L 12 SO 485/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 74/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 485/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 01.06.2010 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Detmold zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Kürzung ihrer Grundsicherungsleistung für den Monat Januar 2010 in Höhe von 125,65 EUR unter dem Aspekt der häuslichen Ersparnis während einer stationären Krankenhausbehandlung und einer sich anschließenden Rehabilitationsmaßnahme.

Die Klägerin erhält von der Beklagten regelmäßig Leistungen der Grundsicherung. Ab Juli 2009 betrug der monatliche Regelsatz 359,00 EUR. In der Zeit vom 23.11.2009 bis 21.01.2010 befand sich die Klägerin stationär in einem Krankenhaus in C. Direkt im Anschluss daran wurde sie am 21.01.2010 in eine Rehabilitationsklinik in Bad P verlegt, wo sie bis 11.02.2010 verblieb. Mit Bescheid vom 15.12.2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Monat Januar 2010 wiederum Leistungen der Grundsicherung. Dabei kürzte sie die Leistungen um 125,65 EUR. Die Beklagte ging davon aus, dass im Regelsatz jedenfalls in Höhe von 35 % Leistungen für die Verpflegung enthalten seien. Da die Klägerin im kompletten Monat Januar 2010 in stationärer Behandlung gewesen sei (Krankenhaus und Rehabilitationseinrichtung) und sie dort vollständig verpflegt worden sei, sei die Kürzung des Regelsatzes um 35 % = 125,65 EUR gerechtfertigt. Eine zusätzlich ohne Verwaltungsakt vorgenommene Kürzung für Dezember 2009 in gleicher Höhe hat die Beklagte nach Hinweis des Senats durch Erklärung vom 23.02.2011 zurückgenommen.

Gegen den Bescheid vom 15.12.2009, mit dem eine Kürzung für Januar 2010 in Höhe von 125,65 EUR vorgenommen wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, die Kürzung des Regelsatzes sei nicht rechtens. Zwar habe sie im Krankenhaus und in der Rehabilitationseinrichtung die zur Verfügung gestellte Vollverpflegung genutzt, jedoch sei eine häusliche Ersparnis nicht eingetreten. Vielmehr habe sie eine Vielzahl von Kompensationskosten während des stationären Krankenhausaufenthaltes gehabt, die einer häuslichen Ersparnis entgegen stünden. Es seien Kosten für einen neuen Schafanzug, ein neues Nachthemd und einen neuen Bademantel angefallen. Ebenfalls seien Kosten für die Nutzung des Telefons und des Fernsehers auf ihrem Zimmer angefallen. Belege hierzu hat die Klägerin nicht vorgelegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werde der Bedarf abweichend festgestellt, wenn im Einzelfall der Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt sei. Während des stationären Krankenhausaufenthalts werde der Bedarf insoweit anderweitig gedeckt, als die Klägerin dort kostenlos vollständig verpflegt werde und insofern eigene Aufwendungen für die Ernährung erspart würden. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinen Entscheidungen B 14 AS 42/07 R und B 4 AS 9/09 R eine abweichende Bedarfsfestsetzung im SGB XII für möglich erachtet. Die vorgenommene Kürzung des Regelsatzes halte sich in diesem Rahmen.

Am 24.03.2010 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Detmold Klage erhoben und ihr Anliegen weiter verfolgt. Eine Regelsatzkürzung während der Zeit des stationären Krankenhausaufenthaltes und der anschließenden Rehamaßnahme sei rechtswidrig. So sei zwar anerkannt, dass nach § 28 SGB XII der Regelsatz abweichend festgelegt werden könne, wenn der Bedarf anderweitig gedeckt sei. Da aber bei Krankenhausaufenthalten keine Ersparnis in der Haushaltskasse entstehe und die Beklagte keine individuellen Ermittlungen geführt habe, welche Aufwendungen tatsächlich durch den Krankenhausaufenthalt erspart worden seien, sei die Regelsatzkürzung rechtswidrig.

Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 15.12.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2010 zu verpflichten, ihr Grundsicherungsleistungen aus dem ungekürzten Regelsatz zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung festgehalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.06.2010 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.12.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2010 verpflichtet, der Klägerin Grundsicherungsleistungen aus dem ungekürzten Regelsatz zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es keinen gesicherten Erfahrungssatz gebe, dass man in der Haushaltskasse durch einen Krankenhausaufenthalt Geld einsparen könne. Dies sei zwar im Einzelfall möglich, müsse aber ermittelt werden. Die Beklagte habe keinerlei Ermittlungen in dieser Hinsicht angestellt, so dass der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grunde aufzuheben gewesen sei. Wegen des genauen Wortlauts der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug genommen.

Gegen diesen ihr am 02.06.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 28.06.2010 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Auf die Beschwerde der Beklagten hin hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 01.09.2010 zugelassen. Das Verfahren ist gemäß § 145 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Berufungsverfahren fortgesetzt worden.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das Sozialgericht die Ermittlungspflicht der Beklagten überspanne. Von der Klägerseite sei kein konkreter Sachvortrag dahin erfolgt, weshalb trotz des Krankenhausaufenthalts Verpflegungsaufwendungen angefallen oder Kompensationskäufe getätigt worden seien. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, auf eine bloße Möglichkeit oder einen Verdacht hin umfangreiche Ermittlungen anzustellen. Das Sozialgericht verschiebe die Beweiserhebungs- und Ermittlungspflicht in nicht angemessener Weise auf die Beklagte. Wegen des genauen Wortlauts des Vortrags der Beklagten wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 28.06.2010 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 01.06.2010 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Auf Anforderung des Senats hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.02.2011 mitgeteilt, für den Krankenhausaufenthalt in der Zeit vom 23.11.2009 bis 21.01.2010 seien zusätzliche Anschaffungen erforderlich gewesen. Die Klägerin habe zusätzliche Hygieneartikel, zusätzliche Nacht- und Unterwäsche, Jogginghosen und Hausschuhe benötigt, wodurch insgesamt Anschaffungskosten in Höhe von 205,84 EUR entstanden seien. Aufgrund der durch die Aufenthalte entstandenen Kosten könne von einer häuslichen Ersparnis durch die Vollverpflegung im Krankenhaus und bei der späteren Rehabilitationsmaßnahme keine Rede sein.

Die Klägerin hat Quittungen vom 07., 08., 11., 16., 18., 20., 22., 29. und 30.01.2010 über insgesamt 205,84 EUR vorgelegt, aus denen sich ihrer Ansicht nach die getätigten notwendigen Käufe wegen des Krankenhausaufenthalts während der Rehabilitationsmaßnahme ergeben sollen. Wegen der genauen Aufschlüsselung der Rechnungen wird auf die Seiten 88 bis 91 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beklagte hat sich im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.02.2011 nicht in der Lage gesehen, zu erklären, welche Aufwendungen man der Höhe und dem Grunde nach als notwendig für die Klinikaufenthalte ansehen kann.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, obwohl nur um einen Betrag von 125,65 EUR für Januar 2010 gestritten wird. Bezüglich des Streitgegenstandes wird auf den Hinweis des Senats vom 03.02.2011 und die übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten im Termin vom 23.02.2011 Bezug genommen. Die somit an sich gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossene Berufung ist vom Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin mit Beschluss vom 01.09.2010 zugelassen worden. An diese Zulassung bleibt der Senat gebunden und sie bewirkt nach § 145 Abs. 5 SGG, dass das ursprüngliche Beschwerdeverfahren als - nunmehr zulässiges - Berufungsverfahren fortzuführen war.

Die Berufung ist auch im Sinne der Zurückverweisung begründet. Das Sozialgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der angefochtene Bescheid vom 15.12.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2010 allein deshalb aufzuheben sei, weil die Beklagte im Einzelfall nicht ermittelt habe, welche Kosten die Klägerin ganz konkret eingespart habe. Vielmehr sind diese Ermittlungen im Gerichtsverfahren durchzuführen, wenn entsprechende Anhaltspunkte vorliegen. Entsprechende Anhaltspunkte, Ermittlungen durchzuführen, sind erst aufgrund des Schriftsatzes der Klägerin vom 16.02.2011 und den hiermit vorgelegten Quittungen erkennbar geworden. Diese Quittungen lassen erstmals erkennen, dass der Klägerin während ihres Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalts sogenannte Kompensationsaufwendungen entstanden sein könnten, die eine Ersparnis von 125,65 EUR - wie von der Beklagten angenommen - jedenfalls zweifelhaft erscheinen lassen. Der Senat hat darauf verzichtet, diese Ermittlungen selbst durchzuführen, sondern hat den Rechtsstreit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG an das Sozialgericht zurückverwiesen, um den Beteiligten keine Instanz zu nehmen. Erst nach Erlass des angefochtenen Gerichtsbescheids sind die vorgelegten Quittungen bekannt geworden.

