Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 829/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 4430/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.08.2008 - S 11 KR 829/06 - aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2006 verurteilt, dem Kläger als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau die Kosten für das Arzneimittel "Avastin" in Höhe 6.494,40 EUR zu erstatten.
Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens S 11 KR 829/06 sowie die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren L 5 KR 4430/08.
Tatbestand:
Der Kläger als Rechtsnachfolger begehrt noch die Erstattung der Kosten für die Behandlung seiner am 17.05.2006 verstorbenen Ehefrau mit dem Medikament Avastin (Wirkstoff Bevacizumab).
Am 15.08.2005 wurde für die 1941 geborene Ehefrau des Klägers (Versicherte) die Übernahme der Kosten der Behandlung mit dem Medikament Avastin außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches beantragt. Die Behandlung sollte von den behandelnden Vertragsärzten, Fachärzten für innere Medizin/Hämatologie und internistische Onkologie Dres. M./Z./S. in F. durchgeführt werden. Nach den Angaben des behandelnden Facharztes Dr. S. bestand ein progredientes metastasierendes Mammakarzinom bei Zustand nach multiplen Therapien. Es wurde ausgeführt, alle Therapien seien ineffektiv gewesen. Es bestehe zwar in Fachkreisen kein Konsens zur Indikation des vorgesehenen Einsatzes außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs. Es sei aber während des letzten ASCO-Meetings in den USA im Jahr 2005 eine Studie vorgestellt worden, die gezeigt habe, dass Avastin in Verbindung mit Taxol wirksam sei.
Zu diesem Antrag holte die Beklagte beim MDK eine am 07.09.2005 verfasste Stellungnahme ein. Danach litt die Versicherte unter einem im August 2001 erstmals diagnostizierten Mammakarzinom. Es waren vier Zyklen mit EC, drei Zyklen Docetaxel, die Ablatio Mammae, eine Hormontherapie mit Letrozol infolge Tamoxifen beziehungsweise Fluvestrant, Chemotherapie nach CMF sowie seit Juli 2005 mit liposomalem Doxonrubicin erfolgt. Ein Off-Label-Use von Avastin wurde nicht befürwortet. Eine Studie zur Kombination von Capicitabine mit dem Avastin zu Grunde liegenden Wirkstoff Bevacizumab habe keinen Überlebensvorteil erbracht. In einer weiteren kontrolliert randomisierten Studie habe zwar eine Verlängerung des progressionsfreien Intervalls um fünf Monate nachgewiesen werden können. Diese Studie liege aber bislang nur in einer Zwischenauswertung vor. Zum derzeitigen Zeitpunkt existiere noch keine zulassungsrelevante Studie. Die von der Rechtsprechung des BSG für einen Off-Label-Use geforderten Voraussetzungen könnten deshalb nicht als erfüllt angesehen werden.
Mit Bescheid vom 14.09.2005 lehnte die Beklagte darauf hin die Kostenübernahme ab. Versicherte hätten Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen und nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. Außerhalb seines Zulassungsbereiches komme nach der Rechtsprechung des BSG der Einsatz eines Arzneimittels dann in Betracht, wenn eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorliegt, bei der keine andere Therapie verfügbar sei und wenn nach Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Der MDK habe diese Voraussetzungen nicht bestätigen können.
Im Widerspruchsverfahren legte die Versicherte eine Stellungnahme des ärztlichen Direktors der Klinik Bad T., Prof. Dr. B. vom 20.10.2005 vor. Danach litt die Versicherte an einem fortgeschrittenen metastasierenden Mammakarzinom, wobei die Knochenmetastasen im Vordergrund standen. Alle Therapien, die auf hormonellem Sektor möglich gewesen seien, seien bei hormonrezeptor-positivem Tumor bereits eingesetzt worden, ohne dass damit das Fortschreiten der Erkrankung habe unterbR.n werden können. Da der Tumor Her2-negativ sei, bestehe auch nicht die Möglichkeit einer Behandlung mit Herceptin. Die anstehende Chemotherapie (Paclitaxel) könne zur Erhöhung der Wirksamkeit mit Avastin kombiniert werden. Auf dem diesjährigen ASCO-Meeting in O. (USA) sei ein Vortrag zur Effektivität von Paclitaxel plus Avastin gehalten worden, der aus einer extrem guten, international bekannten Arbeitsgruppe stamme.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2006 zurück. Die Überprüfung des Sachverhalts durch den MDK habe ergeben, dass die von der Rechtsprechung für einen Off-Label-Use zu fordernden Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Die Behandlung mit Avastin erfolgte von März 2006 bis zum Tod der Ehefrau des Klägers im Mai 2006. Das Medikament wurde von Dres. M./Z./S. privatärztlich verordnet. Es liegen fünf Verordnungen vor. Die Kosten für das Medikament betrugen je Verordnung 1.298,88 EUR. Am 18.10.2005 hatte die Ehefrau des Klägers weiterhin die Übernahme der Kosten der Behandlung mit dem Medikament Herceptin beantragt. Der Antrag war mit Bescheid der Beklagten vom 06.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2006 abgelehnt worden.
Die Ehefrau des Klägers hatte ihre Begehren weiterverfolgt und am 17.02.2006 sowie am 24.04.2006 Klagen beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Nach dem Tod seiner Ehefrau am 17.05.2006 hat der Kläger die Klage als Rechtsnachfolger fortgeführt. Zur Begründung hat er zur Behandlung mit Avastin vorgetragen, ab dem 02.03.2006 sei mit dieser Behandlung begonnen worden, nachdem sämtliche bisherigen Behandlungsmethoden erfolglos geblieben seien. Für das selbstbeschaffte Medikament seien Kosten in Höhe von insgesamt 6.494,40 EUR angefallen. Seit dem 28.03.2007 habe Avastin die Zulassung auch zur Behandlung eines metastasierten Mammakarzinoms. Bei der Erkrankung der verstorbenen Versicherten habe es sich unstreitig um eine lebensbedrohliche schwere Erkrankung gehandelt. Weil die zur damaligen Zeit anerkannten, alternativ möglichen Therapien ausgeschöpft gewesen seien und bereits bei einem Weltkongress in den USA im Mai 2005 die Behandlung mit Avastin als erfolgversprechende Möglichkeit vorgestellt worden sei, habe die Behandlung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beansprucht werden können. Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten. Sie verweist auf das von ihr eingeholte Gutachten von Dr. Z. und Prof. Dr. H., dem Leiter des Kompetenz Zentrums Onkologie beim MDK N., vom 05.03.2008. Danach ergebe sich, dass der vorliegend erfolgte Einsatz von Avastin außerhalb des Bereichs der am 28.03.2007 zugelassenen Indikationen erfolgt sei. Im vorliegenden Fall habe auch unter Berücksichtigung der im Jahr 2005 vorliegenden Daten davon ausgegangen werden müssen, dass der Einsatz von Avastin im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie keinen Zusatznutzen erbringe. Das SG hat von den die verstorbene Versicherte behandelnden Ärzten, Prof. Dr. B., Universitätsklinikum F., und Prof. Dr. B., Klinik Bad T., schriftliche Auskünfte eingeholt.
