Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 KR 47/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Krankenkasse kann unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens verpflichtet sein, die den jeweiligen Festbetrag übersteigenden Kosten für Hörgeräte zu erstatten. Darunter fallen zunächst atypische Einzelfälle, bei denen eine genügende Versorgung zu Festbeträgen nicht möglich ist. Der Gesichtspunkt des Systemversagens kann auch dann zu bejahen sein, wenn die Krankenkasse ihre dem Versicherten gegenüber bestehenden Obhuts- und Informationspflichten nicht beachtet hat.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2009 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 3.312,64 EUR zu erstatten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für zwei Hörgeräte X V. 2 über den Festbetrag hinaus in Höhe von 3.312,64 EUR.
Mit Bescheid vom 1. November 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Kosten in Höhe von 1.192,80 für zwei Hörgeräte abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20 EUR. In der Folgezeit passte die Firma B. Hörgeräte GmbH in A-Stadt der Klägerin verschiedene Hörgeräte an. Die beste Wirkung erzielte die Klägerin mit den streitigen Geräten. Hierfür forderte die Firma B. Hörgeräte GmbH von der Klägerin einen Eigenanteil in Höhe von 3312,64 EUR. In der Folgezeit stellte die Firma B. der Klägerin diese Geräte leihweise zur Verfügung. Man hatte vereinbart, dass diese Überlassung so lange andauern würde, bis die Übernahme der Mehrkosten geregelt wäre.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2008, eingegangen bei der Beklagten am 3. Juli 2008, beantragte die Klägerin die Übernahme dieser Kosten. Die Beklagte veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage bei der HNO-Ärztin Dr. N. (MDK Hessen) vom 16. August 2008. Diese kam zu der Einschätzung, dass eine Kostenübernahme der Hörgeräteversorgung nur in Höhe der geltenden Festbeträge zu empfehlen sei. Nach den Ergebnissen der Testung mit 65 dB Nutzschall/60 dB Störschall könne mit dem streitigen Gerät ein besseres Einsilberverständnis von 60 % gegenüber 5 % mit den Festbetragsystemen erreicht werden. Dies sei sozialrechtlich als ein über die Grundbedürfnisse eines Erwachsenen hinausgehendes verbessertes Hören in speziellen Hörsituationen zu werten. Bei Erwachsenen würden aufgrund der dort anders definierten Grundbedürfnisse niedrigere Festbeträge für Hörgeräte festgelegt.
Mit Bescheid vom 27. August 2008 lehnte die Beklagte eine höhere Kostenübernahme ab. Dagegen legte die Klägerin am 3. September 2008 Widerspruch ein. Die Beklagte holte in der Folgezeit ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage bei Dr. V. (HNO, MDK Hessen) vom 26. November 2008 ein. Die Gutachterin kam zu der Einschätzung, dass vorliegend keine audiologischen Besonderheiten vorlägen und keine weiteren Behinderungen anderer Organsysteme, die eine Sonderfallentscheidung möglich machen würden. Die Verpflichtung des Hörgeräteakustikers bestehe darin, der Versicherten zwei Hörsysteme zum vereinbarten Vertragspreis anzubieten. Diese Systeme müssten geeignet sein, den individuellen Hörverlust auszugleichen, unter dem Aspekt einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung. Bei den von dem Hörgeräteakustiker B. angebotenen Hörgeräten sei zu hinterfragen, ob diesem Grundsatz gefolgt worden sei, wenn die Versicherte Hörgeräte angeboten bekommen habe, die keine ausreichende Verbesserung ihres Hörvermögens bewirken würden. Das der Versicherten angebotene Hörgerät sei entweder schlecht ausgewählt oder nicht adäquat programmiert worden. Dieser Mangel in der Auswahl und Anpassung könne aber nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angelastet werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Im Anschluss daran erwarb die Klägerin bei der Firma B. die Hörgeräte und übernahm sie endgültig am 11. Februar 2009.
Am 20. Februar 2009 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Die Kammer hat eine Auskunft der Firma A. vom 9. April 2009 eingeholt. Darin teilt diese mit, dass mit dem zuzahlungsfreien Gerät B. V. 1 eine für die Klägerin ausreichende und zweckmäßige Versorgung zu erreichen gewesen sei. Allerdings bringe das streitige Gerät eine wirkungsvolle Störschallunterdrückung mit sich. Außerdem leide die Klägerin an einer Hyperakusis. Ohne frequenzabhängige Kompression könne die Klägerin einige laute Situationen/Geräusche nicht ertragen. Diese Technik biete das preiswertere Gerät nicht.
