicht bestätigt worden. Der MDK habe festgestellt, dass die Klägerin sich in der Wohnung ohne fremde Hilfe frei bewegen könne.

Am 31. Juli 2008 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie stützte sich zur Begründung vor allem auf die bestehende Sturzgefahr, legte einen Ausdruck der Behandlungsdaten ihres Hausarztes Arzt für Allgemeinmedizin Dr. G. vor sowie die Kopie eines Bescheides des Landratsamtes F. (Sozialamt) vom 05. Februar 2009, wonach bei ihr ein Grad der Behinderung von 90 seit 12. Juli 2008 nebst Merkzeichen "G" und "B" festgestellt wurde, nicht hingegen jedoch Merkzeichen "aG". Schließlich legte die Klägerin kommentarlos verschiedene ärztliche Befundberichte und ärztliche Bescheinigungen aus der Zeit bis 1994 vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG befragte zunächst Arzt für Allgemeinmedizin Dr. G. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser berichtete unter dem 09. Dezember 2008 über zwei Kurzkontakte zur Rezeptabholung am 04. Dezember 2007 und 20. Juni 2008 sowie die Ersteinschreibung in das Diabetes mellitus Disease-Management-Programm der AOK Baden-Württemberg am 13. August 2008. An diesem Tag hätten keine Sensibilitätsstörungen und keine Durchblutungsstörungen bestanden. Bei Polyarthrose der Fingergelenke hätten feine Fingerbewegungen nicht mehr ausgeführt werden können, die Klägerin müsse sich bei vielen Verrichtungen vom Ehemann helfen lassen. Der Aufforderung, sich häufiger in der Praxis zur Befundkontrolle vorzustellen, sei die Klägerin nicht nachgekommen. Als Grund habe sie u.a. schlechte Transportmöglichkeiten von ihrem Wohnort zur Praxis angegeben. Auf die Frage, ob die Klägerin ihm von Sturzereignissen unklarer Ursache berichtet habe, teilte Dr. G. mit, beim Telefongespräch am 05. Mai 2008 habe die Klägerin über einen Sturz in der vorangegangenen Woche berichtet. Sie habe deshalb nicht in die Praxis kommen können. Weitere Angaben seien nicht gemacht worden, eine spezielle Behandlung sei nicht angefordert worden.

Im Anschluss beauftragte das SG die Pflegefachkraft und Pflegedienstleitung B. F. mit der Erstattung eines Gutachtens. Die Sachverständige suchte die Klägerin am 06. März 2009 zuhause auf und schätzte in ihrem Gutachten vom 16. März 2009 einen Gesamtpflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 15 Minuten pro Tag. Im Bereich der Körperpflege sei Teilübernahme bei der Ganzkörperpflege mit einem Zeitbedarf von sechs Minuten einmal täglich notwendig. Die Klägerin sei geistig und körperlich in der Lage, den größten Teil der Körperpflege selbstständig durchzuführen. Sie könne sich das Gesicht, die Hände und Arme, den Oberkörper vorne, den Intimbereich und die Beine selbstständig waschen. Sie brauche Hilfe beim Waschen des Rückens und der Füße. Im Bereich der Ernährung benötige die Klägerin einmal täglich Hilfe in Form der Teilübernahme mit einem Zeitaufwand von einer Minute, und zwar beim Kleinschneiden von Fleisch sowie beim erstmaligen Öffnen von Flaschen. Bei der Mobilität bestehe Hilfebedarf in Form einfacher Hilfe beim Aufstehen einmal täglich morgens mit einer Minute (Teilübernahme) sowie beim Ankleiden einmal täglich mit einem Zeitbedarf von drei Minuten (Teilübernahme). Die Klägerin trage bequeme Tageskleidung, Hosen mit Gummizug und in der Regel Oberteile oben ohne Knöpfe. Sie brauche Hilfe beim Anziehen der Socken, der Unterhose und der Hose, bis diese ungefähr auf Kniehöhe seien, und teilweise Hilfe beim Zumachen kleiner Knöpfe. Beim Entkleiden benötige die Klägerin Hilfe in Form der Teilübernahme mit einem Zeitbedarf von einer Minute einmal täglich, und zwar beim Ausziehen der Socken. Weite Socken könne sie, wie am Gutachtenstag gezeigt, auch selbstständig ausziehen. Außerdem benötige sie teilweise Hilfe beim Aufmachen kleiner Knöpfe. Nachts benötige die Klägerin Hilfe in Form der Teilübernahme beim Aufstehen zum Toilettengang und zwar mit einem Zeitbedarf von insgesamt dreimal einer Minute pro Nacht. Der von der Klägerin gewünschte Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf, den sie mit ihrer Angst vor möglichen Stürzen begründe, sei laut den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI - (Begutachtungs-Richtlinien) nicht pflege- oder einstufungsrelevant. Die Klägerin sei den Bitten, einzelne Verrichtungen im Bereich der Grundpflege durchzuführen, teilweise bereitwillig nachgekommen und habe z. B. gezeigt, wie sie sich die Zähne putzen oder die Haare kämmen könne. Erstaunlicherweise habe sie dann wieder auf dem Sofa sitzend berichtet, dass sie nichts mehr alleine machen könne und ihr Mann alles für sie machen müsse. Insgesamt sei aufgefallen, dass die Klägerin deutlich mehr Tätigkeiten aus dem Bereich der Grundpflege selbstständig durchführen könne als sie am Gutachtenstag versucht habe darzustellen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung durch das SG einverstanden, und zwar die Klägerin im Wege einer telefonischen, die Beklagte im Wege einer schriftlichen Erklärung.