Mit Urteil vom 28.08.2008 (S 11 KR 829/06) hat das SG die Klage auf Erstattung der Kosten der Behandlung mit Avastin abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel (§ 31 SGB V) setze grundsätzlich die arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet voraus, für das es angewendet werden solle (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R - mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Das Arzneimittel Avastin habe zum Zeitpunkt der Anwendung im März 2006 und auch nach der Zulassung vom 28.03.2007 keine Zulassung für die bei der Behandlung der verstorbenen Versicherten gegebene Indikation gehabt. Avastin sei inzwischen nach dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des MDK N. vom 05.03.2008, das insoweit mit der von den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 10.10.2007 vorgelegten Auskunft des Herstellers R. übereinstimme, zugelassen als First-Line-Therapie in Kombination mit Paclitaxel für Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom. Im Falle der verstorbenen Versicherten sei der Einsatz jedoch unstreitig nicht als First-Line-Therapie erfolgt, sondern nach vorangegangenen erfolglos gebliebenen chemotherapeutischen Behandlungen als Zweitlinientherapie. Der Einsatz von Avastin sei auch nicht in Kombination mit Paclitaxel vorgenommen worden, sondern, ausweislich der Auskunft Prof. B., in Kombination mit Gemcitabine. Avastin habe auch nicht nach den von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use beansprucht werden können (BSGE 89, 184). Danach komme ein Leistungsanspruch auch bei einem von der Zulassung eines Arzneimittels nicht umfassten Anwendungsgebiet in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gehe, keine Therapie verfügbar sei und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden könne. Eine derartige Datenlage sei nach der Rechtsprechung (a.a.O.) dann gegeben, wenn Forschungsergebnisse vorlägen, die erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne, weil entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden sei und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht worden seien und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegten oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebieten zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im vorgenannten Sinne bestehe. Nach den der Auskunft Prof. Dr. B.s beigefügten Medieninformationen der Herstellerfirma R. aus dem Monat Mai 2006 habe eine Phase-III-Studie mit Ergebnissen zur Behandlung mit Avastin in Kombination mit einer Chemotherapie zur Behandlung von metastasierendem Brustkrebs als Erstlinientherapie vorgelegen. Für den vorliegend erfolgten Einsatz sei eine nach der Rechtsprechung zum Off-Label-Use zu fordernde Datenlage nicht festzustellen. Ein krankenversicherungsrechtlicher Leistungsanspruch ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung, wenn Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung litten, bei der die Anwendung der üblichen Standardbehandlungen aus medizinischen Gründen ausscheide und andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden (vgl. a. BSG Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R -). Voraussetzung für eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung wäre nämlich, dass mit dem Einsatz des Arzneimittels außerhalb seines Zulassungsbereiches eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Derartige Erkenntnisse, zumindest objektivierbarer, wissenschaftlicher Art, seien für den vorliegend gegebenen Einsatz von Avastin als Zweitlinientherapie in Kombination mit Gemcitabine aber nicht zu ermitteln. Auch die von Prof. Dr. B. vorgelegten Berichte wiesen nicht auf einen erfolgversprechenden Therapieansatz von Avastin in der Zweitlinientherapie hin. Wie das MDK-Gutachten darlege, habe die im Jahr 2005 vorgestellte Phase-III-Studie der E. C. O.-G. keine Hinweise auf einen Zusatznutzen des Einsatzes von Avastin im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie als Zweitlinientherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom ergeben.
Mit weiterem Urteil vom 28.08.2006 (S 11 KR 1956/06) hat das SG die Klage auf Erstattung der Kosten der Behandlung mit Herceptin abgewiesen.
Gegen diese ihm am 02.09.2008 bzw. 01.09.2008 zugestellten Urteile hat der Kläger am 18.09.2008 bzw. 17.09.2008 beim Landessozialgericht Berufungen eingelegt. Diese wurden durch Beschluss des Senats vom 06.05.2009 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Kläger hat die Berufung gegen das das Arzneimittel Herceptin betreffende Urteil vom 28.08.2006 - S 11 KR 1956/06 am 01.03.2010 zurückgenommen. Zur Begründung des weiterverfolgten Begehrens auf Erstattung der Kosten der Behandlung mit Avastin hat er im Wesentlichen vorgetragen, es könne keine Zweifel daran geben, dass die Ehefrau des Klägers an einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gelitten habe. Unbestritten dürfte auch sein, dass sie austherapiert gewesen sei und keine weiteren Chemo-Therapien mehr vertragen habe. Festzuhalten sei, dass nach der Feststellung des Anstiegs des Her2-Faktors auf Anraten der behandelnden Ärzte sofort die Behandlung mit "Herceptin" gewählt worden sei. Als nach fast drei Monaten kein entsprechender Behandlungserfolg habe festgestellt werden können, sondern vielmehr ein weiterer Tumormarkeranstieg zu verzeichnen gewesen und bei einer Biopsie der Leber im Februar 2006 der VEGF-Faktor festgestellt worden sei, sei sofort auf "Avastin" umgestellt worden. Dies deshalb, weil "Avastin" anerkannter Maßen und mit nachweislichen medizinischen Erfolgen eine wichtige Rolle in der Antikörpertherapie spiele. Der entscheidungserhebliche medizinische Sachverhalt wäre durch Einholung entsprechender Sachverständigengutachten von Amts wegen unabhängig und neutral abschließend aufzuklären gewesen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.08.2008 (S 11 KR 829/06) und den Bescheid der Beklagten vom 14.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.1.2006 aufzuheben sowie die Beklagten zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung seiner verstorbenen Ehefrau mit dem Arzneimittel "Avastin" in Höhe von 6494,40 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend und ihren Bescheid für rechtmäßig.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist Prof. Dr. J. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Dieser hat in seinem Sachverständigengutachten vom 14.09.2009 im Wesentlichen dargelegt, dass Bevacizumab (Avastin) u. a. arzneimittelrechtlich zugelassen für die Erstlinienbehandlung von Patientinnen mit metastasierten, Her2/Neu-negativem Mammakarzinom in Kombination mit Paclitaxel sei. Gemcitabine (Gemzar) sei arzneimittelrechtlich zugelassen zur Behandlung von Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Mammakarzinom. Die vorausgegangene Chemotherapie sollte ein Anthrazyclin enthalten haben, sofern dieses nicht klinisch kontraindiziert gewesen sei. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung der Anwendung Bevacizumab in Kombination mit Gemcitabine existiere nicht. Bevacizumab sei aufgrund u.a. der Ergebnisse der internationalen multizentrischen prospektiv randomisierten Phase III-Studie der E. C. O.-G. (ECOG-2001-Studie) in der Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms zugelassen (Vorstellung der ECOG 2001-Studie erstmals auf dem San A. B. C.-Symposium 2005; Miller et al.; schriftliche Vollpublikation 12/07 Miller et al). Die arzneimittelrechtliche Zulassung beziehe sich auf die Erstlinientherapie des metastasierten Mammakarzinoms in Kombination mit Paclitaxel. Eine im Journal of Clinical Oncology publizierte randomisierte Phase III-Studie, die einen Vergleich der Therapie mit Capecitabine mono mit der Therapie mit Capecitabine und Bevacizumab als Zweitlinientherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom (Vorbehandlung ( zwei vorangegangene Chemotherapien für die metastasierte Erkrankungssituation) durchgeführt habe, ergebe eine verbesserte Ansprechrate (19,8./. 9,1 %) allerdings ohne eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (4,86./. 4,17 Monate). Bei der Patientin sei immunhistochemisch im Primärtumor eine Her-2/Neu-negative (ICH,Dako-Score 1+) Erkrankungssituation nachgewiesen worden. Ebenfalls sei im Tumorgewebe der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) nachgewiesen worden. Hierauf habe die Überlegung des Einsatzes von Avastin beruht. Abschließend lasse sich feststellen, dass bei Her-2/Neu-negativem Status sowie dem Nachweis von VEGF im Tumorgewebe eine Off-Label-Anwendung im Sinne eines individuellen Heilversuches durchaus zu rechtfertigen sei, da bei Nachweis von VEGF im Tumorgewebe sowie Her2/Neu-negativer Erkrankungssituation (Zulassung Bevacizumab in der Her2/Neu-negativen Erkrankungssituation in der Erstlinientherapie des metastasierten Mammakarzinoms) eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf einen Erfolg bzw. Therapieansprechen geboten habe. Alternativ wäre zum Zeitpunkt des Einsetzens der Avastin-Therapie eine höchstpalliative systemische Therapie mit z. B. Cisplatin Mono in Erwägung zu ziehen gewesen bzw. eine palliative endokrine Therapie mit Aromasin. Eine weitere legitime Alternative wäre das sogenannte Best Supportive Care mit symptomatischer und palliativer Pflege bzw. Behandlung gewesen. Auch wenn es keine Studien bezüglich eines Einsatzes in fortgeschrittener Linie bei metastasiertem Mammakarzinom sowie in der Kombination aus Gemcitabine und Avastin gebe, so scheine doch ein Einsatz von Avastin im Sinne eines individuellen Heilversuches als eine mögliche Therapie für die verstorbene Ehefrau des Klägers vertretbar gewesen zu sein.