Außerdem hat die Kammer ein HNO-ärztliches Sachverständigengutachten bei dem Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf-, Hals- und plastische Gesichtschirurgie des Klinikums A-Stadt, PD Dr. C., vom 22. Juli 2010 eingeholt. Nach seinen Feststellungen leidet die Klägerin unter einer mittelgradigen, beidseits symmetrischen, pantonalen sowie Hochton-betonten Innenohrschwerhörigkeit. Der Sachverständige vertritt die Auffassung, dass die streitigen Hörgeräte zum Ausgleich des Hörverlustes der Klägerin notwendig seien. Dabei würden nicht allein die objektiven, audiometrisch messbaren Vorteile der X Geräte, sondern unter den erschwerenden Bedingungen einer deutlich herabgesetzten Unbehaglichkeitsschwelle gerade auch die subjektiven Eindrücke und Empfindungen der Klägerin eine ganz wesentliche Rolle spielen. Die geringere Tendenz zur Entstehung von Rückkopplungsgeräuschen und ein qualitativ besseres Sprachverstehen in lauter Umgebung seien Faktoren, die sich nicht kategorisch messen ließen und individuell ausgesprochen unterschiedlich bewertet werden könnten. Folglich seien die streitigen Hörgeräte die einzigen, die im Stande seien, die genannten, äußerst unangenehmen Begleitsymptome auszugleichen bzw. abzumildern. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Sachverständigen wird auf das Gutachten vom 22. Juli 2010 (Bl. 90 126 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Klägerin weist darauf hin, dass nach den Messergebnissen des Hörgeräteakustikers eine Standardversorgung bei ihr zum Behinderungsausgleich nicht ausreichen würde. Dies liege insbesondere an den Störgeräuschen. Diese seien in allen hochkommunikativen Situationen mit mehreren Teilnehmenden und in größeren und halligen Räumen allgegenwärtig. Diese Situationen würden ihren beruflichen und privaten Alltag kennzeichnen. Bei den Störgeräuschen habe sich in den Tests gezeigt, dass immer dann, wenn Alltagsgeräusche eingeblendet worden seien, sie nahezu nichts mehr hören können. Die Hyperakusis stelle sich so dar, dass sie gegen bestimmte Geräusche empfindlich reagiere. Durch das X-Gerät würden diese Geräusche aufgrund der Programmierung so moduliert, dass ihr diese nicht mehr unangenehm wären.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 27. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.312,64 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Der von der Beklagten angehörte Dr. S. (HNO, MDK Hessen) geht in seiner Stellungnahme vom 25. August 2009 davon aus, dass der Hörgeräteakustiker offenbar keine zwei geeigneten Hörgeräte zum Festbetrag bei der Klägerin angepasst habe. Aus den vorgelegten Messungen des Hörgeräteakustikers würden sich auch keine Gründe für die unbefriedigenden Ergebnisse der Anpassung ergeben. Unter Bezugnahme auf eine weitere Stellungnahme des Dr. S. vom 21. September 2010 äußert die Beklagte, dass dem Gutachten des Dr. C. nicht gefolgt werden könne. Die im Rahmen der dortigen Untersuchung durchgeführten Messungen seien nicht fachgerecht erfolgt. Es könne nicht sein, dass die Testung des Einsilberverstehens ohne Hörgeräte in ruhiger Umgebung besser sei als mit Hörgeräten. Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. April 2011 verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß zum Termin geladen worden war und die Ladung einen entsprechenden Hinweis (§ 110 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) enthielt.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin 3.312,64 EUR zu erstatten.
Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 S. 1 Fall 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V), wonach die Krankenkasse dann, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, die für die selbstbeschaffte Leistung entstandenen Kosten zu erstatten hat, soweit die Leistung notwendig war.
Vorliegend hat die Beklagte ihre Leistungsverpflichtung zu Unrecht auf den Festbetrag in Höhe von 1.192,80 EUR abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20,00 EUR begrenzt. Dadurch sind der Klägerin die begehrten Kosten in Höhe von 3.312,64 EUR entstanden. Die Kausalität zwischen der Leistungsablehnung und der Kostenbelastung ist gegeben, weil der Beklagten die Gelegenheit und die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich vor Inanspruchnahme der Versorgung mit dem Leistungsbegehren der Klägerin zu befassen.
Rechtsgrundlage des primär verfolgten Leistungsanspruchs ist vorliegend § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u.a. mit Hörhilfen, wenn sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen und im Einzelfall erforderlich sind, um entweder den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Dass es sich bei den streitigen Hörgeräten nicht um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt oder diese nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung. Die Hörgeräte dienen auch dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, denn sie sollen die beeinträchtigten Körperfunktionen direkt ersetzen. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktionen selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Bei einem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX), weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktionen als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Rdnr. 15 m.w.N. - zitiert nach juris).
Begrenzt wird der Anspruch auf das streitige Hilfsmittel durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des §§ 12 Abs. 1 SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Aufgrund des Sachverständigengutachtens des Dr. C. steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine wirtschaftlichere Versorgung der Klägerin nicht möglich gewesen ist. Dieser hat für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass es bei der Ausstattung eines Hörbehinderten bei der Geräteauswahl und Geräteanpassung nicht allein auf das audiometrisch messbare Hörvermögen ankommt. Insoweit hat er eingeräumt, dass im Vergleich zwischen den unterschiedlichen Geräten keine solchen Unterschiede bestanden, die die Auswahl der streitigen Geräte gerechtfertigt hätten. Der Sachverständige hat insoweit jedoch überzeugend ausgeführt, dass maßgeblich insoweit bei der Klägerin unter den erschwerenden Bedingungen einer deutlich herabgesetzten Behaglichschwelle gerade die subjektiven Eindrücke und Empfindungen die wesentliche Rolle spielen. Die geringere Tendenz zur Entstehung von Rückkopplungsgeräuschen und ein qualitativ besseres Sprachverstehen in lauter Umgebung sind nach den Ausführungen des Sachverständigen Faktoren, die sich nicht kategorisch messen lassen und individuell ausgesprochen unterschiedlich bewertet werden können. Nach den durchgeführten Testungen kommt der Sachverständige nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin unter diesen Gesichtspunkten die streitigen X-Hörgeräte die einzigen sind, die im Stande waren, die von der Klägerin geäußerten unangenehmen Begleitsymptome auszugleichen bzw. abzumildern. Der Sachverständige verweist nachvollziehbar unter Hinweis auf die wissenschaftliche Literatur darauf, dass die Auswahl und Anpassung einer Hörhilfe eine Kunst darstellt, die sich aus der technischen Handhabung der audiometrischen Testverfahren und dem Gefühl für die individuellen Bedürfnisse des zu Versorgenden zusammensetzt. Es müssen also objektiv messbare Daten zusammengeführt werden mit rein subjektiv empfundenen Wahrnehmungen des Schwerhörigen, wobei sich letztere in keiner noch so ausgefeilten Testserie nachweisen lassen.
