S 201 AS 45186/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
201
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 201 AS 45186/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu 2) unter Abänderung des Bescheides vom 09.10.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.12.2009, des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2009 und des Änderungsbescheides vom 21.04.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 08.04.2009 bis zum 05.07.2009 zu bewilligen. Der Beklagte erstattet der Klägerin zu 2) ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der Klägerin zu 2) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland vom 08.04.2009 bis zum 05.07.2009.

Die Kläger sind Staatsangehörige der Republik Polen und seit dem 24.08.1974 verheiratet. Der am.1950 geborene Kläger zu 1) lebt seit dem 01.02.2005 in der Bundesrepublik Deutschland. Er erhielt am 15.02.2005 eine Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) und am 09.02.2009 eine Arbeitsberechtigung-EU. Der Kläger zu 1) war zunächst selbständig tätig. Im streitgegenständlichen Zeitraum hatte er kein Einkommen und bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Die am 1952 geborene Klägerin zu 2) reiste am 06.04.2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seitdem bewohnen die Kläger eine 1,5 Zimmerwohnung in der K str ... in B. Ursprünglich war der Klägerin zu 2) eine polnische Altersrente bewilligt und zuletzt im März 2009 ausgezahlt worden. Mit Bescheid vom 14.04.2009 hob die Sozialversicherungsanstalt (ZUS), Abteilung Szczecin, Felczaka Str. 29 in 74-300 Myœlibórz die Rente auf. Auf Antrag erhielt die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 28.04.2009 eine Arbeitsberechtigung-EU.

Mit Fax vom 08.04.2009 stellten die Kläger einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 2) mit Bescheid vom 09.10.2009 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 06.07.2009 bis zum 31.10.2009.

Gegen diesen Bewilligungsbescheid legten die Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie unter anderem an, dass der Leistungsausschluss für die Klägerin zu 2) in den ersten Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland nicht greife. Da der Kläger zu 1) Leistungen beziehe, müsse die Klägerin zu 2) auch einen Anspruch auf Leistungen haben. Sie sei schließlich Familienangehörige des Klägers zu 1).

Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 2) auch mit dem mit einem Vorläufigkeitsvorbehalt versehenen Änderungsbescheid vom 04.12.2009 keine Leistungen für die Zeit vom 08.04.2009 bis zum 05.07.2009. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2009 (Az. W /09) wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger bezüglich des Leistungsausschlusses für die Klägerin zu 2) als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass der Leistungsausschluss auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II basiere. Dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Zweck sei zu entnehmen, dass der Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts für Unionsbürger und deren Familienangehörige gelte, die von ihrem unmittelbar geltenden voraussetzungslosen dreimonatigen Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Unionsrichtlinie Gebrauch machen würde.

Mit der am 21.12.2009 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Nach Klageerhebung hat der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid erlassen. Der Beklagte hat der Klägerin zu 2) auch mit dem Bescheid vom 21.04.2010 endgültig keine Leistungen für die Zeit vom 08.04.2009 bis zum 05.07.2009, sondern erst Leistungen ab dem 06.07.2009 bewilligt. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung am 18.04.2011 seine Klage zurückgenommen. Die Klägerin zu 2) begehrt die Bewilligung von Leistungen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland. Sie meint, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II sei nicht anwendbar.

Die Klägerin zu 2) beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu 2) unter Abänderung des Bescheides vom 09.10.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.12.2009, des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2009 und des Änderungsbescheides vom 21.04.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 08.04.2009 bis zum 05.07.2009 zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Der Bescheid vom 09.10.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.12.2009, des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2009 und des Änderungsbescheides vom 21.04.2010 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 2) in ihren Rechten. Die Klägerin zu 2) hat für die Zeit vom 08.04.2009 bis zum 05.07.2009 einen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Über die Klage durfte die Kammer durch Grundurteil entscheiden, da die Voraussetzungen dafür vorlagen. Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG kann auch zur Leistung dem Grunde nach verurteilt werden, wenn eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht (§ 54 Abs. 4 SGG). Dabei muss feststehen, dass ein Anspruch auf eine Geldleistung vorhanden oder zumindest wahrscheinlich ist (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 16.10.2007, Az. B 8/9b SO 2/06 R, Rn. 22; Urteil vom 21.12.2009, Az. B 14 AS 61/08 R, Rn. 5, 9; Urteil vom 30.09.2010, Az. B 10 EG 11/09 R, Rn. 19, 36; alle Urteile zitiert nach juris). Dies ist nach Auffassung der Kammer der Fall. Der Klageantrag richtet sich zudem ausdrücklich auf Erlass eines Grundurteils.