Die Beklagte hat ein Gutachten des MDK N. vom 28.01.2010 vorgelegt. In diesem führen Dr. Z. und Prof. Dr. H. im Wesentlichen aus, weder die Sachverständigenstellungnahme noch die wissenschaftliche Erkenntnislage noch der Verweis auf den VEGF-Nachweis an der Leberstanze im konkreten Fall (in 03/2006) erlaubten, zum streitig gestellten Zeitpunkt August/Oktober 2005 oder zum Behandlungszeitpunkt 03/2006 eine Rechtfertigung der Anwendung von Bevacizumab bei der Patientin außerhalb klinischer Studien. Die auch im Gerichtsgutachten zitierte Studie von Miller et al. aus dem Jahr 2005 spreche bei negativem Ergebnis für den primären Endpunkt (progressionsfreies Überleben, PFS) nach den Prinzipien der klinischen Forschung gegen eine mögliche Wirksamkeit von Bevacizumab bei Patientinnen mit weit fortgeschrittenem Brustkrebs. Für alle Endpunkte, die einen Nutzen für Patientinnen belegten (Verbesserung der krankheitsbezogenen Lebensqualität, Verlängerung der Überlebenszeit) habe diese Studie ebenfalls keinen Vorteil für Bevacizumab gezeigt. Dagegen seien mit dieser Medikation schwerwiegende Nebenwirkungen verbunden gewesen. Alle 2005 verfügbaren Daten hätten somit gegen einen Heilversuch mit Bevacizumab bei der Patientin gesprochen. Die Empfehlungen von Prof. Dr. J. für eine Bevacizumab-Therapie bei der Patientin stünden deshalb im Widerspruch zur Datenlage in der wissenschaftlichen Fachliteratur und entsprächen weder den Bewertungen der Autoren in der Publikation von Miller et al., noch der Position der europäischen Arzneimittelbehörde (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products - EMEA -, ab 2009 European Medicines Agency - EMA -) im Rahmen des Zulassungsverfahrens. Der VEGF-Nachweis am Tumorgewebe der Leberstanze in 03/2006 sei für die klinische Abwägung einer Antikörpertherapie bei der Patientin nicht relevant gewesen. Mangels aussagefähiger Belege habe er keine berechtigte oder im Sinne von "Indizien" gestützte Annahme zugunsten einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung für einen "Heilversuch" zugelassen. Zudem hätten potentielle Therapiealternativen bestanden, z.B. mit Einsatz von Exemestan, einem arzneimittelrechtlich zugelassenen Medikament (so die Bewertungen von Prof. J., Universitätsklinik H.), so dass - auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 - es keine Grundlage für die Erstattung der Kosten für die Bevacizumab-Anwendung gebe.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor. Im Streit steht die Erstattung der Kosten für das Arzneimittel "Avastin" in Höhe von 6494,40 EUR.
Die auf diesen Streitgegenstand beschränkte Berufung des Klägers ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf die Erstattung der Kosten für das Medikament "Avastin".
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V sind Kosten von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit eine Leistung notwendig war, wenn sie diese zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Beschluss vom 15.04.1997 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 15 m.w.N.; Urteil vom 25.09.2000 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22 S. 105 f.; Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 18/01 R -, jeweils veröffentlicht in juris). Diese Kausalität ist hier gegeben, da Medikamente erst nach Erlass des angegriffenen Bescheids beschafft wurden. Die Ablehnung war auch zu Unrecht erfolgt.
Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st. Rspr. vgl. z.B. BSGE 79, 125, 126 f. = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 51 f ... m.w.N.; Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - veröffentlicht in Juris). Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll.
Zutreffend hat das SG insoweit zwar ausgeführt, dass zum Behandlungszeitpunkt eine Zulassung für die Behandlung von Brustkrebs mit Avastin nicht vorlag und eine Zulassung zur Behandlung einer bereits mehrfach therapierten Brustkrebspatientin mit Avastin in der hier vorgenommenen Kombination mit Gemcitabine bis heute nicht erfolgt ist. Es kann offenbleiben, ob die nach der Rechtsprechung des BSG für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren. Danach muss es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehen, 2. keine andere Therapie verfügbar sein und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 30.06.2009 m.w.N. a.a.O.).
Denn jedenfalls sind im Falle der Ehefrau des Klägers die Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV erfüllt (zu den Voraussetzungen vgl. BVerfGE 115, 25; BSGE 96, 153; BSGE 96, 170; BSGE 97, 190; BSGE 100, 103). Die verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt, bezüglich dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BVerfG, aaO).
Hinsichtlich der Anwendung dieser vom BVerfG entwickelten Maßstäbe auf den Bereich der Arzneimittelversorgung hat das BSG ausgeführt, dass hierbei zu berücksichtigen sei, dass die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten den Leistungsansprüchen Versicherter selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen setzten. Dies habe das BVerfG betont, indem es in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.) herausgestellt habe, dass es mit der Verfassung in Einklang stehe, die Konkretisierung der Leistungen vor allem den Ärzten vorzubehalten (§ 15 Abs. 1 SGB V), und dass dementsprechend gerade die ärztliche Einschätzung der Behandlungschancen maßgeblich sei. Damit beziehe es in einem umfassenden Sinne die Regeln der ärztlichen Kunst in die Vorgaben für eine verfassungskonforme Auslegung des SGB V mit ein. Dem entspreche es, für den Bereich der Arzneimittel die spezifischen Sicherungen auch des Arzneimittelrechts in den Blick zu nehmen. So bestimmten die vom BVerfG betonten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten nicht nur die leistungserweiternde Konkretisierung der Leistungsansprüche der Versicherten, sondern sollten die Versicherten auch davor bewahren, auf Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen werde. Auch dürfe die Rechtsprechung des BVerfG nicht dazu führen, dass unter Berufung auf sie im Einzelfall Rechte begründet würden, die bei konsequenter Ausnutzung durch die Leistungsberechtigten institutionelle Sicherungen aushebelten, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet habe.
Vorliegend handelt es sich um eine Krankheitssituation, für die das BVerfG eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des SGB V im oben aufgezeigten Sinne gefordert hat. Dass die Ehefrau des Klägers unter einer schwerwiegenden Erkrankung gelitten hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Bis auf die fehlende Arzneimittelzulassung für die hier erfolgte Behandlung sind alle weiteren allgemeinen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der GKV erfüllt. Die Ehefrau des Klägers war bei der Beklagten versichert. Das Medikament ist ärztlich verordnet worden. Avastin ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und als solches nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen. Es unterfiel weder dem Katalog des § 34 Abs. 1 SGB V noch der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der GKV). Es wurde auch nicht im Rahmen einer Arzneimittelstudie verabreicht (zum grundsätzlichen Ausschluss solcher Mittel vgl. BSGE 93, 137 ff.). Das vom Kläger für seine Ehefrau im Einzelfall unter Vorlage eines Rezepts der behandelnden Onkologen beschaffte Mittel Avastin verfügte allerdings im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht über eine Zulassung für die Behandlung von Brustkrebs.
Es gab für die konkrete Behandlung der Ehefrau des Klägers im damaligen Krankheitsstadium weder ein zugelassenes Arzneimittel noch konnte im Rahmen eines zulässigen Off-Label-Gebrauchs ein Mittel eingesetzt werden, mit dem mit hinreichender Erfolgsaussicht zumindest eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs hätte erreicht werden können. Soweit der MDK N. sich in seiner Stellungnahme auf Prof. Dr. J. beruft, der eine palliative endokrine Therapie mit Aromasin angesprochen hat, ist zu berücksichtigen, dass alle auf dem hormonellen Sektor bestehenden Therapiemöglichkeiten nach Aussage von Prof. Dr. B. bereits eingesetzt worden waren. Der Ehefrau des Klägers war bereits im Oktober 2004 Exemestan verordnet worden, ohne dass hierdurch nach Angabe von Prof. Dr. Dr. B. die Progression der Krankheit hätte verhindert werden können. Nach Zunahme der Knochenmetastasierung wurde dann ab 17.11.2004 eine Chemotherapie mit Capecitabine begonnen. Nachdem die Chemotherapie mehrmals umgestellt worden war und sich zuletzt auch die Gabe von Herceptin mit Vinorelbin als aussichtslos erwiesen hatte, ist es nachvollziehbar, dass die allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten von den behandelnden Ärzten als ausgeschöpft angesehen worden sind.
Prof. Dr. J. hat in seinem Sachverständigengutachten für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass es sich in dieser Situation um einen vertretbaren Heilungsversuch gehandelt hat. Bezüglich der daraufhin angewandten, hier streitigen (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode bestand auch eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, um davon ausgehen zu dürfen, dass die behaupteten Behandlungserfolge mit hinreichender Sicherheit dem Einsatz gerade der streitigen Behandlung zugerechnet werden können und das einzugehende Risiko vertretbar ist, unterliegt Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung. Dabei sind Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen "je schwerwiegender die Erkrankung und ‚hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ‚ernsthaften Hinweise‘ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg". Dabei können als Beurteilungsgrundlage beim Fehlen anderer Studien auch "Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, u.Ä.; nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen" in Betracht kommen (BSG, Urt. vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, veröffentlicht in Juris m.w.N.).