Die Klägerin muss sich auch nicht auf die geltenden Festbetragsregelungen der §§ 35 und 36 SGB V verweisen lassen. Zwar ist höchstrichterlich geklärt, dass die geltenden gesetzlichen Festbetragsregelungen verfassungsgemäß sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002, 1 BvL 28/95 u.a.). Damit genügt die Krankenkasse grundsätzlich ihrer Leistungspflicht im Geltungsbereich einer Betragsfestsetzung durch den und bis zu dem jeweiligen Festbetrag (BSG, a.a.O., Rdnr. 30).
Das BSG hat jedoch in seiner Leitentscheidung vom 17. Dezember 2009 (a.a.O., Rdnr. 36) zutreffend ausgeführt, dass die Festbetragsregelung die Krankenkassen nicht von ihrer Pflicht enthebt, im Rahmen der Sachleistungsverantwortung im Sinne des §§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB V für eine ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Hieraus können gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten erwachsen, wenn vor allem bei anpassungsbedürftigen Hilfsmitteln der notwendige Überblick über die Marktlage und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig zu erlangen ist. Das Festbetragsregime setzt nicht die Verantwortung der Kassen für die Leistungsverschaffung im Rahmen des Sachleistungsprinzips außer Kraft, sondern modifiziert nur das Entscheidungsverfahren zur Bestimmung der angemessenen Vergütung. Daraus schlussfolgert das BSG zutreffend die Verpflichtung, dass Versicherten bei einem unübersichtlichen Leistungsangebot ein konkreter Weg zu den gesetzlich möglichen Leistungen aufzuzeigen ist (BSG, a.a.O., Rdnr. 36 m.w.N.).
Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 2009 (L 5 KR 867/07) stellt das BSG (a.a.O. Rdnr. 36) außerdem zutreffend die Frage, es könne zweifelhaft sein, ob schon die abstrakte Möglichkeit einer ausreichenden Versorgung zum Festbetrag zur Erfüllung der Leistungspflicht ausreicht, wenn der Versicherte trotz zumutbarer eigener Anstrengungen den Weg zu der erforderlichen Versorgung nicht findet. Denn dann liegt ein Systemversagen vor, welches ausnahmsweise die Übernahme der den Festbetrag übersteigenden Kosten des Hilfsmittels rechtfertigen kann. Die Erstattung der Kosten für selbst beschaffte Leistungen kommt nämlich dann in Betracht, wenn das Sachleistungssystem generell versagt, etwa angemessene Behandlungsmöglichkeiten (gar) nicht zur Verfügung gestellt werden oder etwa das Verfahren hinsichtlich der Aufnahme neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aus willkürlichen, auf sachfremden Erwägungen beruhenden Gründen blockiert oder verzögert wird. Darüber hinaus kann ein Systemversagen auch vorliegen, wenn die Festbeträge zwar zum Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderungen objektiv ausreichen, jedoch in besonders gelagerten, atypischen Einzelfällen eine den Maßgaben des §§ 12 Abs. 1 SGB V genügende Versorgung des Versicherten nicht hinreichend sicherstellen können. Bei der der Festbetragsfestsetzung durch Allgemeinverfügung zu Grunde liegenden, generalisierenden Betrachtungsweise ist es nämlich nicht möglich, jeden Einzelfall in all seinen Besonderheiten zu bedenken und zu berücksichtigen. Deswegen sind unverhältnismäßige Einschränkungen des auch bei Festbetragsleistungen fortbestehenden Sachleistungsanspruchs des Versicherten in besonders gelagerten Einzelfällen nicht auszuschließen. Liegt ein solcher Fall vor, hat das Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung - als Sachleistung mit Festbetrag - versagt und es bedarf insoweit der Ergänzung durch einen auf § 13 Abs. 3 SGB V gestützten Erstattungsanspruch, wobei insoweit strenge Anforderungen zu stellen sind. Lediglich zusätzliche oder verbesserte Funktionen und Gebrauchsvorteile allein reichen nicht aus (Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O. Rdnr. 45, 46).