Mit Urteil vom 08. Oktober 2009 wies das SG ohne mündliche Verhandlung die Klage ab. Hierbei stützte es sich auf den Inhalt der eingeholten Gutachten. Es werde nicht verkannt, dass der Ehemann zum Teil eine weitergehende Hilfe gebe, als von den Gutachtern berücksichtigt. Es handle sich jedoch um Hilfestellungen, die nicht zwingend erforderlich seien. Dies habe sich die Sachverständige umfassend demonstrieren lassen. Auch habe der sachverständige Zeuge Dr. G. nicht bestätigen können, dass die Sturzereignisse in einer großen Häufigkeit aufträten. Allgemeine Beaufsichtigungsleistungen könnten nicht berücksichtigt werden, maßgeblich seien allein die ausdrücklich in § 14 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) erwähnten Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2009, eingegangen beim SG am 27. Oktober 2009, hat die Klägerin Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass sie der Pflegestufe I zuzuordnen sei. Die erstatteten Gutachten und das angefochtene Urteil könne sie unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehen. Sie sei am 16. Oktober 2009 und am 31. August 2010 erneut gestürzt und habe jeweils die Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes benötigt, das sie wieder ins Bett gehoben habe. Hierzu verweist sie auf Bestätigungen des DRK vom 27. Oktober 2009 und 08. September 2010. Außerdem habe sie zwischenzeitlich für den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen (vorgelegten) Vertrag über pflegerische Leistungen mit der Diakonie-Station F. abgeschlossen. Deren (vorgelegte) Rechnung vom 09. August 2010 weist für den 29. Juli 2010 aus: Waschen, Bügeln, Putzen und Wegepauschale.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Reutlingen vom 08. Oktober 2009 sowie des Bescheids der Beklagten vom 15. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Juli 2008 zu verurteilen, ihr ab dem 27. September 2007 Pflegegeld nach Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat in der Sache nichts Weiteres vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, kann in der Sache keinen Erfolg haben. Das angefochtene Urteil des SG vom 08. Oktober 2009 ist nicht zu beanstanden. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 15. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Juli 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab dem 27. September 2007. Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Pflegebedürftige können anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen, § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht - BSG - SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinien zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungsrichtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, veröffentlicht in juris).