Speziell bei der Arzneimittelversorgung müssen die vorhandenen Erkenntnisse abstrakt die Annahme rechtfertigen, dass mit der geplanten Arzneimitteltherapie der angestrebte Erfolg erreicht werden kann und zwar in dem Sinne, dass die Anwendung des Arzneimittels - unter Berücksichtigung von Spontanheilung und wirkstoffunabhängigen Effekten - eher zu einem therapeutischen Erfolg führt als seine Nichtanwendung (BSG, Urt. vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, veröffentlicht in Juris m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen bestand hier eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch den vorgenommenen Heilungsversuch. Bevacizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) bindet. Über die Neutralisierung von VEGF soll die Vaskularisierung von Tumoren reduziert, das vorhandene Tumorgefäßsystem normalisiert und die Bildung neuer Tumorgefäßsysteme gehemmt werden. Bevacizumab war in Europa zugelassen zur Behandlung von fortgeschrittenen Karzinomen des Kolons, des Rektums, der Lunge und der Niere. Im Jahr 2001 wurde mit der Studie ECOG2100 als Ersttherapie bei Patientinnen mit Lokalrezidiv oder metastasiertem Brustkrebs Taxol mit oder ohne Avastin untersucht und im Jahr 2005 auf dem ASCO hierüber berichtet, dass sich das progressionsfreie Überleben unter Avastin signifikant verbessert habe, auch wenn eine Verbesserung des Gesamtüberlebens nicht nachgewiesen werden konnte.
Prof. Dr. Dr. B. hat gegenüber dem SG unter dem 20.12.2006 schriftlich ausgesagt, dass aufgrund einer onkologischen Besprechung sowohl von ihm als auch vom Universitätsklinikum F. die Behandlung mit Avastin in Kombination mit Gemcitabine angeraten worden sei, nachdem trotz der erfolgten Behandlungen die Erkrankung massiv progredient verlief. Er hat sich zur Begründung der Entscheidung für die Behandlung mit Avastin auf die Studie E2100 berufen, die in der Folge zu der genannten Zulassung des Medikaments zur Behandlung von Brustkrebs in Europa und den USA geführt hat (vgl. unten). Prof. Dr. Dr. B., Universitätsklinikum F. hat unter dem 23.11.2006 dargelegt, dass die Annahme der Wirkung von Avastin auf dem Nachweis von VEGF im Tumorgewebe beruhte. Es habe sich um einen individuellen Therapieversuch gehandelt.
Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat diese Einschätzung für den Senat schlüssig und überzeugend bestätigt. Er hat insbesondere dargelegt, dass bei der Patientin immunhistochemisch im Primärtumor eine Her2/Neu-negative Erkrankungssituation nachgewiesen worden sei. Ebenfalls sei im Tumorgewebe der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) nachgewiesen worden. Hierauf habe die Überlegung des Einsatzes von Avastin beruht. Bei Her2/Neu-negativem Status sowie dem Nachweis von VEGF im Tumorgewebe sei eine Off-Label-Anwendung im Sinne eines individuellen Heilversuches durchaus zu rechtfertigen. Dem kann nicht erfolgreich entgegengehalten werden, dass Bevacizumab prospektiv-randomisiert geprüft in der Zweitlinientherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom keinen Zusatznutzen im Vergleich zur allgemeinen Chemotherapie aufgezeigt habe. Es handelte sich hier um einen individuellen letzten Heilungsversuch mit Bevacizumab und Gemcitabin, der, wie dargelegt, mit pathophysiologischen Überlegungen begründet und begründbar war.
Auch die vor der Behandlung mit einem Arzneimittel der vorbeschriebenen Art regelmäßig erforderliche abstrakte und konkret auf den Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse musste im Falle der Ehefrau des Klägers unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes damit im März 2006 noch positiv ausfallen, da es sich, wie dargelegt, um den letzten noch denkbaren Behandlungsversuch handelte. Bei der dargestellten Sachlage musste es den behandelnden Ärzten und der Patientin bzw. dem von ihr bevollmächtigten Ehemann überlassen bleiben, zu entscheiden, ob dieser individuelle Heilungsversuch noch unternommen sollte oder nur noch ausschließlich palliativ begründete Behandlungen erfolgen sollten.
Die arzneirechtliche Entwicklung unmittelbar nach dieser Behandlung bestätigt die Vertretbarkeit der positiven Risiko-Einschätzung der behandelnden Ärzte zum damaligen Zeitpunkt. Am 26.05.2006 wurde bei der FDA und der EMEA die Zulassung von Avastin als Ersttherapie bei metastasiertem Brustkrebs beantragt. Bereits am 28.03.2007 erweiterte die EMEA die Zulassung des Medikaments auf die Kombination mit Paclitaxel in der First-Linie-Behandlung von Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom. Im Dezember 2007 stimmte ein unabhängiges Expertenkomitee der FDA mit 5 zu 4 Stimmen zwar gegen die Zulassung. Die Zulassung der Kombination mit Paclitaxel erfolgte durch die FDA am 22.02.2008 für die Erstlinien-Behandlung von Patientinnen mit Her2/Neu-negativem, metastasiertem Mammakarzinom in einem beschleunigten Verfahren unter der Bedingung, dass weitere Belege zum klinischen Nutzen erbracht werden. Noch im Juli 2009 stimmte die EU-Kommission der Zulassungserweiterung für Avastin zur Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen (metastasierten) Brustkrebses auch kombiniert mit Docetaxel zu.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die erfolgte Behandlung zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl anders zu beurteilen wäre. Avastin ist zwar nun für die Behandlung von Brustkrebs zugelassen. Aus einer Pressemitteilung der European Medicines Agency (EMA) vom 16.12.2010 geht hervor, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA den Einsatz von Bevacizumab in Kombination mit Taxanen bei metastasiertem Brustkrebs einer Überprüfung unterzogen hat und in seinem Review zu dem Schluss gekommen ist, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Bevacizumab in Kombination mit Docetaxel negativ ist. Für die Kombination mit Paclitaxel konnte der CHMP weder einen positiven noch einen negativen Einfluss auf das Gesamtüberleben feststellen, sieht aber eine im Vergleich zu Docetaxel deutliche Verlängerung des progressionsfreien Überlebens. Die Nutzen-Risiko-Bewertung des CHMP fällt daher für Bevacizumab in Kombination mit Paclitaxel positiv aus. Demgegenüber ist die amerikanische Food & Drug Administration (FDA) nach einer Presseerklärung ebenfalls vom 16.12.2010 nach Sichtung der Studien zu dem Schluss gekommen, dass Bevacizumab zusätzlich zu einer Chemotherapie weder das Gesamtüberleben der Brustkrebspatientinnen verlängern noch die Progression der Erkrankung in einem Maße verzögern kann, das die Inkaufnahme der zum Teil schweren Nebenwirkungen rechtfertigen würde. Die FDA hat ein Verfahren eingeleitet, um die Zulassung von Bevacizumab zur Brustkrebsbehandlung komplett zurückzunehmen. Die FDA begründet ihre aktuelle Empfehlung damit, dass eine Verlängerung des Gesamtüberlebens in allen vier Studien zur Anwendung von Bevacizumab bei Brustkrebs nicht belegt werden konnte. Zwar bestätigte sich eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens durch Hinzufügen von Bevacizumab zu einer Standardchemotherapie. In den aktuell vorgelegten Daten sei diese jedoch geringer ausgefallen als in der E2100-Studie, die zur Zulassung geführt hatte. Die FDA führt weiter aus, dass bislang auch kein Nachweis einer relevanten Verbesserung oder Verzögerung krankheitsassoziierter Symptome bzw. patientenrelevanter Endpunkte, wie einer Verbesserung der Lebensqualität, erbracht worden sei. Die Erweiterung einer Standardchemotherapie um Bevacizumab führe hingegen zu einer Zunahme schwerwiegender unerwünschter Ereignisse. Zu diesen schweren Nebenwirkungen zählten Bluthochdruck, Blutungen, Hämorrhagien, Magen-, Darm- und Nasenperforationen, Schlaganfall und Myokardinfarkt. Die positive Einschätzung der EMA zur Kombination mit Paclitaxel werde nicht geteilt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie berücksichtigt, dass im Berufungsverfahren die Rechtsstreitigkeiten L 5 KR 4653/08 und L5 KR 4430/08 miteinander verbunden wurden, der Kläger aber nur hinsichtlich der Erstattung von Kosten für das Medikament Avastin erfolgreich war, nicht aber bezüglich des Arzneimittels Herceptin.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens S 11 KR 829/06 sowie die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren L 5 KR 4430/08.