Beide Gesichtspunkte sind im vorliegenden Rechtsstreit einschlägig: Die Durchführung des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens durch die Beklagte war fehlerhaft. Die Beklagte ist ihrer Amtsermittlungspflicht zur Klärung des Sachverhalts in Bezug auf eine Ausstattung der Klägerin mit den für diese notwendigen Hörgeräten nicht ausreichend nachgekommen. Die Einschaltung des MDK war nicht ausreichend. Die Ergebnisse des MDK hätten anders verwertet werden müssen. Das Gutachten von Dr. N. vom 16. August 2008 beschäftigt sich im Wesentlichen mit der These, inwieweit durch das streitige Gerät ein "über die Grundbedürfnisse eines Erwachsenen hinausgehendes verbessertes Hören in speziellen Hörsituationen" erreicht werden kann. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2008 ebenso wie die vorangegangene E-Mail vom 26. August 2008 weisen nur auf das Ergebnis der MDK-Begutachtung in, wonach die bewilligte Versorgung ausreichend sei. Damit wird jedoch sowohl von der MDK-Gutachterin wie auch von der Beklagten verkannt, dass es bei dem Anspruch auf Hörgeräteversorgung als unmittelbarem Behinderungsausgleich nicht um eine Basisversorgung gehen kann. Die Gutachterin Dr. V. weist im Gutachten vom 26. November 2008 auf mögliche qualitative Mängel bei der Anpassung durch den Hörgeräteakustiker hin. Es könne nicht angehen, dass die Klägerin unter Störschallbelastungen ohne Hörgerät besser verstehe als mit dem angebotenen Hörgerät. Das Hörgerät sei dann entweder schlecht ausgewählt oder nicht adäquat programmiert gewesen. Sie meint dann allerdings in diesem Zusammenhang, dass dieser Mangel in der Auswahl und Anpassung nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angelastet werden könne. Die Beklagte hat sich sodann überhaupt nicht mit dieser Einschätzung der Gutachterin auseinandergesetzt sondern vielmehr, ohne sich mit der Klägerin nochmals in Verbindung zu setzen, den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2009 zurückgewiesen. Dabei hätte die Beklagte die Feststellungen der Gutachterin zum Anlass nehmen müssen, weitere Sachermittlungen durchzuführen. Denn es ist entgegen der Auffassung der MDK-Gutachterin Dr. V. gerade Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen, für eine ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Wenn Anzeichen bestehen, dass ein Unternehmen aus der Hörgeräteakustik einen Versicherten möglicherweise im Hinblick auf vermehrten Umsatz und Gewinnsteigerungen nicht ausreichend berät und entweder Hörgeräte schlecht auswählt oder nicht adäquat programmiert, besteht nach Auffassung der erkennenden Kammer die Verpflichtung der Krankenkasse, den Versicherten auf diese Möglichkeit hinzuweisen und ihm hilfreich zur Seite zu stehen, um gegebenenfalls seinen Anspruch auf Hilfsmittelversorgung zu den Festbetragbeträgen realisieren zu können. Dies kann durchaus dazu führen, dass von Seiten der Krankenkassen ein System vorzuhalten ist, welches Versorgungsvorschläge von Hörgeräteakustikern zu überprüfen in der Lage ist. Gerade in einem Markt, wie dies bei der Hörgeräteversorgung der Fall ist, der durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet ist und deshalb wenig Anreiz für kostengünstige Versorgungen bietet und es Hinweise gibt, dass das Preisniveau durch überzogene Gewinnspannen bei Handel und Herstellern beeinflusst ist (BSG vom 17.12.2009, a.a.O., Rdnr. 41), gebietet das System der gesetzlichen Krankenversicherung solche Hilfestellungen, um dem Versorgungsauftrag gerecht zu werden. Vorliegend hätte es nahe gelegen, dass sich die Beklagte nicht nur auf Gutachten nach Aktenlage durch den MDK beschränkt hätte sondern dass die Klägerin dem MDK vorgestellt worden wäre. Denn vermutlich nur dann hätten der Klägerin sinnvolle Wege zur Versorgung mit Festbetragsgeräten wegen der bei ihr bestehenden Besonderheiten im Rahmen der Behinderung aufgezeigt werden können.
Zum anderen ist vorliegend ein solcher atypischer Einzelfall gegeben. Denn es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass allein die objektivierbaren Ergebnisse der Testungen nicht in der Lage waren, den Versorgungsanspruch der Klägerin realisieren zu können. So weist der Sachverständige Dr. C. überzeugend darauf hin, dass die Testergebnisse zumindest ähnlich und vergleichbar waren. Eine unterschiedliche Versorgung war aufgrund der sehr niedrigen, individuellen Unbehaglichschwelle beim Hören der Klägerin notwendig. Die Klägerin hat bereits im Rahmen des Erörterungstermins vom 26. Februar 2010 glaubhaft darauf hingewiesen, dass die Probleme bei ihr im Wesentlichen in den Störgeräuschen und der Hyperakusis bestehen würden. Danach konnte sie bei den Testungen immer dann, wenn solche Alltagsgeräusche eingeblendet wurden, nahezu nicht mehr hören. Die Hyperakusis stellt sich bei ihr so dar, dass sie gegen bestimmte Geräusche empfindlich reagiert. Im Gegensatz zu den getesteten Festbetragsgeräten waren die streitigen X-Geräte in der Lage, so programmiert zu werden, dass diese Geräusche für die Klägerin nicht mehr unangenehm sind.
Aufgrund dieser Rechtslage konnte es die Kammer dahingestellt sein lassen, ob die Festbetragsregelung auch bei dem Personenkreis mit mittelgradiger Schwerhörigkeit nicht mehr ausreichend ist. So hat das BSG (Urteil vom 17.12.2009, a.a.O., Rdnr. 40) unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Neubrandenburg (Urteil vom 10. Juni 2008, S 4 KR 39/04) darauf hingewiesen, dass dort nach Auswertung zahlreicher Auskünfte unter anderem von Berufsverbänden, Verbänden der Krankenkassen und einer Interessenvertretung Schwerhöriger sowie eines wissenschaftlichen Gutachtens zu Hörgeräteversorgung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung die Überzeugung bestanden hat, dass selbst bei einer mittelgradigen Schwerhörigkeit - wie bei der Klägerin - eine Versorgung mit Festbetragshörgeräten nicht ausreichend ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für zwei Hörgeräte X V. 2 über den Festbetrag hinaus in Höhe von 3.312,64 EUR.