Der Änderungsbescheid vom 21.04.2010 ist gemäß § 96 SGG Gegenstand des hiesigen Verfahrens geworden. Gemäß § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Änderungsbescheid vom 21.04.2010 ändert den Bescheid vom 04.12.2009 insoweit, als dieser keinen Vorläufigkeitsvorbehalt mehr enthält.

Die Klägerin zu 2) hat einen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 08.04.2009 bis zum 05.07.2009. Sie ist Leistungsberechtigte im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 ist leistungsberechtigt, wer das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist sowie den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Die Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin zu 2) hatte im streitgegenständlichen Zeitraum die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, da sie 57 bzw. 58 Jahre alt war. Die Klägerin zu 2) war zudem erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1, 2 i.V.m § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Die Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin zu 2) verfügte ab dem 28.04.2009 über eine Arbeitsberechtigung-EU, die ihr die Ausübung von beruflichen Tätigkeiten jeder Art erlaubt (§ 8 Abs. 2 Alt. 1 SGB II). In der Zeit vom 08.04.2009 bis zum 27.04.2009 hätte ihr eine berufliche Tätigkeit auf Antrag erlaubt werden können (§ 8 Abs. 2 Alt. 2 SGB II). Die Klägerin zu 2) war auch hilfebedürftig. Insbesondere erzielte der gemäß § 1360 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unterhaltspflichtige Ehemann, der Kläger zu 1), im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen. Vermögen hatte die Klägerin zu 2) nicht. Seit dem 06.04.2009 hat sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und wohnt in der K str ... in B.

Die Klägerin zu 2) ist nicht von Leistungen ausgeschlossen. Ein Leistungsausschluss ergibt sich nicht aus § 7 Abs. 4a Satz 1 Var. 2 SGB II. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer eine Rente wegen Alters bezieht. Es kann offen bleiben, ob darunter ausländische Altersrenten fallen. Jedenfalls ist die polnische Altersrente der Klägerin zu 2) mit Bescheid vom 14.04.2009 aufgehoben worden. Im streitgegenständlichen Zeitraum bezog die Klägerin zu 2) daher keine Rente mehr.

Die Klägerin zu 2) ist nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB sind Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund von § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Norm lässt unterschiedliche Auslegungen zu. Je nach dem welcher Auslegung gefolgt wird, ist der Ausschlusstatbestand gegeben oder nicht. Nach Auffassung der Kammer liegen die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss nicht vor. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ist unter Anwendung der juristischen Auslegungsmethoden dahingehend auszulegen, dass der Leistungsausschluss in den ersten drei Monaten des Aufenthalts bei einem hier vorliegenden Familiennachzug nicht anwendbar ist.

Der Wortlaut der Norm lässt im Wesentlichen drei Auslegungen zu. Erstens könnte die Klägerin zu 2) "Ausländerin" im Sinne der Norm sein. Da sie weder Arbeitnehmerin noch Selbständige war und auch § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht eingreift, wäre sie nach dieser ersten Auslegungsmöglichkeit für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes in Deutschland von Leistungen ausgeschlossen.

Die Klägerin zu 2) könnte zudem "Familienangehörige" im Sinne der Vorschrift sein. Hierfür spricht, dass sie als Ehefrau des seit 2005 in Deutschland lebenden Klägers zu 1) eingereist ist. Sie hat aufgrund ihres Status als Familienangehörige die unbefristet geltende Arbeitsberechtigung-EU (§ 284 Abs. 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 12a Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV)) erhalten. Gemäß § 12a Abs. 2 Satz 3 ArGV ist der Ehepartner ein Familienangehöriger im Sinne der Vorschrift. Gemäß § 12a Abs. 2 Satz 1 und 2 ArGV haben die Familienangehörigen eines Staatsangehörigen nach § 12a Abs. 1 ArGV einen Anspruch auf Erteilung der Arbeitsberechtigung-EU. Die Klägerin zu 2) hat die Arbeitsberechtigung-EU nur erhalten, weil ihr Ehemann, der Kläger zu 1), die Voraussetzungen von § 12a Abs. 1 ArGV erfüllt hatte. Ist die Klägerin "Familienangehörige" im Sinne der Norm, sind zwei weitere Auslegungen möglich. Der Wortlaut kann dahingehend ausgelegt werden, dass Familienangehörige für die ersten drei Monate des Aufenthaltes des "Ausländers" im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sind. Dieses Verständnis des Wortlautes würde dazu führen, dass die Klägerin zu 2) nur während der ersten drei Monate des Aufenthaltes des Klägers zu 1) in Deutschland von Leistungen ausgeschlossen werden dürfte. Folgt man dieser zweiten Auslegungsmöglichkeit, greift der Leistungsausschluss nicht ein. Der Kläger zu 1) reiste am 01.02.2005 ein. Der Leistungsausschluss der Klägerin zu 2) würde sich auf die Zeit vom 01.02.2005 bis zum 30.04.2005 beziehen.