Tatbestand:
Der Kläger als Rechtsnachfolger begehrt noch die Erstattung der Kosten für die Behandlung seiner am 17.05.2006 verstorbenen Ehefrau mit dem Medikament Avastin (Wirkstoff Bevacizumab).
Am 15.08.2005 wurde für die 1941 geborene Ehefrau des Klägers (Versicherte) die Übernahme der Kosten der Behandlung mit dem Medikament Avastin außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches beantragt. Die Behandlung sollte von den behandelnden Vertragsärzten, Fachärzten für innere Medizin/Hämatologie und internistische Onkologie Dres. M./Z./S. in F. durchgeführt werden. Nach den Angaben des behandelnden Facharztes Dr. S. bestand ein progredientes metastasierendes Mammakarzinom bei Zustand nach multiplen Therapien. Es wurde ausgeführt, alle Therapien seien ineffektiv gewesen. Es bestehe zwar in Fachkreisen kein Konsens zur Indikation des vorgesehenen Einsatzes außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs. Es sei aber während des letzten ASCO-Meetings in den USA im Jahr 2005 eine Studie vorgestellt worden, die gezeigt habe, dass Avastin in Verbindung mit Taxol wirksam sei.
Zu diesem Antrag holte die Beklagte beim MDK eine am 07.09.2005 verfasste Stellungnahme ein. Danach litt die Versicherte unter einem im August 2001 erstmals diagnostizierten Mammakarzinom. Es waren vier Zyklen mit EC, drei Zyklen Docetaxel, die Ablatio Mammae, eine Hormontherapie mit Letrozol infolge Tamoxifen beziehungsweise Fluvestrant, Chemotherapie nach CMF sowie seit Juli 2005 mit liposomalem Doxonrubicin erfolgt. Ein Off-Label-Use von Avastin wurde nicht befürwortet. Eine Studie zur Kombination von Capicitabine mit dem Avastin zu Grunde liegenden Wirkstoff Bevacizumab habe keinen Überlebensvorteil erbracht. In einer weiteren kontrolliert randomisierten Studie habe zwar eine Verlängerung des progressionsfreien Intervalls um fünf Monate nachgewiesen werden können. Diese Studie liege aber bislang nur in einer Zwischenauswertung vor. Zum derzeitigen Zeitpunkt existiere noch keine zulassungsrelevante Studie. Die von der Rechtsprechung des BSG für einen Off-Label-Use geforderten Voraussetzungen könnten deshalb nicht als erfüllt angesehen werden.
Mit Bescheid vom 14.09.2005 lehnte die Beklagte darauf hin die Kostenübernahme ab. Versicherte hätten Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen und nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. Außerhalb seines Zulassungsbereiches komme nach der Rechtsprechung des BSG der Einsatz eines Arzneimittels dann in Betracht, wenn eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorliegt, bei der keine andere Therapie verfügbar sei und wenn nach Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Der MDK habe diese Voraussetzungen nicht bestätigen können.
Im Widerspruchsverfahren legte die Versicherte eine Stellungnahme des ärztlichen Direktors der Klinik Bad T., Prof. Dr. B. vom 20.10.2005 vor. Danach litt die Versicherte an einem fortgeschrittenen metastasierenden Mammakarzinom, wobei die Knochenmetastasen im Vordergrund standen. Alle Therapien, die auf hormonellem Sektor möglich gewesen seien, seien bei hormonrezeptor-positivem Tumor bereits eingesetzt worden, ohne dass damit das Fortschreiten der Erkrankung habe unterbR.n werden können. Da der Tumor Her2-negativ sei, bestehe auch nicht die Möglichkeit einer Behandlung mit Herceptin. Die anstehende Chemotherapie (Paclitaxel) könne zur Erhöhung der Wirksamkeit mit Avastin kombiniert werden. Auf dem diesjährigen ASCO-Meeting in O. (USA) sei ein Vortrag zur Effektivität von Paclitaxel plus Avastin gehalten worden, der aus einer extrem guten, international bekannten Arbeitsgruppe stamme.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2006 zurück. Die Überprüfung des Sachverhalts durch den MDK habe ergeben, dass die von der Rechtsprechung für einen Off-Label-Use zu fordernden Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Die Behandlung mit Avastin erfolgte von März 2006 bis zum Tod der Ehefrau des Klägers im Mai 2006. Das Medikament wurde von Dres. M./Z./S. privatärztlich verordnet. Es liegen fünf Verordnungen vor. Die Kosten für das Medikament betrugen je Verordnung 1.298,88 EUR. Am 18.10.2005 hatte die Ehefrau des Klägers weiterhin die Übernahme der Kosten der Behandlung mit dem Medikament Herceptin beantragt. Der Antrag war mit Bescheid der Beklagten vom 06.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2006 abgelehnt worden.
Die Ehefrau des Klägers hatte ihre Begehren weiterverfolgt und am 17.02.2006 sowie am 24.04.2006 Klagen beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Nach dem Tod seiner Ehefrau am 17.05.2006 hat der Kläger die Klage als Rechtsnachfolger fortgeführt. Zur Begründung hat er zur Behandlung mit Avastin vorgetragen, ab dem 02.03.2006 sei mit dieser Behandlung begonnen worden, nachdem sämtliche bisherigen Behandlungsmethoden erfolglos geblieben seien. Für das selbstbeschaffte Medikament seien Kosten in Höhe von insgesamt 6.494,40 EUR angefallen. Seit dem 28.03.2007 habe Avastin die Zulassung auch zur Behandlung eines metastasierten Mammakarzinoms. Bei der Erkrankung der verstorbenen Versicherten habe es sich unstreitig um eine lebensbedrohliche schwere Erkrankung gehandelt. Weil die zur damaligen Zeit anerkannten, alternativ möglichen Therapien ausgeschöpft gewesen seien und bereits bei einem Weltkongress in den USA im Mai 2005 die Behandlung mit Avastin als erfolgversprechende Möglichkeit vorgestellt worden sei, habe die Behandlung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beansprucht werden können. Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten. Sie verweist auf das von ihr eingeholte Gutachten von Dr. Z. und Prof. Dr. H., dem Leiter des Kompetenz Zentrums Onkologie beim MDK N., vom 05.03.2008. Danach ergebe sich, dass der vorliegend erfolgte Einsatz von Avastin außerhalb des Bereichs der am 28.03.2007 zugelassenen Indikationen erfolgt sei. Im vorliegenden Fall habe auch unter Berücksichtigung der im Jahr 2005 vorliegenden Daten davon ausgegangen werden müssen, dass der Einsatz von Avastin im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie keinen Zusatznutzen erbringe. Das SG hat von den die verstorbene Versicherte behandelnden Ärzten, Prof. Dr. B., Universitätsklinikum F., und Prof. Dr. B., Klinik Bad T., schriftliche Auskünfte eingeholt.