Mit Bescheid vom 1. November 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Kosten in Höhe von 1.192,80 für zwei Hörgeräte abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20 EUR. In der Folgezeit passte die Firma B. Hörgeräte GmbH in A-Stadt der Klägerin verschiedene Hörgeräte an. Die beste Wirkung erzielte die Klägerin mit den streitigen Geräten. Hierfür forderte die Firma B. Hörgeräte GmbH von der Klägerin einen Eigenanteil in Höhe von 3312,64 EUR. In der Folgezeit stellte die Firma B. der Klägerin diese Geräte leihweise zur Verfügung. Man hatte vereinbart, dass diese Überlassung so lange andauern würde, bis die Übernahme der Mehrkosten geregelt wäre.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2008, eingegangen bei der Beklagten am 3. Juli 2008, beantragte die Klägerin die Übernahme dieser Kosten. Die Beklagte veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage bei der HNO-Ärztin Dr. N. (MDK Hessen) vom 16. August 2008. Diese kam zu der Einschätzung, dass eine Kostenübernahme der Hörgeräteversorgung nur in Höhe der geltenden Festbeträge zu empfehlen sei. Nach den Ergebnissen der Testung mit 65 dB Nutzschall/60 dB Störschall könne mit dem streitigen Gerät ein besseres Einsilberverständnis von 60 % gegenüber 5 % mit den Festbetragsystemen erreicht werden. Dies sei sozialrechtlich als ein über die Grundbedürfnisse eines Erwachsenen hinausgehendes verbessertes Hören in speziellen Hörsituationen zu werten. Bei Erwachsenen würden aufgrund der dort anders definierten Grundbedürfnisse niedrigere Festbeträge für Hörgeräte festgelegt.
Mit Bescheid vom 27. August 2008 lehnte die Beklagte eine höhere Kostenübernahme ab. Dagegen legte die Klägerin am 3. September 2008 Widerspruch ein. Die Beklagte holte in der Folgezeit ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage bei Dr. V. (HNO, MDK Hessen) vom 26. November 2008 ein. Die Gutachterin kam zu der Einschätzung, dass vorliegend keine audiologischen Besonderheiten vorlägen und keine weiteren Behinderungen anderer Organsysteme, die eine Sonderfallentscheidung möglich machen würden. Die Verpflichtung des Hörgeräteakustikers bestehe darin, der Versicherten zwei Hörsysteme zum vereinbarten Vertragspreis anzubieten. Diese Systeme müssten geeignet sein, den individuellen Hörverlust auszugleichen, unter dem Aspekt einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung. Bei den von dem Hörgeräteakustiker B. angebotenen Hörgeräten sei zu hinterfragen, ob diesem Grundsatz gefolgt worden sei, wenn die Versicherte Hörgeräte angeboten bekommen habe, die keine ausreichende Verbesserung ihres Hörvermögens bewirken würden. Das der Versicherten angebotene Hörgerät sei entweder schlecht ausgewählt oder nicht adäquat programmiert worden. Dieser Mangel in der Auswahl und Anpassung könne aber nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angelastet werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Im Anschluss daran erwarb die Klägerin bei der Firma B. die Hörgeräte und übernahm sie endgültig am 11. Februar 2009.
Am 20. Februar 2009 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Die Kammer hat eine Auskunft der Firma A. vom 9. April 2009 eingeholt. Darin teilt diese mit, dass mit dem zuzahlungsfreien Gerät B. V. 1 eine für die Klägerin ausreichende und zweckmäßige Versorgung zu erreichen gewesen sei. Allerdings bringe das streitige Gerät eine wirkungsvolle Störschallunterdrückung mit sich. Außerdem leide die Klägerin an einer Hyperakusis. Ohne frequenzabhängige Kompression könne die Klägerin einige laute Situationen/Geräusche nicht ertragen. Diese Technik biete das preiswertere Gerät nicht.