Drittens kann der Wortlaut dahingehend ausgelegt werden, dass Familienangehörige während der ersten drei Monate ihres Aufenthaltes in Deutschland von Leistungen ausgeschlossen sind. Wollte man den Wortlaut so verstehen, wäre die Klägerin nach ihrer Einreise am 06.04.2009 für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes, also bis zum 05.07.2009 von Leistungen ausgeschlossen. Letztere Auslegung vertritt der Beklagte.

Der Wortlaut der Norm ist nach Auffassung der Kammer nicht eindeutig. Zurückzugreifen ist daher auf die anderen juristischen Auslegungsmethoden.

Die systematische, historische und teleologische Auslegung helfen nicht weiter. Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich insbesondere aus der Historie der Vorschrift nicht, welche der möglichen Wortlautauslegungen zu bevorzugen ist. Der Gesetzgeber wollte von der Option in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Rates vom 29.04.2009 Gebrauch machen (Bundestags-Drucksache 16/5065, S. 234). Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Rates ist der einen Ausländer aufnehmende Staat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern und Selbständigen und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthaltes einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Der Gesetzgeber vertrat die Auffassung, dass der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vor allem Unionsbürger treffe, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen. Der Leistungsausschluss gelte auch für Familienangehörige dieser Personen. Nach Auffassung der Kammer beabsichtigte der Gesetzgeber mit § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II einen Ausschluss des nach Deutschland ziehenden Ausländers und seiner Familie für die ersten drei Monate des Aufenthaltes. Der Gesetzgeber legte dem Gesetz den Normalfall und damit den Fall zugrunde, dass der Ausländer nicht alleine, sondern mit seiner gesamten Familie einreist. Den Gesetzgebungsmaterialien kann nicht entnommen werden, dass der Leistungsausschluss den hier vorliegenden Familiennachzug erfassen sollte.

Die verfassungskonforme Auslegung spricht für die zweite der oben aufgezeigten drei möglichen Wortlautauslegungen. Allein diese Auslegung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Handelt es sich um einen Fall des Familiennachzuges zu einem bereits seit mehr als drei Monaten in Deutschland lebenden Familienteils, kann § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nur dahingehend verstanden werden, dass der nachziehende Familienangehörige nicht in den ersten drei Monaten seines Aufenthaltes von Leistungen ausgeschlossen wird, sondern nur in den ersten drei Monaten des bereits in Deutschland lebenden Familienteils. Eine andere Auslegung würde gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen.

Die Frage, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden muss, ist in der Rechtsprechung nicht geklärt. Zwei Gerichte haben das Problem im Rahmen einer summarischen Prüfung aufgegriffen. Der 19. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen befürwortete in dem Beschluss vom 07.12.2009 (Az. L 19 B 363/09 AS) eine verfassungskonforme Auslegung für den Familiennachzug zu einem Deutschen. Es würde "vieles für eine einschränkende Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II im Fall des Nachzugs eines ausländischen Familienangehörigen zu dem deutschen Ehepartner" sprechen (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 6, zitiert nach juris). Die 31. Kammer des Sozialgericht Duisburg verneinte nach summarischer Prüfung einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG (Beschluss vom 19.11.2009, Az. S 31 AS 414/09 ER, Rn. 27). Ein Familiennachzug werde durch den Leistungsausschluss in lediglich drei Monaten nicht unmöglich gemacht. In Betracht käme allein ein Verstoß gegen die staatliche Fürsorgepflicht. Hier verfüge die Legislative jedoch über eine erhebliche Gestaltungsfreiheit (SG Duisburg, a.a.O., Rn. 27, zitiert nach juris).

Die Kommentarliteratur spricht sich – sofern das Problem überhaupt angesprochen wird – für eine einschränkende Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II im Fall des Familiennachzugs aus. Vom Leistungsausschluss nicht erfasst seien Familienangehörige, die zu einem im Bundesgebiet schon länger aufenthaltsberechtigten Ausländer einreisen (Brühl/Schoch, in: LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 7 Rn. 31; vgl. zum Familiennachzug zu einem Deutschen: Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink (Hrsg.), SGB II Kommentar, 2. Auflage 2008, § 7 Rn. 16).