Mit Urteil vom 28.08.2008 (S 11 KR 829/06) hat das SG die Klage auf Erstattung der Kosten der Behandlung mit Avastin abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel (§ 31 SGB V) setze grundsätzlich die arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet voraus, für das es angewendet werden solle (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R - mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Das Arzneimittel Avastin habe zum Zeitpunkt der Anwendung im März 2006 und auch nach der Zulassung vom 28.03.2007 keine Zulassung für die bei der Behandlung der verstorbenen Versicherten gegebene Indikation gehabt. Avastin sei inzwischen nach dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des MDK N. vom 05.03.2008, das insoweit mit der von den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 10.10.2007 vorgelegten Auskunft des Herstellers R. übereinstimme, zugelassen als First-Line-Therapie in Kombination mit Paclitaxel für Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom. Im Falle der verstorbenen Versicherten sei der Einsatz jedoch unstreitig nicht als First-Line-Therapie erfolgt, sondern nach vorangegangenen erfolglos gebliebenen chemotherapeutischen Behandlungen als Zweitlinientherapie. Der Einsatz von Avastin sei auch nicht in Kombination mit Paclitaxel vorgenommen worden, sondern, ausweislich der Auskunft Prof. B., in Kombination mit Gemcitabine. Avastin habe auch nicht nach den von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use beansprucht werden können (BSGE 89, 184). Danach komme ein Leistungsanspruch auch bei einem von der Zulassung eines Arzneimittels nicht umfassten Anwendungsgebiet in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gehe, keine Therapie verfügbar sei und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden könne. Eine derartige Datenlage sei nach der Rechtsprechung (a.a.O.) dann gegeben, wenn Forschungsergebnisse vorlägen, die erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne, weil entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden sei und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht worden seien und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegten oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebieten zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im vorgenannten Sinne bestehe. Nach den der Auskunft Prof. Dr. B.s beigefügten Medieninformationen der Herstellerfirma R. aus dem Monat Mai 2006 habe eine Phase-III-Studie mit Ergebnissen zur Behandlung mit Avastin in Kombination mit einer Chemotherapie zur Behandlung von metastasierendem Brustkrebs als Erstlinientherapie vorgelegen. Für den vorliegend erfolgten Einsatz sei eine nach der Rechtsprechung zum Off-Label-Use zu fordernde Datenlage nicht festzustellen. Ein krankenversicherungsrechtlicher Leistungsanspruch ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung, wenn Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung litten, bei der die Anwendung der üblichen Standardbehandlungen aus medizinischen Gründen ausscheide und andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden (vgl. a. BSG Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R -). Voraussetzung für eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung wäre nämlich, dass mit dem Einsatz des Arzneimittels außerhalb seines Zulassungsbereiches eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Derartige Erkenntnisse, zumindest objektivierbarer, wissenschaftlicher Art, seien für den vorliegend gegebenen Einsatz von Avastin als Zweitlinientherapie in Kombination mit Gemcitabine aber nicht zu ermitteln. Auch die von Prof. Dr. B. vorgelegten Berichte wiesen nicht auf einen erfolgversprechenden Therapieansatz von Avastin in der Zweitlinientherapie hin. Wie das MDK-Gutachten darlege, habe die im Jahr 2005 vorgestellte Phase-III-Studie der E. C. O.-G. keine Hinweise auf einen Zusatznutzen des Einsatzes von Avastin im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie als Zweitlinientherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom ergeben.
Mit weiterem Urteil vom 28.08.2006 (S 11 KR 1956/06) hat das SG die Klage auf Erstattung der Kosten der Behandlung mit Herceptin abgewiesen.
Gegen diese ihm am 02.09.2008 bzw. 01.09.2008 zugestellten Urteile hat der Kläger am 18.09.2008 bzw. 17.09.2008 beim Landessozialgericht Berufungen eingelegt. Diese wurden durch Beschluss des Senats vom 06.05.2009 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Kläger hat die Berufung gegen das das Arzneimittel Herceptin betreffende Urteil vom 28.08.2006 - S 11 KR 1956/06 am 01.03.2010 zurückgenommen. Zur Begründung des weiterverfolgten Begehrens auf Erstattung der Kosten der Behandlung mit Avastin hat er im Wesentlichen vorgetragen, es könne keine Zweifel daran geben, dass die Ehefrau des Klägers an einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung gelitten habe. Unbestritten dürfte auch sein, dass sie austherapiert gewesen sei und keine weiteren Chemo-Therapien mehr vertragen habe. Festzuhalten sei, dass nach der Feststellung des Anstiegs des Her2-Faktors auf Anraten der behandelnden Ärzte sofort die Behandlung mit "Herceptin" gewählt worden sei. Als nach fast drei Monaten kein entsprechender Behandlungserfolg habe festgestellt werden können, sondern vielmehr ein weiterer Tumormarkeranstieg zu verzeichnen gewesen und bei einer Biopsie der Leber im Februar 2006 der VEGF-Faktor festgestellt worden sei, sei sofort auf "Avastin" umgestellt worden. Dies deshalb, weil "Avastin" anerkannter Maßen und mit nachweislichen medizinischen Erfolgen eine wichtige Rolle in der Antikörpertherapie spiele. Der entscheidungserhebliche medizinische Sachverhalt wäre durch Einholung entsprechender Sachverständigengutachten von Amts wegen unabhängig und neutral abschließend aufzuklären gewesen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.08.2008 (S 11 KR 829/06) und den Bescheid der Beklagten vom 14.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.1.2006 aufzuheben sowie die Beklagten zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung seiner verstorbenen Ehefrau mit dem Arzneimittel "Avastin" in Höhe von 6494,40 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend und ihren Bescheid für rechtmäßig.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist Prof. Dr. J. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Dieser hat in seinem Sachverständigengutachten vom 14.09.2009 im Wesentlichen dargelegt, dass Bevacizumab (Avastin) u. a. arzneimittelrechtlich zugelassen für die Erstlinienbehandlung von Patientinnen mit metastasierten, Her2/Neu-negativem Mammakarzinom in Kombination mit Paclitaxel sei. Gemcitabine (Gemzar) sei arzneimittelrechtlich zugelassen zur Behandlung von Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Mammakarzinom. Die vorausgegangene Chemotherapie sollte ein Anthrazyclin enthalten haben, sofern dieses nicht klinisch kontraindiziert gewesen sei. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung der Anwendung Bevacizumab in Kombination mit Gemcitabine existiere nicht. Bevacizumab sei aufgrund u.a. der Ergebnisse der internationalen multizentrischen prospektiv randomisierten Phase III-Studie der E. C. O.-G. (ECOG-2001-Studie) in der Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms zugelassen (Vorstellung der ECOG 2001-Studie erstmals auf dem San A. B. C.-Symposium 2005; Miller et al.; schriftliche Vollpublikation 12/07 Miller et al). Die arzneimittelrechtliche Zulassung beziehe sich auf die Erstlinientherapie des metastasierten Mammakarzinoms in Kombination mit Paclitaxel. Eine im Journal of Clinical Oncology publizierte randomisierte Phase III-Studie, die einen Vergleich der Therapie mit Capecitabine mono mit der Therapie mit Capecitabine und Bevacizumab als Zweitlinientherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom (Vorbehandlung ( zwei vorangegangene Chemotherapien für die metastasierte Erkrankungssituation) durchgeführt habe, ergebe eine verbesserte Ansprechrate (19,8./. 9,1 %) allerdings ohne eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (4,86./. 4,17 Monate). Bei der Patientin sei immunhistochemisch im Primärtumor eine Her-2/Neu-negative (ICH,Dako-Score 1+) Erkrankungssituation nachgewiesen worden. Ebenfalls sei im Tumorgewebe der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) nachgewiesen worden. Hierauf habe die Überlegung des Einsatzes von Avastin beruht. Abschließend lasse sich feststellen, dass bei Her-2/Neu-negativem Status sowie dem Nachweis von VEGF im Tumorgewebe eine Off-Label-Anwendung im Sinne eines individuellen Heilversuches durchaus zu rechtfertigen sei, da bei Nachweis von VEGF im Tumorgewebe sowie Her2/Neu-negativer Erkrankungssituation (Zulassung Bevacizumab in der Her2/Neu-negativen Erkrankungssituation in der Erstlinientherapie des metastasierten Mammakarzinoms) eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf einen Erfolg bzw. Therapieansprechen geboten habe. Alternativ wäre zum Zeitpunkt des Einsetzens der Avastin-Therapie eine höchstpalliative systemische Therapie mit z. B. Cisplatin Mono in Erwägung zu ziehen gewesen bzw. eine palliative endokrine Therapie mit Aromasin. Eine weitere legitime Alternative wäre das sogenannte Best Supportive Care mit symptomatischer und palliativer Pflege bzw. Behandlung gewesen. Auch wenn es keine Studien bezüglich eines Einsatzes in fortgeschrittener Linie bei metastasiertem Mammakarzinom sowie in der Kombination aus Gemcitabine und Avastin gebe, so scheine doch ein Einsatz von Avastin im Sinne eines individuellen Heilversuches als eine mögliche Therapie für die verstorbene Ehefrau des Klägers vertretbar gewesen zu sein.