Der mithin für einen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I vorausgesetzte Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von täglich mehr als 45 Minuten ist bisher für die Klägerin zu keinem Zeitpunkt regelmäßig erreicht worden. Dies steht fest aufgrund des Gesamtergebnisses der medizinischen Ermittlungen, zunächst durch die Beklagte und dann auch durch das SG. Im Berufungsverfahren haben sich keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Gutachten des MDK (Pflegefachkraft M. und Dr. S.) sowie der gerichtlichen Sachverständigen Pflegefachkraft F. im SG-Verfahren ergeben. Pflegerelevant sind insbesondere die Gefühlsstörungen der Klägerin in den Händen und die Einschränkungen, feine Fingerbewegungen auszuführen, resultierend aus der Polyarthrose der Fingergelenke bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus. Die hieraus resultierenden Einschränkungen sind zutreffend berücksichtigt worden, so zuletzt durch die Sachverständige F ... Die Klägerin benötigt insbesondere Hilfe beim Waschen bestimmter Teile des Körpers (Rücken und Füße). Beim Kämmen benötigt die Klägerin Hilfe im Bereich des Hinterkopfes. Weiter benötigt sie etwas Hilfe beim Kleinschneiden von Fleisch und beim erstmaligen Öffnen von Flaschen sowie beim An- und Ausziehen bestimmter Kleidungsstücke (Socken, kleine Knöpfe u. dgl.). Medizinische Befunde, die einen weitergehenden Hilfebedarf bei der Körperpflege, Ernährung oder Mobilität begründen könnten, haben nicht erhoben werden können. Die erhaltenen Ressourcen der Klägerin zeigen sich auch daran, dass sie etwa der Sachverständigen F. das selbstständige Zähneputzen und Haarekämmen demonstrieren konnte oder auch im Gespräch mit dem MDK-Gutachter M. eine Tasse zum Mund führen und daraus trinken konnte. Auch hat die Klägerin selbst angegeben, ihr Gesäß selbst mit feuchten Tüchern putzen zu können. Sie steht auch selbst vom WC auf. Auch hieraus wird deutlich, dass weitergehende Einschränkungen nicht bestehen.

Zusätzlicher, bisher nicht berücksichtigter Hilfebedarf folgt auch nicht aus der von der Klägerin in den Vordergrund gerückten Sturzgefahr. Voraussetzung für die Annahme der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI ist nämlich ein auf Dauer bestehender Pflegebedarf für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, wie sie in § 14 Abs. 4 SGB XI im Einzelnen für die Bereiche der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung benannt sind. Nicht verrichtungsbezogener Aufsichtsbedarf ("allgemeiner Aufsichts- und Betreuungsbedarf") muss daher bei der Ermittlung des Pflegebedarfs außer Ansatz bleiben (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8). Unberücksichtigt bleibt in jedem Fall die örtliche Bindung von Pflegepersonen in der Nähe des Betroffenen, um jederzeit eingreifen zu können ("prophylaktische Anwesenheit"). Bereits aus diesem Grund kann die von der Klägerin als notwendig empfundene Anwesenheit des Ehemannes, um bei etwaigen Stürzen eingreifen zu können, nicht als Pflegeverrichtung bei der Bemessung des erforderlichen Zeitaufwands pflegerelevant berücksichtigt werden. Zudem fehlt es an der Regelmäßigkeit des Hilfebedarfs. Es ist nämlich eine permanente Sturzgefahr, die eine ständige Anwesenheit einer anderen Person zur Vermeidung von Stürzen erforderlich machen würde, gerade nicht ersichtlich. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren eine Bestätigung des Deutschen Roten Kreuzes vorgelegt, die von zwei Sturzereignissen vom 16. Oktober 2009 und 31. August 2010 berichten. Gegenüber ihrem Hausarzt Dr. G. hatte sie am 05. Mai 2008 telefonisch über einen Sturz in der Woche davor berichtet. Weitere Angaben zu Stürzen hatte die Klägerin ihm gegenüber nicht gemacht. Die von der Klägerin beim SG vorgelegten älteren Arztberichte und Bescheinigungen geben lediglich über Ereignisse der Zeit bis 1994 Auskunft. So wurde die Klägerin 1992 von den Allgemeinärzten Dres. Ga. aus S. P. O. zur Abklärung von Synkopen ins Krankenhaus eingewiesen. Ursachen für die Synkopen hatten beim Langzeit-EKG nicht ermittelt werden können (Befundung vom 26. Februar 1992). Am Vortag hatte die Klägerin eine Synkope erlitten, deren Ursache offensichtlich nicht geklärt werden konnte. Rückschlüsse auf einen durch Synkopen oder Sturzereignisse regelmäßig bestehenden Pflegebedarf im hier zu beurteilenden Zeitraum ab 27. September 2007 lassen sich hieraus nicht gewinnen.

Im Ergebnis kann damit dahinstehen, ob der tagesdurchschnittliche Zeitaufwand in der Grundpflege für die Klägerin nun 33 Minuten (Pflegefachkraft M.), 11 Minuten (Dr. S.) oder 15 Minuten (Pflegefachkraft F.) beträgt. Jedenfalls lässt sich ein tagesdurchschnittlicher Zeitaufwand in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten unter keinem Gesichtspunkt begründen, zumal auch die zuletzt eingereichten Unterlagen zur Beauftragung der Diakonie-Station keine zusätzlichen Pflegebedarfe im Bereich der Grundpflege betreffen, sondern lediglich Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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