Der Bedarf von Hilfesuchenden wird nach § 28 Abs. 1 Satz 1 nach Regelsätzen erbracht. Dieser Regelsatz betrug im Januar 2010 für eine Einzelperson 359,00 EUR im Monat. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden die Bedarfe abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist. Dies könnte hier der Fall sein. Ob dies so ist und in welcher Höhe, wird vom Sozialgericht noch zu ermitteln sein.

Der Senat hält es für denkbar, dass bei einem Krankenhausaufenthalt von einem vollen Kalendermonat Einsparungen bis zu dem Betrag möglich sind, der im Regelsatz für Ernährung enthalten ist. Dies kann der von der Beklagten ermittelte Betrag von 125,65 EUR sein. Gesicherte Erkenntnisse hierüber, da mag das Sozialgericht Recht haben, existieren wohl nicht. Die Erkenntnisquellen können auch durchaus von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein. Der Senat hält es jedoch nicht für richtig, die Ermittlungspflicht einseitig der Beklagten aufzuerlegen. Um zu einem für beide Seiten tragbaren Ergebnis zu gelangen, hält der Senat folgende Vorgehensweise für sinnvoll:

Vertritt die Beklagte bei einem mindestens einen Monat andauernden Krankenhausaufenthalt die Auffassung, dass hierdurch der Bedarf um einen Betrag X gedeckt sei, das können im Januar 2010 durchaus 125,65 EUR gewesen sein, so hat sie das dem Betreffenden mitzuteilen und anzufragen, ob diese Einsparung beim Betreffenden auch tatsächlich eingetreten ist und was konkret dagegen sprechen könnte. Kommt vom Hilfeempfänger keinerlei Vortrag zu den ersparten oder nicht ersparten Aufwendungen, so ist die Beklagte nicht verpflichtet, auf den blauen Dunst hin zu ermitteln, ob tatsächlich Aufwendungen erspart worden sind. Sie kann dann den Regelsatz um einen angemessenen Betrag, vorliegend höchstens jedoch um 125,65 EUR, kürzen. Kommt jedoch ein plausibler Vortrag, aus welchen Gründen tatsächlich eine Ersparnis nicht eingetreten sei, so hat die Beklagte dem nachzugehen. Nur wenn die Beklagte dies dann unterlässt und gleichwohl kürzt, könnte man mit dem Sozialgericht die Kürzungsbescheide allein wegen der unterlassenen Ermittlungen aufheben. Diese Ermittlungen können wegen der Amtsermittlungspflicht auch noch im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Der Umfang der anzustellenden Ermittlungen hängt vom jeweiligen Sachvortrag ab. Je weniger vorgetragen wird, desto geringer fällt die Ermittlungspflicht aus. Hier ist erstmals im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 16.02.2011 konkreter Sachvortrag dahin erfolgt, dass der Klägerin wegen des Rehabilitationsaufenthalts zusätzliche Aufwendungen entstanden sind, die letztlich eine Kostenersparnis auch in nur geringem Umfang zweifelhaft erscheinen lassen könnten. Das Sozialgericht wird die vorgelegten Rechnungen durchzugehen und zu prüfen haben, welche Aufwendungen durch die Rehabilitationsmaßnahme tatsächlich zusätzlich erforderlich geworden sind und ob wirklich eine Kostenersparnis in dem von der Beklagten angenommenen Umfang eingetreten ist oder nicht. Der Senat hat, um den Beteiligten keine Tatsacheninstanz zu nehmen, diese Ermittlungen nicht selbst durchgeführt, sondern hat von seinem Ermessen Gebrauch gemacht, den Rechtsstreit gemäß § 159 SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen.

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Sozialgericht auch über die Kosten des Berufungsverfahrens mit zu befinden haben.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 Ziffer 1 und Ziffer 2 SGG aufgestellten Voraussetzungen nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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