Entgegen der bereits zitierten Auffassung des Sozialgerichts Duisburg (a.a.O.) ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II verfassungskonform im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG dahingehend auszulegen, dass im vorliegenden Fall der Leistungsausschluss nicht anwendbar ist. Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Der Schutz erstreckt sich auf ausländische Ehen und die Zusammenführung dieser Ehen (Badura in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, Art. 6 Rn. 63; Zulegg, Rechtsgutachten zum Nachzug von Ehegatten türkischer Arbeitnehmer, in: Barwig/Lörcher/Schumacher (Hrsg.), Familiennachzug von Ausländern auf dem Hintergrund völkerrechtlicher Verträge, S. 121, 128). Zwar begründet Art. 6 Abs. 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch von ausländischen Ehegatten auf Nachzug zu ihren legal in Deutschland lebenden Partnern (Badura, a.a.O., Art. 6 Rn. 66). Jedoch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber sich für die Rechtmäßigkeit des Familiennachzuges in Fällen wie dem hier vorliegenden entschieden hat. Diese Grundentscheidung kann über den Leistungsausschluss nach dem SGB II nicht wieder rückgängig gemacht werden.

Art. 6 Abs. 1 GG beinhaltet nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes "positiv die Aufgabe für den Staat, Ehe und Familie nicht nur vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, sondern auch durch geeignete Maßnahmen zu fördern, und negativ das Verbot für den Staat selbst, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen" (BVerfGE 6, 55 (76); 24, 104 (109); 28, 104 (113); 28, 234 (347); 32, 260 (267); 55, 114 (126); vgl. Stephan, Die Ansprüche zusammenlebender Personen nach SGB II und SGB XII, Berlin 2008, S. 166 m.w.N.). Ehegatten darf es nicht unmöglich gemacht werden, dort ihren gemeinsamen Wohnsitz zu begründen, wo sie nach eigener Einschätzung ihren Unterhalt verdienen und das Wohlergehen der Familie sichern können (Zulegg, a.a.O., S. 121, 130). Dieser sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Schutzverpflichtung liefe es zuwider, wenn der nachziehende Ehegatte für die ersten drei Monate des Aufenthaltes von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen wird. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Duisburg (a.a.O.) wiegt dieser Ausschluss nach Auffassung der Kammer so schwer, dass eine Zusammenführung der Familie erheblich erschwert wird. Die Verweigerung des Existenzminimums für drei Monate ist derart gravierend, dass ein Familiennachzug faktisch unmöglich gemacht wird. Der Familienangehörige kann nicht darauf verwiesen werden, erst nachzuziehen, wenn der bereits in Deutschland lebende Familienteil wegen der Aufnahme einer Tätigkeit wieder aus dem Leistungsbezug ausgeschieden ist. Zu bedenken ist dabei auch, dass der Rückhalt der Familie es dem bereits in Deutschland lebenden Ausländer erleichtern kann, den Weg in eine selbständige oder nichtselbständige Beschäftigung zu finden (vgl. zum Recht auf Familieneinheit: Tomuschat, EuGRZ 1979, 191, 198).

Die sich aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ergebende faktische Nachzugsbeschränkung unterfällt auch nicht einer umfangreichen Gestaltungsfreiheit der Legislative. Die Legislative ist in der Gestaltung frei, auf welche Weise der Schutz der Ehe verwirklicht wird. Vorliegend geht es aber um das gegen den Staat gerichtete Verbot, die Ehe zu beeinträchtigen. Eine "erhebliche Gestaltungsfreiheit" (SG Duisburg, a.a.O., Rn. 27, zitiert nach juris) hat die Legislative in diesem Bereich gerade nicht (vgl. Zulegg, a.a.O., S. 121, 138).

Ein anderes Ergebnis ergibt sich nicht, wenn die streitentscheidende Norm im Lichte der völkerrechtlichen Verträge ausgelegt wird (vgl. z. B. Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention).

Die genannten Argumente sprechen für die zweite der genannten drei Auslegungsmöglichkeiten des Wortlautes von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II. Der Leistungsausschluss greift daher nicht. Die Klage der Klägerin zu 2) hatte im Ergebnis vollumfänglich Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Die Kammer hat die Sprungrevision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. § 161 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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