Die Beklagte hat ein Gutachten des MDK N. vom 28.01.2010 vorgelegt. In diesem führen Dr. Z. und Prof. Dr. H. im Wesentlichen aus, weder die Sachverständigenstellungnahme noch die wissenschaftliche Erkenntnislage noch der Verweis auf den VEGF-Nachweis an der Leberstanze im konkreten Fall (in 03/2006) erlaubten, zum streitig gestellten Zeitpunkt August/Oktober 2005 oder zum Behandlungszeitpunkt 03/2006 eine Rechtfertigung der Anwendung von Bevacizumab bei der Patientin außerhalb klinischer Studien. Die auch im Gerichtsgutachten zitierte Studie von Miller et al. aus dem Jahr 2005 spreche bei negativem Ergebnis für den primären Endpunkt (progressionsfreies Überleben, PFS) nach den Prinzipien der klinischen Forschung gegen eine mögliche Wirksamkeit von Bevacizumab bei Patientinnen mit weit fortgeschrittenem Brustkrebs. Für alle Endpunkte, die einen Nutzen für Patientinnen belegten (Verbesserung der krankheitsbezogenen Lebensqualität, Verlängerung der Überlebenszeit) habe diese Studie ebenfalls keinen Vorteil für Bevacizumab gezeigt. Dagegen seien mit dieser Medikation schwerwiegende Nebenwirkungen verbunden gewesen. Alle 2005 verfügbaren Daten hätten somit gegen einen Heilversuch mit Bevacizumab bei der Patientin gesprochen. Die Empfehlungen von Prof. Dr. J. für eine Bevacizumab-Therapie bei der Patientin stünden deshalb im Widerspruch zur Datenlage in der wissenschaftlichen Fachliteratur und entsprächen weder den Bewertungen der Autoren in der Publikation von Miller et al., noch der Position der europäischen Arzneimittelbehörde (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products - EMEA -, ab 2009 European Medicines Agency - EMA -) im Rahmen des Zulassungsverfahrens. Der VEGF-Nachweis am Tumorgewebe der Leberstanze in 03/2006 sei für die klinische Abwägung einer Antikörpertherapie bei der Patientin nicht relevant gewesen. Mangels aussagefähiger Belege habe er keine berechtigte oder im Sinne von "Indizien" gestützte Annahme zugunsten einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung für einen "Heilversuch" zugelassen. Zudem hätten potentielle Therapiealternativen bestanden, z.B. mit Einsatz von Exemestan, einem arzneimittelrechtlich zugelassenen Medikament (so die Bewertungen von Prof. J., Universitätsklinik H.), so dass - auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 - es keine Grundlage für die Erstattung der Kosten für die Bevacizumab-Anwendung gebe.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor. Im Streit steht die Erstattung der Kosten für das Arzneimittel "Avastin" in Höhe von 6494,40 EUR.
Die auf diesen Streitgegenstand beschränkte Berufung des Klägers ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf die Erstattung der Kosten für das Medikament "Avastin".
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V sind Kosten von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit eine Leistung notwendig war, wenn sie diese zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Beschluss vom 15.04.1997 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 15 m.w.N.; Urteil vom 25.09.2000 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22 S. 105 f.; Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 18/01 R -, jeweils veröffentlicht in juris). Diese Kausalität ist hier gegeben, da Medikamente erst nach Erlass des angegriffenen Bescheids beschafft wurden. Die Ablehnung war auch zu Unrecht erfolgt.
Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st. Rspr. vgl. z.B. BSGE 79, 125, 126 f. = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 51 f ... m.w.N.; Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - veröffentlicht in Juris). Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll.
Zutreffend hat das SG insoweit zwar ausgeführt, dass zum Behandlungszeitpunkt eine Zulassung für die Behandlung von Brustkrebs mit Avastin nicht vorlag und eine Zulassung zur Behandlung einer bereits mehrfach therapierten Brustkrebspatientin mit Avastin in der hier vorgenommenen Kombination mit Gemcitabine bis heute nicht erfolgt ist. Es kann offenbleiben, ob die nach der Rechtsprechung des BSG für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren. Danach muss es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehen, 2. keine andere Therapie verfügbar sein und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 30.06.2009 m.w.N. a.a.O.).
Denn jedenfalls sind im Falle der Ehefrau des Klägers die Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV erfüllt (zu den Voraussetzungen vgl. BVerfGE 115, 25; BSGE 96, 153; BSGE 96, 170; BSGE 97, 190; BSGE 100, 103). Die verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt, bezüglich dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BVerfG, aaO).
Hinsichtlich der Anwendung dieser vom BVerfG entwickelten Maßstäbe auf den Bereich der Arzneimittelversorgung hat das BSG ausgeführt, dass hierbei zu berücksichtigen sei, dass die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten den Leistungsansprüchen Versicherter selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen setzten. Dies habe das BVerfG betont, indem es in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.) herausgestellt habe, dass es mit der Verfassung in Einklang stehe, die Konkretisierung der Leistungen vor allem den Ärzten vorzubehalten (§ 15 Abs. 1 SGB V), und dass dementsprechend gerade die ärztliche Einschätzung der Behandlungschancen maßgeblich sei. Damit beziehe es in einem umfassenden Sinne die Regeln der ärztlichen Kunst in die Vorgaben für eine verfassungskonforme Auslegung des SGB V mit ein. Dem entspreche es, für den Bereich der Arzneimittel die spezifischen Sicherungen auch des Arzneimittelrechts in den Blick zu nehmen. So bestimmten die vom BVerfG betonten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten nicht nur die leistungserweiternde Konkretisierung der Leistungsansprüche der Versicherten, sondern sollten die Versicherten auch davor bewahren, auf Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen werde. Auch dürfe die Rechtsprechung des BVerfG nicht dazu führen, dass unter Berufung auf sie im Einzelfall Rechte begründet würden, die bei konsequenter Ausnutzung durch die Leistungsberechtigten institutionelle Sicherungen aushebelten, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet habe.
Vorliegend handelt es sich um eine Krankheitssituation, für die das BVerfG eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des SGB V im oben aufgezeigten Sinne gefordert hat. Dass die Ehefrau des Klägers unter einer schwerwiegenden Erkrankung gelitten hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Bis auf die fehlende Arzneimittelzulassung für die hier erfolgte Behandlung sind alle weiteren allgemeinen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der GKV erfüllt. Die Ehefrau des Klägers war bei der Beklagten versichert. Das Medikament ist ärztlich verordnet worden. Avastin ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und als solches nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen. Es unterfiel weder dem Katalog des § 34 Abs. 1 SGB V noch der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der GKV). Es wurde auch nicht im Rahmen einer Arzneimittelstudie verabreicht (zum grundsätzlichen Ausschluss solcher Mittel vgl. BSGE 93, 137 ff.). Das vom Kläger für seine Ehefrau im Einzelfall unter Vorlage eines Rezepts der behandelnden Onkologen beschaffte Mittel Avastin verfügte allerdings im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht über eine Zulassung für die Behandlung von Brustkrebs.
Es gab für die konkrete Behandlung der Ehefrau des Klägers im damaligen Krankheitsstadium weder ein zugelassenes Arzneimittel noch konnte im Rahmen eines zulässigen Off-Label-Gebrauchs ein Mittel eingesetzt werden, mit dem mit hinreichender Erfolgsaussicht zumindest eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs hätte erreicht werden können. Soweit der MDK N. sich in seiner Stellungnahme auf Prof. Dr. J. beruft, der eine palliative endokrine Therapie mit Aromasin angesprochen hat, ist zu berücksichtigen, dass alle auf dem hormonellen Sektor bestehenden Therapiemöglichkeiten nach Aussage von Prof. Dr. B. bereits eingesetzt worden waren. Der Ehefrau des Klägers war bereits im Oktober 2004 Exemestan verordnet worden, ohne dass hierdurch nach Angabe von Prof. Dr. Dr. B. die Progression der Krankheit hätte verhindert werden können. Nach Zunahme der Knochenmetastasierung wurde dann ab 17.11.2004 eine Chemotherapie mit Capecitabine begonnen. Nachdem die Chemotherapie mehrmals umgestellt worden war und sich zuletzt auch die Gabe von Herceptin mit Vinorelbin als aussichtslos erwiesen hatte, ist es nachvollziehbar, dass die allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten von den behandelnden Ärzten als ausgeschöpft angesehen worden sind.
Prof. Dr. J. hat in seinem Sachverständigengutachten für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass es sich in dieser Situation um einen vertretbaren Heilungsversuch gehandelt hat. Bezüglich der daraufhin angewandten, hier streitigen (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode bestand auch eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, um davon ausgehen zu dürfen, dass die behaupteten Behandlungserfolge mit hinreichender Sicherheit dem Einsatz gerade der streitigen Behandlung zugerechnet werden können und das einzugehende Risiko vertretbar ist, unterliegt Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung. Dabei sind Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen "je schwerwiegender die Erkrankung und ‚hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ‚ernsthaften Hinweise‘ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg". Dabei können als Beurteilungsgrundlage beim Fehlen anderer Studien auch "Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, u.Ä.; nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen" in Betracht kommen (BSG, Urt. vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, veröffentlicht in Juris m.w.N.).