Außerdem hat die Kammer ein HNO-ärztliches Sachverständigengutachten bei dem Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf-, Hals- und plastische Gesichtschirurgie des Klinikums A-Stadt, PD Dr. C., vom 22. Juli 2010 eingeholt. Nach seinen Feststellungen leidet die Klägerin unter einer mittelgradigen, beidseits symmetrischen, pantonalen sowie Hochton-betonten Innenohrschwerhörigkeit. Der Sachverständige vertritt die Auffassung, dass die streitigen Hörgeräte zum Ausgleich des Hörverlustes der Klägerin notwendig seien. Dabei würden nicht allein die objektiven, audiometrisch messbaren Vorteile der X Geräte, sondern unter den erschwerenden Bedingungen einer deutlich herabgesetzten Unbehaglichkeitsschwelle gerade auch die subjektiven Eindrücke und Empfindungen der Klägerin eine ganz wesentliche Rolle spielen. Die geringere Tendenz zur Entstehung von Rückkopplungsgeräuschen und ein qualitativ besseres Sprachverstehen in lauter Umgebung seien Faktoren, die sich nicht kategorisch messen ließen und individuell ausgesprochen unterschiedlich bewertet werden könnten. Folglich seien die streitigen Hörgeräte die einzigen, die im Stande seien, die genannten, äußerst unangenehmen Begleitsymptome auszugleichen bzw. abzumildern. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Sachverständigen wird auf das Gutachten vom 22. Juli 2010 (Bl. 90 126 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Klägerin weist darauf hin, dass nach den Messergebnissen des Hörgeräteakustikers eine Standardversorgung bei ihr zum Behinderungsausgleich nicht ausreichen würde. Dies liege insbesondere an den Störgeräuschen. Diese seien in allen hochkommunikativen Situationen mit mehreren Teilnehmenden und in größeren und halligen Räumen allgegenwärtig. Diese Situationen würden ihren beruflichen und privaten Alltag kennzeichnen. Bei den Störgeräuschen habe sich in den Tests gezeigt, dass immer dann, wenn Alltagsgeräusche eingeblendet worden seien, sie nahezu nichts mehr hören können. Die Hyperakusis stelle sich so dar, dass sie gegen bestimmte Geräusche empfindlich reagiere. Durch das X-Gerät würden diese Geräusche aufgrund der Programmierung so moduliert, dass ihr diese nicht mehr unangenehm wären.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 27. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.312,64 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Der von der Beklagten angehörte Dr. S. (HNO, MDK Hessen) geht in seiner Stellungnahme vom 25. August 2009 davon aus, dass der Hörgeräteakustiker offenbar keine zwei geeigneten Hörgeräte zum Festbetrag bei der Klägerin angepasst habe. Aus den vorgelegten Messungen des Hörgeräteakustikers würden sich auch keine Gründe für die unbefriedigenden Ergebnisse der Anpassung ergeben. Unter Bezugnahme auf eine weitere Stellungnahme des Dr. S. vom 21. September 2010 äußert die Beklagte, dass dem Gutachten des Dr. C. nicht gefolgt werden könne. Die im Rahmen der dortigen Untersuchung durchgeführten Messungen seien nicht fachgerecht erfolgt. Es könne nicht sein, dass die Testung des Einsilberverstehens ohne Hörgeräte in ruhiger Umgebung besser sei als mit Hörgeräten. Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. April 2011 verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß zum Termin geladen worden war und die Ladung einen entsprechenden Hinweis (§ 110 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) enthielt.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin 3.312,64 EUR zu erstatten.
Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 S. 1 Fall 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V), wonach die Krankenkasse dann, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, die für die selbstbeschaffte Leistung entstandenen Kosten zu erstatten hat, soweit die Leistung notwendig war.
Vorliegend hat die Beklagte ihre Leistungsverpflichtung zu Unrecht auf den Festbetrag in Höhe von 1.192,80 EUR abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20,00 EUR begrenzt. Dadurch sind der Klägerin die begehrten Kosten in Höhe von 3.312,64 EUR entstanden. Die Kausalität zwischen der Leistungsablehnung und der Kostenbelastung ist gegeben, weil der Beklagten die Gelegenheit und die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich vor Inanspruchnahme der Versorgung mit dem Leistungsbegehren der Klägerin zu befassen.
Rechtsgrundlage des primär verfolgten Leistungsanspruchs ist vorliegend § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u.a. mit Hörhilfen, wenn sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen und im Einzelfall erforderlich sind, um entweder den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Dass es sich bei den streitigen Hörgeräten nicht um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt oder diese nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung. Die Hörgeräte dienen auch dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, denn sie sollen die beeinträchtigten Körperfunktionen direkt ersetzen. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktionen selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Bei einem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX), weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktionen als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Rdnr. 15 m.w.N. - zitiert nach juris).
Begrenzt wird der Anspruch auf das streitige Hilfsmittel durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des §§ 12 Abs. 1 SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Aufgrund des Sachverständigengutachtens des Dr. C. steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine wirtschaftlichere Versorgung der Klägerin nicht möglich gewesen ist. Dieser hat für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass es bei der Ausstattung eines Hörbehinderten bei der Geräteauswahl und Geräteanpassung nicht allein auf das audiometrisch messbare Hörvermögen ankommt. Insoweit hat er eingeräumt, dass im Vergleich zwischen den unterschiedlichen Geräten keine solchen Unterschiede bestanden, die die Auswahl der streitigen Geräte gerechtfertigt hätten. Der Sachverständige hat insoweit jedoch überzeugend ausgeführt, dass maßgeblich insoweit bei der Klägerin unter den erschwerenden Bedingungen einer deutlich herabgesetzten Behaglichschwelle gerade die subjektiven Eindrücke und Empfindungen die wesentliche Rolle spielen. Die geringere Tendenz zur Entstehung von Rückkopplungsgeräuschen und ein qualitativ besseres Sprachverstehen in lauter Umgebung sind nach den Ausführungen des Sachverständigen Faktoren, die sich nicht kategorisch messen lassen und individuell ausgesprochen unterschiedlich bewertet werden können. Nach den durchgeführten Testungen kommt der Sachverständige nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin unter diesen Gesichtspunkten die streitigen X-Hörgeräte die einzigen sind, die im Stande waren, die von der Klägerin geäußerten unangenehmen Begleitsymptome auszugleichen bzw. abzumildern. Der Sachverständige verweist nachvollziehbar unter Hinweis auf die wissenschaftliche Literatur darauf, dass die Auswahl und Anpassung einer Hörhilfe eine Kunst darstellt, die sich aus der technischen Handhabung der audiometrischen Testverfahren und dem Gefühl für die individuellen Bedürfnisse des zu Versorgenden zusammensetzt. Es müssen also objektiv messbare Daten zusammengeführt werden mit rein subjektiv empfundenen Wahrnehmungen des Schwerhörigen, wobei sich letztere in keiner noch so ausgefeilten Testserie nachweisen lassen.
Die Klägerin muss sich auch nicht auf die geltenden Festbetragsregelungen der §§ 35 und 36 SGB V verweisen lassen. Zwar ist höchstrichterlich geklärt, dass die geltenden gesetzlichen Festbetragsregelungen verfassungsgemäß sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002, 1 BvL 28/95 u.a.). Damit genügt die Krankenkasse grundsätzlich ihrer Leistungspflicht im Geltungsbereich einer Betragsfestsetzung durch den und bis zu dem jeweiligen Festbetrag (BSG, a.a.O., Rdnr. 30).
Das BSG hat jedoch in seiner Leitentscheidung vom 17. Dezember 2009 (a.a.O., Rdnr. 36) zutreffend ausgeführt, dass die Festbetragsregelung die Krankenkassen nicht von ihrer Pflicht enthebt, im Rahmen der Sachleistungsverantwortung im Sinne des §§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB V für eine ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Hieraus können gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten erwachsen, wenn vor allem bei anpassungsbedürftigen Hilfsmitteln der notwendige Überblick über die Marktlage und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig zu erlangen ist. Das Festbetragsregime setzt nicht die Verantwortung der Kassen für die Leistungsverschaffung im Rahmen des Sachleistungsprinzips außer Kraft, sondern modifiziert nur das Entscheidungsverfahren zur Bestimmung der angemessenen Vergütung. Daraus schlussfolgert das BSG zutreffend die Verpflichtung, dass Versicherten bei einem unübersichtlichen Leistungsangebot ein konkreter Weg zu den gesetzlich möglichen Leistungen aufzuzeigen ist (BSG, a.a.O., Rdnr. 36 m.w.N.).
Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 2009 (L 5 KR 867/07) stellt das BSG (a.a.O. Rdnr. 36) außerdem zutreffend die Frage, es könne zweifelhaft sein, ob schon die abstrakte Möglichkeit einer ausreichenden Versorgung zum Festbetrag zur Erfüllung der Leistungspflicht ausreicht, wenn der Versicherte trotz zumutbarer eigener Anstrengungen den Weg zu der erforderlichen Versorgung nicht findet. Denn dann liegt ein Systemversagen vor, welches ausnahmsweise die Übernahme der den Festbetrag übersteigenden Kosten des Hilfsmittels rechtfertigen kann. Die Erstattung der Kosten für selbst beschaffte Leistungen kommt nämlich dann in Betracht, wenn das Sachleistungssystem generell versagt, etwa angemessene Behandlungsmöglichkeiten (gar) nicht zur Verfügung gestellt werden oder etwa das Verfahren hinsichtlich der Aufnahme neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aus willkürlichen, auf sachfremden Erwägungen beruhenden Gründen blockiert oder verzögert wird. Darüber hinaus kann ein Systemversagen auch vorliegen, wenn die Festbeträge zwar zum Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderungen objektiv ausreichen, jedoch in besonders gelagerten, atypischen Einzelfällen eine den Maßgaben des §§ 12 Abs. 1 SGB V genügende Versorgung des Versicherten nicht hinreichend sicherstellen können. Bei der der Festbetragsfestsetzung durch Allgemeinverfügung zu Grunde liegenden, generalisierenden Betrachtungsweise ist es nämlich nicht möglich, jeden Einzelfall in all seinen Besonderheiten zu bedenken und zu berücksichtigen. Deswegen sind unverhältnismäßige Einschränkungen des auch bei Festbetragsleistungen fortbestehenden Sachleistungsanspruchs des Versicherten in besonders gelagerten Einzelfällen nicht auszuschließen. Liegt ein solcher Fall vor, hat das Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung - als Sachleistung mit Festbetrag - versagt und es bedarf insoweit der Ergänzung durch einen auf § 13 Abs. 3 SGB V gestützten Erstattungsanspruch, wobei insoweit strenge Anforderungen zu stellen sind. Lediglich zusätzliche oder verbesserte Funktionen und Gebrauchsvorteile allein reichen nicht aus (Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O. Rdnr. 45, 46).