Speziell bei der Arzneimittelversorgung müssen die vorhandenen Erkenntnisse abstrakt die Annahme rechtfertigen, dass mit der geplanten Arzneimitteltherapie der angestrebte Erfolg erreicht werden kann und zwar in dem Sinne, dass die Anwendung des Arzneimittels - unter Berücksichtigung von Spontanheilung und wirkstoffunabhängigen Effekten - eher zu einem therapeutischen Erfolg führt als seine Nichtanwendung (BSG, Urt. vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, veröffentlicht in Juris m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen bestand hier eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch den vorgenommenen Heilungsversuch. Bevacizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) bindet. Über die Neutralisierung von VEGF soll die Vaskularisierung von Tumoren reduziert, das vorhandene Tumorgefäßsystem normalisiert und die Bildung neuer Tumorgefäßsysteme gehemmt werden. Bevacizumab war in Europa zugelassen zur Behandlung von fortgeschrittenen Karzinomen des Kolons, des Rektums, der Lunge und der Niere. Im Jahr 2001 wurde mit der Studie ECOG2100 als Ersttherapie bei Patientinnen mit Lokalrezidiv oder metastasiertem Brustkrebs Taxol mit oder ohne Avastin untersucht und im Jahr 2005 auf dem ASCO hierüber berichtet, dass sich das progressionsfreie Überleben unter Avastin signifikant verbessert habe, auch wenn eine Verbesserung des Gesamtüberlebens nicht nachgewiesen werden konnte.
Prof. Dr. Dr. B. hat gegenüber dem SG unter dem 20.12.2006 schriftlich ausgesagt, dass aufgrund einer onkologischen Besprechung sowohl von ihm als auch vom Universitätsklinikum F. die Behandlung mit Avastin in Kombination mit Gemcitabine angeraten worden sei, nachdem trotz der erfolgten Behandlungen die Erkrankung massiv progredient verlief. Er hat sich zur Begründung der Entscheidung für die Behandlung mit Avastin auf die Studie E2100 berufen, die in der Folge zu der genannten Zulassung des Medikaments zur Behandlung von Brustkrebs in Europa und den USA geführt hat (vgl. unten). Prof. Dr. Dr. B., Universitätsklinikum F. hat unter dem 23.11.2006 dargelegt, dass die Annahme der Wirkung von Avastin auf dem Nachweis von VEGF im Tumorgewebe beruhte. Es habe sich um einen individuellen Therapieversuch gehandelt.
Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat diese Einschätzung für den Senat schlüssig und überzeugend bestätigt. Er hat insbesondere dargelegt, dass bei der Patientin immunhistochemisch im Primärtumor eine Her2/Neu-negative Erkrankungssituation nachgewiesen worden sei. Ebenfalls sei im Tumorgewebe der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) nachgewiesen worden. Hierauf habe die Überlegung des Einsatzes von Avastin beruht. Bei Her2/Neu-negativem Status sowie dem Nachweis von VEGF im Tumorgewebe sei eine Off-Label-Anwendung im Sinne eines individuellen Heilversuches durchaus zu rechtfertigen. Dem kann nicht erfolgreich entgegengehalten werden, dass Bevacizumab prospektiv-randomisiert geprüft in der Zweitlinientherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom keinen Zusatznutzen im Vergleich zur allgemeinen Chemotherapie aufgezeigt habe. Es handelte sich hier um einen individuellen letzten Heilungsversuch mit Bevacizumab und Gemcitabin, der, wie dargelegt, mit pathophysiologischen Überlegungen begründet und begründbar war.
Auch die vor der Behandlung mit einem Arzneimittel der vorbeschriebenen Art regelmäßig erforderliche abstrakte und konkret auf den Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse musste im Falle der Ehefrau des Klägers unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes damit im März 2006 noch positiv ausfallen, da es sich, wie dargelegt, um den letzten noch denkbaren Behandlungsversuch handelte. Bei der dargestellten Sachlage musste es den behandelnden Ärzten und der Patientin bzw. dem von ihr bevollmächtigten Ehemann überlassen bleiben, zu entscheiden, ob dieser individuelle Heilungsversuch noch unternommen sollte oder nur noch ausschließlich palliativ begründete Behandlungen erfolgen sollten.
Die arzneirechtliche Entwicklung unmittelbar nach dieser Behandlung bestätigt die Vertretbarkeit der positiven Risiko-Einschätzung der behandelnden Ärzte zum damaligen Zeitpunkt. Am 26.05.2006 wurde bei der FDA und der EMEA die Zulassung von Avastin als Ersttherapie bei metastasiertem Brustkrebs beantragt. Bereits am 28.03.2007 erweiterte die EMEA die Zulassung des Medikaments auf die Kombination mit Paclitaxel in der First-Linie-Behandlung von Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom. Im Dezember 2007 stimmte ein unabhängiges Expertenkomitee der FDA mit 5 zu 4 Stimmen zwar gegen die Zulassung. Die Zulassung der Kombination mit Paclitaxel erfolgte durch die FDA am 22.02.2008 für die Erstlinien-Behandlung von Patientinnen mit Her2/Neu-negativem, metastasiertem Mammakarzinom in einem beschleunigten Verfahren unter der Bedingung, dass weitere Belege zum klinischen Nutzen erbracht werden. Noch im Juli 2009 stimmte die EU-Kommission der Zulassungserweiterung für Avastin zur Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen (metastasierten) Brustkrebses auch kombiniert mit Docetaxel zu.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die erfolgte Behandlung zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl anders zu beurteilen wäre. Avastin ist zwar nun für die Behandlung von Brustkrebs zugelassen. Aus einer Pressemitteilung der European Medicines Agency (EMA) vom 16.12.2010 geht hervor, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA den Einsatz von Bevacizumab in Kombination mit Taxanen bei metastasiertem Brustkrebs einer Überprüfung unterzogen hat und in seinem Review zu dem Schluss gekommen ist, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Bevacizumab in Kombination mit Docetaxel negativ ist. Für die Kombination mit Paclitaxel konnte der CHMP weder einen positiven noch einen negativen Einfluss auf das Gesamtüberleben feststellen, sieht aber eine im Vergleich zu Docetaxel deutliche Verlängerung des progressionsfreien Überlebens. Die Nutzen-Risiko-Bewertung des CHMP fällt daher für Bevacizumab in Kombination mit Paclitaxel positiv aus. Demgegenüber ist die amerikanische Food & Drug Administration (FDA) nach einer Presseerklärung ebenfalls vom 16.12.2010 nach Sichtung der Studien zu dem Schluss gekommen, dass Bevacizumab zusätzlich zu einer Chemotherapie weder das Gesamtüberleben der Brustkrebspatientinnen verlängern noch die Progression der Erkrankung in einem Maße verzögern kann, das die Inkaufnahme der zum Teil schweren Nebenwirkungen rechtfertigen würde. Die FDA hat ein Verfahren eingeleitet, um die Zulassung von Bevacizumab zur Brustkrebsbehandlung komplett zurückzunehmen. Die FDA begründet ihre aktuelle Empfehlung damit, dass eine Verlängerung des Gesamtüberlebens in allen vier Studien zur Anwendung von Bevacizumab bei Brustkrebs nicht belegt werden konnte. Zwar bestätigte sich eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens durch Hinzufügen von Bevacizumab zu einer Standardchemotherapie. In den aktuell vorgelegten Daten sei diese jedoch geringer ausgefallen als in der E2100-Studie, die zur Zulassung geführt hatte. Die FDA führt weiter aus, dass bislang auch kein Nachweis einer relevanten Verbesserung oder Verzögerung krankheitsassoziierter Symptome bzw. patientenrelevanter Endpunkte, wie einer Verbesserung der Lebensqualität, erbracht worden sei. Die Erweiterung einer Standardchemotherapie um Bevacizumab führe hingegen zu einer Zunahme schwerwiegender unerwünschter Ereignisse. Zu diesen schweren Nebenwirkungen zählten Bluthochdruck, Blutungen, Hämorrhagien, Magen-, Darm- und Nasenperforationen, Schlaganfall und Myokardinfarkt. Die positive Einschätzung der EMA zur Kombination mit Paclitaxel werde nicht geteilt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie berücksichtigt, dass im Berufungsverfahren die Rechtsstreitigkeiten L 5 KR 4653/08 und L5 KR 4430/08 miteinander verbunden wurden, der Kläger aber nur hinsichtlich der Erstattung von Kosten für das Medikament Avastin erfolgreich war, nicht aber bezüglich des Arzneimittels Herceptin.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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