Beide Gesichtspunkte sind im vorliegenden Rechtsstreit einschlägig: Die Durchführung des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens durch die Beklagte war fehlerhaft. Die Beklagte ist ihrer Amtsermittlungspflicht zur Klärung des Sachverhalts in Bezug auf eine Ausstattung der Klägerin mit den für diese notwendigen Hörgeräten nicht ausreichend nachgekommen. Die Einschaltung des MDK war nicht ausreichend. Die Ergebnisse des MDK hätten anders verwertet werden müssen. Das Gutachten von Dr. N. vom 16. August 2008 beschäftigt sich im Wesentlichen mit der These, inwieweit durch das streitige Gerät ein "über die Grundbedürfnisse eines Erwachsenen hinausgehendes verbessertes Hören in speziellen Hörsituationen" erreicht werden kann. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2008 ebenso wie die vorangegangene E-Mail vom 26. August 2008 weisen nur auf das Ergebnis der MDK-Begutachtung in, wonach die bewilligte Versorgung ausreichend sei. Damit wird jedoch sowohl von der MDK-Gutachterin wie auch von der Beklagten verkannt, dass es bei dem Anspruch auf Hörgeräteversorgung als unmittelbarem Behinderungsausgleich nicht um eine Basisversorgung gehen kann. Die Gutachterin Dr. V. weist im Gutachten vom 26. November 2008 auf mögliche qualitative Mängel bei der Anpassung durch den Hörgeräteakustiker hin. Es könne nicht angehen, dass die Klägerin unter Störschallbelastungen ohne Hörgerät besser verstehe als mit dem angebotenen Hörgerät. Das Hörgerät sei dann entweder schlecht ausgewählt oder nicht adäquat programmiert gewesen. Sie meint dann allerdings in diesem Zusammenhang, dass dieser Mangel in der Auswahl und Anpassung nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angelastet werden könne. Die Beklagte hat sich sodann überhaupt nicht mit dieser Einschätzung der Gutachterin auseinandergesetzt sondern vielmehr, ohne sich mit der Klägerin nochmals in Verbindung zu setzen, den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2009 zurückgewiesen. Dabei hätte die Beklagte die Feststellungen der Gutachterin zum Anlass nehmen müssen, weitere Sachermittlungen durchzuführen. Denn es ist entgegen der Auffassung der MDK-Gutachterin Dr. V. gerade Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen, für eine ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Wenn Anzeichen bestehen, dass ein Unternehmen aus der Hörgeräteakustik einen Versicherten möglicherweise im Hinblick auf vermehrten Umsatz und Gewinnsteigerungen nicht ausreichend berät und entweder Hörgeräte schlecht auswählt oder nicht adäquat programmiert, besteht nach Auffassung der erkennenden Kammer die Verpflichtung der Krankenkasse, den Versicherten auf diese Möglichkeit hinzuweisen und ihm hilfreich zur Seite zu stehen, um gegebenenfalls seinen Anspruch auf Hilfsmittelversorgung zu den Festbetragbeträgen realisieren zu können. Dies kann durchaus dazu führen, dass von Seiten der Krankenkassen ein System vorzuhalten ist, welches Versorgungsvorschläge von Hörgeräteakustikern zu überprüfen in der Lage ist. Gerade in einem Markt, wie dies bei der Hörgeräteversorgung der Fall ist, der durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet ist und deshalb wenig Anreiz für kostengünstige Versorgungen bietet und es Hinweise gibt, dass das Preisniveau durch überzogene Gewinnspannen bei Handel und Herstellern beeinflusst ist (BSG vom 17.12.2009, a.a.O., Rdnr. 41), gebietet das System der gesetzlichen Krankenversicherung solche Hilfestellungen, um dem Versorgungsauftrag gerecht zu werden. Vorliegend hätte es nahe gelegen, dass sich die Beklagte nicht nur auf Gutachten nach Aktenlage durch den MDK beschränkt hätte sondern dass die Klägerin dem MDK vorgestellt worden wäre. Denn vermutlich nur dann hätten der Klägerin sinnvolle Wege zur Versorgung mit Festbetragsgeräten wegen der bei ihr bestehenden Besonderheiten im Rahmen der Behinderung aufgezeigt werden können.
Zum anderen ist vorliegend ein solcher atypischer Einzelfall gegeben. Denn es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass allein die objektivierbaren Ergebnisse der Testungen nicht in der Lage waren, den Versorgungsanspruch der Klägerin realisieren zu können. So weist der Sachverständige Dr. C. überzeugend darauf hin, dass die Testergebnisse zumindest ähnlich und vergleichbar waren. Eine unterschiedliche Versorgung war aufgrund der sehr niedrigen, individuellen Unbehaglichschwelle beim Hören der Klägerin notwendig. Die Klägerin hat bereits im Rahmen des Erörterungstermins vom 26. Februar 2010 glaubhaft darauf hingewiesen, dass die Probleme bei ihr im Wesentlichen in den Störgeräuschen und der Hyperakusis bestehen würden. Danach konnte sie bei den Testungen immer dann, wenn solche Alltagsgeräusche eingeblendet wurden, nahezu nicht mehr hören. Die Hyperakusis stellt sich bei ihr so dar, dass sie gegen bestimmte Geräusche empfindlich reagiert. Im Gegensatz zu den getesteten Festbetragsgeräten waren die streitigen X-Geräte in der Lage, so programmiert zu werden, dass diese Geräusche für die Klägerin nicht mehr unangenehm sind.
Aufgrund dieser Rechtslage konnte es die Kammer dahingestellt sein lassen, ob die Festbetragsregelung auch bei dem Personenkreis mit mittelgradiger Schwerhörigkeit nicht mehr ausreichend ist. So hat das BSG (Urteil vom 17.12.2009, a.a.O., Rdnr. 40) unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Neubrandenburg (Urteil vom 10. Juni 2008, S 4 KR 39/04) darauf hingewiesen, dass dort nach Auswertung zahlreicher Auskünfte unter anderem von Berufsverbänden, Verbänden der Krankenkassen und einer Interessenvertretung Schwerhöriger sowie eines wissenschaftlichen Gutachtens zu Hörgeräteversorgung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung die Überzeugung bestanden hat, dass selbst bei einer mittelgradigen Schwerhörigkeit - wie bei der Klägerin - eine Versorgung mit Festbetragshörgeräten nicht ausreichend ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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